Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. Februar 2002
Aktenzeichen: 8 W (pat) 77/99

(BPatG: Beschluss v. 19.02.2002, Az.: 8 W (pat) 77/99)

Tenor

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse A 01 F des Patentamts vom 23. September 1999 aufgehoben und das nachgesuchte Patent erteilt.

Bezeichnung: Selbstfahrender Mähdrescher Anmeldetag: 25. Februar 1994.

Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:

Patentansprüche 1 bis 6, Beschreibung Seiten 1 bis 4, 1 Blatt Zeichnungen, Figuren 1 bis 3, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung.

Gründe

I Die Patentanmeldung P 44 06 140.4-23 mit der Bezeichnung "Selbstfahrender Mähdrescher" ist am 25. Februar 1994 beim Patentamt eingegangen und von dessen Prüfungsstelle für Klasse A 01 F mit Beschluß vom 23. September 1999 aus Gründen des Bescheides vom 23. August 1999 gemäß § 48 PatG zurückgewiesen worden, nachdem die Anmelderin u.a. um Entscheidung nach Lage der Akten gebeten hatte. Die Prüfungsstelle hatte in dem genannten Bescheid die Auffassung vertreten, daß der Anmeldungsgegenstand gegenüber dem entgegengehaltenen Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Zum Stand der Technik waren die folgenden Druckschriften in Betracht gezogen worden:

EP 0 117 587 A1 DE-OS 19 11 073 GB 2 122 064 A.

Gegen den Zurückweisungsbeschluß hat die Anmelderin Beschwerde eingelegt.

Sie hat in der mündlichen Verhandlung neugefaßte Unterlagen (Patentansprüche 1 bis 6, Beschreibung Seiten 1 bis 4 und Zeichnungen (Fig. 1 bis 3)) eingereicht.

Der Patentanspruch 1 lautet:

"Selbstfahrender Mähdrescher mit einer rotierenden Nachdresch- und Trenneinrichtung, wobei letzterer ein plattenförmiger Sensor zugeordnet ist, auf welchem ein Teil der ausgeschiedenen Restkörner zur Erzeugung von elektrischen Signalen auftrifft zwecks Bestimmung der ausgeschiedenen Restkornmenge, dadurch gekennzeichnet, daß innerhalb der Bewegungsbahn des von der Nachdresch- und Trenneinrichtung ausgeworfenen Restkörnerstroms mindestens eine die aufprallenden Körner umleitende Prallfläche (8) und ein Sensor (5) angeordnet sind, wobei die räumliche Lage der Prallfläche (8) und des Sensors (5) so zueinander gewählt ist, daß der Restkörnerstrom zunächst auf die Prallfläche (8) trifft und dann in den tieferliegenden Wirkbereich des Sensors (5) fällt und wobei die Körner des Restkörnerstromes, die auf den Sensor (5) auftreffen annähernd dieselbe Geschwindigkeit aufweisen."

Wegen des Wortlauts der Unteransprüche 2 bis 6 wird auf die Akten Bezug genommen.

Die Anmelderin vertritt die Auffassung, es habe einer erfinderischen Tätigkeit bedurft, um zum Anmeldungsgegenstand nach dem Patentanspruch 1 zu gelangen.

Sie trägt vor, daß beim anmeldungsgemäßen Mähdrescher Körner, welche zunächst mit unterschiedlicher kinetischer Energie aus der Nachdresch- und Trenneinrichtung kommen, durch geeignete Mittel, nämlich eine Prallfläche, abgefangen und auf annähernd gleiche Geschwindigkeit gebracht werden. Mit einer annähernd gleichen Geschwindigkeit sollten die Körner dann erst auf dem Sensor (z.B. Echo-Sensor) auftreffen. Würden die Körner dort nämlich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten auftreffen, sei die Möglichkeit gegeben, daß Gutpartikel, welche mit geringer kinetischer Energie ankommen und demzufolge zu "leisen" Signalen führen, nicht mehr ausreichend detektiert werden würden und sich hinter "lauten Signalen", hervorgerufen durch Körner mit hoher kinetischer Energie", "verstecken" könnten, was zu Meßungenauigkeiten führen könne.

Der Stand der Technik nach der EP 0 117 587 A1 könne hierzu keine Anregung geben, weil die Sensorik bereits direkt im Auswurfbereich angeordnet sei, während im Falle des Standes der Technik nach der deutschen Offenlegungsschrift 19 11 073 (Fig 7A) bereits ein hinsichtlich der Geschwindigkeit der einzelnen Körner vergleichmäßigter Gutstrom vorliege, welcher einer weiteren Geschwindigkeitsangleichung in bezug auf seine Einzelpartikel nicht mehr bedürfe.

Die Anmelderin beantragt, den Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse A 01 F des Patentamts vom 23. September 1999 aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen.

Patentansprüche 1 bis 6, Beschreibung Seiten 1 bis 4, 1 Blatt Zeichnungen, Figuren 1 bis 3, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung.

II Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und in der Sache auch begründet.

Der Anmeldungsgegenstand stellt eine patentfähige Erfindung iSd PatG § 1 bis § 5 dar.

1. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist in den ursprünglichen Unterlagen als zum Anmeldungsgegenstand gehörend offenbart.

Der neugefaßte Anspruch 1 beruht auf dem ursprünglichen Anspruch 1. Mit der Formulierung "rotierende Nachdresch- und Trenneinrichtung" wird der Anwendungsbereich der anmeldungsgemäßen Lehre im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung beschrieben. In der ursprünglichen Beschreibung (z.B. S 3, 5. Abs.) wird ein im Axialfluß arbeitendes Nachdresch- und Trennwerk beispielhaft beschrieben, welches nach dem ursprünglichen Anspruch 1 lediglich "vorzugsweise" vorgesehen sein mußte. Somit waren auch andere rotierende Nachdresch- und Trenneinrichtungen von der ursprünglichen Offenbarung umfaßt.

Die ergänzten Merkmale bezüglich der räumlichen Lage der Prallfläche und des Sensors zueinander sowie bezüglich der Angleichung der Geschwindigkeit der einzelnen Körner des Restkörnerstromes vor Auftreffen auf dem Sensor finden ihre Stütze in der ursprünglichen Beschreibung, Seite 2, 3. Abs.

2. Die nachgeordneten Ansprüche 2 bis 6 beruhen auf den ursprünglichen Ansprüchen 2 bis 6 und sind daher ebenfalls zulässig.

3. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist neu.

Von den selbstfahrenden Mähdreschern mit rotierenden Nachdresch- und Trenneinrichtungen nach der EP 0 117 587 A1 und der GB 2 122 064 A unterscheidet sich der Anmeldungsgegenstand nach Anspruch 1 durch eine die aufprallenden Körner umleitende Prallfläche, auf die der Körnerstrom auftrifft, bevor er in den Wirkbereich des Sensors gelangt.

Der selbstfahrende Mähdrescher nach der deutschen Offenlegungsschrift 19 11 073 weist keine rotierende Nachdresch- und Trenneinrichtung im Sinne des Anmeldungsgegenstandes auf. Demgemäß ist auch eine Prallfläche innerhalb der Bewegungsbahn des von einer rotierenden Nachdresch- und Trenneinrichtung ausgeworfenen Restkörnerstromes im Sinne des Anmeldungsgegenstandes bei diesem Stand der Technik nicht vorgesehen.

4. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1, dessen gewerbliche Anwendbarkeit nicht in Zweifel steht, beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

4.1 Die Lehre des Patentanspruchs 1 besagt in ihrem Kern, daß bei einem selbstfahrenden Mähdrescher mit einer rotierenden Nachdresch- und Trenneinrichtung innerhalb der Bewegungsbahn des von der Nachdresch- und Trenneinrichtung ausgeworfenen Restkörnerstroms eine Prallfläche angeordnet ist, auf die die Körner des Restkörnerstroms zuerst auftreffen. Erst danach fallen die Körner in den tieferliegenden Wirkbereich des Sensors und treffen mit annähernd derselben Geschwindigkeit, d.h. ohne daß große Geschwindigkeitsunterschiede bei den einzelnen Körnern des Restkörnerstroms vorliegen, auf dem Sensor auf.

In diesem Zusammenhang wird in der Beschreibung (S. 1, 2. Abs.) ausgeführt, daß die Abhängigkeit der Signale von der Rotordrehzahl und den Geschwindigkeitsverhältnissen an der Auswurföffnung des Siebmantels der Nachdresch- und Trenneinrichtung zu falschen Meßergebnissen führt, so der Sensor direkt in der Bahn der ausgeworfenen Körner angeordnet ist.

Die mit Hilfe der anmeldungsgemäßen Lehre zu lösende Aufgabe wird demnach darin gesehen, eine gleichmäßige Auftreffenergie der einzelnen Körner auf den Sensor zu erreichen (S. 2, 2. Abs. d. Beschreibung).

Zur Lösung dieser Aufgabe wird sinngemäß zwischen der Auswurföffnung der rotierenden Nachdresch- und Trenneinrichtung und dem Sensor in der Wurfbahn der Körner eine Prallfläche angeordnet, auf die die einzelnen Körner des Gutstroms mit noch unterschiedlicher Geschwindigkeit zuerst auftreffen, um danach mit annähernd gleicher Geschwindigkeit auf den darunter liegenden Sensor zu fallen.

4.2 Durch die EP 0 117 587 A1 bzw. die GB 2 122 064 A ist ein selbstfahrender Mähdrescher mit einer rotierenden Nachdresch- und Trenneinrichtung (23, 25, 26 in Fig. 4 und 10 in der EP 0 117 587 A1 bzw. 4, 5 in Fig. 1 der GB 2 122 064 A) bekannt geworden, wobei der Nachdresch- und Trenneinrichtung ein plattenförmiger Sensor (136 in der EP 0 117 587 A1 bzw. 10 in der GB 2 122 064 A, Fig. 2) zugeordnet ist, auf welchem ein Teil der ausgeschiedenen Restkörner zur Erzeugung von elektrischen Signalen auftrifft zwecks Bestimmung der ausgeschiedenen Restkornmenge.

Die plattenförmigen Sensoren sind beim Stand der Technik nach der EP 0 117 587 A1 bzw. der GB 2 122 064 A direkt im Bereich der Auswurföffnung des Siebmantels, also in der Wurfbahn des dort abgeschleuderten Körnerstromes, angeordnet. Demnach konnte dieser Stand der Technik einem Fachmann, einem mit der Konstruktion von Erntemaschinen befaßten Fachhochschulingenieur des allgemeinen Maschinenbaus mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Mähdreschertechnik, keinerlei Hinweise zum Auffinden der anmeldungsgemäßen Lehre, nämlich der Zwischenschaltung einer den Restkörnerstrom umleitenden Prallfläche zwischen Auswurföffnung und Sensor, vermitteln.

Zu einem derartigen technischen Handeln konnte ein Fachmann auch durch den Stand der Technik nach der deutschen Offenlegungsschrift 19 11 073 nicht angeregt werden. Nach dem Ausführungsbeispiel gemäß Fig. 7 und 7A dieser Entgegenhaltung wird der Restkörnerstrom, welcher aus dem Rüttler (8) eines zweiten Reinigers (6) - dieser kann nicht als rotierende Nachdresch- und Trenneinrichtung angesprochen werden - nach unten herausfällt, einem Elevator (96) zugeführt. Dieser Elevator (96) besteht aus einem umlaufenden, mit Förderpaddeln bestückten Band, mit dem die Körner in einzelnen Portionen auf einem schräg nach oben führenden Weg auf das Niveau des Hauptkorntanks (98) angehoben werden (vgl Fig. 7). Am oberen Umkehrbereich des Elevators wird der Körnerstrom einem nach unten weisenden Fallschacht übergeben (Fig. 7A). Dort wird das körnige Gut im freien Fall vor dem Auftreffen auf einem Sensor (Ultraschallerzeuger (99)) über Ablenker (98A) geleitet (vgl. Fig. 7A). Bei diesem Vorgang wird der bislang portionierte Gutstrom wieder zusammengefaßt und als homogener Strom weitergeleitet. Anders als an der Auswurföffnung im Siebmantel einer rotierenden Nachdresch- und Trenneinrichtung weisen die einzelnen Körner im Umkehrbereich des Elevators und in dessen Fallschacht jeweils im wesentlichen dieselbe Geschwindigkeit auf, welche im übrigen weitaus geringer ist als diejenige von Körnern welche aus einer rotierenden Nachdresch- und Trenneinrichtung abgeschleudert werden. Demgemäß erfüllen die Ablenker (98A) in diesem Falle auch nicht die Funktion einer Prallfläche im Sinne des Anmeldungsgegenstandes nach Patentanspruch 1, denn die einzelnen Körner des Gutstroms im Elevator bewegen sich bereits mit im wesentlichen gleicher Geschwindigkeit, bevor sie auf die Ablenker gelangen. Somit mögen die Ablenker, die gemäß Beschreibung S. 16, Z. 17 bis 19 der deutschen Offenlegungsschrift 19 11 073 bewirken sollen, "daß die abgeworfenen Körner einen gewundenen Weg durchfallen", zwar den gesamten Gutstrom am freien Fall hindern und den Körnerstrom damit in seiner Geschwindigkeit insgesamt verlangsamen. Die Funktion und Wirkungsweise einer Prallfläche zur Abbremsung und Vereinheitlichung der Geschwindigkeit von Körnern, die mit ganz unterschiedlichen Geschwindigkeiten aus einer rotierenden Einrichtung heraus abgeschleudert werden, können die Ablenker im Fallschacht nach der deutschen Offenlegungsschrift 19 11 073 einem Fachmann indes weder vermitteln noch nahelegen. So war ein Fachmann auch unter Zuhilfenahme seines allgemeinen Fachwissens nicht dazu veranlaßt, derartige eine andere Funktion erfüllende Ablenker im Fallschacht eines Elevators nach der deutschen Offenlegungsschrift 19 11 073 in den Auswurfbereich einer rotierenden Nachdresch- und Trenneinrichtung nach der EP 0 117 587 A1 oder der GB 2 122 064 A zu übertragen.

Nach alledem ist der Gegenstand nach Anspruch 1 patentfähig und der Anspruch 1 somit gewährbar.

Mit diesem zusammen sind auch die Unteransprüche 2 bis 6 gewährbar, die auf vorteilhafte Ausgestaltungen eines Mähdreschers nach Anspruch 1 gerichtet sind.

Kowalski Viereck Dr. Huber Kuhn Cl






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