Bundesverfassungsgericht:
Beschluss vom 2. Juli 2012
Aktenzeichen: 2 BvR 2377/10

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung von Prozesskostenhilfe für ein Prozesskostenhilfeverfahren, in dem ein Vergleich über die Hauptsache geschlossen worden ist.

Im September 2008 mietete der Beschwerdeführer zu 1. eine Wohnung und bezog diese sodann. Als er mit seinen Mietzahlungen in Verzug geriet, kündigte die Vermieterin den Mietvertrag und räumte die Wohnung in Abwesenheit des Beschwerdeführers zu 1. im Januar 2010. Daraufhin beauftragte der Beschwerdeführer zu 1. den Beschwerdeführer zu 2. mit der Wahrnehmung seiner Interessen. Der Beschwerdeführer zu 2. stellte beim Amtsgericht einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung und verwies zur Begründung auf den beigefügten Klageentwurf, wonach die Vermieterin den Schaden zu ersetzen habe, der dem Beschwerdeführer zu 1. dadurch entstanden sei und in der Zukunft noch entstehe, dass ihm der Gebrauch der Wohnung vorenthalten worden sei und werde.

Für den 19. April 2010 lud das Amtsgericht die Parteien gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 ZPO zur mündlichen Erörterung, bei der der Beschwerdeführer zu 1. und die Vermieterin einen Vergleich schlossen. Die Parteien waren sich unter anderem darin einig, dass keinerlei gegenseitige Ansprüche aus dem Mietvertrag und auch keine wechselseitigen Erstattungsansprüche im Hinblick auf ihre außergerichtlichen Kosten bestünden.

Mit Beschluss vom gleichen Tage bewilligte das Amtsgericht dem Beschwerdeführer zu 1. für den mit der Vermieterin geschlossenen Vergleich Prozesskostenhilfe; im Übrigen lehnte das Amtsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Zur Begründung hieß es, dass für das Prozesskostenhilfeverfahren, das mit dem Vergleichsschluss im Erörterungstermin zu einem rechtskräftigen Abschluss gelangt sei, Prozesskostenhilfe grundsätzlich nicht gewährt werden könne. Für den Vergleichsschluss sei aus Zweckmäßigkeitsgründen eine Ausnahme gerechtfertigt. Mit Beschluss vom 29. Juni 2010 ordnete das Amtsgericht dem Beschwerdeführer zu 1. für den mit der Vermieterin geschlossenen Vergleich den Beschwerdeführer zu 2. rückwirkend ab Antragstellung bei.

Die von den Beschwerdeführern eingelegte sofortige Beschwerde wies das Landgericht zurück. Es schloss sich dabei der Ansicht des Bundesgerichtshofs an, wonach Prozesskostenhilfe im Prozesskostenhilfeverfahren nur für einen Vergleichsabschluss bewilligt werden könne, weil das Gesetz ausdrücklich vorsehe, dass ein solcher Vergleich gerichtlich zu protokollieren sei. Die gegenteilige Ansicht einiger Oberlandesgerichte überzeuge nicht. Es gebe auch andere Fallgestaltungen, in denen Gebühren eines Rechtsanwalts entstünden, ohne dass diese von der Prozesskostenhilfe abgedeckt seien. Durch den Vergleichsabschluss im Prozesskostenhilfeverfahren sei der zunächst beabsichtigten Klage der Boden entzogen worden, weshalb es auf ihre Erfolgsaussichten nicht ankomme.

Mit der Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie aus Art. 12 Abs. 1 GG.

Der Beschwerdeführer zu 1. macht geltend, Landgericht und Amtsgericht hätten die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung überspannt und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe verfehlt, dem Unbemittelten weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen wie dem Bemittelten. Hierfür sei die mittellose Partei, habe ihre Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg, von den Kosten ihres Anwalts freizustellen. Werde Prozesskostenhilfe nur für den Vergleichsabschluss gewährt, müsse die mittellose Partei die Verfahrens- und Terminsgebühr, die ihrem Rechtsanwalt bei einem Erörterungstermin gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 ZPO zustünden, jedoch selbst bezahlen. Die mittellose Partei erhalte insoweit auch keine Beratungshilfe, weil das Prozesskostenhilfeverfahren ein gerichtliches Verfahren im Sinne von § 1 Abs. 1 BerhG sei.

Der Beschwerdeführer zu 2. trägt vor, er habe seine Bereitschaft zur Übernahme der Vertretung des Beschwerdeführers zu 1. nur für den Fall erklärt, dass Prozesskostenhilfe insgesamt bewilligt werde. Die zum größten Teil erfolgte Ablehnung von Prozesskostenhilfe trotz hinreichender Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage benachteilige ihn unangemessen, zumal er mit seiner Gebührenforderung gegen den Beschwerdeführer zu 1. ausfallen werde.

II.

Hinsichtlich des Beschwerdeführers zu 1. ist die Verfassungsbeschwerde schon deshalb nicht zur Entscheidung anzunehmen, da dessen Vertreter trotz gerichtlichen Hinweises den Nachweis seiner Bevollmächtigung gemäß § 22 Abs. 2 BVerfGG nicht geführt hat (vgl. BVerfGE 62, 194 <200>).

Darüber hinaus liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung nicht vor, weil der Verfassungsbeschwerde weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) noch ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte der Beschwerdeführer angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

Zutreffend geht der Beschwerdeführer zu 1. davon aus, dass das Grundgesetz eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes gebietet (vgl. BVerfGE 9, 124 <131>; 10, 264 <270>; 22, 83 <86>; 51, 295 <302>; 63, 380 <394>; 67, 245 <248>; 78, 104 <117 f.>; 81, 347 <356>). Dies ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz, der in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegt ist und für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet. Danach darf Unbemittelten die Rechtsverfolgung und -verteidigung im Vergleich zu Bemittelten nicht unverhältnismäßig erschwert werden (vgl. BVerfGE 9, 124 <130 f.>; 22, 83 <86>; 63, 380 <394 f.>). Der Unbemittelte muss grundsätzlich ebenso wirksamen Rechtsschutz in Anspruch nehmen können wie ein Begüterter (vgl. BVerfGE 9, 124 <130 f.>; 63, 380 <395>). Er muss einem solchen Bemittelten gleichgestellt werden, der seine Aussichten vernünftig abwägt und dabei auch sein Kostenrisiko berücksichtigt (vgl. BVerfGE 51, 295 <302>; 81, 347 <357>). Derartige Vorkehrungen sind im Institut der Prozesskostenhilfe gemäß §§ 114 ff. ZPO getroffen (vgl. BVerfGE 9, 124 <131>). Insoweit grundsätzlich klärungsbedürftige Fragen des Verfassungsrechts werden mit der Verfassungsbeschwerde nicht aufgeworfen.

b) Der Beschwerdeführer zu 1. hat aber auch keinen Verstoß gegen das Gebot der Rechtsschutzgleichheit aufgezeigt, der die Annahme der Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG angezeigt sein ließe. Zwar trifft es zu, dass bei einer auf den Vergleich beschränkten Prozesskostenhilfe der anwaltlich vertretenen Partei die ihrem Rechtsanwalt zustehende Verfahrensgebühr (Nr. 3100, 3335 VV RVG) und die im Fall der mündlichen Erörterung der Sach- und Rechtslage entstehende Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) nicht aus der Staatskasse erstattet werden (vgl. BGHZ 159, 263 <267>, zur vergleichbaren früheren Rechtslage). Dass im Falle des Abschlusses eines Vergleichs im Erörterungstermin gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 ZPO Prozesskostenhilfe nur für den Vergleichsabschluss, nicht hingegen für das gesamte Prozesskostenhilfeverfahren gewährt werden kann, ist Folge des Grundsatzes, dass für das Prozesskostenhilfeverfahren Prozesskostenhilfe nicht gewährt wird (vgl. BGHZ 159, 263 <266 ff.>). Dieser Grundsatz ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da das Prozesskostenhilfeverfahren den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen will (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>).

Durch die auf den Vergleich beschränkte Prozesskostenhilfe wird dem bedürftigen Rechtsuchenden die gerichtliche Rechtsverfolgung im Vergleich zum bemittelten Rechtsuchenden nicht unverhältnismäßig erschwert. Denn dem bedürftigen Rechtsuchenden steht es frei, den Vergleich zunächst abzulehnen und weiterhin Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Hauptsache zu verlangen. In diesem Fall würden die im Prozesskostenhilfeverfahren entstandenen Anwaltsgebühren gemäß § 15 Abs. 2, § 16 Nr. 2 RVG auf gleichartige Gebühren im anschließenden Hauptsacheverfahren angerechnet (vgl. Motzer, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2008, § 118 Rn. 22) und wären von der Staatskasse zu zahlen (vgl. Motzer, a.a.O., § 121 Rn. 26). Zwar ist dieser Weg für die mittellose Partei mit einigen Risiken verbunden, etwa der Ungewissheit, ob der in Aussicht genommene Vergleich später überhaupt noch zustande kommt. Auch muss die mittellose Partei berücksichtigen, dass sie im Falle des Unterliegens oder Teilunterliegens im Hauptsacheverfahren mit außergerichtlichen Kosten der Gegenseite belastet wird (vgl. BGHZ 159, 263 <268 f.>). Dies sind allerdings Risiken, denen auch der bemittelte Rechtsuchende ausgesetzt ist.

c) Der Beschwerdeführer zu 2. ist durch die angegriffenen Entscheidungen nicht in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. Zwar stellt es eine übermäßige, durch keine Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigte Einschränkung der freien Berufsausübung dar, wenn der Staat für Aufgaben, deren ordentliche Wahrnehmung im öffentlichen Interesse liegt, Staatsbürger beruflich in Anspruch nimmt, den derart Belasteten jedoch eine angemessene Entschädigung für ihre Inanspruchnahme vorenthält (vgl. BVerfGE 54, 251 <271>). Auch liegt hier eine staatliche Inanspruchnahme vor, denn ein gemäß § 121 ZPO beigeordneter Rechtsanwalt ist nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 BRAO grundsätzlich verpflichtet, die gerichtliche Vertretung der betreffenden Partei zu übernehmen (vgl. BVerfGK 12, 371 <372>). Dass die Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts unangemessen ist, wenn bei einer auf den Vergleich beschränkten Prozesskostenhilfe der anwaltlich vertretenen Partei die ihrem Rechtsanwalt zustehenden Verfahrensgebühr und Terminsgebühr nicht aus der Staatskasse erstattet werden, ist jedoch nicht erkennbar. Bei einem Vergleich im Prozesskostenhilfeverfahren kann eine vom Gesetz abweichende Kostenregelung vereinbart werden (vgl. Fischer, in: Musielak, ZPO, 9. Aufl. 2012, § 118 Rn. 16), etwa die Übernahme der außergerichtlichen Kosten der mittellosen Partei durch die bemittelte gegnerische Partei. Ferner ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht, weshalb es im vorliegenden Fall nicht möglich oder unzumutbar gewesen sein könnte, den Vergleich erst im Hauptsacheverfahren zu schließen, wodurch die dem Beschwerdeführer zu 2. zustehenden Verfahrensgebühr und Terminsgebühr zu Lasten der Staatskasse angefallen wären.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.






BVerfG:
Beschluss v. 02.07.2012
Az: 2 BvR 2377/10


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