Kammergericht:
Beschluss vom 15. April 2015
Aktenzeichen: 1 ARs 22/14

(KG: Beschluss v. 15.04.2015, Az.: 1 ARs 22/14)

Der Anspruch auf Bewilligung einer Pauschgebühr wird erst mit dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens fällig. Erst ab diesem Zeitpunkt beginnt der Lauf der Verjährungsfrist (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung).

Tenor

Dem Pflichtverteidiger, Rechtsanwalt F., wird auf seinen Antrag gemäß § 51 RVG eine Pauschgebühr in Höhe von

28.000,-- EUR

bewilligt.

Gründe

Der Senat hat den Angeklagten am 16. Oktober 2009 wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit versuchter Brandstiftung und versuchter Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit der Verwerfung seiner Revision durch Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 3. Mai 2011 (3 StR 277/10) ist das Urteil rechtskräftig geworden. Rechtsanwalt F. war am 16. September 2008 als Pflichtverteidiger bestellt worden. Die von ihm am 19. September 2014 in €angemessener Höhe€ beantragte Pauschgebühr setzt der Senat auf 28.000 EUR fest.

1. Der Senat entscheidet gemäß den §§ 51 Abs. 2 Satz 4, 42 Abs. 3 Satz 2 RVG in der Besetzung mit drei Richtern.

2. Die vom Bezirksrevisor unter Berufung auf die bisherige Rechtsprechung des Kammergerichts hinsichtlich der Pauschgebühr für das vorbereitende Verfahren und den ersten Rechtszug erhobene Einrede der Verjährung greift nicht durch.

Die Verjährungsfrist beträgt in entsprechender Anwendung des § 195 BGB drei Jahre. Sie beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Das ist grundsätzlich der Zeitpunkt, in dem die Forderung fällig geworden ist (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB 74. Aufl., Rdn. 2 zu § 199).

Wann der Anspruch auf Bewilligung einer Pauschgebühr (§ 51 RVG) entsteht, wenn der Pflichtverteidiger bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens tätig war, ist in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte umstritten.

Nach den zum alten Recht der BRAGO ergangenen Entscheidungen des Kammergerichts war dabei auf den ersten in § 16 Satz 2 BRAGO (jetzt § 8 Abs. 1 Satz 2 RVG) genannten Fälligkeitszeitpunkt abzustellen, also auf eine ergangene Kostenentscheidung oder auf die Beendigung des Rechtszuges (vgl. KG, Beschlüsse vom 3. August 2010 - 1 ARs 32/09 - und 18. Januar 2005 - 4 ARs 65/04 -; KG JurBüro 1999, 26; so auch OLG Braunschweig, Beschluß vom 17. Januar 2000 - ARs 55/99 - bei juris; Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluß vom 7. November 1990 - Xs 132/90 - bei juris). Zur Begründung wurde angeführt, die Pauschgebühr könne nicht anders behandelt werden als die gesetzliche Vergütung des Pflichtverteidigers, an dessen Stelle sie in besonders schwierigen und umfangreichen Verfahren trete. Danach wäre hier, wie der Bezirksrevisor folgerichtig dargelegt hat, nach dem erstinstanzlichen Urteil vom 16. September 2009 die dreijährige Verjährungsfrist am 1. Januar 2010 in Gang gesetzt worden und unter Berücksichtigung ihrer Hemmung (§ 8 Abs. 2 Satz 1 und 2 RVG) mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs am 3. Mai 2014 bereits vor Eingang des Pauschantrages abgelaufen.

Nach der Gegenansicht wird der Anspruch auf Bewilligung einer Pauschgebühr erst mit dem rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens fällig (vgl. OLG Düsseldorf AGS 2007, 75; OLG Köln, Beschluß vom 29. Dezember 2005 - 2 ARs 229/05 - bei juris; Thüringisches OLG AGS 1998, 87; OLG Hamm NStZ 1997, 41; OLG Bamberg JurBüro 1990, 1282). Dem schließt sich der Senat an, der beim Kammergericht seit 2007 für Entscheidungen über Anträge nach § 51 RVG ausschließlich zuständig ist. Er hält an der bisherigen Rechtsprechung zum Verjährungsbeginn nicht mehr fest.

Eine Gebühr, die besondere Schwierigkeiten anwaltlicher Tätigkeit im gesamten Verfahren pauschal honorieren soll, kann erst nach dessen Abschluß und nicht schon mit Erlaß des ersten Urteils oder Beendigung des Rechtszuges bemessen werden.

Die Ansicht, daß der Anspruch aus § 51 RVG hinsichtlich des Verjährungsbeginns wie der nach § 55 RVG behandelt werden müsse, übersieht, daß der Anspruch aus § 51 RVG im Zeitpunkt der Fälligkeit einzelner Gebühren noch nicht entstanden ist. Denn von der für das gesamte Verfahren bewilligten Pauschgebühr werden auch Leistungen erfaßt, die der Rechtsanwalt erst nach den in § 8 Abs. 1 Satz 2 RVG genannten Fälligkeitszeitpunkten erbracht hat, deren einzelne Vergütungen naturgemäß erst danach fällig werden können. Demzufolge sind bei der Prüfung, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe dem Pflichtverteidiger eine Pauschgebühr zusteht, in einer gebotenen Gesamtschau (std. Rspr. des KG, vgl. Beschluß vom 31. März 2015 - 1 ARs 1/13 -) die Tätigkeiten des Antragstellers in allen Verfahrensabschnitten zu berücksichtigen, was trotz einer überobligatorischen Belastung in einem Verfahrensabschnitt wegen einer unterdurchschnittlichen Beanspruchung in anderen Verfahrensteilen zu einer Versagung der Pauschgebühr führen kann. Deshalb läßt sich entgegen der Ansicht des OLG Braunschweig (aaO) keineswegs häufig schon mit Abschluß der ersten Instanz hinlänglich beurteilen, ob die Tätigkeit des bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalts die Voraussetzungen des § 51 RVG erfüllt. Hinzu kommt, daß der Zeitpunkt des Verjährungsbeginns einer Forderung aus Gründen der Rechtssicherheit von vornherein feststehen muß und nicht von dem ungewissen Ergebnis einer (nachträglichen) Prüfung abhängen darf, ob bereits mit Beendigung des ersten Rechtszuges eine Pauschgebühr verdient war oder erst später infolge der weiteren Inanspruchnahme des Anwalts entstanden ist.

Daß § 51 Abs. 1 Satz 3 RVG im Gegensatz zu § 99 BRAGO ausdrücklich die Gewährung einer Pauschgebühr auch für einzelne Verfahrensabschnitte vorsieht, ändert daran nichts. Denn auch in diesen Fällen ist in einer Gesamtschau des Verfahrens zu prüfen, ob die Schwierigkeiten in einem Teil des Verfahrens nicht durch unterdurchschnittliche Beanspruchungen des Anwalts in anderen (dem Urteil erst folgenden) Verfahrensabschnitten so ausgeglichen werden, daß der Pflichtverteidiger mit der Regelvergütung nach den Teilen 4 bis 6 VV RVG insgesamt ausreichend bezahlt ist (vgl. Senat, Beschluß vom 28. Juni 2010 - 1 ARs 46/09 -). Eine derartige Beurteilung ist ebenfalls erst nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens möglich.

Auch aus dem Umstand, daß der Gesetzgeber lediglich in § 52 Abs. 5 Satz 1 RVG eine von § 8 RVG abweichende Regelung für den Beginn der Verjährungsfrist ab Rechtskraft des Verfahrens getroffen und nicht auch für die Ansprüche aus den §§ 51, 55 RVG vorgesehen hat, ergibt sich nichts anderes (so aber KG JurBüro 1999, 26 für den gleichlautenden § 100 Abs. 3 Satz 1 BRAGO). Denn mit Einführung dieser Vorschrift, die den Anspruch des bestellten Verteidigers gegen den Beschuldigten auf Zahlung von Wahlverteidigergebühren betraf, war eine besondere Regelung für den Beginn der Verjährungsfrist nicht beabsichtigt (BT-Drucksache 7/2016 S. 103). Es sollte lediglich verhindert werden, daß der Anwalt sonst bei einem Verfahren mit mehreren Rechtszügen unter Umständen gezwungen wäre, die Gebühren für die erste Instanz fristwahrend noch während des laufenden Verfahrens geltend zu machen, was das Mandatsverhältnis belasten könnte (vgl. BT-Drucksache aaO).

Das hat hier zur Folge, daß der Anspruch auf Bewilligung einer Pauschgebühr des Rechtsanwalts F. erst mit dem Beschluß des Bundesgerichtshofs am 3. Mai 2011 fällig geworden ist und Verjährung erst mit Ablauf des 31. Dezember 2014 eintreten konnte, mithin der Antrag am 19. September 2014 rechtzeitig gestellt worden ist.

3. Rechtsanwalt F. steht eine Pauschgebühr in Höhe von 28.000,-- EUR zu. Aufgrund des besonderen Umfangs und der besonderen Schwierigkeit der Sache ist eine Beschränkung des Antragstellers auf die in den Teilen 4 bis 6 VV RVG hier bestimmten Gebühren eines Pflichtverteidigers in Höhe von hier 18.775,00 EUR nicht zumutbar. Die unzureichende Vergütung durch die gesetzlichen Gebühren für die Einarbeitung in die Sache und die Tätigkeit des Rechtsanwalts außerhalb der Hauptverhandlung wird auch in der gebotenen Gesamtschau durch die Bezahlung der Terminsgebühren für 50 Verhandlungstage nicht angemessen ausgeglichen.

Der Verteidiger hatte sich in die 74 Stehordner mit ca. 20.000 Blatt umfassenden Hauptakten einzuarbeiten. Hinzu kamen im Laufe des Verfahrens 48 Stehordner beigezogener Akten. Gebührenmindernd kann hingegen nicht außer Acht gelassen werden, daß der Antragsteller mit dem anderen Pflichtverteidiger des Angeklagten jedenfalls ab Anklageerhebung insbesondere bei schwierigen Rechtsfragen zusammenarbeiten konnte und in der Hauptverhandlung auf einen Schlußvortrag verzichtet hat, was zu einer erheblichen Arbeitserleichterung und Zeitersparnis beitrug. Zu berücksichtigen war ebenfalls, daß die durchschnittliche Anwesenheitsdauer des Antragstellers in den 50 von ihm wahrgenommenen Sitzungen nur zwei Stunden und 25 Minuten betrug.

4. Die Umsatzsteuer wird von dem Urkundsbeamten gesondert festgesetzt.






KG:
Beschluss v. 15.04.2015
Az: 1 ARs 22/14


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