Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg:
Beschluss vom 6. Juli 2010
Aktenzeichen: 5 Ta 116/10

(LAG Baden-Württemberg: Beschluss v. 06.07.2010, Az.: 5 Ta 116/10)

1. Die Bewertung eines Antrags auf Ersetzung der Zustimmung zur Versetzung eines Arbeitnehmers ist der Bestimmung des § 23 Abs. 2 und 3 RVG zu entnehmen (Hilfswert 4.000 EUR - Maximalwert 500.000 EUR).

2. Eine analoge Anwendung von § 42 Abs. 3 Satz 1 und 2 GKG kommt nicht in Betracht.

Tenor

Auf die Beschwerde der Beschwerdeführer wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 6. April 2010 - 23 BV 236/09 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit der Rechtsanwälte M. und Kollegen im Verfahren 23 BV 236/09 beim Arbeitsgericht Stuttgart wird auf EUR 6.000,00 festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beschwerde der Beschwerdeführer (Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats) richtet sich gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit, die das Arbeitsgericht im Zusammenhang mit dem Zustimmungsersetzungsverfahren nach §§ 99 ff. BetrVG vorgenommen hat.

Die Antragstellerin/Arbeitgeberin (im Folgenden: Arbeitgeberin) ist ein weltweit operierendes Unternehmen für Expressdienstleistungen. Der am Ausgangsverfahren beteiligte Betriebsrat ist ein gemäß nach § 3 BetrVG für den Bereich S. gebildetes Betriebsratsgremium.

Mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2009 hat die Arbeitgeberin einen Antrag im Beschlussverfahren angebracht, mit dem die Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung des Disponenten O. K. ab dem 7. Oktober 2009 von der Station K. zur Niederlassung S. ersetzt und festgestellt werden soll, dass diese personelle Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist. Der Betriebsrat hat die Beschwerdeführer mit seiner Vertretung im Beschlussverfahren beauftragt. Das Beschlussverfahren endete durch Einstellungsbeschluss vom 15. März 2010, nachdem die antragstellende Arbeitgeberin das Beschlussverfahren - vor dem Hintergrund einer einvernehmlichen Aufhebung des Arbeitsverhältnisses mit dem betroffenen Arbeitnehmer in einem anderen arbeitsgerichtlichen Verfahren - für erledigt erklärt und sich der Betriebsrat dieser Erledigungserklärung angeschlossen hat. Das Arbeitsgericht hat nach Gewährung rechtlichen Gehörs den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit der Beschwerdeführer mit Beschluss vom 6. April 2010 auf EUR 4.000,00 festgesetzt, nachdem es zuvor darauf hingewiesen hatte, dass der wirtschaftliche Wert der Individualrechtsstreitigkeit im Beschlussverfahren nicht angezogen werden könne.

Gegen diesen, den Beschwerdeführern am 8. April 2010 zugestellten Beschluss, haben diese mit am 22. April 2010 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt, der das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 10. Juni 2010 nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt hat.

Die Beschwerdekammer hat mit Verfügung vom 15. Juni 2010 auf ihre Rechtsprechung hingewiesen und Gelegenheit zur abschließenden Begründung der Beschwerde bis 5. Juli 2010 gegeben, wovon die Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 5. Juli 2010 Gebrauch gemacht haben.II.

Die Beschwerde gegen den Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 6. April 2010 ist gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch teilweise begründet. Das Arbeitsgericht hat den Wert der anwaltlichen Tätigkeit für den Zustimmungsersetzungsantrag zutreffend mit EUR 4.000,00 bewertet. Eine höhere Wertfestsetzung kommt hinsichtlich dieses Antrags - entgegen der Auffassung der Beschwerde - nicht in Betracht. Gleichwohl war der Wertfestsetzungsbeschluss auf die Beschwerde hin abzuändern und neu zu fassen, denn der Antrag zu 2, mit dem die Arbeitgeberin die Feststellung erstrebte, dass die personelle Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war, ist zu bewerten. Für diesen Antrag ist ein Wert in Höhe von EUR 2.000,00 festzusetzen. Die Werte der Anträge zu 1 und 2 sind nach § 22 Abs. 1 RVG zusammenzurechnen. Hieraus ergibt sich der neu festgesetzte Wert der anwaltlichen Tätigkeit der Beschwerdeführer in Höhe von EUR 6.000,00.

1. Der Antrag zu 1, gerichtet auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung des Arbeitnehmers O. K. ab dem 7. Oktober 2009, ist vom Arbeitsgericht zutreffend mit EUR 4.000,00 bewertet worden.

a) Zu bewerten ist im Entscheidungsfall ein Antrag auf Ersetzung der Zustimmung zur Versetzung eines Arbeitnehmers. Für die Bewertung derartiger Streitigkeiten gilt nach der Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (LAG Baden-Württemberg 4. Oktober 2001 - 3 Ta 100/01 -; 10. Dezember 2004 - 3 Ta 196/04 -; 28. September 2009 - 5 Ta 68/09 -), dass der Maßstab für die Bewertung der Bestimmung des § 23 Abs. 2 und 3 RVG (früher: § 8 Abs. 2 BRAGO) zu entnehmen ist. Hiernach ist der Gegenstandswert nach billigem Ermessen zu bestimmen. In Ermangelung genügender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Schätzung und bei nicht vermögensrechtlichen Gegenständen ist der Gegenstandswert mit EUR 4.000,00 nach Lage des Falls niedriger oder höher, jedoch nicht über EUR 500.000,00 anzunehmen. Abweichungen von diesem Wert in der einen oder in der anderen Richtung setzen Tatsachen voraus, die ihn als erkennbar unangemessen erscheinen lassen. Hierbei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für den Wert der Leistungen des Anwalts bestimmend sind. Demnach ist in erster Linie auf die tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten in der Sache abzustellen, sodann ist das Interesse des Auftraggebers zu berücksichtigen und sonstige im Einzelfall wertbildenden Umstände sind ins Auge zu fassen. Eine analoge Anwendung des § 42 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 GKG (jetzt: § 42 Abs. 3 Satz 1 und 2 GKG n. F.) hat sowohl die vormals für das Streitwertbeschwerderecht zuständige Kammer 3 als auch die nunmehr zuständige Kammer 5 mehrfach verworfen. Auch eine Heranziehung zur Ermessenskonkretisierung haben beide Beschwerdekammern insoweit bei Verfahren nach § 99 BetrVG ausdrücklich abgelehnt. Damit hat sich das Landesarbeitsgericht gegen anderslautende Entscheidungen von Landesarbeitsgerichten gewandt, die - mit unterschiedlichen Ausprägungen - die Vorschrift des § 42 Abs. 4 GKG a. F. im Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 BetrVG zur Ermessenskonkretisierung heranziehen wollen. An dieser Auffassung hält die Beschwerdekammer auch nach nochmaliger Überprüfung fest.

Aus dem Umstand, dass die nunmehr zuständige Beschwerdekammer für Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 BetrVG zur Ermessenskonkretisierung die Heranziehung der Wertvorschrift des § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG n. F. gebilligt hat, führt nicht zu einer Übertragung dieser Überlegungen auf das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 BetrVG. Gegenstand des Verfahrens nach § 99 BetrVG ist ausschließlich das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats im Rahmen einer Versetzung. Der von der Versetzung betroffene Arbeitnehmer ist am Verfahren nach § 99 BetrVG nicht beteiligt. Auf die vermeintlichen Vergütungseinbußen des nicht am Verfahren beteiligten Arbeitnehmers kann deshalb nicht abgestellt werden.

Die früher zuständige Beschwerdekammer wie auch die nunmehr zuständige Beschwerdekammer des Landesarbeitsgerichts haben auch bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass der in § 23 Abs. 3 RVG genannte Wert bei nicht vermögensrechtlichen Ansprüchen einen Regelwert darstellt, der nur bei signifikanten Umständen eine Abweichung nach unten oder oben gebietet.

b) In Anwendung dieser Grundsätze hat das Arbeitsgericht vorliegend den Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung des Arbeitnehmers O. K. zutreffend mit EUR 4.000,00 bewertet. Vorliegend sind nach Auffassung der Beschwerdekammer keine hinreichenden Anhaltspunkte ersichtlich, die ein Abweichen vom Regelwert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG gerechtfertigt erscheinen lassen. Die Versetzung hatte den Hintergrund, dass die Station K., in der der zu versetzende Arbeitnehmer vor Antritt der Elternzeit beschäftigt war, zum 30. Juni 2009 geschlossen werden sollte und demnach dort nicht mehr beschäftigt werden konnte. Der Betriebsrat hatte der Versetzung widersprochen. Im gerichtlichen Verfahren hat er schriftsätzlich unter anderem zu Fragen der ordnungsgemäßen Beschlussfassung des Betriebsrats und ordnungsgemäße Einleitung des Anhörungsverfahrens Seitens der Arbeitgeberin Ausführungen gehalten. Dies sind Gesichtspunkte, die zu einem Beschlussverfahren nach § 99 BetrVG regelmäßig erforderlich sind und keine besondere Schwierigkeit darstellen. Auch war das Beschlussverfahren insoweit nicht von gehobener Schwierigkeit und das Interesse des Betriebsrats am Ausgang des Beschlussverfahrens gebietet keine höhere Bewertung.

2. Der Antrag zu 2, mit dem die Arbeitgeberin die Feststellung erstrebte, dass die personelle Maßnahme (Versetzung des Arbeitnehmers O. K.) aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war, ist zu bewerten. Für diesen Antrag ist ein Wert in Höhe von EUR 2.000,00 festzusetzen.

a) Mit dem Antrag zu 2 verfolgt die Arbeitgeberin einen eigenständigen Antrag nach § 100 Abs. 2 BetrVG. Dieser Antrag ist - was sowohl das Arbeitsgericht als auch die Beschwerdeführer übersehen haben - eigenständig zu bewerten. Der Antrag auf Feststellung, dass die Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war, ist grundsätzlich nach den zuvor unter II 1 a der Gründe ausgeführten Grundsätzen zu bewerten. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen und verwiesen.

Der Wert des Antrags muss jedoch den Wert des Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 99 BetrVG unterschreiten (GK-ArbGG/Schleusener 65. Ergänzungslieferung September 2009 § 12 Rn. 474). Angemessen erscheint insoweit der Ansatz des halben Werts des Zustimmungsersetzungsverfahrens (LAG Baden-Württemberg 28. September 2009 - 5 Ta 68/09 - zu II 2 der Gründe; LAG Berlin-Brandenburg 28. März 2008 - 17 Ta (Kost) 6027/08 - RVGreport 2008, 275; GK-ArbGG/Schleusener 65. Ergänzungslieferung September 2009 § 12 Rn. 474 m. w. N. aus der Rechtsprechung anderer Landesarbeitsgerichte).

b) Im Entscheidungsfall ergibt sich damit ein Wert in Höhe von EUR 2.000,00 für den Antrag zu 2.

3. Die für den Antrag zu 1 und den Antrag zu 2 ermittelten Werte in Höhe von EUR 4.000,00 und EUR 2.000,00 sind nach § 22 Abs. 1 RVG zusammenzurechnen. Hieraus ergibt sich der neufestgesetzte Wert der anwaltlichen Tätigkeit der Beschwerdeführer in Höhe von EUR 6.000,00.III.

Die Gebühr nach Nr. 8614 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG entfällt, nachdem die Beschwerde im Ergebnis zu einer Änderung der Wertfestsetzung geführt hat. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 33 Abs. 3 Satz 2 RVG).

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).






LAG Baden-Württemberg:
Beschluss v. 06.07.2010
Az: 5 Ta 116/10


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