Bundespatentgericht:
Beschluss vom 11. Juli 2011
Aktenzeichen: 11 W (pat) 361/05

(BPatG: Beschluss v. 11.07.2011, Az.: 11 W (pat) 361/05)

Tenor

Auf den Einspruch wird das Patent aufrechterhalten.

Gründe

I.

Auf die am 28. April 2003 beim Deutschen Patentund Markenamt eingereichte Patentanmeldung ist das Patent 103 19 253 mit der Bezeichnung

"Dreidimensional lagegerechtes Zuführen mit Roboter"

erteilt und die Erteilung am 19. Mai 2005 veröffentlicht worden.

Gegen das Patent ist Einspruch erhoben worden. Die Einsprechende hat mangelnde Patentfähigkeit geltend gemacht und dazu auf folgende Dokumente verwiesen:

D1 DE10235905A1 D2 WO 03/064116 A2 D3 DE19930087A1 D4 DE3243341A1 D5 DE10016963A1 D6 US6328523B1 D7 EP1043642A2 D8 US6101455A D9 EP0151417A1 D10 US5959425A D11 US4146924A D12 US6141863A D13 US6044183A Im Prüfungsverfahren sind zusätzlich die Druckschriften PV1 DE 199 30 087 A1 (= D3) PV2 US5579444A PV3 EP0528054A1 PV4 US6114824A PV5 DE4115846A1 PV6 DE 198 49 720 A1 PV7 STAVNITZKY, J., CAPSON, D.: "Multiple Camera Model-Based 3-D Visual Servo". In: IEEE Transaction on Robotics and Automation, Vol. 16, No. 6, Dec. 2000, S. 732-739 PV8 US4305130A PV9 GEISSELMANN, H.: Sensor-Roboter-System zum Vereinzeln und Ordnen von Werkstücken. In: FhG-Berichte 2-80, 1980, S. 26-29 PV10 BERGER, M., BACHLER, G., et al.: A Vision Driven Automatic Assembly Unit: Robust Bin-Packing. In: 23rd Int. Work-Shop of Austrian Association for Pattern Recognition, Steyr, Austria, Mai 1999, S. 205-214 PV11 BERGER, M., et al.: A Vision Driven Automatic Assembly Unit: Pose Determination from a Single Image. In: 23rd Int. Work-Shop of Austrian Association for Pattern Recognition, Steyr, Austria, Mai 1999, S. 215-224 in Betracht gezogen worden.

Die Einsprechende beantragt, das angegriffene Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin widerspricht dem Einspruchsvorbringen und beantragt, das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten.

Der erteilte Anspruch 1 lautet, hier wiedergegeben in gegliederter Form:

1.1 Verfahren zum lagegerechten Zuführen von Teilen in einer gewünschten dreidimensionalen Lage, wobei 1.2 über einen oder mehrere an einem Roboter direkt oder indirekt befestigte und mit dem Roboter bewegbare Sensoren die Lage eines vom Roboter gegriffenen Teils bestimmt wird, dadurch gekennzeichnet, dass 1.3 die Lage des gegriffenen Teils relativ zu einem roboterbezogenen Koordinatensystem bestimmt wird, 1.4 die Abweichung der Lage des Teils von einer vorab bezüglich des Roboters definierten Standardlage ermittelt wird und 1.5 eine für die vorab definierte Standardlage zuvor bestimmte Roboterbewegung anhand dieser Abweichung der Lage des Teils korrigiert wird, um die Zuführlage herbeizuführen.

Wegen des Wortlauts der erteilten Unteransprüche 2 bis 8 wird auf die Patentschrift und wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akte verwiesen.

II.

Der zulässige Einspruch ist unbegründet.

1. Das Patent bezieht sich gemäß Abs. [0001] der Patentschrift auf das dreidimensional lagegerechte Zuführen von ungenau oder unbekannt gegriffenen Teilen, somit auf ein entsprechendes Verfahren.

Systeme zur automatischen Bearbeitung oder Montage von Teilen benötigten gemäß Abs. [0002] der Patentschrift eine Zuführung der Teile in einer bestimmten gewünschten dreidimensionalen Lage, oft mit kleinen Lagetoleranzen. Zuführsysteme würden aus Flexibilitätsgründen zunehmend mit Robotern realisiert. Ein häufiges Problem bei solchen Anwendungen sei es, dass Teile aufgrund der konkreten Randbedingungen nur ungenau gegriffen werden könnten, insbesondere gemäß Abs. [0003] der Patentschrift beim Greifen von ungeordneten Teilen aus einem Behälter.

Der Patentinhaber hat sich die Aufgabe gestellt, die in der Patentschrift einleitend genannten Nachteile im Stand der Technik zu vermeiden.

Die Lösung dieser Aufgabe soll aus einem Verfahren zum lagegerechten Zuführen von Teilen in einer gewünschten dreidimensionalen Lage nach Anspruch 1 bestehen.

Als mit der Lösung der Aufgabe betraute Fachmann ist ein Dipl.-Ing. Produktionstechnik mit FH-Abschluss und vertieften Erfahrungen in der Anwendung von Industrierobotern anzusehen.

2.

Dieser Fachmann versteht unter einer indirekten Befestigung der Sensoren am Roboter gemäß Merkmal 1.2 ohne Weiteres die Befestigung des Sensors über ein weiteres Bauteil am Roboter, beispielsweise über einen Flansch oder einen Träger.

Unter einem roboterbezogenen Koordinatensystem gemäß Merkmal 1.3 versteht der Fachmann ein sich mit dem Roboter mitbewegendes (und somit roboterfestes) Koordinatensystem, dessen Ursprung gemäß der genaueren Spezifizierung in Abs. [0019] der Patentschrift vom Effektor gebildet werden kann.

3.

Das Verfahren nach dem -zulässigen -Anspruch 1 des angegriffenen Patents ist neu.

Die Druckschrift D1 betrifft ein Verfahren zur Bestimmung der Lage eines Objektes und eines Werkstücks im Raum zur automatischen Montage des Werkstücks am Objekt, (vgl. die Bezeichnung).

Sie offenbart gemäß Merkmal 1.1 ein Verfahren zum lagegerechten Zuführen von Teilen (Scheibe 6, vgl. Fig. 1 und Abs. [0020]) in einer gewünschten dreidimensionalen Lage (Einbauposition, vgl. Fig. 1 und Abs. [0039], Schritt 5), wobei gemäß Merkmal 1.2 über einen oder mehrere an einem Roboter 7 (vgl. Fig. 1 und Abs. [0020]) direkt oder indirekt befestigte und mit dem Roboter 7 bewegbare Sensoren (vgl. Anspruch 4) die Lage eines vom Roboter 7 gegriffenen Teils 6 bestimmt wird (vgl. Oberbegriff des Anspruchs 1).

Hinsichtlich des Merkmals 1.3 wird beim Verfahren nach D1 die Lage des gegriffenen Teils 6 relativ zu einem Welt-Koordinatensystem bestimmt. Denn gemäß Abs. [0039], Schritt 3, erfolgt eine Messung der Abweichung der Scheibe (also des gegriffenen Teils) von der zugehörigen Referenzposition (Standardlage). Dass hierfür als Voraussetzung eine Bestimmung der Lage des gegriffenen Teils stattfinden muss, liegt auf der Hand. Auch gemäß einer weiteren Offenbarungsstelle, dem letzten Absatz des Anspruchs 1 der D1, bestimmt das Bildverarbeitungssystem die angefahrene Ist-Position des Werkstücks (also die Lage des gegriffenen Teils).

Hinsichtlich des Merkmals 1.4 wird beim Verfahren nach D1 die Abweichung der Lage des Teils 6 von einer vorab bezüglich des Welt-Koordinatensystems definierten Standardlage ermittelt. Denn gemäß Abs. [0039], Schritt 3, erfolgt eine Messung der Abweichung der Scheibe (also der Lage des gegriffenen Teils) von der zugehörigen Referenzposition (Standardlage). Auch aus dem letzten Absatz des Anspruchs 1 der D1 geht hervor, dass das Bildverarbeitungssystem (aus der Abweichung der Lage des gegriffenen Teils) die notwendige Relativbewegung zwischen Werkstück (gegriffenes Teil) und Objekt bzw. Ist-Montageposition (Standardlage) ermittelt.

Hinsichtlich des Merkmals 1.5 wird beim Verfahren nach D1 eine für die vorab definierte Standardlage (bezüglich des Welt-Koordinatensystems) zuvor bestimmte Roboterbewegung anhand dieser Abweichung der Lage des Teils (bezüglich des Welt-Koordinatensystems) korrigiert, um die Zuführlage herbeizuführen. Denn gemäß Abs. [0039], Schritt 4, erfolgt eine Berechnung der Transformation des Greifers in Vorhalteposition zum Greifer in Einbauposition und gemäß Schritt 5 ein entsprechendes Verfahren des Roboters. Auch aus dem letzten Absatz des Anspruchs 1 der D1 geht hervor, dass das Bildverarbeitungssystem dem Greifer des Roboters die Koordinaten der Ist-Montageposition (also die Korrektur anhand der Abweichung der Lage des Teils) vorgibt, um welche der Greifer des Roboters zur genauen Platzierung des Werkstücks am Objekt translatorisch und rotatorisch zu verfahren ist.

Dass alle diese Berechnungen im Welt-Koordinatensystem erfolgen, ergibt sich aus dessen mehrfacher Erwähnung im gesamten Kennzeichen des Anspruchs 1 der D1 sowie aus dem fehlenden Hinweis auf die Verwendung eines anderen Koordinatensystems, beispielsweise eines roboterbezogenen Koordinatensystems.

Von dem Verfahren nach D1 unterscheidet sich dasjenige nach dem erteilten Anspruch 1 somit dadurch, dass die Lagebestimmung gemäß Merkmal 1.3 sowie die Abweichungsermittlung der Lage des Teils gemäß Merkmal 1.4 jeweils in einem roboterbezogenen Koordinatensystem vorgenommen wird, sowie weiterhin dadurch, dass die in den Merkmalen 1.4 und 1.5 relevante Standardlage in einem roboterbezogenen Koordinatensystem definiert ist.

Mit anderen Worten wird durch die Merkmale 1.3 bis 1.5 sichergestellt, dass ein unsauberes Greifen, also eine Abweichung der Lage des gegriffenen Teils von einer Standardlage im Effektor des Roboters, erkannt werden kann, dessen Größe bestimmt werden kann und der Verfahrweg entsprechend korrigiert werden kann, um trotz des unsauberen Greifens eine korrekte Zuführung des gegriffenen Teils zu erreichen.

Dieser Ansatz ist weder aus der D1 (wie oben ausgeführt) noch aus den ebenfalls die Bestimmung der Lage eines vom Roboter gegriffenen Teils betreffenden Druckschriften D2, D3, D12, PV3, PV6 und PV7 bekannt. Zwar haben diese Verfahren des Standes der Technik im Wesentlichen das gleiche Ziel bzw. bewirken den gleichen Effekt, nämlich die korrekte Zuführung bzw. Montage eines gegriffenen Teils, erreichen dies aber allesamt mit anderen Mitteln.

Denn beim Verfahren der D2 wird zuerst die Lage des zu greifenden Teils ("object frame") ermittelt (Schritte 1a) bis 1e), vgl. S. 13, Z. 23 bis S. 14, Z. 12), gemäß den Schritten 1f) und 1g) (vgl. S. 14, Z. 14 bis 19) noch vor dem Greifen in ein roboterbezogenes Koordinatensystem umgerechnet und dem Roboter übergeben. Nach dem (ordnungsgemäßen) Greifen ist die Lage des gegriffenen Teils in einem roboterbezogenen Koordinatensystem bekannt, nicht aber dessen Abweichung (im Falle eines unsauberen Greifens) zu einer Standardlage bezüglich des Roboters.

Auch das Verfahren der D3 geht von einem ordnungsgemäßen Greifen des Teils aus und sichert die korrekte Zuführung des gegriffenen Teils durch eine vorausschauende Regelung der Vorhalteposition des Manipulators (nicht des gegriffenen Teils), vgl. Anspruch 1.

Das Verfahren nach D12 berechnet (unabhängig von der Standardlage des gegriffenen Teils bezüglich des Roboters) die Lage eines gegriffenen und zu montierenden ersten Teils in Bezug zu einem zweiten Teil, in das das erste Teil montiert werden soll, führt anhand dieser Daten den Zuführvorgang durch und schließt einen kraftgesteuerten Montagevorgang an (vgl. Fig. 4 und Anspruch 1).

Beim Verfahren nach PV3 wird gemäß Fig. 1 und 2 sowie Sp. 6, Z. 1 bis 7 im Falle einer ungenauen Positionierung des gegriffenen Teils diese erkannt und (anhand einer vorangegangenen Kalibrierung, vgl. Anspruch 1) korrigiert, allerdings ohne Bezug zu einer Standardlage bezüglich des Roboters.

Das Verfahren nach PV6 berechnet eine Positionsabweichung des (korrekt gegriffenen) Teils zwischen Fügeposition und Bauteilposition und damit einen Korrekturwert zum Steuern eines Grobund eines Feinpositionierantriebs (vgl. Fig. 3 und 4 sowie den Oberbegriff des Anspruchs 1).

Das Verfahren nach PV7 positioniert ebenfalls das gegriffene Bauteil ohne Berücksichtigung seiner Abweichung von einer Standardlage bezüglich des Roboters (vgl. S. 737 und 738, Kapitel III).

Den Verfahren gemäß den Druckschriften D4 bis D11, D13, PV2, PV4, PV5 sowie PV8 bis PV11 fehlen die Merkmale 1.3 bis 1.5.

4. Das offensichtlich gewerblich anwendbare Verfahren nach Anspruch 1 des angegriffenen Patents beruht auch auf erfinderischer Tätigkeit.

Die nachveröffentlichten Druckschriften D1 und D2 werden bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit gem. § 4 Satz 2 PatG nicht in Betracht gezogen.

Wie aus den Ausführungen zur Neuheit hervorgeht, bestimmen die Verfahren nach den Druckschriften D3, D12, PV3, PV6 und PV7 nicht die Lage des gegriffenen Teils zum roboterbezogenen Koordinatensystem gemäß Merkmal 1.3.

Es ist auch nicht ersichtlich, wieso dem Fachmann auf Basis dieser Druckschriften des Standes der Technik unter Zuhilfenahme seines Fachwissens die technische Lehre nahe gelegt sollte, die Lagebestimmung sowie die Abweichungsermittlung der Lage des gegriffenen Teils jeweils in einem roboterbezogenen Koordinatensystem vorzunehmen sowie weiterhin die relevante Standardlage in einem roboterbezogenen Koordinatensystem zu definieren, wodurch eine Abweichung durch unsauberes Greifen erkannt, die Größe der Abweichung bestimmt und der Verfahrweg entsprechend korrigiert werden kann, um trotz des unsauberen Greifens eine korrekte Zuführung des gegriffenen Teils zu erreichen.

Die den restlichen Druckschriften entnehmbaren Verfahren liegen ersichtlich weiter ab. Denn die Verfahren der Druckschriften D6, D7, D9, D11, D13 und PV2 sowie PV8 bis PV11 erfassen nicht die Lage des gegriffenen, sondern des zu greifenden Teiles. In der Druckschrift D4 geht es um die Positionierung einer am Roboter befestigten Düse, in den Druckschriften D5 und PV5 um Messverfahren, in den Druckschriften D8 und PV4 um Kamerakalibierungen sowie in der Druckschrift D10 um das Lernen des Roboterverfahrwegs.

Der erteilte Anspruch 1 hat daher Bestand.

5. Die rückbezogenen Ansprüche 2 bis 8 können auf der Grundlage des erteilten Anspruchs 1 ebenfalls fortbestehen, zumal sie keine selbstverständlichen Merkmale zum Inhalt haben.

Das Patent ist somit aufrecht zu erhalten.

Dr. W. Maier v. Zglinitzki Rothe Hubert Bb






BPatG:
Beschluss v. 11.07.2011
Az: 11 W (pat) 361/05


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