Oberlandesgericht München:
Beschluss vom 6. September 2012
Aktenzeichen: 34 AR 324/12

(OLG München: Beschluss v. 06.09.2012, Az.: 34 AR 324/12)

Tenor

I. Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Frankfurt am Main.

II. Der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 11. Juni 2012 wird aufgehoben.

Gründe

I.

Die Klägerin, eine Handelsgesellschaft, begehrt mit ihrer Klage zunächst im Mahnbescheidsweg verfolgte Ansprüche auf Schadensersatz (§ 97 Abs. 1 UrhG) infolge einer Urheberrechtsverletzung durch den Beklagten. Die Klägerin ist ein kartographischer Verlag, der Stadt- und Landkreiskarten sowie Atlanten zum Zweck der Werbung herstellt. Sie unterhält unter einer inländischen Internetadresse eine Homepage, über die man kostenfrei verschiedene Stadt-, Kreis- und Spezialkarten aufrufen kann, die detaillierte Suchmöglichkeiten eröffnen. Mit ihrer Anspruchsbegründung vom 23.3.2012 behauptet sie eine unberechtigte Verwendung einer Internet-Kartographie, die der Beklagte von ihrer Homepage herunterkopiert und auf seine eigene Internetseite eingestellt habe.

Die Anspruchsbegründung weist als Sitz der Klägerin Mering im Amtsgerichtsbezirk Aichach/Landgerichtsbezirk Augsburg aus. Nach den dem Schriftsatz beigefügten Unterlagen (K 1 - K 7) unterhält sie hingegen ihren Geschäftssitz in München. Der Beklagte, der eine Fahrschule betreibt, ist in Frankfurt am Main wohnhaft. Die Zuständigkeit des ursprünglich angerufenen Amtsgerichts München (142 C 8559/12) stützte die Klägerin auf § 32 ZPO. Als Begehungsort komme grundsätzlich jeder Ort in Betracht, an dem die Internetseite des Verletzers bestimmungsgemäß aufgerufen werden könne. Eine örtliche Beschränkung sei nicht gegeben. Begehungsort der streitgegenständlichen Urheberrechtsverletzung sei daher zumindest auch München.

Das Amtsgericht München hat mit Beschluss vom 10.4.2012 darauf hingewiesen, dass es örtlich unzuständig sei. Die Zuständigkeit nach § 32 ZPO setze voraus, dass die Homepage bestimmungsgemäß aus dem Bezirk des Amtsgerichts München heraus aufgerufen werde. Das sei bei einer in Frankfurt am Main ansässigen Fahrschule nicht der Fall. Das Amtsgericht hat nach Anhörung des Beklagten und auf Antrag der Klägerin mit Beschluss vom 27.4.2012 sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Frankfurt am Main verwiesen. Es hat sich auf § 281 Abs. 1 ZPO sowie die eigene Unzuständigkeit nach § 32 ZPO und auf die Zuständigkeit des Amtsgerichts Frankfurt am Main aus §§ 12, 13 ZPO i.V.m. § 105 UrhG berufen.

Das Amtsgericht Frankfurt am Main hält sich seinerseits für unzuständig. Es hat sich mit Beschluss vom 11.6.2012 dementsprechend für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht München zurückverwiesen. Es hält den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts München für willkürlich. Es fehle eine nachvollziehbare Begründung für die Verweisung. Die eigene Zuständigkeit sei ohne nachvollziehbare Begründung verneint worden. Selbst bei einer kritischen Beleuchtung der Rechtsprechung zum sogenannten "fliegenden Gerichtsstand" hätte das Amtsgericht München unter keinem sachlichen Gesichtspunkt zur Verneinung der eigenen Zuständigkeit kommen dürfen. Denn es müsse berücksichtigt werden, dass der Gerichtsstand des angerufenen Gerichts jedenfalls dann erfüllt sei, wenn sich dieses mit (1) dem Sitz des Klägers oder (2) dem Sitz des Beklagten oder (3) dem Ort der Verletzung decke. Hier habe die Klägerin ihren Sitz in München. Diese habe ihr etwaiges Wahlrecht zwischen mehreren Gerichtsständen durch die Anrufung des Gerichts in München mit Klageerhebung ausgeübt. Die Stellungnahme der Parteien zum Verweisungsbeschluss sei nicht geeignet, die Entscheidung nach § 281 ZPO "zu rechtfertigen".

Mit Beschluss vom 20.8.2012 hat schließlich das Amtsgericht Frankfurt am Main die Sache dem Oberlandesgericht München zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

Auf die nach § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, § 37 ZPO zulässige Vorlage ist die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Frankfurt am Main auszusprechen. Die Zuständigkeit dieses Gerichts folgt daraus, dass das Amtsgericht Frankfurt am Main an den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts München vom 27.4.2012 gebunden ist (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Die Bindung bewirkt, dass sich das Amtsgericht Frankfurt am Main seinerseits nicht willkürfrei für örtlich unzuständig erklären und den Rechtsstreit an das Amtsgericht München zurückverweisen konnte.

1. Der Gesetzgeber hat in § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO die grundsätzliche Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen und deren Bindungswirkung angeordnet. Dies hat der Senat im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten, so dass der erste mit verfahrensrechtlicher Bindungswirkung erlassene Verweisungsbeschluss im Bestimmungsverfahren fortwirkt (etwa Zöller/Vollkommer ZPO 29. Aufl. § 36 Rn. 28). Der Gesetzgeber nimmt es hin, dass auch unrichtige oder verfahrensfehlerhaft ergangene Beschlüsse grundsätzlich binden und demnach selbst ein sachlich zu Unrecht ergangener Verweisungsbeschluss regelmäßig der Nachprüfung entzogen ist (siehe Zöller/Vollkommer aaO.). Nur ausnahmsweise tritt die Bindungswirkung dann nicht ein, wenn die Verweisung jeder Rechtsgrundlage entbehrt und daher willkürlich ist oder wenn sie auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht (BGHZ 102, 338/341 und st. Rspr.; siehe Zöller/Greger § 281 Rn. 17 und 17a). Als in diesem Sinne willkürlich und nicht bindend kann der Beschluss des Amtsgerichts München vom 27.4.2012 nicht beurteilt werden.

2. Das Amtsgericht München schränkt die Zuständigkeit nach § 32 ZPO dahin ein, dass die Homepage (des Beklagten) bestimmungsgemäß aus dem Bezirk des angerufenen Gerichts heraus aufgerufen werden müsse (vgl. hierzu etwa Deister/Degen NJOZ 2010, 1/4 f.). Es hält dies für eine im örtlichen Bereich tätige Fahrschule wie die des Beklagten für nicht gegeben. Dieser Schluss ist nachvollziehbar, weil es unüblich wäre, dass in der mehr als 400 km entfernt liegenden Stadt München wohnhafte Interessenten Leistungen einer in Frankfurt am Main ansässigen Fahrschule per Internet nachfragen. Bei dieser Sichtweise kommt es jedenfalls nicht auf die Internetseite der Klägerin und darauf an, wo diese bestimmungsgemäß abgerufen wird. Es mag sein, dass der Umfang des "fliegenden Gerichtsstands" in Rechtsprechung und Schrifttum sehr umstritten ist (siehe die Übersicht bei Deister/Degen aaO.; zur aktuellen Rechtsprechung: BGHZ 184, 313/318 ff.). Die Ansicht, ein ausreichender Bezug sei jedenfalls auch dann gegeben, wenn sich der (Wohn-) Sitz des Verletzten (Klägers) im Bezirk des angerufenen Gerichts (München) befindet, erscheint deshalb sicher gut vertretbar. Aber selbst wenn trotz der nicht eindeutig geklärten Verhältnisse für die Klägerin unterstellt wird, dass sie in München ansässig ist, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn das genannte Kriterium wird nicht durchwegs als maßgeblich und ausreichend angesehen (vgl. im Einzelnen Zöller/Vollkommer § 32 Rn. 17, Stichwort: Internetdelikt). Der Erfolgsort i.S.v. § 32 ZPO befindet sich nicht stets am (Wohn-) Sitz des Verletzten (BGH NJW 1977, 1590; vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 32. Aufl. § 32 Rn. 7). So hat es das Oberlandesgericht München (31. Zivilsenat; Beschluss vom 7.5.2009, 31 AR 132/09, bei juris) bei Internetdelikten unter dem Gesichtspunkt des § 281 ZPO nicht beanstandet, wenn das angerufene Gericht den "fliegenden Gerichtsstand der bestimmungsgemäßen Verbreitung" einschränkt und zusätzlich einen gewissen Ortsbezug bzw. die bestimmungsmäßige Auswirkung des Verstoßes im betreffenden Gerichtsbezirk fordert, ohne dabei auch den (Wohn-) Sitz der Klagepartei im Bezirk des angerufenen Gerichts als zuständigkeitsbegründend zu berücksichtigen. Stellt man aber verstärkt auf die bestimmungsgemäße Auswirkung des Verstoßes ab, muss es nicht zwangsläufig als ausreichend angesehen werden, wenn sich (wenigstens) der Klägersitz im angerufenen Gerichtsbezirk befindet.

3. Ein Verbrauch des Wahlrechts (§ 35 ZPO) durch Bezeichnung des Amtsgerichts München im Mahnbescheidsantrag (§ 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) ist nicht eingetreten. Denn durch die Angabe eines - aus der Sicht des angerufenen Gerichts - unzuständigen Gerichts kann ein Verbrauch des Wahlrechts nicht eintreten (siehe OLG München vom 7.5.2009).

Demgemäß hat es bei der Zuständigkeit des Amtsgerichts Frankfurt am Main zu verbleiben. Aus Gründen der Klarstellung wird dessen Beschluss vom 11.6.2012 aufgehoben.






OLG München:
Beschluss v. 06.09.2012
Az: 34 AR 324/12


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