Bundesverfassungsgericht:
Beschluss vom 20. Mai 2003
Aktenzeichen: 1 BvR 237/97

(BVerfG: Beschluss v. 20.05.2003, Az.: 1 BvR 237/97)

Tenor

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 27. Dezember 1996 - 11 UF 201/95 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihren Rechten aus Artikel 6 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Oldenburg zurückverwiesen.

Das Land Niedersachsen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 50.000 € (in Worten: fünfzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anwendung und Auslegung der Härtefallklausel des § 1587 c BGB im Versorgungsausgleich.

Die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann schlossen am 19. August 1958 die Ehe. Aus der Ehe gingen zwei inzwischen erwachsene Kinder hervor. Die Ehe wurde als "Hausfrauenehe" geführt, die Beschwerdeführerin widmete sich der Erziehung und Betreuung der beiden aus der Ehe hervorgegangenen Kinder. Ihr Ehemann übte den Beruf eines reisenden Textilingenieurs aus. Unstreitig unterhielt die Beschwerdeführerin in der Zeit zwischen 1966 bis 1988 ein intimes Verhältnis mit einem anderen Mann, wovon ihr Ehemann noch während des Bestehens dieser Beziehung erfuhr. Ab dem Frühsommer 1993 nahm sie erneut eine außereheliche Beziehung auf, die letztlich zu der Scheidung von ihrem Ehemann führte.

1. Das Amtsgericht Osnabrück schied mit Urteil vom 13. November 1995 die Ehe. Zugleich führte es den Versorgungsausgleich zu Lasten des Ehemannes durch. Einen Ausschluss oder eine Herabsetzung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs nach § 1587 c Nr. 1 BGB lehnte das Amtsgericht in Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ab. Der Ehemann habe bislang selbst nicht vorgetragen, dass er durch das erste langjährige außereheliche Verhältnis der Beschwerdeführerin in unerträglicher Weise belastet worden sei. Er habe seine Ehe bis zu dem Zeitpunkt, in dem er von dem erneuten außerehelichen Verhältnis erfahren habe, immer als normal verlaufend geschildert und sich auf einen gemeinsamen Lebensabend mit der Beschwerdeführerin eingerichtet. Zudem sei die Beschwerdeführerin seit der Heirat bis zur Trennung 1993 ihren Aufgaben als Hausfrau und Mutter unbeanstandet nachgekommen. Die letzte Beziehung der Beschwerdeführerin habe zur Scheidung geführt und müsse daher außer Betracht bleiben, da andernfalls das Verschuldensprinzip wieder in das Scheidungsrecht eingeführt werde.

Auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien ergebe sich insgesamt nicht, dass die Durchführung des Versorgungsausgleichs für den Ehemann grob unbillig sei. Zwar verfüge die Beschwerdeführerin über Barvermögen und sei Eigentümerin des Einfamilienhauses, das als Familienwohnheim gedient habe. Dieses Vermögen sei jedoch außer Betracht zu lassen, da sie es von ihren Eltern geerbt habe und es nicht in der Ehe erwirtschaftet worden sei. Soweit der Ehemann geltend mache, das Haus der Ehefrau zuletzt mit monatlich 400 DM unterhalten zu haben, hätte er weitaus höhere Aufwendungen gehabt, wenn er anderweitig für die vierköpfige Familie ein Familienheim zur Verfügung gestellt hätte. Auch beziehe der Ehemann insgesamt ca. 5.200 DM monatlich an Altersversorgung und verfüge auch nach Durchführung des Versorgungsausgleichs noch über ein ausreichendes Einkommen. Die Kinder seien ebenfalls finanziell versorgt.

2. Auf die Beschwerde des Ehemannes hin änderte das Oberlandesgericht Oldenburg mit Beschluss vom 27. Dezember 1996 die Entscheidung des Amtsgerichts ab und schloss den Versorgungsausgleich unter Berufung auf § 1587 c Nr. 1 BGB aus.

Im Rahmen von § 1587 c Nr. 1 BGB sei auch persönliches Fehlverhalten zu beachten, sofern es schuldhaft erfolgt sei und den Ausgleichsverpflichteten in besonderem Maße beeinträchtigt habe.

Ein solches Fehlverhalten liege angesichts der unstreitigen Zuwendung über mehr als 20 Jahre zu einem anderen Mann und der erneuten Aufnahme einer außerehelichen Beziehung vor, wobei allein schon die Dauer der eingegangenen Fremdbeziehungen eine Ausnahmesituation begründe. Hinzu komme die jahrelange Verheimlichung dieser Beziehung. Das permanente Fehlverhalten der Beschwerdeführerin liege nach der Überzeugung des Senats in einer ständigen einseitigen inneren Abwendung von der Ehe bereits sei 1966. Im Rahmen der persönlichen Anhörung der Eheleute habe die Beschwerdeführerin selbst eingeräumt, dass ihr Ehemann ihre Zuwendung außerhalb der Ehe nicht schön gefunden habe, er gleichwohl das Haus nicht habe verlassen, sondern an der Ehe festhalten wollen. Sie habe in diesem Zusammenhang eingeräumt, gegenüber dem Ehemann unmissverständlich die Auffassung vertreten zu haben, entweder ihre Beziehung zu tolerieren oder auszuziehen. Der Ehemann habe ihr Verhalten dann notgedrungen akzeptiert, um sie nicht zu verlieren. Diese eigene Bekundung der Beschwerdeführerin lasse keinen Raum mehr für die Annahme, der Ehemann habe in das außereheliche Verhalten eingewilligt. Vielmehr habe sie sich einseitig gegen den Willen des Ehemannes von der Ehe gelöst. Sie habe damit praktisch die Partnerwahl korrigiert, ohne das eheliche Band formell aufzulösen. Die Jahrzehnte hinweg dauernde Abwendung der Beschwerdeführerin von ihrem Ehemann und die von ihr eingegangenen Beziehungen begründeten einen so gravierenden Ausnahmetatbestand, der nur den völligen Ausschluss des Versorgungsausgleichs zur Folge haben könne. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin zu keinem Zeitpunkt bereit gewesen sei, den von ihr erkannten Vorstellungen ihres Ehemannes, der an seiner Ehe habe festhalten wollen, entgegenzukommen. Infolge der lang andauernden inneren Abwendung vom Ehemann hätten auf Seiten der Beschwerdeführerin keine begründeten Erwartungen erwachsen können, langfristig von diesem versorgt zu werden. Sie habe aufgrund ihres eigenen Verhaltens auch während der Zeit der Kindererziehung nicht darauf vertrauen können, dass ihr Unterhalt später durch dessen Rente und im Falle der Scheidung durch zu übertragende Versorgungsrechte gesichert gewesen wäre. Im Rahmen der Billigkeitserwägungen sei zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin eigenes einzurechnendes Einkommen in einer deutlich den Mindestbedarf übersteigenden Höhe erziele. Sie wohne in einem ihr allein gehörenden, früher als Ehewohnung dienenden lastenfreien Haus. Neben dem daraus resultierenden, ihr anzurechnenden Wohnvorteil erziele sie aus ererbtem Kapitalvermögen laufende Zinseinkünfte. Zusätzlich habe sie eigene Rentenanwartschaften bei der BfA, nach einer Auskunft der BfA in Höhe von monatlich 439,93 DM, wobei eine weitere Aufstockung dieser Rentenanwartschaften noch zu erwarten stehe, da sie monatliche Leistungen zur Erhöhung ihrer Rentenansprüche erbringe. Sie sei daher bereits ohne Einbeziehung von zusätzlichen zu erwartenden und dem Grunde nach zu berücksichtigenden Vorteilen aus ihrem Verhältnis zu ihrem neuen Partner finanziell in einer Weise abgesichert, die ihr bereits jetzt einen gehobenen Lebensstil (Golfspiel als Hobby) ermögliche und die es nicht erfordere, zusätzlich den Ehemann durch Übertragung von Versorgungsansprüchen in unzumutbarer Weise zu belasten.

Die Belastung des Ehemannes erscheine umso unerträglicher, als die Beschwerdeführerin auch während der Zeit ihrer bereits vollzogenen inneren Abkehr vom Ehemann von diesem zuletzt monatlich unstreitig 500 DM für das Bewohnen der Ehewohnung und außerdem gelegentliche Zuwendungen für Reparaturen und Erschließung verlangt und erhalten habe. Sie habe damit bereits jahrelang ehebezogene zusätzliche finanzielle Zuwendungen erhalten, die sich auch langfristig zu ihren Gunsten weiterhin auswirkten. Auch angesichts dieser Zuwendungen sei die zusätzliche Durchführung des Versorgungsausgleichs auch nicht teilweise gerechtfertigt.

3. Hiergegen hat die Beschwerdeführerin fristgemäß beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 6 Abs. 1 GG.

Der Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG stelle nicht nur die intakte, sondern auch die geschiedene Ehe unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Das eheliche Pflichtenverhältnis werde durch Trennung und Scheidung verändert, nicht jedoch beendet. Dies sei bei der Auslegung des § 1587 c Nr. 1 BGB zu berücksichtigen. Danach müsse die Pflichtverletzung des Ehegatten für den anderen Ehegatten so belastend gewesen sein, dass die ungekürzte Durchführung des Versorgungsausgleichs unerträglich erscheine. Diesen Vorgaben werde der angegriffene Beschluss nicht gerecht.

Das Oberlandesgericht versuche, durch eine von persönlichen Vorurteilen geprägte Auslegung des § 1587 c Nr. 1 BGB die Verschuldensscheidung auf indirektem Wege wieder einzuführen.

Es habe einseitig nur Umstände zu Lasten der Beschwerdeführerin berücksichtigt. Die erste Beziehung der Beschwerdeführerin hätte unabhängig von ihrer Dauer schon deshalb nicht berücksichtigt werden können, weil der Ehemann auch nach dem bekannt werden dieser Beziehung an der Ehe festgehalten habe. Auch das erneute Eingehen einer Fremdbeziehung habe nicht in die Erwägungen einbezogen werden dürfen, weil dieses zur Scheidung der Ehe geführt habe. Das Oberlandesgericht habe demgegenüber vollständig übergangen, dass Kindererziehung und Kinderbetreuung ausschließlich und unbeanstandet in den Händen der Beschwerdeführerin gelegen hätten.

4. Das Bundesverfassungsgericht hat der Gegenseite des Ausgangsverfahrens, dem Bundesgerichtshof sowie der Landesregierung von Niedersachsen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts gemäß § 93 b BVerfGG zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin aus Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Der Verfassungsbeschwerde ist gemäß § 93 c Abs. 1 BVerfGG stattzugeben, denn sie ist offensichtlich begründet.

1. Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen insbesondere der gemeinsamen Berechtigung der Eheleute auch nach Trennung und Scheidung am in der Ehe erworbenen Vermögen (vgl. BVerfGE 53, 257 <293 ff.>) wie auch der Anwendung der Härtefallklausel des § 1587 c BGB zur Vermeidung verfassungswidriger Ergebnisse des Versorgungsausgleichs (vgl. BVerfGE 66, 324 <330>) hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.

2. Die angegriffene Entscheidung verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG.

a) Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG schützt die Ehe als eine Lebensgemeinschaft gleichberechtigter Partner (vgl. BVerfGE 10, 59 <66 f.>; 35, 382 <408>). Die Ehegatten können ihre persönliche und wirtschaftliche Lebensführung in gemeinsamer Verantwortung bestimmen und dabei insbesondere selbstverantwortlich darüber entscheiden, wie sie untereinander die Familien- und Erwerbsarbeit aufteilen wollen (vgl. BVerfGE 57, 361 <390>; 61, 319 <347>; 66, 84 <94>; 68, 256 <268>). Dabei sind die jeweiligen Leistungen, die die Ehegatten im Rahmen ihrer innerfamiliären Arbeitsteilung erbringen, als grundsätzlich gleichwertig anzusehen. Haushaltsführung und Kinderbetreuung haben für das gemeinsame Leben der Ehepartner keinen geringeren Wert als das Erwerbseinkommen des berufstätigen Ehegatten (vgl. BVerfGE 66, 324 <330>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 5. Februar 2002, 1 BvR 105/95 u.a., amtlicher Umdruck, S. 18). Aus Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG folgt in diesem Zusammenhang, dass beide Eheleute gleichermaßen an dem in der Ehe erworbenen Vermögen berechtigt sind (vgl. BVerfGE 53, 257 <296>). Deshalb dürfen die während der Ehe nach Maßgabe der von den Ehegatten vereinbarten Arbeitsteilung erwirtschafteten Versorgungsanrechte nach der Scheidung gleichmäßig auf beide Partner verteilt werden (vgl. BVerfGE 53, 257 <296>). Der Versorgungsausgleich dient ebenso wie der Zugewinnausgleich der Aufteilung von gemeinsam erwirtschafteten Vermögen der Eheleute, welches nur wegen der in der Ehe gewählten Aufgabenverteilung einem der Ehegatten rechtlich zugeordnet war (vgl. BGH, NJW 1990, S. 2746). Dabei korrespondiert mit der Rechtfertigung des Eingriffs in die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechtspositionen des ausgleichsverpflichteten Ehegatten durch Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG ein verfassungsrechtlicher Anspruch aus eben diesen Grundrechten auf gleiche Teilhabe am in der Ehe erworbenen Vermögen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Februar 2002, 1 BvR 105/95 u.a., a.a.O., S. 19).

In diesem Zusammenhang hat die Härtefallklausel des § 1587 c Nr. 1 BGB die Funktion eines Gerechtigkeitskorrektivs. Sie soll als Ausnahmeregelung eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Entscheidung in solchen Fällen ermöglichen, in denen die schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs zur "Prämierung" einer groben Verletzung der aus der ehelichen Gemeinschaft folgenden Pflichten führen (vgl. BVerfGE 53, 257 <298>) oder gegen die tragenden Prinzipien des Versorgungsausgleichs verstoßen würde (vgl. BVerfGE 66, 324 <331>). Bei der Auslegung des Merkmales der "groben Unbilligkeit" in § 1587 c Nr. 1 BGB ist daher zu beachten, dass es Zweck dieser Vorschrift ist, solche mit der Durchführung des Versorgungsausgleichs verbundenen Eingriffe in die durch Art. 14 Abs. 1 GG bzw. 33 Abs. 5 GG geschützten Rechte des Ausgleichsverpflichteten zu vermeiden, die nicht mehr durch Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG gerechtfertigt sind. Die Vorschrift kann daher nicht dazu herhalten, jegliches eheliches Fehlverhalten durch einen Ausschluss oder eine Beschränkung des Versorgungsausgleichs zu sanktionieren. Ihre Auslegung hat sich vielmehr an der gesetzgeberischen Zielsetzung des Versorgungsausgleichs insgesamt zu orientieren. Soll die Norm die gleichberechtigte Teilhabe der Eheleute an dem in der Ehe erworbenen Versorgungsvermögen verwirklichen und dem Ehegatten, der insbesondere wegen der Aufteilung der Erwerbs- und Familienarbeit in der Familie keine eigenen Versorgungsanwartschaften hat aufbauen können, eine eigene Versorgung verschaffen (vgl. BTDrucks 7/4361, S. 43), muss sich das Vorliegen einer groben Unbilligkeit, wie auch der Wortlaut von § 1587 c Nr. 1 BGB zeigt, aus den beiderseitigen Verhältnissen der Eheleute ergeben. Es bedarf daher einer Würdigung aller Umstände, die die Verhältnisse der Eheleute in Ansehung des Versorgungsausgleichs prägen.

b) Diesen Maßstäben wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Das Oberlandesgericht hat bei der Prüfung, ob eine grobe Unbilligkeit im Sinne von § 1587 c Nr. 1 BGB vorliegt, die beiderseitigen Verhältnisse der Eheleute nicht umfassend gewürdigt und dabei wesentliche Umstände außer Acht gelassen. Darüber hinaus hat das Oberlandesgericht zur Begründung des Ausschlusses des Versorgungsausgleichs ein persönliches Fehlverhalten der Beschwerdeführerin herangezogen, ohne dass sich aus den Feststellungen in der angegriffenen Entscheidung hinreichend deutlich ergibt, dass sich dieses Verhalten entscheidend auf die beiderseitigen Verhältnisse der Eheleute ausgewirkt hat. Letztlich lassen die Entscheidungsgründe nicht erkennen, dass das Oberlandesgericht hinreichend geprüft hat, ob nicht schon eine Kürzung des Versorgungsausgleichs den etwaigen Eintritt einer unbilligen Härte hätte vermeiden können.

aa) Das Oberlandesgericht hat insbesondere den für das Entstehen des Ausgleichsanspruchs entscheidenden Beitrag der Ehefrau nicht in der durch Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG gebotenen Weise berücksichtigt, sondern völlig unbeachtet gelassen. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin in der gesamten Ehezeit von 1958 bis 1993 den Haushalt für ihren Ehemann geführt und die Erziehung der Kinder übernommen hat, hat in die Bewertung der beiderseitigen Verhältnisse keinen Eingang gefunden. Nur durch diese Arbeitsteilung war es aber dem Ehemann überhaupt möglich, die Anwartschaften in dem vorhandenen erheblichen Umfang zu erwerben. Dies spiegelt sich auch in dem starken Gefälle zwischen den beiderseitig erworbenen Anwartschaften deutlich wider. Es ist den Entscheidungsgründen des weiteren nichts dazu zu entnehmen, dass es etwa Anhaltspunkte dafür gegeben hat, die Beschwerdeführerin sei ihren Pflichten nicht in hinreichender Art und Weise nachgekommen. Soweit das Oberlandesgericht in diesem Zusammenhang ausführt, die Beschwerdeführerin habe auch in den Zeiten der Kindererziehung wegen ihres Fehlverhaltens nicht darauf vertrauen dürfen, durch den Versorgungsausgleich gesichert zu werden, ist dies für die Beurteilung der Frage, ob mit der Durchführung des Versorgungsausgleichs eine grobe Unbilligkeit für den Ausgleichsverpflichteten verbunden ist, ohne Belang. Auf ein Vertrauen und dessen Schutzwürdigkeit kommt es beim Versorgungsausgleich nicht an, zumal Verschuldensmomente nach der Eherechtsreform im geltenden Eherecht keine Berücksichtigung mehr finden.

bb) Soweit das Oberlandesgericht die beiderseitigen Verhältnisse der Eheleute berücksichtigt hat, hat es lediglich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt gewürdigt, dass diese durch eigenes Vermögen und Einkommen anderweitig gesichert und deshalb die Durchführung des Versorgungsausgleichs für sie nicht erforderlich sei.

Dies widerspricht Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG, aber auch dem Wortlaut und Normzweck von § 1587 c Nr. 1 BGB. Der Versorgungsausgleich verwirklicht für den Fall der Scheidung die grundsätzlich gleiche Berechtigung der Eheleute am in der Ehe erworbenen Versorgungsvermögen. Er ist dabei grundsätzlich auch nicht dadurch bedingt, dass der ausgleichsberechtigte Ehegatte auf die Übertragung der Anwartschaften angewiesen ist (vgl. BTDrucks 7/650, S. 162). Umgekehrt unterliegt die Durchführung des Versorgungsausgleichs auch dann keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn er dazu führt, dass der Verpflichtete aufgrund der Kürzung seiner Anwartschaften auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sein wird (vgl. BVerfGE 53, 257 <298 f.>). Erst wenn die Durchführung des Versorgungsausgleichs unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände, wozu bei atypischen Vermögenslagen auch eine anderweitige Sicherung des Ausgleichberechtigten bei besonderer Bedürftigkeit des Verpflichteten gehören kann, zu einem insgesamt nicht mehr dem Grundsatz der hälftigen Berechtigung der Eheleute am gemeinsam in der Ehezeit erwirtschafteten Vermögen entsprechenden Ergebnis führt, kann die Härtefallklausel zur Vermeidung grundrechtswidriger Ergebnisse herangezogen werden. Dies setzt jedoch zwingend auch eine Prüfung der Situation des Ausgleichsverpflichteten unter Berücksichtigung der Folgen voraus, die die Durchführung des Versorgungsausgleichs für ihn hat.

Der danach erforderlichen Prüfung der Verhältnisse des Ehemannes der Beschwerdeführerin hat sich das Oberlandesgericht jedoch verschlossen, denn es hat im Rahmen der Prüfung von § 1587 c Nr. 1 BGB weder Feststellungen zu seinen Vermögensverhältnissen getroffen noch hat es geprüft, welche Auswirkungen die Durchführung des Versorgungsausgleichs auf seine Altersversorgung hätte.

cc) Das Oberlandesgericht hat zur Begründung des vollständigen Ausschlusses des Versorgungsausgleichs ein persönliches Fehlverhalten der Beschwerdeführerin herangezogen und hierzu ausgeführt, auch ein solches Verhalten lasse die Durchführung des Versorgungsausgleichs dann als grob unbillig erscheinen, wenn es schuldhaft erfolgt sei und den Ausgleichsverpflichteten in besonderem Maße beeinträchtigt habe. Soweit das Oberlandesgericht hierfür auf die erste langjährige außereheliche Beziehung der Beschwerdeführerin abgestellt hat, fehlt es an Feststellungen dazu, ob dieses Fehlverhalten den Ehemann in dem vom Oberlandesgericht angenommenen besonderen Maße beeinträchtigt, dass es die Annahme einer groben Unbilligkeit rechtfertigen könnte. Hierzu bedurfte es schon deshalb besonderer Feststellungen, weil die Ehe auch nach der Beendigung dieses Verhältnisses jedenfalls bis zur Aufnahme der neuerlichen Beziehung im Jahre 1993 aufrechterhalten wurde. Das Oberlandesgericht hat in diesem Zusammenhang unterstellt, die außereheliche Beziehung sei dem Ehemann seit 1984 bekannt gewesen. Davon ausgehend hätte in besonderem Maße Anlass bestanden darzulegen, in welcher Hinsicht dieses erste außereheliche Verhältnis den Ehemann in einem solchen Maße beeinträchtigt hat, dass es die Durchführung des Versorgungsausgleichs zum Zeitpunkt der Scheidung im Jahre 1995 hat grob unbillig erscheinen lassen.

Im Hinblick auf das weitere außereheliche Verhältnis, welches nach den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils zur Trennung und Scheidung der Parteien geführt hat, lässt der Beschluss nicht erkennen, weshalb dieser Umstand unbeschadet von § 1587 c Nr. 1 2. Halbsatz BGB zur Begründung des Ausschlusses des Versorgungsausgleichs hat herangezogen werden können.

Auch die vom Oberlandesgericht herangezogene "innere Abwendung" der Beschwerdeführerin ist im Rahmen des Versorgungsausgleichs unerheblich, da dieser nicht als Belohnung für eheliche Treue dienen soll, sondern die Abwicklung und Aufteilung einer Vermögensgemeinschaft bewirken soll.

dd) Letztlich hat das Oberlandesgericht unter Hinweis auf das eheliche Fehlverhalten der Beschwerdeführerin die Notwendigkeit eines vollständigen Ausschlusses des Versorgungsausgleichs angenommen, ohne dass die angegriffene Entscheidung die erforderliche Begründung erkennen lässt, weshalb nicht schon eine teilweise Kürzung hätte ausreichend sein können, um eine mit der Durchführung des Versorgungsausgleichs verbundene grobe Unbilligkeit zu vermeiden.

III.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.






BVerfG:
Beschluss v. 20.05.2003
Az: 1 BvR 237/97


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