Bundespatentgericht:
Beschluss vom 12. Mai 2003
Aktenzeichen: 20 W (pat) 35/01

(BPatG: Beschluss v. 12.05.2003, Az.: 20 W (pat) 35/01)

Tenor

Der Beschluß des Patentamts vom 5. April 2001 wird aufgehoben. Das Patent wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:

Patentansprüche 1 bis 9, Beschreibung Spalten 1 bis 5, 8 Blatt Zeichnungen (Figuren 1-9), jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung.

Die weitergehende Beschwerde der Einsprechenden wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Das Patentamt hat das auf die am 30. September 1997 eingegangene Anmeldung erteilte Patent 197 43 283 im Einspruchsverfahren durch Beschluß vom 5. April 2001 in vollem Umfang aufrechterhalten.

Die Patentinhaberin verteidigt das Patent mit in der mündlichen Verhandlung überreichten neuen Patentansprüchen 1 bis 9.

Der Patentanspruch 1 lautet:

"1. Multifunktionale Bedieneinheit, die ein mit einem Arbeitsfenster (3) verbundenes Dialogsystem (1) mit einem Trackpoint (4), der die Funktionen Berühren, Verschieben, Markieren und Loslassen realisiert, und mit einer Auslöse/Enter-Taste (8) aufweist, dadurch gekennzeichnet, daß

das Dialogsystem (1) weiterhin ein den Trackpoint (4) umgebendes Anzeigefeld (7) aufweist, welches als eine vom Arbeitsfenster (3) separate Komponente ausgebildet ist und zur dynamischen Anzeige der auszuwählenden und ausgewählten Funktionen dient."

Wegen der Patentansprüche 2 bis 9 wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Erörtert wurde in der mündlichen Verhandlung nur die Druckschrift

(1) DE 42 05 875 A1.

Die Einsprechende und Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, die Erfindung sei hinsichtlich des Merkmals im Anspruch 1 "daß das Dialogsystem ... ein Anzeigefeld aufweist, welches ... zur dynamischen Anzeige der auszuwählenden und ausgewählten Funktionen dient" nicht so deutlich und vollständig offenbart, daß ein Fachmann sie ausführen könne. Auch würde die im Streitpatent durchgängig verwendete Bezeichnung "Trackpoint" den Fachmann auf eine marktgängige Ausführungsform einer Zeigervorrichtung festlegen, die auf eine Entwicklung der Firma I... zurückgehe. Bei einem solchen Trackpoint - für den die Einsprechende in der mündlichen Verhandlung ein Ausführungsbeispiel in Form einer Fernsteuerung für elektrische Geräte vorlegt - werde die vom Finger eines Benutzers ausgeübte Kraft gemessen und die Richtung der Kraft ermittelt, wodurch ein Zeiger auf einem Display entsprechend dieser Kraft bewegt werde. Die begriffliche Festlegung auf einen solcherart ausgestalteten Trackpoint stelle die Ausführbarkeit der Erfindung ebenfalls in Frage. Werde die Ausführbarkeit trotzdem unterstellt, sei der Anspruchsgegenstand gegenüber dem Stand der Technik nach (1) jedenfalls nicht erfinderisch.

Die Einsprechende beantragt, den - angefochtenen - Beschluß aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt wie entschieden.

II.

1. Der Gegenstand des erteilten und mit Beschluß der Patentabteilung 31 vom 5. April 2001 aufrechterhaltenen Anspruchs 1, der mit dem Merkmal "daß das ... mit einem Arbeitsfenster verbundene ... Dialogsystem ein den Trackpoint umgebendes Anzeigefeld aufweist, welches ... zur dynamischen Anzeige der auszuwählenden und ausgewählten Funktionen dient" ua auch Ausführungsformen umfaßte, bei denen das Dialogsystem (Dialogeinheit) in dem Arbeitsfenster eingebettet ist, ist durch den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Anspruch 1 zulässig beschränkt worden, indem das den Trackpoint umgebende Anzeigefeld als eine vom Arbeitsfenster separate Komponente ausgebildet ist. Dieser Beschränkung wurde auch durch Streichung des erteilten Unteranspruchs 9, der sich darauf bezog, daß die Dialogeinheit in dem Arbeitsfenster eingebettet ist, und durch die entsprechende Änderung der Beschreibung Rechnung getragen. Das beschränkende Merkmal ist vom zuständigen Fachmann, einem Physiker oder einem Hochschul-Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik mit Praxiserfahrung auf dem Gebiet multifunktionaler Bedieneinheiten und deren Benutzerschnittstellen, als zu der beanspruchten Erfindung gehörend zu erkennen und der Patentschrift und an entsprechender Stelle den ursprünglichen Unterlagen entnehmbar, vgl die Patentschrift Spalte 5 Zeilen 60 bis 64.

2. Der Fachmann kann den Gegenstand des Patentanspruchs 1 ausführen.

Ein zum Widerruf führender Offenbarungsmangel im Sinne fehlender Ausführbarkeit läge vor, wenn der Fachmann unter Heranziehung seines Fachwissens und der Offenbarung des Patents als Ganzes den beanspruchten Gegenstand nur mit großen Schwierigkeiten und nicht ohne vorherige Mißerfolge praktisch verwirklichen könnte. Dies ist hier nicht der Fall.

a) Das von der Einsprechenden vorrangig angegriffene Merkmal, daß "das Dialogsystem ... ein Anzeigefeld aufweist, welches ... zur dynamischen Anzeige der auszuwählenden und ausgewählten Funktionen dient", bereitet dem verständigen, nicht am Wortlaut haftenden Fachmann keine Schwierigkeiten. Er erkennt schon anhand des Begriffs "dynamische Anzeige der auszuwählenden und ausgewählten Funktionen" aus dem Anspruchsinhalt heraus, daß damit eine zeitlich wechselnde Anzeige der mittels der multifunktionalen Bedieneinheit ausführbaren Funktionen in dem den Trackpoint umgebenden Anzeigefeld in Betracht kommt. Diese Erkenntnis wird durch einen Blick auf die Patentfigur 3, die ein Anwendungsbeispiel des Leistungsmerkmals "Tastenwahlblock Ziffern" zeigt, ohne weiteres bestätigt. Gemäß Figur 3 wechselt vom 3. Schritt zum 4. Schritt die Anzeige des den Trackpoint umgebenden Anzeigefeldes 7 dynamisch entsprechend den damit auszuwählenden und ausgewählten Funktionen vom Leistungsmerkmal "Tastwahlblock Ziffern" (Anzeige von Ziffern, vgl. auch Fig 2b) zum Leistungsmerkmal "Liste" (Anzeige zweier Dreiecke, vgl. Fig 2d). Sie ergibt sich außerdem aus der Beschreibung des funktionalen Ablaufs und der zugehörigen dynamischen Anzeige der auszuwählenden und ausgewählten Funktionen in dem den Trackpoint umgebenden Anzeigefeld für das vorgenannte Anwendungsbeispiel, vgl. Patentschrift Spalte 4 Zeilen 31 bis 53.

Gegen dieses Verständnis des Merkmals, daß "das Dialogsystem ... ein Anzeigefeld aufweist, welches ... zur dynamischen Anzeige der auszuwählenden und ausgewählten Funktionen dient", spricht nicht, daß gemäß Patentbeschreibung (vgl. Fig 3, Inhalte des Arbeitsfensters 3) in dem im Patentanspruch 1 außerdem beanspruchten Arbeitsfenster neben nicht näher bezeichneten Daten ebenfalls "auszuwählende und ausgewählte Funktionen" angezeigt werden können. Der um Verstehen bemühte Fachmann erkennt bereits aus dem Gesamtzusammenhang des Patentanspruchs 1, daß das Arbeitsfenster zwar mit dem Dialogsystem verbunden ist, mithin Inhalte des Arbeitsfensters durch das Dialogsystem beeinflußt sind, daß jedoch das Anzeigefeld des Dialogsystems als eine vom Arbeitsfenster separate Komponente ausgebildet ist, also die in Rede stehende dynamische Anzeige der auszuwählenden und ausgewählten Funktionen gemäß Anspruch 1 sich nur auf die Anzeige der mittels der multifunktionalen Bedieneinheit ausführbaren Funktionen in dem den Trackpoint umgebenden Anzeigefeld beziehen kann.

b) Auch die von der Einsprechenden weiter angegriffene Verwendung der Bezeichnung "Trackpoint'" kann die Ausführbarkeit der Erfindung nicht in Frage stellen. Schon aus der im Patentanspruch 1 angegebenen und in der Beschreibung Spalte 3 Zeilen 20f näher erläuterten Funktionalität des Trackpoints, "der die Funktionen Berühren, Verschieben, Markieren und Loslassen realisiert", ergibt sich, wie der Fachmann hier den Begriff "Trackpoint" verstehen muß. Zwar mögen sich für den Fachmann mit bestimmten Bezeichnungen marktgängige Ausführungsformen für Zeiger-Vorrichtungen verbinden, so wie dies auch für "Computer-Maus", "Joystick", "Trackball" ua der Fall ist. Doch ist der in Rede stehende Begriff "Trackpoint" nicht ein so gängiger Fachbegriff, der den Fachmann ohne weitere Überlegungen gleichsam zwingend auf eine einzige, bestimmte, im Markt erhältliche Ausführungsform festlegt und ihn damit in technische Widersprüche zu den weiteren Ausführungen in der Patentschrift führt. Jedenfalls wird der Fachmann durch eine solche - auch hier durchaus mögliche - gedankliche Verbindung des Begriffes "Trackpoint" mit einem bekannten Gerät nicht daran gehindert, den im Patent beanspruchten und beschriebenen Trackpoint als eine Zeiger-Vorrichtung zu verstehen, die die Funktionen Berühren, Verschieben, Markieren und Loslassen realisiert und die - im Unterschied zu dem von der Einsprechenden angeführten Trackpoint - von einem Anzeigefeld umgeben ist, welches ... zur dynamischen Anzeige der auszuwählenden und ausgewählten Funktionen dient. Das reicht für den Fachmann hin, die mit dem patentgemäßen Trackpoint verbundene Erfindung auszuführen.

3. Stand der Technik Aus Entgegenhaltung (1), vgl Figuren 1 bis 3d, Anspruch 10 und Beschreibung Spalte 4 Zeile 29 bis Spalte 5 Zeile 19, ist eine multifunktionale Bedieneinheit mit den Merkmalen im Oberbegriff des Anspruchs 1 als bekannt entnehmbar. Mittels eines Stellgliedes (Bedieneinheit) (1, 4) werden unter Steuerung durch einen Mikrocomputer 10 in einem Speicher 11 Tabellen für Steuersignale abgelegt, die mehreren verschiedenen Funktionen entsprechen, um ein über eine Schnittstelle 13 angeschlossenes Gerät 14 zu steuern (Ae 1, 3-5, 10; Sp 3 Z 22 bis Sp 4 Z 7). Das zu bedienende Gerät 14 weist eine Anzeigeeinrichtung (Bildschirm) 14' auf (Sp 3 Z 39), auf dieser Anzeigeeinrichtung (Arbeitsfenster) werden Auswahlmenüs und Auswahlpunkte dargestellt, die jeweilige Funktion ist in Abhängigkeit von der Anzahl und Lage der Auswahlpunkte des Menüs steuerbar, eine Leuchtmarke kann mit der Bedienvorrichtung (Drehsteller) auf einen der Auswahlpunkte gebracht werden, durch einen Druck auf den Drehknopf (Auslöse/Enter-Funktion) können Werte eingegeben werden (Anspruch 10, Fig 3a-3d, Sp 4 Z 29 bis Sp 5 Z 19). Mit der bekannten Bedieneinheit können somit auch Funktionen, die einem Berühren, Verschieben, Markieren und Loslassen entsprechen, realisiert werden. Anstelle des im Ausführungsbeispiel genannten Drehstellers für das Stellglied können auch lineare Steller oder Hebel verwendet werden, die gesamte Bedienvorrichtung kann mit zB Druckschaltern und Steuerknüppeln (Joysticks) kombiniert werden (Sp 5 Z 23-28).

4. Neuheit Der - zweifelsfrei gewerblich anwendbare - Gegenstand des Patentanspruchs 1 gilt als neu, denn die Bedieneinheit nach Entgegenhaltung (1) zeigt kein einen Trackpoint umgebendes Anzeigefeld, welches als eine vom Arbeitsfenster separate Komponente ausgebildet ist und zur dynamischen Anzeige der auszuwählenden und ausgewählten Funktionen dient.

5. Erfinderische Tätigkeit Es mag sein, daß der hier zuständige Fachmann, ausgehend von der sich ihm in der Praxis stellenden Aufgabe, eine multifunktionale Bedieneinheit für Kommunikationsendgeräte zu schaffen, die eine konsistente Bedienoberfläche für die wichtigsten Aufgaben einer Bedieneinheit bietet, in Betracht zieht, die aus (1) als bekannt entnehmbare multilfunktionale Bedieneinheit zu verbessern und weiterzubilden, und den in (1) verwendeten Drehsteller mit Auslöse/Enter-Funktion (Sp 3 Z 40-43, Sp 4 Z 67 bis Sp 5 Z 1) zu ersetzen durch einen Trackpoint im Sinne des Streitpatents mit einer Auslöse/Enter-Taste, wie dies auch bereits in (1) hinsichtlich einer Verwendung von linearen Stellern oder Hebeln und Druckschaltern und Steuerknüppeln vorgeschlagen wird (Sp 5 Z 20-28).

Nachdem die bekannte Bedieneinheit auch eine Anzeigeeinrichtung als Arbeitsfenster aufweist, das zu dynamischen Anzeige von auszuwählenden und ausgewählten Funktionen dient (Fig 3a bis 3d, Sp 4 Z 29 bis Sp 5 Z 19), könnte es dem Fachmann - als weitere Verbesserung der Bedienoberfläche - auch noch nahegelegen haben, diese bekannte Anzeigeeinrichtung als ein den Trackpoint umgebendes Anzeigefeld auszuführen. Beschreibungsteile, die das aus (1) bekannte Anzeigefeld betreffen, vgl zB Spalte 6 Zeilen 14 bis 20, stehen einer solchen, das Stellglied umgebenden Anordnung zumindest nicht entgegen. Allerdings würde ein solches Vorgehen dazu führen, daß die so erhaltene Bedieneinheit kein Arbeitsfenster mehr aufwiese, oder aber das Anzeigefenster zumindest nicht als eine vom Arbeitsfenster separate Komponente verbliebe. Eine Veranlassung für den Fachmann, zusätzlich zu der aus (1) als bekannt entnehmbaren Anzeigeeinrichtung eine weitere, davon separate Anzeigeeinrichtung vorzusehen, so daß, wie in Anspruch 1 gefordert, das Dialogsystem ein den Trackpoint umgebendes Anzeigefeld aufweist, welches als eine vom Arbeitsfenster separate Komponente ausgebildet ist, läßt die Druckschrift (1) nicht erkennen. Sie ergibt sich auch nicht im Rahmen fachmännischen Handelns.

6. Die übrigen im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen haben in der mündlichen Verhandlung keine Rolle gespielt. Sie bringen auch keine neuen Gesichtspunkte.

7. Die Patentansprüche 2 bis 9 betreffen Ausgestaltungen des Beanspruchten nach Patentanspruch 1 und sind mit diesem rechtsbeständig.

8. Die Beschreibung genügt den an sie nach Änderung des Patents gemäß § 34 PatG zu stellenden Anforderungen.

Dr. Anders Dr. Hartung Martens Dr. Zehendner Ko






BPatG:
Beschluss v. 12.05.2003
Az: 20 W (pat) 35/01


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/3822946c1fec/BPatG_Beschluss_vom_12-Mai-2003_Az_20-W-pat-35-01




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share