Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 6. Juli 1990
Aktenzeichen: 9 S 819/90

(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 06.07.1990, Az.: 9 S 819/90)

1. Aus § 6 Nr 4 RAVersorgSa BW in Verb mit Art 3 Abs 1 GG folgt nicht, daß auch solchen Rechtsanwälten, die sich aus einem Bundesland ohne berufsständische Pflichtversorgung kommend aufgrund Zulassungswechsels in Baden-Württemberg niedergelassen haben, ein Anspruch auf Befreiung von der Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk der Rechtsanwälte eingeräumt werden müßte.

Gründe

Die -- zulässige -- Beschwerde, mit der der Antragsteller nur noch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 8.9.1989 für die Zeit vom 1.5.1989 -- 30.4.1990 (Ende der Mitgliedschaft im Versorgungswerk) begehrt, ist nicht begründet. Auch der Senat hat keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides (vgl. § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO). Solche Zweifel lägen nur vor, wenn schon jetzt absehbar wäre, daß ein Erfolg des Antragstellers im Verfahren der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Mißerfolg (st. Rspr. der mit Abgabensachen befaßten Senate des Verwaltungsgerichtshofs).

Der Antragsteller ist der Auffassung, der Antragsgegner als Satzungsgeber sei aufgrund Verfassungsrechts verpflichtet, eine Befreiungsvorschrift auch für solche Rechtsanwälte vorzusehen, die sich -- wie er selbst -- nach Inkrafttreten des Rechtsanwaltsversorgungsgesetzes aufgrund Zulassungswechsels gem. § 33 BRAO aus einem Bundesland ohne berufsständische Pflichtversorgung kommend in Baden-Württemberg niedergelassen haben, falls sie für die vom Antragsgegner abgedeckten Versorgungsrisiken schon vor dem Zulassungswechsel private Vorsorge getroffen hatten. Seine Ausführungen hierzu sind indes nicht überzeugend.

Die Satzung des Antragsgegners braucht für diese Fallgruppen keinen Bedacht auf das Vertrauensschutzprinzip zu nehmen. Ein Berufsangehöriger, der bei fehlender Pflichtversicherung im Bundesland seiner Niederlassung private Vorsorge trifft, handelt typischerweise nicht im Vertrauen auf eine Befreiung für den völlig ungewissen Fall eines Wechsels nach Baden-Württemberg, sondern allein aus Gründen der Eigenvorsorge. Besteht die Absicht zu einem solchen Wechsel schon während einer Zeit, in der der Betroffene aus eigenem Antrieb private Versorgungsverpflichtungen auf sich nimmt, ist ein dadurch etwa betätigtes Vertrauen, hierdurch einen Befreiungsgrund zu schaffen, bei entgegenstehender Rechtslage im Zielland nicht schützenswert.

Die fehlende Rücksichtnahme auf private Versorgungslasten bringt die Satzung auch nicht in Gegensatz zum Eigentumsgrundrecht. Dem Antragsteller kann nicht gefolgt werden, daß wegen des Hinzutretens der Pflichtversorgung sein privater Versicherungsschutz für ihn jeden Nutzen verliere, wodurch dessen Privatnützigkeit als Element des Eigentumsgrundrechts (BVerfGE 50, 290, 339) verlorengehe und zu einem nudum ius degeneriere. Denn die Leistungen seiner privaten Versicherung werden durch die Pflichtversorgung nicht geschmälert, sie bleiben ihm vielmehr in vollem Umfang erhalten, und er ist rechtlich nicht gezwungen, diese Vorsorgeform aufzugeben. Wegen des Hinzutretens der Pflichtbeiträge mag ein wirtschaftlicher Druck in dieser Richtung bestehen, jedoch ist -- wovon auch der Antragsteller ausgeht -- eine solche mittelbare Veranlassung zur Aufgabe anderer Formen der Versorgung, z.B. von Lebensversicherungen, keine Verletzung der Eigentumsgarantie (BVerfGE 10, 354, 371).

Ferner ist kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz in dem Umstand zu sehen, daß nach § 6 Nr. 4 der Satzung des Antragsgegners vom 22.4.1985 (Die Justiz 1985, S. 187) -- VwS -- Pflichtmitglieder, die eine Befreiung von der Mitgliedschaft in einer anderen durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden berufsständischen öffentlich-rechtlichen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung außerhalb des Landes Baden-Württemberg erwirkt haben, bei Weiterbestehen des Befreiungstatbestandes einen Anspruch auf Befreiung von der Mitgliedschaft beim Antragsgegner haben, nicht aber der Antragsteller. Da es sich bei dieser Regelung um eine begünstigende Ausnahme von einer im übrigen -- auch nach Meinung des Antragstellers -- unbedenklichen Einbeziehung in eine Pflichtversorgung handelt, ist die Gestaltungsfreiheit des Antragsgegners als Satzungsgeber besonders groß (BVerwG, Beschlüsse vom 14.4.1981 und vom 12.5.1982 sowie Urteil vom 25.11.1982, Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 9 -- 11; vgl. ferner BVerfGE 44, 70, 91 m.w.N). Von ihr hat der Antragsgegner in nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht. Die Regelung des § 6 Nr. 4 VwS geht von der Annahme aus, daß es sich bei der Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung, deren Befreiung anerkannt wird, um eine solche mit Pflichtmitgliedschaft handelt. Die Pflichtmitgliedschaft stärkt die Leistungsfähigkeit einer kollektiven Versorgung der Berufsangehörigen, weil bei einer Freistellung der Wahl, an ihr teilzunehmen oder sich anderweitig zu sichern, die Versichertengemeinschaft Gefahr liefe, weitgehend mit sogenannten schlechten Versorgungsrisiken belastet zu werden; es entspricht demgemäß gesicherter Erkenntnis, daß eine berufsständische Versorgung nur dann effizient ist, wenn grundsätzlich alle Berufsangehörigen Mitglied sind (BVerfGE 10, 354, 370; BVerwG, Urteil vom 25.11.1982, Buchholz a.a.O. Nr. 11). Daher liegt die Vermutung nahe, daß gesetzliche berufsständische Versorgungswerke des öffentlichen Rechts in aller Regel ebensowenig auf das Mittel der Pflichtteilnahme verzichten werden wie der Antragsgegner. Dies führt wiederum auf die Annahme, daß Befreiungen von der Pflichtmitgliedschaft bei ihnen regelmäßig die Ausnahme bilden und auf wenige, sachlich begründete und damit willkürfrei gebildete Fallgruppen beschränkt sein werden. § 6 S. 4 VwS bevorzugt daher nur solche Rechtsanwälte, bei denen davon ausgegangen werden kann, daß besondere Gründe vorliegen, die eine Befreiung von ihrer Mitgliedschaft auch beim Antragsgegner nahelegen. Die Situation von Rechtsanwälten, die aus Bundesländern ohne berufsständische Pflichtversorgung nach Baden-Württemberg wechseln, ist hiermit ersichtlich nicht vergleichbar. Die in der Anerkennung von Befreiungen zutage tretende Vorzugsbehandlung anderer berufsständischer Versorgungswerke ist ferner auch geeignet, die Akzeptanz des Antragsgegners beim Anwaltsstand des Landes zu erhöhen und durch berufsständische Solidarität die Idee der berufsständischen Pflichtversorgung als Element der sozialstaatlichen Ordnung zu stärken.

Da der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung erfolglos bleibt, fehlt es an der Grundlage für das auf § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO gestützte Begehren des Antragstellers auf Rückzahlung der entrichteten Beiträge.






VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 06.07.1990
Az: 9 S 819/90


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