Landgericht Hamburg:
Urteil vom 19. Juli 2005
Aktenzeichen: 312 O 495/05

(LG Hamburg: Urteil v. 19.07.2005, Az.: 312 O 495/05)

Tenor

I. Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 28.06.2005 (Az.: 312 O 495/05) wird unter Zurückweisung des auf ihren Erlass gerichteten Antrags aufgehoben.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Antragstellerin macht gegen die Antragsgegnerin einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch geltend.

Die Antragstellerin ist die deutsche Vertriebsgesellschaft des forschenden Arzneimittelunternehmens N AG , das neben anderen das den Wirkstoff Formoterol enthaltende Arzneimittel Foradil (R) P (i.F.: Foradil (R) ) herstellt und vertreibt. Foradil (R) ist laut Fachinformation (vgl. Anlage Ast 2) für folgende Anwendungsgebiete zugelassen:

Zur Langzeitbehandlung des mittelschweren bis schweren Asthma bronchiale bei Patienten, die eine regelmäßige bronchialerweiternde Therapie benötigen in Verbindung mit einer entzündungshemmenden [...] Dauertherapie.

Die Behandlung mit Kortikoiden ist regelmäßig weiterzuführen.

Prophylaxe und Behandlung der Bronchokonstriktion bei Patienten mit reversibler oder irreversibler chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) einschließlich chronischer Bronchitis und Emphysem.

Die Antragsgegnerin entwickelt und vertreibt Software, die speziell für den Einsatz in Arztpraxen vorgesehen ist. Neben anderen bietet sie eine solche Software namens "D C " an. Auf ihrer Internetseite www. d .de weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass sie mit dem Generika-Hersteller r eine über 10jährige "gelebte Partnerschaft" verbinde. Eines der Ziele dieser Partnerschaft seien "günstige Preise" (vgl. Anlage Ast 10). Darauf, dass das Programm "D C" grundsätzlich von r gesponsert wird, weist die Antragsgegnerin bzw. ihre Vertriebsmitarbeiter auch darüber hinaus beim Verkauf dieser Software gegenüber dem zukünftigen Anwender hin. Der Anwender erkennt die finanzielle Unterstützung des Programms durch r ferner auch daran, dass beim Hochfahren des Programms jeweils ein r -bzw. ein ein r -Produktbewerbender Werbebanner angezeigt wird.

R stellt her und vertreibt das Arzneimittel Formoterol-r (R) , bei welchem es sich um ein Generikum von Foradil (R) handelt. Formoterol-r (R) ist ausweislich der Gebrauchsinformation (vgl. Anlage Ast 16) zugelassen zur:

- symptomatischen Langzeit-Behandlung von bestehenden mäßigen bis schweren Asthma bronchiale in Kombination mit einer entzündungshemmenden Langzeit-Behandlung [...]

- Behandlung von rückbildungsfähigen, einengenden (reversibel-obstruktiven) Symptomen anderer Atemwegserkrankungen wie chronischer Bronchitis mit oder ohne Emphysem,

- Vorbeugung eines Bronchialspasmus in Folge von Anstrengung oder Allergen-Kontakt.

Die Software "D C" sieht die Möglichkeit einer Voreinstellung vor, die dem Arzt, der einem Patienten ein bestimmtes Arzneimittel verordnen möchte, stets auch ein jedenfalls wirkstoffgleiches Alternativprodukt von r anbietet. Diese Voreinstellung kann in den so genannten Stammdaten der Software aktiviert und deaktiviert werden. Bei Aktivierung der Voreinstellung läuft die durch "D C" gestützte Rezepterstellung durch den Arzt wie folgt ab:

(1) Der Arzt gibt in das entsprechende Feld der Eingabemaske den Namen eines bestimmten Arzneimittels oder einen Teil des Namens (vorliegend beispielsweise " forad* ") ein und betätigt sodann die " ENTER "-Taste.

(2) Nunmehr wird ihm eine Liste aller Arzneimittel des eingegebenen Namens angezeigt, vorliegend eine Liste verschiedener Foradil (R) -Präparate, aus welcher er dasjenige, das er tatsächlich verordnen möchte, heraus wählen kann, indem er es anklickt. Dieses Anklicken führt zum einen dazu, dass das so ausgewählte Arzneimittel, vorliegend Foradil (R) , farblich unterlegt wird. Es führt aber auch dazu, dass in einer unterhalb der aufgelisteten, den eingegebenen Namen enthaltenen Arzneimittel im unteren Drittel des Bildschirmfensters in einer Extrazeile zu lesen ist:

"RAT FORMOTEROLRATIOPH12UG 1INH 60ST N1 [...] 38,50 [...]"

Unterhalb dieser Zeile sind einige Hinweise das vom Arzt in der Liste selbst ausgewählte Arzneimittel betreffend, sowie u.a. die Erläuterung zu lesen, dass die Abkürzung "RAT" für r steht. Am unteren Ende des Bildschirmfensters finden sich schließlich die Schaltfläche "OK" sowie die weitere Schaltfläche "Abbruch = ESC".

Wegen der Einzelheiten dieses Bildschirmfensters wird Bezug genommen auf die Abbildung 3 der Anlage Ast 8.

(3) Hat der Arzt die oben genannte Schaltfläche "OK" betätigt, so erscheint das aus der Abbildung 4 der Anlage Ast 8 ersichtliche Fenster. Dieses ist mit "Werbung/Anzeige" überschrieben und enthält im Wesentlichen die Pflichtangaben zu Formoterol-r (R) . Am unteren Ende des Fensters gibt es erneut zwei Schaltflächen, und zwar die Schaltfläche " ENTER ", hinter welcher zu lesen ist "= Medikament übernehmen", sowie die weitere Schaltfläche "ESC", hinter welcher steht: "= Ende".

(4) Betätigt der Arzt die soeben erwähnte Schaltfläche " ENTER ", so wird das vom Arzt bereits ursprünglich ausgewählte Arzneimittel, vorliegend also Foradil (R) , in das Rezeptformular übernommen. Das Rezept kann nunmehr zum Beispiel gespeichert oder auch ausgedruckt werden.

Das Programm "D C" hält neben der soeben dargestellten Möglichkeit der computergestützten Erstellung eines Rezeptes weitere Möglichkeiten bereit, so beispielsweise diejenige der wirkstoff- sowie diejenige der indikationsgeleiteten Suche nach jeweils entsprechenden Arzneimitteln. Unabhängig von der oben beschriebenen Voreinstellung werden die im Rahmen der genannten Suchfunktionen erzielten Suchergebnisse stets wie folgt angezeigt:

In den obersten Zeilen werden die den gesuchten Wirkstoff enthaltenen bzw. die für die gesuchte Indikation zugelassenen Arzneimittel aus dem Hause r farbig hinterlegt angezeigt. Die weiteren jeweils auf die Suchanfrage passenden Arzneimittel folgen im Anschluss an die r -Produkte in alphabetischer Reihenfolge. Im Fall einer indikationsgeleiteten Suche mit dem Suchbegriff "Atemwegskrankheiten und grippale Infekte Bronchodilatoren " führt dies dazu, dass zunächst 28 farbig unterlegte r -Produkte angezeigt werden. Foradil (R) erscheint in der sich anschließenden alphabetischen Liste anderer passender Nicht- r -Produkte, insgesamt, das heißt unter Einbeziehung der r -Produkte, an Position 286.

"D C" sieht schließlich eine weitere Möglichkeit der Voreinstellung vor, welche nicht die soeben erwähnten Suchfunktionen, sondern die Funktion des computergestützten Erstellens von Rezepten betrifft. Es ist danach zunächst möglich, sich für oder gegen eine "nec aut idem"-Anzeige im Rezept zu entscheiden. Hat man sich für eine solche Anzeige entschieden, so hat man sodann die weitere Möglichkeit diese Anzeige im Rezept zu beschränken bzw. zu konkretisieren. Der Anwender hat die Möglichkeit, folgende Optionsfelder anzukreuzen (bei grundsätzlich aktivierter "nec aut idem"-Anzeige):

- nicht automatisch

- bei allen verordneten Medikamenten

- bei r-Medikamenten

- bei Eurim-Pharm Medikamenten

Unter Hinweis darauf, dass in der von der Antragsgegnerin ausgelieferten Software sowohl die Voreinstellung, wonach stets alternative r (R) -Produkte angezeigt werden sollen, wie auch die weitere Voreinstellung, wonach eine "nec aut idem"-Anzeige in allen r -Präparate verordnenden Rezepten enthalten sein soll, ohne Zutun des Anwenders eingestellt seien, unter dem weiteren Hinweis darauf, dass das Voranstellen der r (R) -Produkte in den Ergebnislisten der wirkstoff- wie indikationsgeleiteten Suche u.a. ein gezieltes Behindern der Wettbewerber darstelle, Formoterol-r (R) zudem zu Unrecht als Alternative zu Foradil (R) angezeigt werde, da ersteres nicht zur Behandlung der COPD zugelassen sei, hat die Antragstellerin die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 28.06.2005 gegen die Antragsgegnerin erwirkt. Hiernach ist es der Antragsgegnerin bei Vermeidung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten,

"zu Zwecken des Wettbewerbs die Arztpraxis-Software "D C" anzubieten oder zu verbreiten und/oder anbieten und/oder verbreiten zu lassen, wenn diese Software

a) dem anwendenden Arzt im Rahmen der computergestützten Rezept-Erstellung bei Eingabe eines Fertigarzneimittels der Antragstellerin auf dem Bildschirm ein Generikum anzeigt mit der Möglichkeit, dieses statt des zunächst ausgewählten Präparates zu verordnen,

ohne dass die Installation dieser Option durch den Arzt ausdrücklich durch eine bewusste Vorab-Aktivierung ausgelöst wurde,

wenn dies geschieht, wie aus der Anlage 1 ersichtlich;

und/oder

b) einen Anwender, der computergestützt zwecks Ausstellung eines Rezeptes zur Behandlung eines Patienten mit der Diagnose "COPD" das Präparat "Foradil P" ausgewählt hat, auf dem Bildschirm vor Übernahme dieses Präparates in das Rezeptformular auf das Generikum "Formoterol-r" hinweist mit der Möglichkeit, dieses statt des zunächst ausgewählten Präparates zu verordnen,

insbesondere, wenn dies geschieht, wie aus der Anlage 2 ersichtlich;

und/oder

c) eine Wirkstoffsuche aufweist, die nach Eingabe des Wirkstoffs "Formoterol" eine Liste der gefundenen Medikamente anzeigt, bei der das Generikum "Formoterol-r" an erster Stelle vor dem Präparat "Foradil" aufgeführt wird, obwohl diese Liste im Übrigen alphabetisch geordnet ist,

insbesondere, wenn dies geschieht, wie aus der Anlage 3 ersichtlich;

und/oder

d) eine Indikationssuche aufweist, die bei der Indikation "Atemwegskrankheiten und grippale Infekte Bronchodilatatoren" eine Liste der gefundenen Medikamente anzeigt, bei der zunächst alle dem Suchkriterium entsprechenden Präparate von "r" vor dem Präparat "Foradil" aufgeführt werden, obwohl diese Liste im Übrigen alphabetisch geordnet ist,

wenn dies geschieht, wie aus der Anlage 4 ersichtlich;

und/oder

e) in den Stammdaten eine Aktivierung der "nec-aut-idem"-Ankreuzfunktion allein für die Rezeptierung von r-Medikamenten aufweist,

ohne dass die Installation dieser Option durch den Arzt ausdrücklich durch eine bewusste Vorab-Aktivierung ausgelöst wurde,

insbesondere, wenn dies geschieht, wie aus der Anlage 5 ersichtlich.

Hiergegen richtet sich der Widerspruch der Antragsgegnerin.

Sie verweist zunächst darauf, dass ihre Software nicht mit den streitgegenständlichen Voreinstellungen ausgeliefert werde. Auch würden ihre Vertriebsmitarbeiter nicht veranlasst, bei der Erstinstallation solche Voreinstellungen ohne Rücksprache mit dem Anwender in das Programm einzufügen. Darüber hinaus behauptet sie, dass Formoterol- r (R) auch für COPD zugelassen sei, worauf es vorliegend jedoch letztlich nicht ankomme. Der Hinweis auf dieses Arzneimittel im Rahmen der Rezepterstellung betreffend Foradil (R) werde von dem verordnenden Arzt nämlich allein als ein solcher auf ein wirkstoffgleiches, nicht jedoch auf ein zudem indikationsidentisches verstanden.

Soweit die Antragstellerin die Ergebnislisten bei der wirkstoff- bzw. indikationsgeleiteten Suche im Hinblick auf die vorangestellten r (R) -Medikamente angreift, vertritt die Antragsgegnerin die Auffassung, nicht zuletzt durch die farbliche Unterlegung dieser Produkte in der Liste, sowie angesichts dessen, dass der Arzt wisse, dass die Software von r gesponsert sei, läge insoweit eine für den Verkehr erkennbare, schlichte Bewerbung der r (R) -Produkte, jedoch kein Verdrängen der Produkte der Antragstellerin vor.

Die Antragsgegnerin beantragt,

unter Aufhebung der einstweiligen Verfügung vom 28.06.2005 den Antrag der Antragstellerin vom 23.06.2005 zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die einstweilige Verfügung zu bestätigen.

Zur Begründung ihres Antrages wiederholt und vertieft die Antragstellerin im Wesentlichen ihren Vortrag aus der Antragsschrift. Sie hält insoweit an ihrer Auffassung fest, dass die Art der Gestaltung der Software, insbesondere hinsichtlich der Gestaltung der Ergebnislisten der wirkstoff- bzw. indikationsgeleiteten Suchfunktion, eine gemäß §§ 4 Ziffer 10 sowie 5 UWG unlautere Handlung darstelle. Das Anbieten der r -Alternativen stelle zudem eine verschleierte Werbung, mithin einen Verstoß gegen § 4 Ziffer 3 UWG dar.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.12.2005 Bezug genommen.

Gründe

I.

Unter Berücksichtigung des Vorbringens der Parteien im Widerspruchsverfahren erweist sich die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 28.06.2005 (Az.: 312 O 495/05) als zu Unrecht ergangen. Der auf ihren Erlass gerichtete Antrag ist zulässig, jedoch nicht begründet.

1.

Die Antragstellerin hat zunächst keinen ihren Anträgen zu 1a) und 1e) entsprechenden Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1 UWG in Verbindung mit §§ 3, 4 Ziffer 10 UWG gegen die Antragsgegnerin. Denn es kann nicht mit der im vorliegenden Verfahren erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin ihre Software mit den streitgegenständlichen, die Firma r bevorzugenden Voreinstellungen (Austauschfunktion, "nec-aut-idem"-Anzeige) versehen an Anwender ausliefert bzw. ausliefern lässt, jedenfalls nicht, sofern nicht der Anwender um eine entsprechende Voreinstellung gebeten hat.

1.1.

Gemäß § 4 Ziffer 10 UWG handelt unlauter im Sinne von § 3 UWG, wer Mitbewerber gezielt behindert. Eine solche tatbestandliche gezielte Behinderung kann auch darin liegen, dass auf (potenzielle) Kunden eines Mitbewerbers eingewirkt wird. Dabei ist jedoch der im Wettbewerbsrecht geltende Grundsatz zu berücksichtigen, wonach der Mitbewerber kein Recht auf Erhaltung seines Kundenstammes hat. Der Kundenkreis ist mithin kein vom Wettbewerbsrecht geschütztes Rechtsgut (BGH GRUR 2002, 548, 549 - Mietwagenkostenersatz ). Ganz im Gegenteil liegt es im Wesen des Wettbewerbs, dass ein Wettbewerber in einen fremden Kundenkreis eindringt und einem Mitbewerber Kunden, durchaus auch zielgerichtet und systematisch, ausspannt (vgl. BGH GRUR 1963, 197, 200 - Zahnprothesen-Pflegemittel ). Unlauter und damit tatbestandlich gemäß § 4 Ziffer 10 UWG wird das Eindringen in einen fremden Kundenkreis erst, wenn besondere, die Unlauterkeit begründende Umstände hinzutreten (vgl. BGH GRUR 2002, 548, 549 - Mietwagenkostenersatz ).

Solche die Unlauterkeit des Eindringens in einen fremden Kundenkreis begründenden Umstände liegen u.a. regelmäßig dann vor, wenn die (potenziellen) Kunden durch unsachliche Beeinflussung am (möglichen) Erwerb der Ware oder Leistung des Mitbewerbers gehindert werden (sollen). Maßgeblich ist insoweit, ob sich der Werbende gewissermaßen zwischen den Kaufinteressenten und den Mitbewerber schiebt, um ihm eine Änderung seines Kaufentschlusses aufzudrängen (vgl. BGH GRUR 1963, 197, 201 - Zahnprothesen-Pflegemittel ; Hans. OLG GRUR 2002, 278, 279 - AKUmed ; Köhler in Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 23. Aufl., 2004, § 4 UWG Rz. 10.25).

Ein solches Dazwischendrängen ist beispielsweise in der Überlassung eines Softwareprogramms an Ärzte zu sehen, wenn dieses Programm automatisch bei Rezepterstellung das eingegebene Original-Arzneimittel durch bloßes Betätigen der Eingabetaste durch ein Parallelimport-Produkt ersetzt (vgl. Hans. OLG a.a.O.). Maßgeblich für die Begründung der Unterlauterkeit einer solchen Software ist dabei vor allem, ob die Darbietung der (vermeintlichen) Alternativ-Arzneimittel im Rahmen der computergestützten Rezepterstellung mit einer solchen Voreinstellung versehen ist, über die sich der Arzt erst aktiv hinwegsetzen muss, wenn er dem ihm von der Software bereits vorgebahnten Weg nicht folgen will (Hans. OLG a.a.O., Seite 280). Dagegen ist eine Voreinstellung, auch eine solche, die im Ergebnis zu einer Bevorzugung von Produkten eines Mitbewerbers gegenüber solchen vom Arzt in die Rezepterstellungs-Maske der Software eingetragenen Arzneimitteln führt, dann nicht als ein unlauteres Dazwischendrängen zwischen Kunden und Mitbewerber anzusehen, wenn der Arzt eine solche Voreinstellung selbst einrichtet (vgl. Hans. OLG a.a.O., Seite 279).

1.2.

Dass letzteres hier gegeben ist, nämlich, dass der Arzt sich selbst die Voreinstellung, wonach ihm nach Eingabe eines Arzneimittels in die Rezepterstellungsmaske (vermeintlich) passende Alternativ-Präparate aus dem Hause r angeboten werden, einrichtet, dass dieses also nicht automatisch eingestellt ist, behauptet die Antragsgegnerin. Entsprechendes wird von ihrem Geschäftsführer, wie aus Anlage AG 1 ersichtlich, an Eides Statt versichert. Danach ist es Sache des Arztes, sich für oder gegen eine solche Vorabeinstellung zu entscheiden. Weder würde die Software mit einer solchen Voreinstellung ausgeliefert, noch werde sie bei Erstinstallation vom Vertrieb der Antragsgegnerin mit dieser Voreinstellung versehen.

Die Kammer hat keinen Anlass, an der Wahrheit dieser eidesstattlichen Versicherung zu zweifeln. Dies gilt auch, soweit der Allgemeinmediziner Dr. U L aus Braunschweig gemäß Anlage Ast 11 das Gegenteil an Eides Statt versichert. Es ist nicht auszuschließen, dass es sich entweder bei der bei Dr. L installierten Software um einen so genannten Ausreißer, oder bei dem diese Software installierenden Vertriebsmitarbeiter der Antragsgegnerin um einen besonders "diensteifrigen" handelte, der ganz selbstständig die entsprechende Voreinstellung in das bei Dr. L installierte Programm aufgenommen hat. Unter diesen Umständen kann es nicht als überwiegend wahrscheinlich angesehen werden, dass die Software der Antragsgegnerin stets mit der fraglichen Voreinstellung ausgeliefert wird. Dies wäre jedoch eine der Voraussetzungen, um die Unlauterkeit der Software vorliegend feststellen zu können.

1.3.

Entsprechendes, wie soeben unter 1.2. ausgeführt, gilt ebenso hinsichtlich der Einstellung einer automatischen "nec-aut-idem"-Anzeige bezüglich solcher Rezepte, mit welchen ein r -Produkt verordnet wird (Antrag zu 1e)). Auch insoweit hat der Geschäftsführer der Antragsgegnerin, wie aus Anlage AG 1 ersichtlich, versichert, dass solche Voreinstellungen nicht von ihr und auch nicht von ihren Vertriebsmitarbeitern vorgenommen werden. Allein aufgrund der eidesstattlichen Versicherung von Dr. L (Anlage Ast 11) folgt nicht die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass das Gegenteil der Fall ist.

1.4.

Nur hilfsweise weist die Kammer darauf hin, dass nach ihrer Auffassung auch fraglich ist, ob selbst bei einer Voreinstellung der Austauschfunktion durch die Antragsgegnerin nicht dennoch die Voraussetzungen des § 4 Ziffer 10 UWG zu verneinen wären. Denn vorliegend wird dem verordnenden Arzt, der ein bestimmtes Arzneimittel in die Rezepterstellungs-Maske eingegeben hat, nicht ein bestimmter Weg "vorgebahnt", den er nur verlassen kann, wenn er sich aktiv für den von ihm ursprünglich eingeschlagenen Weg entscheidet. Insbesondere übernimmt das Programm nicht ein r (R) -Produkt in das Rezept, ohne dass der Arzt sich ausdrücklich dafür entschieden hätte. Das Betätigen der " ENTER "-Taste oder einer "OK"-Schaltfläche führt auf dem Weg zur Fertigstellung des Rezepts ferner allein zu einer Verordnung des vom Arzt ursprünglich ausgewählten Arzneimittels. Damit ist es wohl ausgeschlossen, dass der Arzt aus Versehen oder aus Bequemlichkeit, weil von der EDV so vorgegeben, etwas verordnet, was er eigentlich nicht verordnen wollte. Anders als in dem vom Hanseatischen Oberlandesgericht entschiedenen, oben bereits mehrfach zitierten Fall müsste der Arzt vorliegend nach allem aktiv werden, um den von ihm selbst ausgewählten Weg zu Gunsten des von der Software vorgeschlagenen Weges zu verlassen.

Der Arzt wird nach allem vor der Fertigstellung des Rezepts mithin lediglich nochmals auf ein möglicherweise adäquates und günstigeres r (R) -Produkt hingewiesen. Bezugnehmend auf die obigen Ausführungen zur Frage der wettbewerbsrechtlichen Schutzfähigkeit des Kundenstammes liegt in der Voreinstellung betreffend die Austauschpräparate von r (R) unabhängig von der Frage, ob der Arzt diese Voreinstellung selbst eingerichtet hat oder nicht, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit kein unlauteres Abfangen von Kunden.

Auch von einer Schleichwerbung im Sinne von § 4 Ziffer 3 UWG kann hinsichtlich der Austausch-Voreinstellung vorliegend nicht ausgegangen werden. Denn der Arzt weiß nicht nur aufgrund eines r (R) -Werbebanners, das ihm beim Hochfahren des Programms angezeigt wird, dass es sich bei der Software um eine gesponserte Software handelt. Dass es sich bei dem Hinweis auf ein alternatives r (R) -Produkt um Werbung, nicht aber um eine rein objektive Information handelt, erkennt er zudem daran, dass das aus der Abbildung 4 der Anlage Ast 8 ersichtliche Fenster mit "Anzeige/Werbung" überschrieben ist.

2.

Die Antragstellerin hat schließlich auch keinen ihrem Antrag zu 1b) entsprechenden Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1 UWG in Verbindung mit §§ 3, 4 Ziffer 3 und 10, 5 UWG gegen die Antragsgegnerin.

2.1.

Es ist schon nicht mit der hier erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass ein Arzt, der für einen COPD-Patienten ein Rezept über Foradil (R) ausstellen möchte, dann, wenn ihm im System der Software der Antragsgegnerin die Bildschirmbilder wie aus den Abbildungen 3 und 4 der Anlage Ast 8 ersichtlich, begegnen, unbesehen von einer Indikationsidentität zwischen Formoterol- r (R) und Foradil (R) ausgeht. Zwar behauptet dies die Antragstellerin, glaubhaft macht sie es jedoch nicht. Ohne eine solche Glaubhaftmachung kann ein entsprechendes Verständnis der Ärzte jedoch nicht angenommen werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass jedenfalls das aus der Abbildung 4 der Anlage Ast 8 ersichtliche Fenster dem Arzt unter der Überschrift "Anzeige/Werbung" gegenüber tritt. Von einer rein objektiven Information geht er - wie oben bereits ausgeführt - mithin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ohnehin nicht aus.

Die Kammer hält es zudem eher für fern liegend, dass der Arzt, der sich bewusst für eine Verordnung von Foradil (R) entschieden hat, allein aufgrund der fraglichen Hinweise auf Formoterol- r (R) in "D C" seine Verordnung ändert und nunmehr unbesehen, das heißt, ohne zu überprüfen, ob es im konkreten Fall anwendbar ist, das r (R) -Produkt verordnet. So wenig Verantwortungsbewusstsein mag die Kammer nicht ohne Anlass, das heißt nicht, ohne dass dies irgendwie glaubhaft gemacht würde, jedenfalls nicht dem überwiegenden Teil der deutschen Ärzteschaft unterstellen.

Vor diesem Hintergrund spielt es keine Rolle, ob Formoterol- r (R) für COPD zugelassen ist oder nicht. Diese Frage ist vorliegend mithin nicht entscheidungserheblich und kann somit offen bleiben.

2.2.

Die Kammer konnte der vorliegenden Entscheidung nicht zugrunde legen, dass in der Software der Antragsgegnerin Informationen zu Foradil (R) generell nicht verfügbar seien (vgl. insoweit die Abbildung 6 der Anlage Ast 8). Insoweit hat die Antragsgegnerin zuletzt in der mündlichen Verhandlung substantiiert vorgetragen, dass dies allenfalls ein Ausreißer sein könne. "D C" greife auf die ABDA-Datenbank zurück, welche Produktinformationen für alle Originalpräparate enthalte. Entsprechende Informationen bezüglich Foradil (R) seien von der Antragsgegnerin keinesfalls unterdrückt oder manipuliert worden. Dem ist die Antragstellerin nicht, jedenfalls nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten. Auch hat sie ihren diesbezüglichen Vortrag nicht weiter glaubhaft gemacht.

2.3.

Die einstweilige Verfügung war mithin auch bezüglich des Tenors zu Ziffer I.b) aufzuheben.

3.

Die Antragstellerin hat schließlich auch keinen ihrem Antrag zu 1c) und 1d) entsprechenden Unterlassungsanspruch. Darin, dass am Anfang der entsprechenden Suchlisten zunächst alle unter das Suchkriterium fallenden r(R) -Arzneimittel aufgelistet werden, an welche sich dann eine alphabetische Liste der Produkte anderer Hersteller anschließt, ist kein Verstoß gegen §§ 3, 4 Ziffer 3 und 10, 5 UWG zu sehen.

3.1.

Ein Verstoß gegen § 4 Ziffer 3 UWG liegt nicht vor. Denn dass das farblich hervorgehobene Anzeigen der r (R) -Produkte an erster Stelle der Ergebnisliste Werbung darstellt, ist offensichtlich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Arzt - wie ausgeführt - weiß, dass es sich bei der Software, mit welcher er arbeitet, um eine von r gesponserte handelt.

3.2.

Auch ein Verstoß gegen § 4 Ziffer 10 UWG ist hier nicht gegeben. Zum einen handelt es sich offensichtlich um Werbung. Zum anderen kann der vorliegende Sachverhalt mit einer Ergebnisliste der Internetsuchmaschine Google nicht verglichen werden. In einer solchen sind tatsächlich die ersten Treffer diejenigen, die letztlich das Interesse des Benutzers der Suchmaschine wecken und diesen regelmäßig "davon abhalten", in weiter unten in der Liste angezeigten Links nachzuschauen.

Demgegenüber ist hinsichtlich des vorliegenden Falls zum einen davon auszugehen, dass der Arzt weiß, dass es nicht nur r(R)- Produkte gibt, die zu seinem Suchkriterium passen, dass er sich demgemäß also auch über die weiter unten in der Liste stehenden Arzneimittel informiert. Jedenfalls im Falle der Suche nach "Formoterol"-Präparaten sieht er die Nicht- r -Produkte ohnehin unmittelbar unter den r (R) -Produkten. Zudem geht die Kammer auch hier davon aus, dass der überwiegende Teil der deutschen Ärzteschaft, auch wenn sie viel Stress und ein volles Wartezimmer haben mag, mit Bewusstsein, insbesondere mit Verantwortungsbewusstsein aussucht, welches Arzneimittel sie ihren Patienten verordnet. Das Kriterium, dass ein Präparat an erster Stelle einer Liste steht, wird insoweit kaum maßgeblich sein, kann mithin ein unlauteres Abfangen von Kunden im Sinne von § 4 Ziffer 10 UWG nicht begründen.

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass Foradil(R) bei der indikationsgeleiteten Suche nach "Atemwegskrankheiten und grippalen Infekten Bronchodilatoren " auch dann ziemlich weit hinten in der Liste stünde, mithin nicht unmittelbar auf dem Bildschirm angezeigt würde, wären die r (R) -Produkte in die alphabetische Liste einsortiert. Auch in diesem Fall müsste der Arzt die Liste hinunter scrollen, um Foradil (R) zu finden.

3.3.

Aus dem soeben Ausgeführten folgt auch, dass der Arzt nicht annimmt, die Voranstellung der r (R) -Produkte sei Ausfluss einer objektiven Information des Arztes durch die Software. Für den Arzt offensichtlich handelt es sich insoweit vielmehr um Werbung, so dass auch eine Irreführung im Sinne von § 5 Abs. 1 UWG nicht gegeben ist.

3.4.

Nach allem ist die einstweilige Verfügung auch hinsichtlich des Tenors zu Ziffer I.c) und I.d) zu aufzuheben.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziffer 6, 711 ZPO.






LG Hamburg:
Urteil v. 19.07.2005
Az: 312 O 495/05


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