Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 26. Juni 2013
Aktenzeichen: 13 U 160/11

(OLG Köln: Urteil v. 26.06.2013, Az.: 13 U 160/11)

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22.7.2011 verkündete Urteil des Landgerichts Köln (90 O 15/10) abgeändert.

Die Klage wird, soweit sie auf Zahlung gerichtet ist, dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Die Entscheidung über die Kosten dieses Berufungsverfahrens bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin und die Beklagte sind Telekommunikationsunternehmen, die im Zusammenhang mit einer für die Zusammenschaltung des von der Klägerin betriebenen Mobilfunknetzes mit dem Festnetz der Beklagten geschlossenen Vereinbarung vom 26.6.2003 (Anlage K 1 zur Klageschrift; im Folgenden: Zusammenschaltungsvereinbarung) über das Bestehen von Vergütungsansprüchen der Klägerin für die Bereitstellung von Infrastrukturleistungen streiten. Mit der Zusammenschaltung wird die wechselseitige Zustellung von Anrufen in das jeweilige Telefonnetz ermöglicht. Mit einer Regulierungsverfügung vom 29.8.2006, fortgeführt am 5.12.2008, hat die Bundesnetzagentur festgestellt, dass die Klägerin über beträchtliche Marktmacht auf dem bundesweiten Vorleistungsmarkt für die Anrufzustellung (Terminierung) in ihr öffentliches Mobilfunktelefonnetz einschließlich der lokalen Weiterleitung verfügt und die Klägerin verpflichtet, Betreibern von öffentlichen Telefonnetzen die Zusammenschaltung mit ihrem Mobilfunktelefonnutz an ihrem Vermittlungsstellenstandort zu ermöglichen, über die Zusammenschaltung Verbindungen in ihr Netz zu terminieren und zu diesem Zweck Kollokation und jederzeitigen Zutritt für den Partner der Zusammenschaltungsvereinbarung zu gewähren. Darüber hinaus unterwirft die Regulierungsverfügung die Entgelte für die vorgenannten Leistungen der Genehmigungspflicht nach § 31 TKG.

Das von der Klägerin beanspruchte Entgelt betrifft die Bereitstellung und Überlassung sogenannter "Intra-Building-Abschnitte" sowie sogenannter "Kollokationsbereiche" für den Zeitraum vom 30.8.2006 bis zum 30.6.2010. Für den Folgezeitraum haben die Parteien eine Entgeltvereinbarung (datiert auf den 24.10.2010/25.1.2011; Anlage K 10) geschlossen. Für die Zeit ab dem 1.7.2010 begehrt die Klägerin demzufolge (nur) die Feststellung, dass eine Vergütungspflicht der Beklagten für die streitgegenständlichen Leistungen nach näherer Maßgabe des Feststellungsantrags besteht.

Nach Auffassung der Klägerin ergibt sich ihr Anspruch aus der Zusammenschaltungsvereinbarung in Verbindung mit § 37 Abs. 2 TKG. Die Zusammenschaltungsvereinbarung enthalte für die genannten Leistungen - bei denen es sich um vertraglich vereinbarte Hauptleistungen handele - zwar keine ausdrückliche Entgeltvereinbarung. Es handele sich aber nicht um einen bewussten Ausschluss einer Vergütung, vielmehr liege eine Regelungslücke vor, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen sei. Diese ergänzende Vertragsauslegung führe zu dem Ergebnis, dass sich die Beklagte an den Kosten der für die Terminierung (die Anrufzustellung) notwendigen Infrastruktur zu beteiligen habe. Bei richtigem Verständnis bestehe deshalb eine vertragliche Regelung, die auch die Bundesnetzagentur im "Vodafone-Beschluss" vom 23.11.2009 (Anlage K 6 zur Klage) zu Recht angenommen - und daraus auf die Unzulässigkeit einer Vereinbarungsergänzung nach § 25 TKG geschlossen - habe. Für die Klägerin ergebe sich daraus, dass sie rechtlos gestellt sei, wenn die Zivilgerichte anders als die Bundesnetzagentur nicht von einer einen Zahlungsanspruch begründenden Entgeltvereinbarung ausgehen würden. Der Zahlungsantrag umfasse die von ihr der Beklagten gegenüber erbrachten Bereitstellungs- und Überlassungsentgelte nach näherer Maßgabe der als Anlage K 4 zur Klageschrift überreichten und schriftsätzlich erläuterten Tabellen.

Das Landgericht, auf dessen Entscheidung wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes einschließlich der gestellten Anträge und der Einzelheiten der rechtlichen und tatsächlichen Würdigung Bezug genommen wird (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Klägerin ein Anspruch unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt zustehe. Ein vertraglicher Anspruch ergebe sich aus der Zusammenschaltungsvereinbarung weder ausdrücklich noch konkludent. Der Regelung in Teil 2 des Hauptteils des Vertrages (Ziffer 9; "Preise") sei eindeutig zu entnehmen, dass Vergütungsansprüche für Infrastrukturmaßnahmen nur zu Gunsten der Beklagten bestehen sollten, wie das Fehlen jeder Regelung eines solchen Vergütungsanspruchs der Klägerin, anders als der Beklagten, verdeutliche. Erzwingbare Leistungspflichten bestünden auf der Infrastrukturebene (also im Bereich der Herstellung der für den Betrieb erforderlichen Zusammenschaltungseinrichtungen) nur auf Seiten der Beklagten. Soweit an das Netz der Klägerin und deren sonstige technische Einrichtungen ihrerseits bestimmte Anforderungen gestellt würden, handele es sich - wie der Vertrag an mehreren Stellen ausdrücklich hervorhebe - um bloße unselbständige, als Obliegenheiten zu qualifizierende Mitwirkungspflichten, für die ein Vergütungsanspruch nicht bestehe.

Dieses Verständnis entspreche auch der erkennbaren Intention des Vertragswerkes, weil die Erbringung der Mitwirkungspflicht der Klägerin vornehmlich in deren Interesse gelegen habe. Dass nunmehr - nämlich seit dem 30.8.2006 - auch die Klägerin der Regulierung unterworfen sei, ändere daran nichts, weil eine rückwirkende Anpassung des Vertragswerks unter diesem Gesichtspunkt rechtlich nicht möglich sei. Ein Anspruch der Klägerin bestehe bei diesem Verständnis des Regelungsgehaltes der Vereinbarung auch nicht gemäß §§ 612 Abs. 2, 632 BGB. Auch ein Anspruch aus GOA scheide aus, weil die Klägerin nicht ohne Auftrag, sondern gemäß ihrer vertragsmäßigen Obliegenheit gehandelt habe.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Sie macht geltend, dass das Landgericht den Anwendungsbereich von § 37 Abs. 2 TKG verkannt habe. Entgegen der Auffassung des Landgerichts gelte diese Bestimmung unabhängig davon, ob die Leistungen der Klägerin als unselbständige Mitwirkungspflicht, als Obliegenheiten oder - wie es zutreffend sei - als selbstständige Leistungsbestandteile der Terminierungsleistungen aufzufassen seien. Bei zutreffender Bewertung stehe ihr eine Vergütung für die Terminierung einschließlich aller Leistungsbestandteile, also auch der streitgegenständlichen Leistungen, zu. § 37 TKG setze im Übrigen nicht voraus, dass überhaupt Entgelte vereinbart worden seien; sowohl ein Verzicht auf Entgelte wie die (implizite) Vereinbarung, dass für regulierte Leistungen kein Entgelt verlangt werden solle, erfülle den Tatbestand. Es gehe, da ein Entgelt erst für Leistungen ab dem 30.8.2006 verlangt werde, auch nicht um einen rückwirkenden Eingriff in das Vertragsgefüge. Wenn das Landgericht annehme, dass nur eine etwaige Verpflichtung der Klägerin, Interconnection-Anschlüsse ("ICAs") einzurichten, entgeltpflichtig sein könne, verkenne es den Bezug der Entgeltgenehmigung.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte in Abänderung des Urteils des Landgerichts Köln vom 22.7.2011 (90 O 15/10) zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 1.533.473,68 € nebst Zinsen hieraus und zwar aus 914.295,44 € in Höhe von 5 % ab dem 17. Februar 2010 und in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit, aus 427.830,56 € in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszins ab Rechtshängigkeit und aus 191.347,68 € in Höhe von 5 % ab dem 4.3.2011 und in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszins seit Zustellung der Klageerweiterung vom 28.3.2011 zu zahlen,

ferner festzustellen, dass die Beklagte auch ab dem 1. Juli 2010 für den Geltungszeitraum der zwischen der Klägerin und der Beklagten abgeschlossenen "Zusammenschaltungsvereinbarung" vom 26.6.2003 verpflichtet ist, die Klägerin für die Bereitstellung und Überlassung sogenannter "Intra-Building-Abschnitte" sowie für die Bereitstellung und Überlassung sogenannter "Kollokationsbereiche" in den Räumen der Klägerin im Zusammenhang mit der Zusammenschaltung des Mobilfunknetzes der Klägerin mit dem Ortsnetz der Beklagten oder der U GmbH anteilig gemäß der von der Beklagten oder der U GmbH in Anspruch genommenen Leistungen - und zwar im Verhältnis derjenigen Verbindungsminuten, in denen die Klägerin Anrufe aus dem Ortsnetz der Beklagten oder der U GmbH in das Mobilfunknetz der Klägerin zustellt zu der Gesamtanzahl von Verbindungsminuten, die über den jeweiligen "Intra-Building-Abschnitt "generiert werden" - zu vergüten, und zwar - solange die Klägerin hinsichtlich der Bereitstellung und Überlassung von "Intra-Building-Abschnitten" und "Kollokationsbereichen" durch Regulierungsverfügung der Bundesnetzagentur der Entgeltgenehmigungspflicht unterliegt - in Höhe der jeweils genehmigten Entgelte und - sobald die Klägerin nicht mehr der Entgeltgenehmigungspflicht unterliegt - in Höhe der üblichen Vergütung, und insgesamt jeweils nur, soweit und solange nicht die "Ergänzungsvereinbarung zur Zusammenschaltungsvereinbarung vom 26.6.2003" zwischen der Klägerin und der U GmbH vom 24. November 2010 / 25. Januar 2011 gilt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres Sachvortrags. Sie hebt insbesondere hervor, dass § 37 Abs. 2 TKG dem Wortlaut nach, aber auch aus Gründen der Systematik und des Gesetzeszwecks nicht anwendbar sei und den Standpunkt der Klägerin nicht stütze. Wie im Parallelfall des OLG Düsseldorf (Urteil vom 11.1.2012 - GA 351), bestehe für die Vergütung der Leistungen, die die Klägerin zum Gegenstand ihres Klagevorbringens mache, keine Vereinbarung. Die Zusammenschaltungsvereinbarung differenziere - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt habe - zwischen nur auf Seiten der Beklagten aufgeführten Infrastrukturleistungen einerseits und Vertragsleistungen andererseits. Auch eine ergänzende Vertragsauslegung komme - aus verschiedenen Gründen - nicht in Betracht. Zum einen fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke, weil den Parteien bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Juni 2003 bewusst gewesen sei, dass auch die Klägerin in absehbarer Zeit der Entgeltregulierung unterliegen würde. Zweites sehe das TKG in seinem § 25 eine der ergänzenden Vertragsauslegung vorrangige Möglichkeit für die Klägerin vor, die ins Auge gefasste Rechtsfolge zu erreichen. Zudem könne nicht das, was dem erkennbaren Willen der Vertragsparteien widerspreche, zum Inhalt ihres hypothetischen Willens erklärt und zum Vertragsinhalt gemacht werden. Schließlich erbringe die Klägerin auch tatsächlich nicht die Leistungen, für die sie die Vergütung verlange. Schließlich wiederholt und vertieft die Beklagte ihre bereits erstinstanzlich erhobenen Einwendungen gegen die Höhe des von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsanspruchs. Den Feststellungsantrag hält sie für unzulässig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Verwiesen wird zudem auf die Stellungnahme der Bundesnetzagentur vom 8.3.2013 (GA 494 ff).

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache insoweit Erfolg, als die Klage hinsichtlich des mit dem Antrag zu Ziffer 1 geltend gemachten Zahlungsantrags dem Grunde nach gerechtfertigt ist. Der Klägerin steht gegen die Beklagte dem Grunde nach ein Vergütungsanspruch für die streitgegenständlichen Leistungen zu, dessen Höhe noch nicht feststeht. Insoweit wird - nach ergänzenden Ausführungen der Parteien - voraussichtlich eine möglicherweise umfangreiche Sachaufklärung stattzufinden haben. Der mit Ziffer 2 der Berufungsanträge geltend gemachte Feststellungsanspruch kann nicht Gegenstand des Grundurteils sein (BGH NJW 1994, 319; Zöller, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 29. Auflage 2012, § 304 ZPO Rdn. 4). Einer der nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (NJW 2002, 302) möglichen Ausnahmefälle liegt nicht vor. Über den Zahlungsanspruch war daher durch Teil-Grundurteil zu entscheiden. Im Einzelnen gilt das Folgende:

1.

Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass sich der geltend gemachte Anspruch der Klägerin nicht unmittelbar aus der Zusammenschaltungsvereinbarung selbst ergibt. Der Vertrag differenziert in der vom Landgericht anschaulich und detailliert angeführten Weise zwischen den von der Klägerin zu erbringenden Leistungen einerseits und denjenigen der Beklagten andererseits ) und den korrespondierenden Vergütungsansprüchen). Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang mit Recht hervorgehoben, dass der Vertrag explizit zwar die Verpflichtung der Beklagten zur Bereitstellung von IBAs und Kollokationsbereichen regelt, aber nicht eine solche der Klägerin. Es hat auch zu Recht betont, dass der Vertrag deutlich und bewusst zwischen Leistungen der jeweiligen Parteien auf der Infrastrukturebene einerseits und der Betriebsebene andererseits differenziert. Entscheidend ist daneben auch die eindeutige Regelung zur Vergütungsfrage; danach sind nur Infrastrukturleistungen der Beklagten vergütungspflichtig, nicht aber solche der Klägerin.

Ebenfalls zu Recht hat das Landgericht festgestellt, dass dieser sich aus dem Wortlaut ergebende Befund durch die Systematik der vertraglichen Regelungen gestützt und bestätigt wird. Hinsichtlich der Einzelheiten verweist der Senat auf die ausführliche Darstellung in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils einschließlich der Ausführungen zum Charakter der Leistungen der Klägerin als bloß unselbständige, für sich nicht zu vergütende Nebenleistungen. Ihren Sinn fand diese Regelung in der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden wirtschaftlichen und rechtlichen Ausgangslage: Bei der Klägerin handelte es sich (noch) nicht um ein marktmächtiges Unternehmen, der Vertrag wurde ganz überwiegend in ihrem Interesse (nämlich dem, Teilnehmern ihres - kleinen - Mobilfunknetzes den Zutritt zum großen Festnetz der Beklagten zu ermöglichen) geschlossen. Umgekehrt hatte die Beklagte zwar auch ein Interesse daran, dass ihre Kunden Zugang zu Teilnehmern erhielten, die Kunden der Klägerin waren. Dabei handelte es sich aber nicht um gleich zu gewichtende Interessen; das der Klägerin überwog vielmehr bei weitem. Ausdruck dieser Verteilung der Interessen und Gewichte war vor allem die Tatsache, dass nach dem Vertrag nur die Klägerin durch Ausübung der sogenannten "Bestellhoheit" darüber bestimmte, in welchem Umfang überhaupt Zusammenschaltungsleistungen zu erbringen waren. Auf Anforderung der Klägerin war die Beklagte verpflichtet, eine entsprechende Einrichtung zu schaffen, umgekehrt galt das nicht. Aus dieser Situation ergab sich der Sinn der unterschiedlichen Vergütungsregelung. Sie konnte von der Beklagten vor dem Hintergrund der Tatsache beansprucht werden, dass die jeweilige Zusammenschaltungsstelle im Interesse und auf Initiative der Klägerin errichtet und betrieben wurde, während die Klägerin ihrerseits die Zugangsvoraussetzungen im Sinne einer unselbständigen, von der Beklagten nicht erzwingbaren Mitwirkung erbrachte. Soweit die Beklagte dem im Schriftsatz vom 28.5.2013 entgegenhält, dass die Einbeziehung der Klägerin in die Regelungen zur Entgeltregulierung bereits während der Verhandlungen, die zu der Zusammenschaltungsvereinbarung geführt haben, in Gang gesetzt worden sei, ergibt sich daraus bei richtiger Betrachtung nichts anderes. Auch die Beklagte zeigt keinerlei Gesichtspunkte auf, die - aus Sicht der Klägerin - bereits eine rechtlich oder wirtschaftlich gesicherte- über eine ungewisse Hoffnung hinausgehende Erwartung einer künftigen Marktmacht, die derjenigen der Beklagten vergleichbar war, begründen konnte. Dass sich die Klägerin bereits vor dem Abschluss des streitgegenständlichen Vertrages mit der Beklagten an der Diskussion zur "regulatorischen Entwicklung" aktiv beteiligte, gibt zu einer anderen Bewertung keinen Anlass.

2.

Mit der Entscheidung der Bundesnetzagentur vom 29.8.2006 (Anlage K 2 zur Klage) trat allerdings eine neue, von den Vertragsparteien nach Auffassung des Senats nicht bedachte Situation ein. Mit dem Inkrafttreten der Regulierungsverfügung war auch die Klägerin - den Betreibern anderer öffentlicher Telefonnetze gegenüber - verpflichtet, diesen Zugang zu ihrem Mobilfunknetz zu gewähren. Das betraf - so der Tenor der Verpflichtungsanordnung - auch die Errichtung und Bereithaltung der (baulichen) Infrastruktur. Über die sich aus dieser Verpflichtung ergebende korrespondierende Pflicht der Beklagten zur Vergütung der von der Klägerin nun nicht mehr freiwillig (als Ausdruck der ihr zunächst zustehenden "Bestellhoheit"), sondern in Erfüllung ihrer nach den Vorschriften zur Entgeltregulierung obligatorischen Errichtung von Kollokationsbereichen haben die Parteien keine Regelung getroffen. Dieser Punkt ist jedoch regelungsbedürftig, weil insoweit verschiedene Möglichkeiten denkbar sind.

Deshalb ist die Frage, ob und in welcher Höhe der Klägerin ein ihrer Verpflichtung korrespondierender Vergütungsanspruch zusteht, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu klären. Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt dann in Betracht, wenn ein Vertrag eine Regelungslücke bzw eine planwidrige Unvollständigkeit aufweist. Diese ist gegeben, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zu Grunde liegenden Regelungsplan zu verwirklichen; ohne die Vervollständigung des Vertrages muss eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen sein. Gleichgültig ist, ob die Lücke von Anfang an bestanden hat oder nachträglich entsteht. Sie kann auch darauf beruhen, dass die Parteien einen Punkt bewusst offengelassen haben, etwa in der Hoffnung, sie würden sich insoweit noch einigen. In der Regel ist sie darauf zurückzuführen, dass die Parteien an einen bestimmten regelungsbedürftigen Punkt nicht gedacht haben, dass sie eine Regelung für nicht erforderlich hielten oder dass sich die bei Vertragsschluss bestehenden wirtschaftlichen oder rechtlichen Verhältnisse nachträglich geändert haben (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, NJW 2002, 2310; NJW-RR 2005, 687; NJW-RR 2008, 562; Palandt, 72. Aufl. 2013, § 157 BGB, Rdn. 3). Bei der ergänzenden Vertragsauslegung ist unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände zu untersuchen, wie die Beteiligten bei redlichem Verhalten den offengebliebenen Punkt geregelt haben würden, wenn sie ihn bedacht hätten (BGHZ 84, 7; NJW 1984, 1177).

Diese Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung liegen hier vor. Der Senat hat keine Zweifel daran, dass die Parteien die jetzt zu beurteilende Situation im Zusammenhang mit dem Abschluss des Vertrages vom 26.6.2003 nicht bedacht haben. Dem Vertrag der Parteien lässt sich nicht entnehmen, dass sie sich zur Zeit des Vertragsschlusses im Jahre 2003 mit der konkreten Möglichkeit befasst haben, dass auch die Klägerin - neben der schon damals marktmächtigen Beklagten - Adressatin von Verfügungen der Regulierungsbehörde werden könnte, die mit der Begründung zuvor nicht existierender Leistungspflichten verbunden war. Dafür spricht in eindrucksvoller Weise die bereits im Urteil des Landgerichts dargestellte, klar zwischen verpflichtenden (und in der Konsequenz vergütungspflichtigen) Leistungen der marktmächtigen Beklagten einerseits und zwischen freiwilligen, nicht erzwingbaren und allein im Interesse der Klägerin liegenden Mitwirkungshandlungen der Klägerin andererseits unterscheidende Systematik des Vertrages. Wie bereits ausgeführt, bestand für die Klägerin allenfalls eine ungewisse, rein wirtschaftlich begründete Erwartung, in nicht näher bestimmbarer Zukunft selbst eine der Beklagten vergleichbare Marktstellung zu gewinnen.

Die Auslegung führt hier zu dem Ergebnis, dass die Klägerin zur Bereitstellung von Infrastrukturleistungen verpflichtet ist, sobald sie der Regulierung unterworfen ist/und eine solche Bereitstellung angeordnet wird und - im Gegenzug - eine Verpflichtung der Beklagten besteht, an die Klägerin eine der Höhe nach noch zu bestimmende Vergütung für die Bereitstellung dieser Infrastrukturleistungen zu zahlen. Wenn die Parteien die neue Situation bei der Ausgestaltung des Vertrages bedacht hätten, hätte dies nach der Logik des Vertrages zwingend zur Vereinbarung einer Leistungspflicht auf Seiten der Klägerin und einer Vergütungspflicht von Infrastrukturleistungen der Klägerin durch die Beklagte führen müssen. Dies zeigt nicht zuletzt auch die Ergänzungsvereinbarung der Parteien vom 24.10.2010/25.1.2011 (Anlage K 10), mit der sie ersichtlich auf die geänderte Situation, wenn auch erst mit Wirkung ab dem 1.7.2010, reagiert haben. Nur auf diese Weise hätte nämlich das dem Sinne des ursprünglichen Vertrages entsprechende Gefüge von Leistung und Gegenleistung hergestellt und ein der rechtlichen Verpflichtung der Klägerin zur Leistungserbringung gegenüber stehender - hinsichtlich der Höhe und der Zahlungsmodalitäten näher festzulegender - Anspruch auf eine entsprechende Vergütung in rechtlich ausreichender klarer Weise bestimmt werden können.

Soweit das Landgericht die Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung erwogen, aber letztlich verworfen hat, ist es von einer nicht zutreffenden Voraussetzung, nämlich davon ausgegangen, dass es um die Frage gehe, ob den Parteien - oder zumindest der Klägerin - klar war, dass die Bereitstellung der baulichen Anlagen von der Klägerin zu leisten war und Aufwendungen erforderte. Die im vorliegenden Fall entscheidende Frage ist demgegenüber die, ob der Vertrag (versehentlich) keine Regelung der (künftigen) Situation enthielt, in der nicht nur die Klägerin von der Beklagten die Zusammenschaltung verlangen konnte, sondern umgekehrt die Beklagte (auf der Grundlage der Regulierungsverfügung) auch von der Klägerin.

Der Einwand der Beklagten, dass die vom Senat erwogene Anwendung der Regelungen über die ergänzende Vertragsauslegung im vorliegenden Fall zu einer nicht zulässigen inhaltlichen Abänderung des Vertrages führe, greift nicht durch. Es ist zwar richtig, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eine durch Auslegung zu schließende Vertragslücke nur dann besteht, wenn der Vertrag innerhalb des durch ihn gesteckten Rahmens oder innerhalb der wirklich gewollten Vereinbarungen ergänzungsbedürftig ist und die richterliche Auslegung nicht zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstandes führen darf. Sie muss vielmehr in dem Vertrag dergestalt eine Stütze finden, dass sie sich als zwingende selbstverständliche Folge aus dem ganzen Zusammenhang des Vereinbarten ergeben muss, so dass ohne die vorgenommene Ergänzung das Ergebnis in offenbarem Widerspruch zu dem nach dem Inhalt des Vertrages tatsächlich Vereinbarten stehen würde (BGHZ 77, 301; NJW 1980, 2347; NJW 1982, 2190). Das ist hier aber der Fall. Bei der vom Senat vorgenommenen ergänzenden Vertragsauslegung handelt es sich keineswegs um eine dem Willen der Vertragsparteien widersprechende, sondern ihre zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehenden Vorstellungen weiterentwickelnde, der nach der Regulierungsverfügung geänderten Interessenlage entsprechende Regelung. Dass der tatsächliche Wille der Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht auf einen Vergütungsanspruch der Klägerin gerichtet war, steht dem nicht entgegen, sondern ist - weil es um die Ausfüllung einer planwidrigen Regelungslücke geht, gerade die Voraussetzung einer ergänzenden Vertragsauslegung. Weder dem Wortlaut des Vertrages vom 26.6.2003 noch dem späteren Verhalten der Parteien ist ein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass sie es bei der vertraglichen Regelung der gegenseitigen Vergütungspflichten in der ursprünglichen Form auch dann belassen wollten, wenn die Auswirkung der Regulierung für die Klägerin von ihnen bedacht worden wären. Der Fall liegt insofern nicht anders als der der Entscheidung des BGH vom 25.11.2004 (NJW-RR 2005, 687) zugrunde liegende Sachverhalt, in dem es um die Ausfüllung einer Regelungslücke hinsichtlich der Rechte an einer satellitengestützten Verbreitung von Fernsehsendungen ging, die zur Zeit des ursprünglichen Vertrages technisch noch nicht bekannt und daher in dem Vertrag naturgemäß noch nicht geregelt war.

Das Ergebnis des Bestehens einer Pflicht der Klägerin zur Bereitstellung von Infrastrukturleistungen ab dem Zeitpunkt, zu dem sie der Entgeltregulierung unterliegt einerseits und einer entsprechenden Vergütungspflicht der Beklagten andererseits entspricht - wenn auch nicht in der Begründung - der Rechtsauffassung der am Verfahren beteiligten Bundesnetzagentur. Es ist auch sach- und interessengerecht. Nichts spricht dafür, dass die Parteien - hätten sie bei Abschluss der Zusammenschaltungsvereinbarung im Jahre 2003 den späteren Erlass der Regulierungsverfügung bedacht - eine vertragliche Regelung getroffen hätten, wonach die Beklagte zwar von der Klägerin die Bereitstellung von Infrastrukturleistungen beanspruchen kann, dafür aber nicht vergütungspflichtig sein soll. Ein maßgebliches Indiz für einen solchen, schon damals auf eine Vergütungspflicht der Beklagten gerichteten hypothetischen Parteiwillen ist insbesondere die für den Zeitraum ab 01.07.2010 von den Parteien getroffene Entgeltvereinbarung Das vorstehende Ergebnis einer ergänzenden Vertragsauslegung vermeidet zudem die Wertungswidersprüche, die sich aus der gegenteiligen Auffassung des Landgerichts und der Beklagten einerseits und der (aus ihrer Sicht konsequenten) Weigerung der Bundesnetzagentur ergeben, ein Entgelt im Anordnungsverfahren nach § 25 TKG festzusetzen (Anlage K 6 - betreffend ein Verfahren der Vodafone-Mobilfunksparte). Der Klägerin ist - entgegen der im Schriftsatz vom 28.5.2013 zum Ausdruck kommenden Auffassung der Beklagten - auch nicht zuzumuten, ein gerichtliches Verfahren gegen diese Weigerung mit ungewissem Ausgang zu betreiben. Auf der Grundlage der Auffassung der Beklagten und bei einer - unterstellten - Erfolglosigkeit eines gerichtlichen Verfahrens gegen die Weigerung der Bundesnetzagentur wäre die Klägerin weitgehend rechtlos gestellt. Die Beklagte kann der Klägerin daher nicht eine "Vorrangigkeit einer Zusammenschaltungsanordnung" entgegenhalten.

Welcher Art die von den Parteien redlicherweise getroffene Vereinbarung dann im Einzelnen gewesen wäre - insbesondere in welchem Umfang und in welcher Höhe ein Entgelt der Klägerin vereinbart worden wäre - kann im Verfahren zum Grund des Anspruchs, aber auch schon im Hinblick auf die Regelung des § 37 TKG dahinstehen, weil nach dieser Vorschrift in jedem Fall das genehmigte Entgelt (vgl. dazu Anlage K 3) an die Stelle des Vereinbarten tritt.

Die Beklagte kann dem Anspruch nicht entgegenhalten, dass die Klägerin sie - die Beklagte - auf der Grundlage der Zusatzvereinbarung vom 18.8.2003 (Anlage B 12 = Bl. 139 ff.) mit der vergütungspflichtigen Durchführung von "Rangierarbeiten" an den IBA beauftragt hat. Es stellt keinen rechtlich erheblichen Unterschied dar, wer die baulichen Anlagen tatsächlich errichtet hat. Ebenso wenig kann die Beklagte dem Anspruch der Klägerin entgegenhalten, dass sie keinen Zugang zu den Räumlichkeiten der Klägerin besitze, denn dieser steht ihr nach der Regulierungsverfügung unzweifelhaft zu.

Die von der Beklagten hinsichtlich der Forderung der Klägerin aus den Jahren 2006 und 2007 erhobene Einrede der Verjährung steht der Durchsetzbarkeit des Anspruchs nicht entgegen. Entgegen der Auffassung der Klägerin gilt zwar für die hier geltend gemachten Ansprüche die zweijährige Verjährungsfrist der Zusammenschaltungsvereinbarung (Anlage B 3, Leitzordner II). Sie beginnt - entgegen der Auffassung der Beklagten - allerdings erst mit der Fälligkeit der Vergütung zu laufen. Diese wiederum ist erst mit Zugang der Rechnung vom 3.12.2009 eingetreten und kann damit nicht schon zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage (30.3.2010) abgelaufen sein. Soweit die Beklagte demgegenüber annimmt, dass eine solche - individualvertraglich unbedenkliche (Palandt, Kommentar zum BGB, 72. Auflage 2013, § 199 BGB Rdn. 7) - Regelung nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Stuttgart (NJW-RR 1994, 17) als AGB-Klausel unwirksam sei, weil der Beginn der Verjährungsfrist in das Belieben der Klägerin gestellt werde, ist darauf zu verweisen, dass die Klausel nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin von der Beklagten gestellt worden ist; diese kann sich mithin auf die Unwirksamkeit nicht berufen (Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, Vorbemerkung zu § 307 BGB, Rdn. 1). Auf die Frage, ob die Verjährung durch Verhandlungen gehemmt war (§ 203 BGB), kommt es deshalb nicht mehr an.

3.

Der Senat hat im Hinblick darauf, dass die Parteien auch über die Höhe des Anspruchs der Klägerin streiten und der Rechtsstreit insoweit noch nicht zur Entscheidung reif ist, durch Teil-Grundurteil (hinsichtlich des mit Ziffer 1 der Anträge der Klägerin geltend gemachten Zahlungsanspruchs) entschieden. Der Feststellungsanspruch ist einer Entscheidung durch Grundurteil nicht zugänglich. Einer der nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (NJW 2002, 302) möglichen Ausnahmefälle liegt nicht vor. Über den Feststellungsantrag konnte in der geltend gemachten Form im Übrigen schon deshalb nicht endgültig entschieden werden, weil die Klägerin im Rahmen dieses Antrags von näheren, noch zu klärenden Voraussetzungen zur Anspruchsberechnung ausgeht. Auch insoweit ist die Entscheidung also dem Betragsverfahren vorzubehalten.

4.

Der Senat hat die Revision mit Rücksicht darauf, dass sich die hier zu beurteilenden Rechtsfragen in verschiedenen Fällen auf der Grundlage vergleichbarer vertraglicher Vereinbarungen zwischen Unternehmen der Telekommunikationsbranche stellen, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO). Klärungsbedürftig erscheint dem Senat insbesondere die Frage der Reichweite der gegebenenfalls in Betracht zu ziehenden Anwendbarkeit von § 37 Abs. 2 TKG und die Frage, ob einer Regulierungsverfügung unterliegende Unternehmen auf § 25 Abs. 1 TKG verwiesen werden können.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt insgesamt 1.833.473,68 € (davon 1.533.473,68 € für den durch das Grundurteil betroffenen Zahlungsantrag).






OLG Köln:
Urteil v. 26.06.2013
Az: 13 U 160/11


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