Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 22. August 2011
Aktenzeichen: L 19 AS 634/10 B

(LSG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 22.08.2011, Az.: L 19 AS 634/10 B)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

In dem vorliegenden Gerichtsverfahren geht es um die Höhe der Rechtsanwaltsvergütung, die von der Staatskasse erstattet werden soll. Die Klägerin hatte gegen einen Bescheid der Beklagten geklagt, durch den das Arbeitslosengeld II der Klägerin gesenkt wurde. In einem vorangegangenen Widerspruchsverfahren war der Beschwerdeführer als Rechtsanwalt der Klägerin tätig. Der Beschwerdeführer beantragte die Festsetzung seiner Vergütung aus der Staatskasse auf insgesamt 581,91 EUR. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte die Vergütung jedoch auf 486,71 EUR fest. Der Beschwerdeführer legte daraufhin Erinnerung gegen den Beschluss ein, die vom Sozialgericht zurückgewiesen wurde. Gegen diesen Beschluss legte der Beschwerdeführer daraufhin Beschwerde ein. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen wies die Beschwerde jedoch zurück. Es stellte fest, dass dem Beschwerdeführer gegenüber der Staatskasse keine höhere Vergütung als die festgesetzte Vergütung zusteht. Das Gericht wies außerdem darauf hin, dass die Anrechnungsvorschrift des § 15a RVG auf diesen Fall nicht anwendbar ist. Das Gericht […]

Des Weiteren stellte das Gericht fest, dass für die anwaltliche Tätigkeit im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren keine höhere Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG, sondern eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG anzusetzen ist. Die Festsetzung der Verfahrensgebühr durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle auf 250 EUR war daher unbillig. Das Gericht setzte die Verfahrensgebühr auf die Mittelgebühr von 170 EUR fest. Auch die vom Beschwerdeführer angesetzte Terminsgebühr von 200 EUR war unbillig. Das Gericht setzte die Terminsgebühr auf 200 EUR fest. Die Auslagenpauschale und die Dokumentenpauschale waren hingegen zu Recht vom Beschwerdeführer angesetzt worden. Das Verfahren ist gebührenfrei und die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig. Der Beschluss ist endgültig und nicht anfechtbar.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

LSG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 22.08.2011, Az: L 19 AS 634/10 B


Tenor

Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 24.03.2010 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

I. Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der von der Staatskasse zu erstattenden Rechtsanwaltsvergütung streitig.

Durch Bescheid vom 05.02.2009 senkte die Beklagte das Arbeitslosengeld II der Klägerin für die Zeit vom 01.03. bis 31.05.2009 um monatlich 32,00 EUR ab. Hiergegen legte die Klägerin, vertreten durch den Beschwerdeführer, Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.04.2009 zurückwies.

Hiergegen erhob die Klägerin am 15.05.2009 Klage.

Durch Beschluss vom 30.06.2009 bewilligte das Sozialgericht Aachen der Klägerin Prozesskostenhilfe und ordnete den Beschwerdeführer bei. In der mündlichen Verhandlung vom 24.09.2009 nahm die Klägerin die Klage zurück.

Der Beschwerdeführer hat beantragt, seine Vergütung aus der Staatskasse auf 581,91 EUR festzusetzen und zwar i.H.v.

Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV RVG 250,00 EUR

Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV RVG 200,00 EUR

Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR

Dokumentenpauschale gemäß Nr. 7000 VV RVG 19,00 EUR

19 % Mehrwertsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG 92,91 EUR.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die Vergütung am 23.11.2009 auf 486,71 EUR festgesetzt und zwar i.H.v.

Verfahrensgebühr gem. Nr. 3103 VV RVG 170,00 EUR

Terminsgebühr gemäß. Nr. 3106 VV RVG 200,00 EUR

Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR

Dokumentenpauschale gemäß Nr. 7000 VV RVG 19,00 EUR

19 % Mehrwertsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG 77,71 EUR.

Die nach Nr. 3102 VV RVG mit 250,00 EUR angesetzte anwaltliche Verfahrensgebühr sei unzutreffend und daher in die zutreffende Gebühr nach Nr. 3103 VV RVG abzuändern.

Gegen den Ansatz einer Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG hat der Beschwerdeführer Erinnerung eingelegt. Er hat die Auffassung vertreten, dass der Beschwerdegegner sich nach der Neuregelung des § 15 a Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) auf eine Gebührenanrechnung nach Nr. 3103 VV RVG wegen seiner vorgerichtlichen Tätigkeit im Widerspruchsverfahren nicht mehr berufen könne.

Der Beschwerdegegner hat die Auffassung vertreten, dass die Vorschrift des § 15 a RVG einen anderen Sachverhalt, nämlich die Anrechnung einer Geschäftsgebühr auf eine Verfahrensgebühr betreffe. § 15 a RVG finde keine Anwendung.

Durch Beschluss vom 24.03.2010 hat das Sozialgericht Aachen die Erinnerung zurückgewiesen und die Beschwerde zugelassen. Auf die Gründe wird Bezug genommen.

Gegen den am 29.03.2010 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 19.04.2010 Beschwerde eingelegt.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Der Beschwerdeführer verfolgt sein Begehren weiter.

II. Über die Beschwerde entscheidet der Senat in der Besetzung mit drei Berufsrichtern und nicht durch den Einzelrichter gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 HS. 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), auch wenn der Sache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. § 33 Abs. 8 Satz 1 HS. 2 RVG, wonach auch über die Beschwerde der Einzelrichter entscheidet, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter erlassen worden ist, findet im sozialgerichtlichen Verfahren keine Anwendung, selbst wenn die angefochtene Entscheidung durch den Kammervorsitzenden allein ergangen ist. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG weist die Entscheidung dem Einzelrichter als Mitglied des Gerichts zu. Der Kammervorsitzende des Sozialgerichts entscheidet nicht als einzelnes Mitglied der Kammer, sondern als Kammer in der Besetzung ohne ehrenamtliche Richter, denn diese wirken gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung nicht mit. Die Entscheidung im schriftlichen Verfahren ist daher keine Einzelrichterentscheidung im Sinne des § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG (vgl. LSG NRW Beschluss vom 16.12.2009 - L 19 B 179/09 AS - mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen u. vom 06.04.2011 - L 8 R 688/10 B -; a. A. LSG NRW Beschlüsse vom 14.07.2010 - L 1 AS 57/10 B und vom 10.02.2011 - L 9 AS 1290/10 B).

A.

Die Beschwerde ist zulässig.

Das Rechtsmittel der Beschwerde gegen eine Erinnerungsentscheidung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG ist gegeben (vgl. Beschluss des Senats vom 23.02.2011 - L 19 AS 1522/10 B - mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen; LSG Bayern Beschluss vom 18.01.2010 - L 13 SF 288/09 E -; LSG Mecklenburg-Vorpommern Beschluss vom 17.07.2008 - L 6 B 93/07; LSG Thüringen Beschluss vom 18.02.2008 - L 6 B 3/08 SF -; LSG Sachsen Beschluss vom 21.06.2005 - L 6 B 73/04 RJ/KO -; LSG Saarland Beschluss vom 29.01.2009 - L 1 B 16/08 R -; a. A. LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 24.02.2009 - L 15 SF 9/09 B -; LSG Schleswig-Holstein Beschluss vom 26.01.2011 - L 1 B 266/09 SF E -; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 28.10.2008 - L 9 B 19/08 AS SF -; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 30.10.2010 - L 4 P 8/09 B -, LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 19.06.2009 - L 12 AS 2241/09 KE -; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 02.05.2011 - L 10 P 112/10 B)

Die Beschwerde ist statthaft. Das Sozialgericht hat die Beschwerde zugelassen (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 8 RVG). Die Beschwerdefrist von zwei Wochen (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) hat der Beschwerdeführer zwar nicht gewahrt. Im Hinblick auf die dem Beschluss beigefügte falsche Rechtsmittelbelehrung über eine Beschwerdefrist von einem Monat hat aber die Beschwerdefrist noch nicht zu laufen begonnen. Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (§ 33 Abs. 4 Satz 1 RVG).

B.

Die Beschwerde ist unbegründet.

Dem Beschwerdeführer steht gegenüber der Staatskasse keine höhere Vergütung als die festgesetzte Vergütung aus § 48 Abs. 1 Satz 1 RVG zu.

Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 RVG erhält der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt die gesetzliche Vergütung von der Staatskasse, soweit in Abschnitt 8 des RVG nichts anderes bestimmt ist. Dieser Vergütungsanspruch ist gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 RVG nach seinem Grund und seiner Höhe vom Umfang der Beiordnung abhängig (Hartmann, Kostengesetze, 41. Aufl. § 48 Rdz. 5 m.w.N.). Der beigeordnete Rechtsanwalt kann sämtliche Gebühren und Auslagen beanspruchen, die sich aus seiner Tätigkeit ab dem Wirksamwerden seiner Beiordnung und unter der Voraussetzung einer wirksamen Vollmacht des begünstigten Beteiligten ergeben. Vorliegend besteht ein Vergütungsanspruch des Beschwerdeführers. Zwischen der Klägerin und ihm hat ein Mandatsverhältnis bestanden, welches durch die Vorlage einer Prozessvollmacht dokumentiert ist. Im Beschluss vom 30.06.2009 über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an die Klägerin ist der Beschwerdeführer ab dem 26.06.2009, dem Zeitpunkt der Antragstellung, beigeordnet worden.

Der beigeordnete Rechtsanwalt kann nach § 48 Abs. 1 Satz 1 RVG sämtliche Gebühren und Auslagen beanspruchen, die sich aus seiner Tätigkeit ab dem Wirksamwerden ihrer Beiordnung ergeben.

1.

Nach Wirksamwerden der Beiordnung zum 26.06.2009 hat der Beschwerdeführer einen Schriftsatz im gerichtlichen Verfahren gefertigt, so dass der Tatbestand der Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 Anlage 1 zum RVG (VV RVG) gegeben ist. Danach beträgt die Verfahrensgebühr für Verfahren vor der Sozialgerichtsbarkeit, in denen Betragsrahmengebühren nach § 3 RVG entstehen 20,00 EUR bis 320,00 EUR, wenn eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren oder im weiteren, der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienenden Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist. Der Beschwerdeführer hat für die Klägerin ein nach § 183 SGG gerichtskostenfreies Verfahren, in dem Betragsrahmengebühren nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG anfallen, betrieben und ist für sie in einem dem Gerichtsverfahren vorausgegangenen Widerspruchsverfahren tätig gewesen.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist der Gebührentatbestand der Nr. 3102 VV RVG, wonach als Verfahrensgebühr für Verfahren vor der Sozialgerichtsbarkeit im Fall eines Verfahrens nach § 183 SGG eine Gebühr von 40,00 EUR bis 460,00 EUR anfällt, nicht anwendbar. Der Gebührentatbestand der Nr. 3103 W RVG stellt eine vorrangige Sondervorschrift zu Nr. 3102 W RVG mit einem geminderten Gebührenrahmen dar (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 16.12.2009 - L 19 AS 180/09 B -; LSG Bayern Beschluss vom 18.01.2007 - L 15 B 224/06 AS KO; Straßfeld in Jansen, SGG, 3.Aufl., 2009, § 197 Rn 40), durch die der sich aufgrund der Vorbefassung des Rechtsanwalts in einem Klageverfahren vorausgegangenen Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren ergebende Synergieeffekt berücksichtigt werden soll (vgl. BT-Drs. 15/1971 S. 212). Daher ist bei der Bemessung der Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG nicht zu berücksichtigen, dass der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit infolge der Tätigkeit im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren geringer ist (Nr. 3103 S. 2 VV RVG; zur Berücksichtigung des Synergieeffekts bei der Bemessung der Gebühr nach § 116 BRAGO: vgl. BSG Beschluss v. 22.2.1993 - 14b/4 REg 12/91 = SozR 3-1930 § 116 Nr. 4), da dies schon bei der Bemessung des Gebührenrahmens berücksichtigt worden ist.

Die Vorschrift des § 15a RVG ist auf das Verhältnis der Gebührentatbestände Nr. 3102 VV RVG und Nr. 3103 VV RVG weder direkt noch analog anwendbar (vgl. LSG Thüringen Beschluss vom 004.03.2011 - L 6 SF 184/11 B -; SG Stuttgart Beschluss vom 10.01.2011 - S 24 SF 9117/09 E -; SG Berlin Beschluss vom 26.07.2010 - S 180 SF 1707/09 -; vgl. auch SG Chemnitz Beschluss vom 05.01.2011 - S 3 AS 5094/10 - zum Verhältnis der Nrn 2400 VV RVG und 2401 VV RVG).

Daher kann offen bleiben, ob die Vorschrift des § 15a RVG auf die sog. Altfälle Anwendung findet oder nicht. Nach § 15a RVG i.d.F. ab dem 05.08.2009 (Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30.07.2009, BGBl. I, S. 2449 ff.) kann ein Rechtsanwalt, wenn nach dem RVG die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vorgesehen ist, beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren (§ 15 a Abs. 1 RVG). Ein Dritter kann sich auf die Anrechnung nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden (§ 15 a Abs. 2 RVG).

Die Anwendung dieser Vorschrift setzt nach ihrem eindeutigen Wortlaut voraus, dass das RVG die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vorsieht, wie z.B. in Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Teil 3 VV RVG, Nr. 2503 Abs. 2 VV RVG. Abweichend von den Anrechnungsvorschriften für streitwertgebundene Wertgebühren (Vorbemerkung § 3 Abs. 4 zu Teil 3 VV RVG) sieht das RVG aber in den nach § 183 SGG kostenprivilegierten erstinstanzlichen Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG anfallen, nicht die (teilweise) Anrechnung der Geschäftsgebühr für das außergerichtliche Tätigwerden des Rechtsanwalts wegen desselben Gegenstandes vor. Vielmehr entsteht im Fall des anwaltlichen Tätigwerdens in einem dem erstinstanzlichen Verfahren vorausgegangenen Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren neben der Geschäftsgebühr eine Verfahrensgebühr mit gemindertem Gebührenrahmen.

Die Regelung des § 15a RVG ist auf das Verhältnis der Vorschriften Nr. 3102 VV RVG und Nr. 3103 VV RVG auch nicht entsprechend anwendbar. Der Gesetzgeber beabsichtigte mit Einfügung des § 15a RVG ausdrücklich nur, den im RVG verwandten Begriff der Anrechnung zu definieren, um unerwünschte Auswirkungen der Anrechnung zum Nachteil des Auftraggebers zu vermeiden und den mit der Anrechnung verfolgten Gesetzeszweck, dass der Rechtsanwalt für eine Tätigkeit nicht doppelt honoriert wird (vgl. BT-Drs. 15/1971 S. 209), zu wahren (BT-Drs. 16/12717 S. 2, 58). Die Regelung dient der Klarstellung der bestehenden Gesetzeslage (vgl. BGH Beschluss vom 01.06.2011 - XII ZB 363/10 - mit der Zusammenfassung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs; a.A. OVG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 08.02.2011 - 2 E 1410/10 - mit weiteren Rechtsprechungshinweisen, wonach es sich bei der Einfügung des § 15a RVG um eine gesetzgeberische konstitutive Entscheidung zur Auslegung des im RVG verwandten Begriffs "Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr" handelt). Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich nicht, dass der Gesetzgeber beabsichtigte, mit der Einfügung des § 15a RVG das gesetzgeberische Konzept - dem sich aus einer Vorbefassung mit der Angelegenheit ergebenden Synergieeffekt im nach § 183 SGG kostenprivilegierten erstinstanzlichen Verfahren vor den Sozialgerichten durch die Entstehung einer Verfahrensgebühr mit gemindertem Gebührenrahmen Rechnung zu tragen - zu ändern. Das VV RVG sieht für den Anfall von Rahmengebühren i.S.v. § 14 RVG, zu denen u. a. die Betragsrahmengebühren nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG zählen (vgl. hierzu BSG Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R = juris Rn 19), in der Regel vor, dass wegen der Vorbefassung des Rechtsanwalts mit demselben Gegenstand in einem behördlichen Verfahren eine Gebühr mit niedrigem Rahmen entsteht, wenn für die vorausgegangene Tätigkeit eine Gebühr für den Rechtsanwalt anfällt. Insoweit verweist der Senat auf die Gebührenziffern Nrn. 2401 und 2501, die den Anfall einer Geschäftsgebühr mit niedrigem Rahmen für das Widerspruchsverfahren vorsehen, wenn der Rechtsanwalt im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren tätig gewesen ist (vgl. zur Nr. 2401 VV RVG: BSG Urteil vom 25.02.2010 - B 11 AL 24/08 R -), sowie auf die Vorbemerkung 3.4 Abs. 2 zur Minderung der Gebühren Nr. 3400, 3401, 3405 und 3406 um die Hälfte im Fall der Vorbefassung. Die Abgeltung durch eine Rahmengebühr mit niedrigem Rahmen verfolgt verschiedene gesetzgeberische Zwecke: Berücksichtigung der Arbeitserleichterung aufgrund der Vorbefassung mit der Streitsache in einem behördlichen Verfahren im sich anschließenden Verfahren (Synergieeffekt), die Förderung der außergerichtliche Erledigung eines Verfahrens vor der Einleitung eines Rechtsbehelfsverfahren, das Vermeiden des Eindrucks, dass ein Rechtsanwalt ein gebührenrechtliches Interesse am Fortbetreiben des Verfahrens in die nächste Instanz hat sowie die Berücksichtigung der verbesserten Vergütung von verwaltungsrechtlichen Mandanten nach § 17 RVG. Diese Zwecke sind zwar identisch mit dem durch die Anrechnungsvorschrift der Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Teil 3 VV RVG verfolgten Zweck (vgl. BT-Drs. 15/1971 S. 207, 208, 209, 212). Jedoch hat der Gesetzgeber unterschiedliche Wege beim Anfall von Wertgebühren und Rahmengebühren i.S.v. § 14 RVG, zu der auch die Satzrahmengebühr der Nr. 2301 VV RVG zählt, gewählt. Deshalb besteht zur Überzeugung des Senats hier auch keine unbewusste Regelungslücke.

Der sich aus Nr. 3103 VV RVG ergebende Gebührenrahmen beträgt 20,00 EUR bis 320,00 EUR.

Innerhalb des Rahmens von 120,00 EUR bis 1.380,00 EUR bestimmt der Beschwerdegegner als beigeordneter Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 RVG die Höhe der Verfahrensgebühr unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers, und seines besonderen Haftungsrisikos (§ 14 Abs. 1 Satz 3 RVG). Die von einem beigeordneten Rechtsanwalt im Verfahren nach § 55 RVG getroffene Bestimmung ist nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Deshalb ist der Urkundsbeamte bzw. das Gericht verpflichtet, die Billigkeit der Gebührenbestimmung durch den Rechtsanwalt zu prüfen. Bei Angemessenheit der angesetzten Gebühr hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle bzw. das Gericht den Kostenansatz zu übernehmen, bei Unbilligkeit die Höhe der Betragsrahmengebühr festzusetzen.

Bei der Bestimmung der Betragsrahmengebühr im konkreten Einzelfall ist von der Mittelgebühr auszugehen, die bei einem Normal-/Durchschnittsfall als billige Gebühr zu Grunde zu legen ist. Unter einem "Normalfall" ist ein Fall zu verstehen, in dem sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts unter Beachtung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt aller sozialrechtlichen Fälle abhebt (BSG Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R= nach juris Rn 24). Ob ein Durchschnittsfall vorliegt, ergibt sich aus dem Vergleich mit den sonstigen bei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anhängigen Streitsachen. Ein Abweichen von der Mittelgebühr ist bei einem Durchschnittsfall nicht zulässig (BSG Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R = juris Rn 24; vgl. zur Vorgängervorschrift des § 12 BRAGO: BSG Urteile vom 26.02.1992 - 9a RVs 3/90 - und vom 22.03.1984 -11 RA 58/83 = SozR 1300 § 63 Nr. 4). Unter Zugrundelegung eines Rahmens von 20,00 EUR bis 320,00 EUR nach Nrn. 3103 VV RVG beträgt die Mittelgebühr 170,00 EUR. Bei Abweichungen von einem Durchschnittsfall kann der Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG eine geringere oder höhere Gebühr bis zur Grenze des vorgegebenen Rahmens ansetzen. Hinsichtlich der Überprüfung der Billigkeit einer solchen angesetzten Gebühr billigt die Rechtsprechung dem Rechtsanwalt einen Toleranzrahmen von bis zu 20 % (vgl. hierzu BSG Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09R = juris Rn 19 m.w.N).

Vorliegend ist der Ansatz einer Verfahrensgebühr nach Nrn. 3103 VV RVG von 250,00 EUR durch den Beschwerdeführer unbillig. Nach wertender Gesamtbetrachtung handelt es sich zur Überzeugung des Senats bei der vorliegenden Streitsache um einen Normal-/Durchschnittsfall (vgl. zum Begriff des Normalfalls: BSG Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R = juris Rn 24), der den Ansatz der Mittelgebühr von 170,00 EUR rechtfertigt.

Zwar ist die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin als überdurchschnittlich zu bewerten. Bei der Bedeutung einer Angelegenheit ist auf die unmittelbare tatsächliche, ideelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung für den Auftraggeber, nicht aber für die Allgemeinheit abzustellen. Dabei wird Streitigkeiten über Leistungen, die das soziokulturelle Existenzminimum eines Auftraggebers sichern, wie solche nach dem SGB II, in der Regel überdurchschnittliche Bedeutung beigemessen, unabhängig davon, ob die Leistung dem Grunde nach oder lediglich die Höhe der Leistung umstritten ist (BSG Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R = juris Rn 37). Vorliegend ist die Absenkung der Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 32,00 EUR mtl. für die Dauer von drei Monaten streitig gewesen. Der allenfalls leicht überdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin stehen ihre unterdurchschnittlichen Einkommensverhältnisse gegenüber (vgl. zu dem Verhältnis BSG Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R = juris Rn 38). Da die Klägerin auf den Bezug von Leistungen nach dem SGB II zur Sicherung ihres soziokulturellen Existenzminimums angewiesen gewesen und ihr deshalb auch Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, sind ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse als erheblich unterdurchschnittlich zu bewerten. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist allenfalls als durchschnittlich zu werten. Erhebliche, sich üblicherweise nicht stellende (tatsächliche oder juristische) Probleme während des Mandats, die eine überdurchschnittliche Schwierigkeit begründen können (vgl. hierzu BSG Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R = juris Rn 33-35), sind in der Akte nicht belegt und werden auch nicht von dem Beschwerdeführer geltend gemacht. Selbst wenn der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer neben der Fertigung einer Klageschrift, einer Klagebegründung und drei weiteren kurzen Schriftsätze auch noch Einsicht in Verwaltungsakten, deren Aufbau im vorliegenden Fall unübersichtlich gewesen ist, genommen hat, als leicht überdurchschnittlich gewertet wird, kommt dem konkreten Verfahren bei Abwägung aller Kriterien des § 14 RVG, insbesondere auch der Tatsache, dass allein unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse die Herabbemessung der Mittelgebühr rechtfertigen können (vgl. BSG Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R = juris Rn 38), allenfalls eine durchschnittliche, nicht aber eine überdurchschnittliche Bedeutung zu.

2.

Des weiteren ist eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG als Anwesenheitsgebühr in einem gerichtlichen Termin entstanden. Im Hinblick auf das im Beschwerdeverfahren geltende Verbot der reformatio in peius (vgl. hierzu LSG NRW Beschluss vom 25.10.2010 - L 19 AS 1513/10 B - mit weiteren Rechtsprechungshinweisen) kann dahinstehen, ob die vom Beschwerdeführer angesetzten Terminsgebühr von 200,00 EUR billig oder unbillig ist. Jedenfalls ist der Ansatz einer höheren Gebühr als 200,00 EUR unbillig. Nach wertender Gesamtbetrachtung handelt es sich zur Überzeugung des Senats bei der vorliegenden Streitsache allenfalls um einen Normal-/Durchschnittsfall. Grundsätzlich sind bei jeder Betragsrahmengebühr die Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG gesondert zu prüfen. Bei der Beurteilung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit ist hier maßgebend auf den tatsächlichen Arbeits- und Zeitaufwand für die Terminsteilnahme, der auch wesentlich durch die Anzahl und die Dauer der anberaumten Termine bestimmt wird, abzustellen. Der Arbeits- und Zeitaufwand für die Vorbereitung eines anberaumten gerichtlichen Termins ist nicht zu berücksichtigen (vgl. Beschluss des Senats vom 25.10.2010 - L 19 AS 1513/10 B - m.w.N.; a. A. LSG NRW Beschluss vom 31.05.2007 - L 10 B 6/07 SB), da mit der Terminsgebühr nur die Tätigkeit des Rechtsanwalts während eines gerichtlichen Termins - Vertretung der Mandanten im Termin - abgegolten wird. Die übrigen prozessualen Tätigkeiten werden, abgesehen von dem besonderen Mitwirken i.S.v. Nr. 1006 VV RVG, durch die Verfahrensgebühr abgegolten. Die Anzahl der im Verfahren anberaumten Termine - ein Termin zur mündlichen Verhandlung - sowie die Dauer des Termins von 25 Minuten begründet allenfalls nur einen durchschnittlichen Umfang der anwaltlichen Tätigkeit. Bezüglich der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin und deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse wird auf die Ausführungen zu der im Verfahren angefallenen Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG Bezug genommen. Es sind nach Aktenlage keine Unterschiede erkennbar und auch nicht vorgetragen worden, die insofern eine unterschiedliche Bewertung rechtfertigten. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass bei der Durchführung des gerichtlichen Termins tatsächliche Schwierigkeiten für die anwaltliche Tätigkeit, wie z. B. die Teilnahme an einer Beweisaufnahme mit Befragung von Zeugen und Sachverständigen, nicht entstanden sind. Dies spricht sogar eher für eine unterdurchschnittliche Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit im Termin.

3.

Dem Beschwerdeführer steht eine Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG von 20,00 EUR und eine Dokumentpauschale nach Nr. 7002 VV RVG von 19,00 EUR zu. Unter Berücksichtigung der Umsatzsteuer von 77,71 EUR (19% von 409,00 EUR) ergibt sich somit ein Vergütungsanspruch des Beschwerdeführers gegenüber der Staatskasse aus § 48 Abs. 1 Satz 1 RVG in Höhe von 486,71 EUR.

Das Verfahren ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG).

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).






LSG Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 22.08.2011
Az: L 19 AS 634/10 B


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/45633651fcaa/LSG-Nordrhein-Westfalen_Beschluss_vom_22-August-2011_Az_L-19-AS-634-10-B




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share