Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. April 2007
Aktenzeichen: 6 W (pat) 23/03

(BPatG: Beschluss v. 19.04.2007, Az.: 6 W (pat) 23/03)

Tenor

Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der Beschluss der Patentabteilung 1.12 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 27. Februar 2003 insoweit aufgehoben, als das Patent 197 09 951 mit folgenden Unterlagen in beschränktem Umfang aufrecht erhalten wird:

Patentansprüche 1 bis 4, Beschreibung Spalten 1 bis 3, jeweils eingereicht in der mündlichen Verhandlung, im Übrigen wie erteilt.

Gründe

I.

Die Patentabteilung 1.12 des Deutschen Patent- und Markenamts hat im Einspruchsverfahren das am 11. März 1997 angemeldete und am 10. Juni 1999 veröffentlichte Patent 197 09 951 mit Beschluss vom 27. Februar 2003 mit der Begründung widerrufen, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei nicht neu.

Gegen diesen Beschluss hat die Patentinhaberin am 22. April 2003 Beschwerde eingelegt.

In der mündlichen Verhandlung wurden neue Patentansprüche 1 bis 4 überreicht. Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

Drehsteife biegeelastische Wellenkupplung, insbesondere Ganzstahl-Wellenkupplung, mit einem Paket axial zusammengespannter Lamellen (5), mit axialen Bohrungen (5a) in den Lamellen (5), durch die sich Spannbüchsen (6) und/oder Schrauben (7) erstrecken, wobei wenigstens eine der Lamellen (5) einer- oder beiderseits oberflächenbehandelt oder oberflächenumgeformt ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Oberflächenbehandlung durch eine Sandstrahlbehandlung nur auf einer Teilfläche (5b) der Lamelle (5) erfolgt ist, und die Teilfläche (5b) die Bohrung (5a) mit einer aufgerauten Oberfläche konzentrisch umgibt.

Hieran schließen sich die rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 4 an. Hinsichtlich des Wortlauts dieser Ansprüche wird auf die Patentschrift verwiesen.

Im Prüfungsverfahren wurden folgende Druckschriften berücksichtigt:

PV1 DE 93 05 154 U1 PV2 DE 36 41 547 C1 PV3 US 47 95 012 PV4 Spielvogel, Erwin: "Strahlmittel als Werkzeug".

Im Einspruchsverfahren wurde darüber hinaus noch folgende Entgegenhaltungen benannt bzw. folgende Schriftstücke eingereicht:

EI/1 DE 34 37 388 A1 EI/2 Zurn Industries: Katalog "Ameriflex GP, General Purpose Couplings"

EI/3 US 47 68 992 A EI/4 Auszug aus Dissertation "Rechnerunterstützte Konstruktion hochbeanspruchter Ringscheiben- und Laschenkupplungen" von Ming Gao, 1993 EI/5 Auszug aus "Reibkorrosion - zum Mechanismus des Reibdauerbruches" von Julius, A., Forschungshefte Forschungskuratorium Maschinenbau e. V., Heft 18, 1972 EI/6 Auszug aus "Reibkorrosion - Literaturrecherche" Simon, R.; Schmidt-Thomas, Kh. G., Forschungsheft Forschungsvereinigung Antriebstechnik e. V. Heft 313, 1990 EII/1 KTR-Kupplungstechnik GmbH: Katalog "RADEX drehsteife, flexible Stahllamellen-Kupplungen"

EII/2 Heinrich Desch AG, technische Zeichnung: 132 290 04 11 50 11 2 Verbindungslasche, EII/3 Meyers Lexikon, "Technik und exakte Naturwissenschaft", S. 1839 - 1841 EII/4 eidesstattliche Erklärung Zeuge A...

EII/5 eidesstattliche Erklärung Zeuge B...

EII/6 Originalprospekt zu EII/1.

Die Patentinhaberin und Beschwerdeführerin trägt vor, im Stand der Technik würden zwar die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Tribokorrosion angesprochen, jedoch werde der Prozessschritt des Sandstrahlens nirgends vorgeschlagen. Kugelstrahlen sei für sich bekannt, werde bei vergleichbaren Einrichtungen jedoch aus anderen Gründen, nämlich vornehmlich zum Härten der Oberflächen eingesetzt. Auch gehe daraus nicht hervor, dass die Oberflächenbehandlung nur konzentrisch um die Bohrung erfolgen solle.

Die Patentinhaberin beantragt, den angefochtenen Beschluss insoweit aufzuheben, als das Patent 197 09 951 beschränkt mit folgenden Unterlagen aufrecht erhalten wird:

neue Patentansprüche 1 bis 4, angepasste Beschreibung Spalten 1 bis 3, jeweils eingereicht in der mündlichen Verhandlung, im Übrigen wie erteilt.

Die Einsprechenden beantragen übereinstimmend, die Beschwerde der Patentinhaberin zurückzuweisen.

Sie führen hierzu aus, dass es für den Fachmann naheliegend sei, die Dauerfestigkeit von Wellenkupplungen dadurch zu erhöhen, dass der Reibbeiwert der verspannten Elemente im Bereich der Einspannstellen durch eine entsprechende Oberflächenbehandlung erhöht werde. Das Aufrauen der Oberfläche durch Kugelstrahlen sei hierfür aus der Entgegenhaltung EI/4 bekannt. Sandstrahlen sei als äquivalent dazu anzusehen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat insoweit Erfolg, als dass Patent im beschränkten Umfang entsprechend der Beschlussformel aufrecht erhalten wird.

1. Der Einspruch ist zulässig. Er wurde fristgerecht erhoben und ist ausreichend substantiiert.

2. Die geltenden Patentansprüche sind zulässig.

Die Merkmale des Patentanspruchs 1 sind in den ursprünglichen Ansprüchen 1, 2, 6, 7, 8 und 10, bzw. in den erteilten Patentansprüchen 1, 6, 7 und 8 sowie in Spalte 2, Zeilen 7 bis 12 der Patentschrift offenbart.

Die Patentansprüche 2 bis 4 entsprechen den ursprünglichen bzw. den erteilten Patentansprüchen 9, 11 und 12.

3. Der Patentgegenstand ist patentfähig nach §§ 1 bis 5 PatG.

a. Die unstreitbar gewerblich anwendbare Wellenkupplung mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 ist neu.

Dies wurde von den Beschwerdegegnerinnen auch nicht bestritten, denn aus keiner der insgesamt angezogenen Schriften geht eine gattungsgemäße Wellenkupplung hervor, deren Oberfläche einer Sandstrahlbehandlung unterzogen wird.

b. Die Wellenkupplung mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der Auszug aus der Dissertation "Rechnerunterstützte Konstruktion hochbeanspruchter Ringscheiben- und Laschenkupplungen" von Ming Gao, 1993 (EI/4) wurde übereinstimmend als nächstkommender Stand der Technik angesehen. Daraus ist entnehmbar eine Drehsteife biegeelastische Wellenkupplung mit einem Paket axial zusammengespannter Lamellen, mit axialen Bohrungen in den Lamellen, durch die sich Spannbüchsen und Schrauben erstrecken (Bild 2.1, S. 11), wobei wenigstens eine der Lamellen einer- oder beiderseits oberflächenbehandelt oder oberflächenumgeformt ist (vgl. S. 36, vorletzter Absatz).

Eine der in dieser Schrift vorgestellten Möglichkeiten einer Oberflächenbehandlung ist die "Kugelstrahlung". Hierfür wird auf die im Einspruchsverfahren als EI/5 eingeführte Entgegenhaltung verwiesen. Aus der genannten Dissertation EI/4 selbst sind bezüglich der im kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs 1 aufgeführten Merkmale jedoch keine weitergehenden Hinweise auf die dem Streitpatent zugrundeliegende Lösung entnehmbar. Vielmehr wird der Verfahrensschritt "Kugelstrahlen" in einer Aufzählung zur Verbesserung der Reibdauerhaltbarkeit mit als gleichwertig zu verstehenden Verfahren "ständige Ölzufuhr", "Gleitlackspray" oder "Nitrierung" erwähnt, wobei der folgende Satz ausführt: "aber die Wirkung von Fett sei negativ ....", so dass "Kugelstrahlen" in diesem Kontext als eher ungeeignet oder jedenfalls nicht als gut geeignet zur Lösung des angesprochenen Problems "Verbesserung der Reibdauerhaltbarkeit" zu verstehen ist.

Weitere Hinweise auf Merkmale des Patentanspruchs 1 gehen aus dieser Schrift nicht hervor.

Der Auszug aus "Reibkorrosion - zum Mechanismus des Reibdauerbruches" von Julius, A., Forschungshefte Forschungskuratorium Maschinenbau e. V., Heft 18, 1972 (EI/5) beschäftigt sich mit der Dauerhaltbarkeit reibdauerbeanspruchter Maschinenelemente, ohne speziellen Bezug zu Wellenkupplungen. Als Maßnahmen zur Steigerung der Dauerhaltbarkeit werden in diesem Forschungsbericht die Verminderung des Reibbeiwerts, z. B. durch Schmiermittel vorgeschlagen, als wirksame werkstofftechnische Maßnahme die Oberflächenhärtung (s. S. 120). Wie weiter ausgeführt wird, könne durch eine Auswahl von Werkstoffpaarungen mit möglichst großer Härte wegen der hohen zulässigen Flächenpressungen trotz des geringen Reibbeiwerts die Übertragungsfähigkeit von Reibkräften erhalten bleiben. Diese Entgegenhaltung schlägt somit Lösungen vor, die von der anspruchsgemäßen weg weisen. Sie gibt auch ansonsten keine Hinweise in Bezug auf Merkmale des Patentanspruchs 1.

Auch der Auszug aus "Reibkorrosion - Literaturrecherche" Simon, R.; Schmidt-Thomas, Kh. G., Forschungsheft Forschungsvereinigung Antriebstechnik e. V. Heft 313, 1990 (EI/6) beschäftigt sich in allgemeiner Weise, d. h. ohne Bezug zu Wellenkupplungen, mit Maßnahmen, wie Reibkorrosion verhindert werden kann. In gleicher Weise, wie bei der EI/5 wird auch in der EI/6 die Steigerung der Oberflächenhärte als eine mögliche Maßnahme vorgeschlagen. Zur Steigerung der Oberflächenhärte wird als mögliche mechanische Nachbehandlung das "Kugelstrahlen" erwähnt, wobei zu diesem Verfahren ausgeführt wird, dass es - im Gegensatz zur Wärmebehandlung - auch partiell anwendbar sei. Unabhängig davon weist der Bericht ebenfalls auf die reibkorrosionshindernde Maßnahme "Verwendung von Schmiermitteln" hin, zu der er ausführt, dass dadurch die Funktion einer Schraubverbindung erheblich beeinträchtigt werden könne, weil bei einer solchen die Last durch Reibung übertragen werde. Die EI/6 lässt allerdings jeglichen Bezug oder Hinweis auf einen möglichen Zusammenhang der beiden separat vorgestellten Punkte "Kugelstrahlen" und "hoher Reibbeiwert" vermissen.

Sie gibt auch ansonsten keine Hinweise in Bezug auf Merkmale des Patentanspruchs 1.

Der Aufsatz von Spielvogel "Strahlmittel als Werkzeug" (PV4) geht in allgemeiner Weise auf den Einsatz und die möglichen Wirkungen von Bestrahlungsvorgängen ein, u. a. werden darin aufgezählt "Aufrauung", "Glättung" oder "Aufhärtung" (S. 182, Pkt. 2.2 bis 2.4).

Die weiteren, oben aufgeführten Entgegenhaltungen liegen demgegenüber viel weiter ab. Sie wurden in der mündlichen Verhandlung auch nicht mehr aufgegriffen. Sie sind weder für sich noch in der Zusammenschau mit einer der o. a. Entgegenhaltungen in der Lage eine Wellenkupplung mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 nahezulegen.

Ein hier anzusetzender Fachmann, der in der Verhandlung in Übereinstimmung mit der Definition der Prüfungsstelle als ein in der Konstruktion von elastischen Wellenkupplungen erfahrener Diplom-Ingenieur des allgemeinen Maschinenbaus mit Fachhochschul-Abschluss angesehen wurde, ist damit aufgrund des oben berücksichtigten, nächstkommenden Standes der Technik, nicht in der Lage, ausgehend von einer Wellenkupplung, wie in der EI/4 vorgestellt, ohne erfinderisches Zutun zu einer anspruchsgemäßen Lösung zu gelangen.

Weder erhält er nämlich aus einer dieser Schriften den Hinweis "Sand" als Strahlmittel zu verwenden, noch damit eine aufgeraute Oberfläche herzustellen, bzw. nur eine Teilfläche der Lamelle zu behandeln, wobei diese Teilfläche die Bohrung konzentrisch umgibt. Nachdem diese Teilmerkmale aus keiner der angezogenen Entgegenhaltungen offenbart sind, bringt ihn auch eine Zusammenschau dieser Schriften nicht weiter.

Die Oberflächenbehandlungsarten "Sandstrahlen" einerseits und "Kugelstrahlen" andererseits werden in der Patentanmeldung, respektive in der Patentschrift in allgemeiner Weise zunächst zwar so dargestellt, dass eine Interpretation als gleichwertig denkbar ist. Aus den Patentunterlagen in ihrer Gesamtheit geht für den Fachmann jedoch eindeutig hervor, dass die anspruchsgemäße Lösung (Dickenzunahme, Aufrauung) genau darauf beruht, dass die Oberflächenbehandlungsart "Sandstrahlen" die ausschließlich richtige ist, respektive, dass ein Behandlungsverfahren "Kugelstrahlen" als der Lösung entgegen stehend verworfen wird.

Unabhängig davon verbleiben zusätzlich auch noch die weiteren, oben aufgeführten Unterschiede zum Stand der Technik, die diesem nicht entnehmbar und im Rahmen des fachmännischen Könnens auch nicht herleitbar waren.

Patentanspruch 1 ist daher gewährbar.

Die rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 4 erfüllen die an rückbezogene Patentansprüche zu stellenden Anforderungen und sind damit ebenfalls gewährbar.






BPatG:
Beschluss v. 19.04.2007
Az: 6 W (pat) 23/03


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