Landessozialgericht Hamburg:
Beschluss vom 18. September 2008
Aktenzeichen: L 1 B 149/08 ER KR, L 1 B 139/08 ER KR

(LSG Hamburg: Beschluss v. 18.09.2008, Az.: L 1 B 149/08 ER KR, L 1 B 139/08 ER KR)

Tenor

Auf die Beschwerden der Antragsgegnerin werden die Beschlüsse des Sozialgerichts Hamburg vom 3. März 2008 und vom 7. März 2008 geändert. Die auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Anträge werden abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten der Verfahren in beiden Rechtszügen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für die Beschwerdeverfahren auf jeweils 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegenüber Maßnahmen der Mitgliederwerbung der Antragsgegnerin.

Beide Beteiligte sind gesetzliche Krankenkassen. Während die Antragstellerin, die € eigenen Angaben zufolge etwa 4,7 Millionen Mitglieder hat € als Ersatzkasse bundesweit tätig ist und ihren Sitz in Hamburg hat, beschränkt sich der Tätigkeitsbereich der Antragsgegnerin, einer regional tätigen Innungskrankenkasse mit Sitz in S., auf die Bundesländer Saarland, Hessen und Rheinland-Pfalz.

Beginnend ab Mitte Januar 2008 ließ die Antragsgegnerin über verschiedene Rundfunksender einen Werbespot verbreiten, in dem sie € gerichtet an die Mitglieder der Antragstellerin sowie diejenigen der Barmer Ersatzkasse und weiterer namentlich nicht genannter Kassen (...und Co...) € unter Hinweis auf ihren derzeitigen Beitragssatz von 12,3 % und einer Ersparnis von "bis zu 600 € und mehr..." für einen sofortigen Kassenwechsel warb. Etwa zeitgleich begann sie damit, Werbeflyer mit dem Slogan "Wechseln und direkt sparen" zu verteilen, in denen je nach Einkommen bei einem Wechsel von der Antragstellerin zur Antragsgegnerin eine mögliche Ersparnis in Höhe von 264,00 € bis 950,40 € in Aussicht gestellt wurde. Unmittelbar nachdem sie hiervon Kenntnis erlangt hatte, forderte die Antragstellerin unter Hinweis auf einen unvollständigen, unwahren und damit irreführenden Inhalt dieser Werbung, der gegen die Gemeinsamen Wettbewerbsgrundsätze der Aufsichtsbehörden der gesetzlichen Krankenversicherung in der Fassung vom 9. November 2006 <Gemeinsame Wettbewerbsgrundsätze> und § 3 i.V.m. §§ 4,5 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb <UWG> verstoße, und im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. Dem kam die Antragsgegnerin nicht nach. Sie erklärte vielmehr unter dem 21. Januar 2008 hinsichtlich des Werbespots, dass das Sozialgericht für das Saarland bereits durch Beschluss vom 18. Januar 2008 "über den inhaltsgleichen, durchaus innovativen und mit erkennbaren Engagement konstruierten Vorwurf auf Antrag der AOK Saarland" entschieden und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in vollem Umfange zurückgewiesen habe. Mit Schreiben vom 6. Februar 2008 erklärte sie hinsichtlich des Flyers, dass durch einen Beitragssatzvergleich, wie er hier vorgenommen werde, ein gut informierter und aufmerksamer Verbraucher nicht irre geführt werde, zumal es sich lediglich um die Angabe einer möglichen Ersparnis handele.

Daraufhin hat die Antragstellerin am 12. Februar 2008 (Werbespot € S 48 KR 317/08 ER) und am 19. Februar 2008 (Flyer € S 48 KR 382/08 ER) um einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz mit dem Ziel nachgesucht, der Antragsgegnerin die Verwendung des Werbespots bzw. des Flyers mit sofortiger Wirkung zu untersagen und hierzu vorgetragen, tatsächlich könnten die dort angesprochenen DAK-Versicherten durch einen Wechsel zur Antragsgegnerin nur eine erheblich geringere Summe sparen, als in den Werbeträgern angekündigt. Dies folge aus dem Umstand, dass zum 1. Januar 2009 das derzeitige Finanzierungssystem der gesetzlichen Krankenkassen in Umsetzung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) grundlegend reformiert werde. Danach werde von den Versicherten zukünftig ein von der Bundesregierung noch festzusetzender allgemeiner Beitragssatz erhoben, welcher in einen Gesundheitsfonds flösse, aus welchem dann die Krankenkassen im Wesentlichen finanziert würden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt könne niemand mit Sicherheit sagen, in welchen Konstellationen und in welcher Höhe gesetzlich Krankenversicherte ab dem kommenden Jahr durch einen Wechsel ihrer Krankenversicherung Geld sparen könnten. Vor diesem Hintergrund könnten objektive Aussagen zu Beitragsersparnissen durch einen Wechsel von einer gesetzlichen Krankenkasse zu einer anderen nur auf Grundlage der derzeitigen Rechtslage € also bis zum 31. Dezember 2008 € getroffen werden. Wegen der in § 175 Abs. 4 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch € Gesetzliche Krankenversicherung € <SGB V> festgelegten Kündigungsfrist könnten bei einer Kündigungserklärung zu Beginn des Jahres Beitragsersparnisse allenfalls noch für den Zeitraum vom 1. April bis zum 31. Dezember 2008 realisiert und demgemäß auch beworben werden. Hörfunk-Werbespot und Flyer stellten sich deshalb als grob irreführende und unlautere Werbung dar, die geeignet sei, Versicherte auch und gerade von der Antragstellerin abzuwerben. Hiervon ausgehend stehe der Antragstellerin jeweils ein Anordnungsanspruch in Gestalt des Unterlassungsanspruchs zu. Sie sei auch auf unverzügliche gerichtliche Hilfe angewiesen, weil eine Fortsetzung der rechtswidrigen Kundenwerbung und damit die Gefahr eines weiteren erheblichen wirtschaftlichen Schadens zu Lasten der Antragstellerin drohe. Es liege auf der Hand, dass insbesondere bei der Antragstellerin Versicherte von der falschen, irreführenden und überdies undurchsichtigen Beitragswerbung angelockt würden und sich aufgrund der plakativ versprochenen Geld- und Leistungsvorteile zu einem Wechsel zur Antragsgegnerin bewegen ließen. Da außer bei einer Beitragssatzerhöhung der Antragsgegnerin im Anschluss an einen Wechsel achtzehn Monate lang keine neuerliche Kündigungsmöglichkeit bestehe, sei das abgeworbene Mitglied für die Antragstellerin bis auf Weiteres verloren. Deshalb bestehe das dringende Bedürfnis, die unfaire Abwerbung von Mitgliedern unverzüglich zu stoppen.

Die Antragsgegnerin ist dem entgegengetreten und hat behauptet, weder der streitgegenständliche Werbespot noch der beanstandete Flyer stellten eine Diskriminierung oder eine Diffamierung der Antragstellerin dar. Die darin enthaltenen Aussagen zum Beitragssatz der Antragsgegnerin und zur zukünftigen Regelung im SGB V seien auch nicht unvollständig, unwahr oder irreführend. Vielmehr beziehe sich der dort vorgenommene Beitragssatzvergleich für den gut informierten und verständigen Versicherten, auf welchen allein abzustellen sei, erkennbar auf eine mögliche Jahresersparnis, die ein Versicherter bei einem Wechsel zur Antragsgegnerin unter Berücksichtigung der derzeit aktuellen Beitragssätze realisieren könne. Die Antragstellerin versuche nur aus den zum 1. Januar 2009 in Kraft tretenden Änderungen des Beitragssystems eine irreführende Werbung zu konstruieren. Ihr stehe auch ein Anordnungsgrund nicht zur Seite, weil € wie vorgetragen € der streitgegenständliche Werbespot nicht mehr verwendet werde und der Antragstellerin auch im Übrigen aus den beanstandeten Werbemaßnahmen keine Nachteile drohten, die ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache als unzumutbar erscheinen ließen.

Mit Beschluss vom 3. März 2008 (S 48 KR 317/08 ER) hat das Sozialgericht der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung die Hörfunkwerbung durch den beanstandeten Werbespot unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 €, ersatzweise von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu einem Jahr, untersagt. Mit Beschluss vom 7. März 2008 (S 48 KR 382/08 ER) hat das Sozialgericht der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung auch die beanstandete Flyer-Werbung unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 €, ersatzweise von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu einem Jahr, untersagt. Zur Begründung hat es jeweils ausgeführt, der Antragstellerin stehe mit hoher Wahrscheinlichkeit ein in einem Hauptsacheverfahren durchsetzbarer Unterlassungsanspruch zu. Es sei ihr nicht zuzumuten, das Ergebnis des Verfahrens in der Hauptsache abzuwarten. Sie habe glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin zu ihren Lasten irreführende Werbung betreibe, dass Wiederholungsgefahr bestehe und dass zur Vermeidung illegal herbeigeführten Mitgliederverlustes der sofortige Erlass einer einstweiligen Anordnung nötig erscheine.

Die Antragsgegnerin hat gegen die ihrem Prozessbevollmächtigten am 5. März 2008 bzw. am 10. März 2008 zugestellten Beschlüsse am 1. April 2008 bzw. am 2. April 2008 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung trägt sie jeweils vor, dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mangele es bereits am Rechtsschutzbedürfnis. Er sei unzulässig, weil die Antragstellerin entgegen ihrer aus § 86 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch € Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz € <SGB X>, § 4 Abs. 3 SGB V folgenden gesetzlichen Verpflichtungen zur Kooperation sich nicht vorab an die zuständigen Aufsichtsbehörden gewandt und diese mit der Angelegenheit befasst habe. Dieses Verfahren dränge sich angesichts der in §§ 87 ff. Sozialgesetzbuch Viertes Buch € Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung € <SGB IV> enthaltenen Kompetenzen der Aufsichtsbehörden und der von diesen eingeführten Gemeinsamen Wettbewerbsgrundsätze geradezu auf. Auch auf einen Anordnungsanspruch könne sich die Antragstellerin nicht berufen, weil hinsichtlich des Werbespots bereits frühzeitig erklärt worden sei, dass dieser seit Januar 2008 nicht mehr verwendet werde. Zum Zeitpunkt seiner Ausstrahlung sei die streitgegenständliche Aussage in dem Werbespot auch auf gar keinen Fall irreführend gewesen. Irreführend sei auch nicht die Flyer-Werbung. Die Zahlenangaben beruhten auf den aktuellen Beitragssätzen und seien rechnerisch richtig. Eine Irreführung ergebe sich auch nicht im Hinblick auf das mögliche Inkrafttreten der Änderungen im System der gesetzlichen Krankenversicherung. Tatsächlich könne nämlich gegenwärtig niemand voraussagen, ob der Gesundheitsfond zum 1. Januar 2009 in Kraft trete und mithin das vorhandene Beitragssatzsystem mit der umworbenen Beitragssatzersparnis weiter Bestand habe.

Die Antragstellerin tritt dem Beschwerdevorbringen entgegen und trägt vor, die Gegenseite werbe grob irreführend und unlauter mit Beitragsvorteilen, die im Fall des Wechsels eines Versicherten unstreitig nicht zu realisieren seien. Vor diesem Hintergrund verwundere es nicht, dass sie über die Zulässigkeit ihrer Werbung jetzt vor Gericht nicht streiten wolle, sondern insoweit auf die Kooperationspflichten der gesetzlichen Krankenkassen und das aufsichtsbehördliche Verfahren verweise. Sie wolle mit anderen Worten die von ihr mit größter Nachhaltigkeit verteidigte irreführende Werbung fortsetzen und hieran nicht durch eine gerichtliche Auseinandersetzung gehindert werden. Soweit behauptet werde, dass eine konkrete Wiederholungsgefahr und damit auch ein Anordnungsgrund nicht bestehe, sei darauf hinzuweisen, dass eine Wiederholungsgefahr und damit der Anordnungsgrund nur bei Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung entfalle.

II.

Die statthaften und zulässigen, insbesondere fristgerecht eingelegten Beschwerden (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz <SGG>), denen das Sozialgericht nach § 174 SGG (in der bis zum 31. März 2008 geltenden Fassung des Gesetzes, vgl. BGBl I, Seite 444) nicht abgeholfen und die es dem Landessozialgericht vorgelegt hat, sind auch begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den begehrten einstweiligen Rechtschutz gewährt.

Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. In beiden Fällen sind nach § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG Anordnungsanspruch (die materielle Schutzbedürftigkeit) und Anordnungsgrund (die Eilbedürftigkeit der Sache) in entsprechender Anwendung von § 920 der Zivilprozessordnung <ZPO> glaubhaft zu machen.

Allerdings scheitern die Anträge nicht bereits am Fehlen eines allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses. Zu Recht hat insoweit bereits das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass aus Gründen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes ungeachtet der Möglichkeit zur Einleitung eines aufsichtsbehördlichen Verfahrens nach den §§ 87 Abs. 1, 89 SGB IV die Anrufung der Gerichte jedenfalls dann möglich ist, wenn eine das Begehren befriedigende Entscheidung der Aufsichtsbehörde nicht in kürzerer Frist herbeigeführt werden kann, als dies im gerichtlichen Verfahren der Fall wäre. Denn nur in diesem Falle handelte es sich um eine effektivere Rechtsschutzmöglichkeit, welche allein ein schützenswertes Interesse an der begehrten gerichtlichen Entscheidung entfallen ließe (ebenso Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 13. Dezember 2007 € L 5 ER 289/07 KR € NZS 2008, 374). Der gegenteiligen Auffassung des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein (Beschluss vom 26. September 2007 € L 5 B 522/07 KR ER € Nord ÖR 2008, 30), wonach regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis fehle, wenn nicht zuvor der Versuch unternommen werde, den Streit durch Einschaltung der Aufsichtsbehörde beizulegen, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Diese Auffassung übersieht, dass nicht irgendeine, sondern nur eine effektivere Rechtsschutzmöglichkeit ein Rechtsschutzbedürfnis entfallen lässt. Dafür aber, dass durch die Einschaltung der Aufsichtsbehörde der behauptete Eingriff in die Rechte der Antragstellerin schneller und effektiver hätte behoben werden können, ist weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Jedoch fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Ein solcher ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nur dann anzunehmen, wenn es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen nicht zugemutet werden kann, den Abschluss des Hauptsacheverfahrens abzuwarten, weil nur durch die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wesentliche Nachteile abgewendet werden können, deren erforderliche Intensität im Zusammenhang mit Sinn und Zweck der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu sehen ist. Dem in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG) niedergelegten Grundrecht auf Rechtsschutz wird lediglich dann genügt, wenn dieser effektiv ist. Er erfordert dann eine Eilentscheidung, wenn diese zur Sicherung des Hauptsacherechtsschutzes geboten ist, weil ohne eine Eilentscheidung dem Betroffenen schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. An der Glaubhaftmachung solcher Nachteile fehlt es.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 31. März 1998 € B 1 KR 9/95 R € SozR 3-2500 § 4 Nr. 1, Seite 2 f. = BSG 82, 78, 79 f.) kann das für das gewerbliche Wettbewerbsrecht entwickelte Instrumentarium von deliktischen, negatorischen und ergänzenden Ansprüchen, die auf die Beseitigung eines durch unlautere Werbemaßnahmen verursachten Schadens abzielen, auf die Rechtsbeziehungen und den Wettbewerb zwischen gesetzlichen Krankenkassen nicht übertragen werden. Denn die Situation der um Mitglieder konkurrierenden Krankenkassen ist mit derjenigen eines Wettbewerbers im privaten Geschäftsverkehr auch im Hinblick auf das Schadensrisiko nicht vergleichbar. Unbeschadet des in einem gegliederten System der Krankenversicherung mit Kassenwahlfreiheit bestehenden Konkurrenzverhältnisses bleiben nämlich die Krankenkassen als Organe mittelbarer Staatsverwaltung auch bei ihren Werbemaßnahmen der gemeinsamen öffentlichen Aufgabe der gesundheitlichen Daseinsvorsorge verpflichtet. Auch ist es ihnen möglich, im Rahmen des Risikostrukturausgleichs (vgl. §§ 265 ff. SGB V) die finanziellen Auswirkungen von Unterschieden in der Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder, der Zahl der mitversicherten Familienangehörigen und der Verteilung der Versicherten auf nach Alter und Geschlecht getrennte Versichertengruppen auszugleichen und so durch unlautere Werbung verursachte Schäden zu kompensieren. Dies wirkt sich nicht nur auf eventuelle Unterlassungsansprüche konkurrierender Krankenkassen in dem Sinne aus, dass die Grenzen des Wettbewerbs zwischen ihnen anhand des gesetzlichen Auftrags und der zu seiner Verwirklichung erlassenen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs bestimmt werden (Bundessozialgericht a.a.O.), dies hat vielmehr auch unmittelbare Auswirkungen auf den Anordnungsgrund und seine Glaubhaftmachung im Eilverfahren. Auch die Frage der Zumutbarkeit eines Abwartens der gerichtlichen Hauptsacheentscheidung muss vor dem Hintergrund dieser Erwägungen beantwortet werden, weil sie von der Stellung der Krankenkassen im System der Daseinsvorsorge und den besonderen Regularien ihrer Finanzierung nicht losgelöst werden kann.

Hiervon ausgehend ist nicht glaubhaft, dass die Antragstellerin des begehrten einstweiligen Rechtschutzes zur Abwehr erheblicher Nachteile bedarf. Die pauschale Behauptung eines möglichen Mitgliederverlustes für den Fall der Fortsetzung der Werbemaßnahme und die Behauptung eines hieraus womöglich resultierenden wirtschaftlichen Schadens genügen den Darlegungs- und Glaubhaftmachungserfordernissen nicht.

Auf die Darlegung und Glaubhaftmachung derartiger Folgen kann in dem vorliegenden Verfahren auch nicht verzichtet werden. Denn anders als bei den von den Zivilgerichten zu entscheidenden Verfahren nach § 12 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb <UWG> i.V.m. den §§ 935 und 940 ZPO können im Verfahren nach § 86 b Abs. 2 SGG einstweilige Anordnungen ohne die Darlegung und Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes von den Sozialgerichten nicht erlassen werden. Die Rechtsschutzerleichterung des § 12 Abs. 2 UWG, wonach zur Sicherung der im UWG bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung eine einstweilige Verfügung auch ohne die Darlegung und Glaubhaftmachung der in den §§ 943 und 940 ZPO bezeichneten Voraussetzungen erlassen werden kann, gelten im sozialgerichtlichen Verfahren nicht (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Mai 2008 € L 11 B 6/08 KR ER € juris Rn. 26 und 29 f.; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss v. 26. September 2007 € L 5 B 522/07 KR ER € NordÖR 2008, 30). Dies folgt aus der eindeutigen gesetzlichen Anordnung in § 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG. Angesichts der Eindeutigkeit dieser Regelung kann § 12 Abs. 2 UWG auch nicht Lücken ausfüllend angewandt werden. Dieses Ergebnis steht schließlich im Einklang mit der aus § 69 SGB V zu entnehmenden Wertentscheidung (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Mai 2008 € L 11 B 6/08 KR ER € juris Rn. 29), wonach zwar die §§ 19 bis 21 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen <GWB> im Verhältnis der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden entsprechend gelten, jedoch die Geltung des GWB für die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen untereinander ebenso wenig angeordnet wird, wie die Geltung des UWG. Der ohne nähere Begründung eine ergänzende Anwendung des § 12 Abs. 2 UWG gleichwohl bejahenden Rechtsprechung des Landessozialgerichts für das Saarland (vgl. Beschluss vom 21. Juni 2006 € L 2 B 5/06 KR € juris) und des 5. Senats des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 28. Mai 2002 € L 5 B 29/02 KR ER € NZS 2002, 502) vermag sich das beschließende Gericht daher nicht anzuschließen. Diese Rechtsprechung wird der besonderen Stellung der Krankenkassen als Träger öffentlicher Daseinsvorsorge und Organe mittelbarer Staatsverwaltung im Sinne der erwähnten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht gerecht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung.

Bei der Streitwertfestsetzung ist nach §§ 63 Abs. 2 S. 1, 52 Abs. 1, 3, 53 Abs. 3 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG) auf die sich aus dem Antrag der Antragstellerin für sie ergebenden Bedeutung der Sache Bezug zu nehmen. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000 € anzunehmen (§§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 4 GKG). Davon ausgehend ist der Ansatz eines Streitwertes von 5.000 € zutreffend, da die Antragstellerin ihr mit ihrem Begehren verfolgtes wirtschaftliches Interesse nicht konkret dargetan hat. Dieser ist im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der Entscheidung auch nicht zu reduzieren, da mit der beantragten einstweiligen Anordnung die Hauptsache € wenn auch nur bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren € vorweggenommen wird (vgl. Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit, B. 7.1. NZS 2007, 472 ff., 474).






LSG Hamburg:
Beschluss v. 18.09.2008
Az: L 1 B 149/08 ER KR, L 1 B 139/08 ER KR


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