Bundespatentgericht:
Beschluss vom 26. Oktober 2000
Aktenzeichen: 23 W (pat) 3/99

(BPatG: Beschluss v. 26.10.2000, Az.: 23 W (pat) 3/99)

Tenor

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluß des Deutschen Patentamtes - Prüfungsstelle für Klasse H 05 K - vom 13. August 1998 aufgehoben.

Das Patent 195 11 309 wird mit folgenden Unterlagen erteilt:

Patentansprüche 1 bis 9 und Beschreibung Spalten 1 und 2 sowie Seiten 1a und 1b in der in der mündlichen Verhandlung überreichten Fassung, Beschreibung Spalte 3 bis Spalte 7 und Zeichnung Figuren 1 bis 7 in der offengelegten Fassungmit der Maßgabe, daß in der Beschreibung Spalte 4 Zeile 40 das Bezugszeichen (20) durch (70) ersetzt wird.

Bezeichnung: Tisch- oder Wandgehäuse einer Türsprechanlage oder eines Telefonapparates mit einer als LCD-Bildschirm ausgebildeten Anzeigevorrichtung Anmeldetag: 28. März 1995 Priorität: 19. April 1994 (DE 44 13 131.3).

Gründe

I Die vorliegende Patentanmeldung ist mit der Bezeichnung "Gehäuse mit einer Anzeigevorrichtung" am 28. März 1995 unter Inanspruchnahme der inländischen Priorität vom 19. April 1994 (Aktenzeichen: DE 44 13 131.3) beim Deutschen Patentamt eingereicht worden.

Mit Beschluß von 13. August 1998 hat die zuständige Prüfungsstelle für Klasse H 05 K des Deutschen Patentamtes die Anmeldung zurückgewiesen.

Die Prüfungsstelle hat ihre Entscheidung damit begründet, daß die europäische Patentschrift 0 020 866 auf alle Merkmale des Gegenstandes des damaligen Patentanspruchs 1 lesbar sei, wobei der Fachmann eine Anzeigevorrichtung üblicherweise mitlese, und daß der Gegenstand nach dem Patentanspruch 1 somit nicht neu sei.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

In der mündlichen Verhandlung hat die Anmelderin neue Ansprüche 1 bis 9 mit angepaßter Beschreibungseinleitung überreicht und die Auffassung vertreten, daß dem Gegenstand des neugefaßten Patentanspruchs 1 der nachgewiesene Stand der Technik, einschließlich der im Prüfungsverfahren noch ermittelten US-Patentschriften 5 168 426 und 5 257 164, der britischen Patentschrift 951 727 sowie der von der Anmelderin selbst genannten US-Patentschrift 5 021 922, nicht patenthindernd entgegenstehe.

Die Anmelderin beantragt, den Beschluß des Deutschen Patentamts - Prüfungsstelle für Klasse H 05 K - vom 13. August 1998 aufzuheben und das Patent 195 11 309 mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1 bis 9 und Beschreibung Spalten 1 und 2 sowie Seiten 1a und 1b, in der in der mündlichen Verhandlung überreichten Fassung, Beschreibung Spalte 3 bis Spalte 7 und Zeichnung Figuren 1 bis 7 in der offengelegten Fassung mit der Maßgabe, daß in der Beschreibung Spalte 4 Zeile 40 das Bezugszeichen (20) durch (70) ersetzt wird.

Der geltende Patentanspruch 1 hat nach einer Richtigstellung des Bezugszeichens für den Schlitten in Zeile 13 folgenden Wortlaut:

"Tisch- oder Wandgehäuse einer Türsprechanlage oder eines Telefonapparates mit einer als LCD-Bildschirm ausgebildeten Anzeigevorrichtung (31), die mittels einer Halterung (30) an einem Gehäuseteil (10) befestigt ist, wobei die Halterung (30) um eine Achse schwenkbar an einer Drehlagerung (11) gehalten ist, an der die Halterung (30) zusammen mit der Anzeigevorrichtung (31) mittels einer Stellvorrichtung (70) in mindestens zwei Einstellpositionen gegenüber dem Gehäuseteil (10) verstellbar ist, wobei die Stellvorrichtung (70) mit einem Haltestück (55) an die Halterung (30) angeschlossen ist, wobei die Angriffsposition des Haltestücks (55) an der Halterung (30) gegenüber der durch die Drehlagerung (11) gebildeten Drehachse zum Bilden eines Hebels versetzt ist, wobei die Stellvorrichtung (70) einen Schlitten (50) und eine Schlittenhalterung (60) aufweist, wobei der Schlitten (50) das Haltestück (55) trägt, wobei der Schlitten (50) mittels der Schlittenhalterung (60) an dem Gehäuseteil (10) gehalten ist, wobei die Schlittenhalterung (60) an dem Gehäuseteil festgeschraubt ist, und wobei die Stellvorrichtung (70) auf der einem Benutzer abgekehrten Rückseite des Gehäuseteils (10) befestigt ist."

Zu den Unteransprüchen 2 bis 9 und bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Die Beschwerde ist zulässig und auch begründet, denn der Gegenstand des nunmehr geltenden Patentanspruchs 1 erweist sich nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung als patentfähig.

1) Sämtliche Patentansprüche sind zulässig, denn alle Anspruchsmerkmale sind für den Durchschnittsfachmann - einen mit der Anordnung von Anzeigevorrichtungen in Tisch- oder Wandgehäusen von Türsprechanlagen oder Telefonapparaten befaßten Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik mit Fachhochschulabschluß - aus der Gesamtheit der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart herzuleiten.

Der geltende Anspruch 1 stützt sich im wesentlichen auf den ursprünglichen Anspruch 1, wobei die Spezifizierung auf ein Tisch- oder Wandgehäuse einer Türsprechanlage oder eines Telefonapparates mit einer als LCD-Bildschirm ausgebildeten Anzeigevorrichtung im 2. Absatz der ursprünglichen Beschreibung offenbart ist. Die Festschraubung der Schlittenhalterung und somit die Befestigung der ganzen Stellvorrichtung an der dem Benutzer abgekehrten Rückseite des Gehäuseteils, an dem die Halterung für die Anzeigevorrichtung befestigt ist, geht zurück auf den ursprünglichen Patentanspruch 4 sowie die Ausführungsbeispiele gemäß den Figuren 2, 3 und 7, vergleiche ursprüngliche Beschreibung insbesondere Figurentitel auf Seite 6 in Verbindung mit dem die Seiten 9 und 10 überbrückenden Absatz bzw. dem 2. Absatz auf Seite 11.

Die Unteransprüche 2 bis 9 gehen inhaltlich auf die ursprünglichen Ansprüche 2 bis 9 zurück.

2) Die Patentanmeldung geht nach den Angaben der Anmelderin in der Beschreibungseinleitung von einem üblichen Tisch- oder Wandgehäuse einer Türsprechanlage oder eines Telefonapparates aus. Solche Gehäuse sind zweiteilig, wobei das obere Gehäuseteil eine als LCD-Bildschirm ausgebildete Anzeigevorrichtung trägt. Bei solchen Gehäusen ist es nachteilig, daß abhängig von der Blickposition eines Benutzers und der Intensität und Richtung des Lichteinfalls die Darstellung auf der Anzeigevorrichtung nicht mehr ablesbar ist.

Zwar wurde im Stand der Technik eine verstellbare Anzeigevorrichtung vorgeschlagen, jedoch ist deren Aufbau für eine hinreichend sichere Arretierung der Anzeigevorrichtung kompliziert und aufwendig.

Es ist daher Aufgabe der Erfindung, ein Gehäuse der vorstehend genannten Art zu schaffen, bei dem mit geringem Aufwand die Anzeigevorrichtung sicher festgelegt werden kann, vergleiche Beschreibung Spalte 1, Zeilen 32 bis 35.

Die Lösung dieses Problems ist im einzelnen im Patentanspruch 1 angegeben.

Hierbei kommt es wesentlich darauf an, daß die aus einem Schlitten mit Haltestück und einer Schlittenhalterung bestehende, zum Verstellen der Halterung der Anzeigevorrichtung vorgesehene Stellvorrichtung auf der einem Benutzer abgekehrten Rückseite des die Halterung tragenden Gehäuseteils befestigt ist, wobei dem Anspruchswortlaut zufolge mit der dem Benutzer abgekehrten Rückseite des Gehäuseteils eine dem Benutzer zugekehrte Vorderseite zwingend vorausgesetzt wird, aus der die dem Benutzer zugekehrte Anzeigevorrichtung herausverstellt wird.

3) Der Anmeldungsgegenstand nach dem Patentanspruch 1 ist gegenüber dem nachgewiesenen Stand der Technik neu (PatG § 3).

Die europäische Patentschrift 0 020 866 betrifft ein tragbares Koffergerät zur Prüfung von Datenverarbeitungssystemen, bei dem nach der dortigen Figur 1 das Logikteil (1) als Halterung für die Bedienfront (17) umgedeutet werden kann, während die Kulissenführung (4), die aus dem am Koffer (3) angelenkten Führungsstab, der an dem Führungsstab längsverschieblichen Klammer und dem am Logikteil (1) angebrachten drehbaren Gegenstück zur verschieblichen Klammer besteht, jeweils als Stellvorrichtung (Kulissenführung 4), als Gehäuseteil (Koffer 3), als Schlitten (Klammer) und als Haltestück (Gegenstück zur Klammer) ausgelegt werden kann - wie es die Prüfungsstelle in ihrem Beschluß getan hat. Jedoch weist dieses Gerät keine als LCD-Bildschirm ausgebildete Anzeigevorrichtung auf und die Stellvorrichtung (4) ist nicht auf der einem Benutzer abgekehrten Rückseite des Gehäuseteils (3) befestigt, vergleiche die einzige Figur in Verbindung mit dem zugehörigen Text.

Daher ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber der Vorrichtung nach dieser Entgegenhaltung neu.

Die US-Patentschrift 5 168 426 betrifft einen verschiebbaren Gelenkmechanismus zwischen dem Gehäuseteil (housing 11) und der Halterung (panel 12) einer innenseitig angebrachten Anzeigevorrichtung (display 12a) eines tragbaren Computers. Die zugehörige Stellvorrichtung (hinge mechanism including slide mechanism) weist zwar einen Schlitten (split foot 22) auf, jedoch ist an diesem kein Haltestück (mounting block 23) ausgebildet, dessen Angriffsposition an der Halterung (12) zu der Drehachse versetzt ist, da dort das Haltestück (23) unmittelbar drehbar um die Drehachse der Halterung (12) befestigt ist, vergleiche dort insbesondere die Figuren 3A, B und 4A, B, C mit zugehöriger Beschreibung. Die Arretierung dieser Stellvorrichtung selbst erfolgt aufgrund einer speziellen Dimensionierung der Federn (spring pin 21), vergleiche Figur 5 in Verbindung mit der Beschreibung Spalte 4, 1. Absatz.

Somit ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 auch gegenüber dieser Druckschrift neu.

Die von der Anmelderin selbst genannte US-Patentschrift 5 021 922 betrifft einen tragbaren Personal-Computer, dessen in Figur 5A dargestellte Stellvorrichtung überhaupt keinen Schlitten aufweist, da diese Stellvorrichtung aus über ein mit hohen Reibungskräften beaufschlagten Gelenk verbundenen Hebelarmen (first member 53, second member 54) besteht, vergleiche dort die Figur 5A mit zugehöriger Beschreibung.

Daher ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 auch gegenüber dieser Entgegenhaltung neu.

Die übrigen im Verfahren genannten Entgegenhaltungen betreffen zwar Stellvorrichtungen für Anzeigevorrichtungen, bei denen die Stellpositionen durch Verrastungen arretiert werden, die jedoch keinen Schlitten zur Positionseinstellung der Halterung aufweisen, vergleiche in der britischen Patentschrift 951 727 die Figuren 1 und 2 mit zugehörigem Beschreibungstext und in der US-Patentschrift 5 257 164 die Figuren 1 und 2 in Verbindung mit der Beschreibung, besonders in Spalte 4, Zeilen 43 bis 46.

Somit ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 auch gegenüber diesen zuletzt genannten Entgegenhaltungen neu.

4) Der gewerblich anwendbare Gegenstand (PatG § 5) nach dem Patentanspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit (PatG § 4) des in Betracht zu ziehenden, vorstehend definierten Durchschnittsfachmanns.

Denn in keiner der genannten Druckschriften gibt es einen Hinweis darauf, die einen Schlitten mit Haltestück und eine Schlittenhalterung umfassende Stellvorrichtung auf der einem Benutzer abgekehrten Rückseite des Gehäuseteils festzuschrauben, so daß das vom Schlitten getragene Haltestück an der Halterung außerhalb der Drehachse der Halterung angreift.

Entsprechend der vorstehenden Deutung der einzelnen Bauteile des tragbaren Koffergerätes gemäß der europäischen Patentschrift 0 020 866 ist die Stellvorrichtung (Kulissenführung 4) an der dem Benutzer zugewandten inneren Bodenfläche des Gehäuseteils (Koffer 3) befestigt und insofern vermag diese Entgegenhaltung nicht dem Fachmann einen Hinweis darauf zu geben, die Stellvorrichtung auf der dem Benutzer abgekehrten Rückseite des Gehäuseteils (3) zu befestigen.

Der tragbare Computer nach der US-Patentschrift 5 168 426 umfaßt zwar ein Gehäuseteil (housing 11), das eine dem Benutzer zugewandte, eine Bedientastatur (keyboard 13) tragende Vorderseite sowie dem Benutzer abgekehrte Rückseite des Gehäuseteils (11) aufweist, wo das Gleitstück (slide piece 20) mit dem Schlitten (split foot 22) entlang der rückseitig angeordneten Schiene (track 18) geführt wird, jedoch greift das Haltestück (mounting block 23) direkt an der Drehachse der Halterung (panel 12) an und ist nicht zu dieser versetzt, so daß kein Hebel gebildet werden kann, vergleiche dort insbesondere die Figuren 3A, B und 4A, B, C mit zugehöriger Beschreibung.

Daher vermag auch diese Druckschrift nicht, den Fachmann zur Ausgestaltung eines Tisch- und Wandgehäuses mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 anzuregen.

Schließlich offenbaren auch die übrigen im Verfahren genannten Druckschriften nicht, daß die Stellvorrichtung an der vom Benutzer abgekehrten Rückseite des die Halterung mit Anzeigevorrichtung tragenden Gehäuseteils befestigt ist, so daß diese Druckschriften den Fachmann ebensowenig zur Lehre des Patentanspruchs 1 anregen können, vergleiche in der US-Patentschrift 5 021 922 das als offenes Kofferteil ausgebildete Gehäuseteil mit den Seiten (23, 26, 27, 28) gemäß den Figuren 1 und 2 mit zugehöriger Beschreibung, das die Stellvorrichtung auf der dem Benutzer zugekehrten Rückseite back surface 26 des Gehäuseteils trägt; vergleiche in der US-Patentschrift 5 257 164, Figuren 1 und 2 das Gehäuseteil (24), auf dessen dem Benutzer zugewandter Vorderseite die Rastaussparungen (adjustment bar groups 64, 66) angeordnet sind; und vergleiche schließlich in der britischen Patentschrift 951 727, Figuren 1 und 2, denen zufolge die Stellvorrichtung in keinem Bezug zu einem die Halterung tragenden Gehäuseteil steht.

Das Tisch- oder Wandgehäuse einer Türsprechanlage oder eines Telefonapparates nach dem geltenden Anspruch 1 ist somit patentfähig.

5) An den Patentanspruch 1 können sich die auf ihn zurückbezogenen Unteransprüche 2 bis 9 anschließen, denn sie haben vorteilhafte und nicht selbstverständliche Ausführungsformen des Tisch- oder Wandgehäuses einer Türsprechanlage oder eines Telefonapparates nach dem Anspruch 1 zum Gegenstand; ihre Patentfähigkeit wird von derjenigen des Gegenstandes des Hauptanspruchs mitgetragen.

6) Die geltende Beschreibung erfüllt die an sie zu stellenden Anforderungen hinsichtlich der Wiedergabe des maßgeblichen Standes der Technik und bezüglich der Erläuterung des beanspruchten Tisch- oder Wandgehäuses einer Türsprechanlage oder eines Telefonapparates in Verbindung mit der Zeichnung.

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BPatG:
Beschluss v. 26.10.2000
Az: 23 W (pat) 3/99


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