Landgericht München I:
Urteil vom 19. Mai 2011
Aktenzeichen: 7 O 8923/10

(LG München I: Urteil v. 19.05.2011, Az.: 7 O 8923/10)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

In der vorliegenden Gerichtsentscheidung geht es um eine Patentverletzung. Die Klägerin besitzt zwei Patente, die eine Vorrichtung zur drahtlosen Übertragung von Messwerten aus bewegten Teilen betreffen. Die Beklagte stellt ein Messsystem her und vertreibt es. Die Klägerin behauptet, dass dieses Messsystem die Merkmale der Patente wortwörtlich umsetzt und daher eine Patentverletzung vorliegt. Die Beklagte bestreitet jedoch die Patentverletzung und argumentiert, dass ihr Messsystem den Stand der Technik widerspiegelt. Das Landgericht München I hat die Klage für zulässig erklärt und entschieden, dass das Messsystem der Beklagten tatsächlich die Merkmale der Patente erfüllt. Das Gericht ist der Ansicht, dass die angegriffene Ausführungsform sämtliche Merkmale der Patente wortwörtlich umsetzt und somit eine Patentverletzung vorliegt. Das Gericht hat daher die Beklagte zur Unterlassung, Vernichtung und Auskunftserteilung verurteilt und ihr außerdem Schadensersatz zugesprochen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. Die Entscheidung ist vorläufig vollstreckbar.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

LG München I: Urteil v. 19.05.2011, Az: 7 O 8923/10


Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 EUR; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu unterlassen,

Vorrichtungen zur drahtlosen Übertragung von mindestens einem Messwert aus bewegten Teilen, bestehend aus

einem Messwertgeber und einem Messsystem, welches seinerseits mindestens eine Antenne in der Nähe des Messwertgebers, einen Empfänger und mindestens eine Elektronikbaugruppe aufweist, wobei im Messsystem mindestens eine modulierte Speisefrequenz erzeugt und an den Messwertgeber abgestrahlt und von diesem empfangen wird,

in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den vorgenannten Zwecken einzu-führen und/oder zu besitzen, bei denen

der Messwertgeber über mindestens einen nachschwingenden Resonator verfügt und der Resonator in seiner Frequenz- oder Absorptionscharakteristik vom zu messenden Wert beeinflusst wird,

durch den Empfang der modulierten Speisefrequenz im Messwertgeber, wenn eine Übereinstimmung der Modulationsfrequenz der modulierten Speisefrequenz (in-direkte modulierte Anregung) mit der Resonatorfrequenz vorliegt, der Resonator zum Schwingen angeregt wird,

nach erfolgter Anregung des Resonators die Modulation der Speisefrequenz periodisch abgeschaltet oder so verändert wird, dass keine Anregung des Resonators mehr stattfindet,

der Resonator hiernach nachschwingt, dabei diese Nachschwingungen ihrerseits durch den zu messenden Wert moduliert und diese modulierte Nachschwingungen vom Messwertgeber abgestrahlt werden, und

der im Messsystem vorhandene Empfänger diese modulierten Nachschwingungen erfasst und daraus durch Frequenzanalyse und Umrechnung mindestens einen Messwert ableitet (Patent DE 197 02 ***.*-09, Anspruch 1),

insbesondere das Temperaturmesssystem €W." bestehend aus Messwertgeber(n) (Sensoren) und Steuergerät (Speisefrequenzgeber/Empfänger).

II. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 EUR; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu unterlassen,

Vorrichtungen zur drahtlosen Übertragung von mindestens einem Messwert aus bewegten Teilen bestehend aus

einem Messwertgeber im bewegten Teil,

einem relativ dazu ortsfesten Messsystem, welches seinerseits aus mindestens einer Antenne in der Nähe des Messwertgebers sowie mindestens einer Elektronikbaugruppe besteht,

wobei das Messsystem zumindest eine Speisefrequenz erzeugt, diese an den Messwertgeber abstrahlt und dieser die Speisefrequenz empfängt,

wobei der Messwertgeber über mindestens einen nachschwingenden Resonator verfügt, der in seiner Frequenz- oder Absorptionscharakteristik vom zu messenden Wert beeinflusst ist und

wobei ein im Messsystem vorhandener Empfänger die Nachschwingungen des Resonators erfasst und daraus durch Frequenzanalyse und Umrechnung den Messwert ableitet

in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den vorgenannten Zwecken einzu-führen und/oder zu besitzen, bei denen

ein Modulieren der Speisefrequenz mittels wenigstens einer Modulationsfrequenz erfolgt,

durch den Empfang der Speisefrequenz bei Übereinstimmung der Modulations-frequenz der Speisefrequenz mit der Resonatorfrequenz der Resonator angeregt ist,

das Messsystem die Modulation der Speisefrequenz regelmäßig nach erfolgter Anregung des Resonators abschaltet oder so verändert, dass keine Anregung mehr stattfindet, und

der Resonator hiernach nachschwingt und dabei diese Nachschwingungen direkt oder indirekt durch Modulation mit dem Messwert wieder abstrahlt (Europäisches Patent EP 0 901 *** B 1, Anspruch 9)

insbesondere das Temperaturmesssystem €W." bestehend aus Messwertgeber(n) (Sensoren) und Steuergerät (Speisefrequenzgeber/Empfänger).

III. Die Beklagte wird verurteilt, Auskunft zu erteilen und unter Vorlage eines ge-ordneten Verzeichnisses Rechnung zu legen über den Umfang der begangenen Patentverletzung, und zwar unter Angabe

1.der Herstellungsmengen und -Zeiten sowie der Menge der erhaltenen oder bestellten Messsysteme gemäß Klageantrag I. und/oder II., ferner der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer;2.der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss der Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer;3.der einzelnen Angebote unter Einschluss der Typenbezeichnung sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger;4.der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet; und5.der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungs-kosten und des erzielten Gewinns;wobei die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben gemäß vorstehender Ziffern 1. und 2. durch Vorlage von Bank-, Finanz- und/oder Handelsunterlagen oder einen geeigneten Zugang dazu, hilfsweise durch Übermittlung von Belegen (Rechnungen und Lieferscheine, jeweils in Kopie) nachzuweisen ist.

IV. Die Beklagte wird verurteilt, die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen Messsysteme gemäß Klageantrag I. und/oder II. zu vernichten.

V. Die Beklagte wird verurteilt, die Messsysteme gemäß Klageantrag I. und/oder II. zurückzurufen und/oder sie endgültig aus den Vertriebswegen zu entfernen.

VI. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche Schäden zu ersetzen, die ihr durch die im Klageantrag I. und/oder II. bezeichneten Handlungen entstanden sind und zukünftig noch entstehen werden.

VII. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 5.375,20 zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. Januar 2010 zu bezahlen.

VIII. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

IX. Das Urteil ist in seinen Ziffern I., II., IV. und V. gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils € 250.000,00, in Ziffer III. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 5.000,00, im übrigen in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten Ansprüche aus einer Patentverletzung geltend.

Die Klägerin ist Inhaberin des deutschen Patents DE 197 02 ***.*-09 (Klagepatent I; Anlage K 1) und des europäischen Patents EP 0 901 *** B 1 (Klagepatent II; Anlage K 2). Beide Patente stehen in Kraft. Die Klageschutzrechte betreffen jeweils eine Vorrichtung zur drahtlosen Übertragung von mindestens einem Messwert aus bewegten Teilen.

In der Beschreibung von Klagepatent I heißt es auszugsweise:

Anspruch 1 des Klagepatents I lautet:

Anspruch 1 des Klagepatents I lautet:

Anspruch 9 des Klagepatents II lautet:

Die Beklagte stellt ein als €W." bezeichnetes Messsystem her und vertreibt dieses. Die Klägerin hat die Beklagte mit Schreiben ihrer Prozeßbevollmächtigten vom 8. Januar 2010 wegen der Herstellung und Lieferung dieses Messsystems unter Hinweis auf beide Klagepatente abgemahnt. In der Abmahnung (Anlage K 9) heißt es unter anderem:

€€ Das Anbieten und der Vertrieb eines entsprechenden, zu den patentgemäßen Systemen unserer Mandantin kompatiblen Sensors stellt daher eine direkte Patentverletzung, jedenfalls aber eine mittelbare Patentverletzung gemäß § 10 PatG dar. €€

Die Klägerin behauptet, das Messsystem €W." der Beklagten erfülle alle sensor- und steuergerätbezogenen Merkmale der Streitpatente und sei daher unmittelbar wortsinngemäß, jedenfalls aber mittelbar patentverletzend.

Die Sensoren der Beklagten bedienten sich der sensorbezogenen Patentmerkmale der Streitpatente, was sich schon aus der Werbung der Beklagten ergebe.

Das Steuergerät der Beklagten verfüge über eine Antenne in der Nähe des Messwertgebers; dies ergebe sich bereits aus dem Blockdiagramm des Steuergeräts der Beklagten (Anlage K 15). Ohne eine solche Antenne wäre zudem eine kabellose Datenübertragung über Funksendung und -empfang nicht möglich. Das Steuergerät der Beklagten verfüge außerdem über mindestens eine Elektronikbaugruppe. Dies ergebe sich ebenfalls aus dem Blockdiagramm (Anlage K 15). Das Steuergerät der Beklagten sende auch mindestens eine amplitudenmodulierte Speisefrequenz, wie anhand des bei der Fa. O. im W. eingesetzten Geräts festgestellt worden sei. Diese wird vom Steuergerät an den Messwertgeber abgestrahlt und von diesem empfangen. Es handele sich also um ein

€... Messsystem, welches seinerseits aufweist

(a.) mindestens eine Antenne in der Nähe des Messwertgebers,

(b.) einem Empfänger und

(c.) mindestens eine Elektronikbaugruppe, wobei im Messsystem mindestens eine modulierte Speisefrequenz erzeugt und an den Messwertgeber abgestrahlt und von diesem empfanden wird.

Messungen am Steuergerät der Beklagten hätten ferner ergeben, dass die Modulation der Speisefrequenz (Amplitudenmodulation) bei diesem Gerät periodisch aussetzt, d.h. die Modulation der Speisefrequenz periodisch abgeschaltet bzw. verändert wird. Dieses periodische Aussetzen bzw. Verändern der Amplitudenmodulation sei nach erfolgter Anregung des Resonators erforderlich, damit (in zeitlicher Hinsicht) ein Abfragefenster entstehe, in dem der Resonator nicht mehr angeregt wird, d.h. frei schwingen und die dabei entstehende temperaturabhängige Nachschwingfrequenz über die Sensorelektronik an das Steuergerät gesendet werden könne, das diese erfasse und aus der übertragenen Frequenz die Temperatur ermittele. Damit sei auch das Merkmal der Klagepatente erfüllt, wonach

€nach erfolgter Anregung des Resonators € die Modulation der Speisefrequenz periodisch abgeschaltet oder so verändert [wird], dass keine Anregung des Resonators mehr stattfindet.

Im Übrigen wäre dieses Merkmal auch dann erfüllt, wenn das Steuergerät so arbeiten würde, wie von der Beklagten behauptet (obwohl dies technisch gar nicht möglich sei). Denn auch die von der Beklagten behauptete Verwendung eines Wobbelsignals als Anregungssignal erfülle dieses Merkmal: Ein Wobbelsignal sei nichts anderes als ein frequenzmoduliertes Speisesignal, d.h. eine modulierte Speisefrequenz im Sinne des o.g. Patentmerkmals. Wenn die Beklagte vortrage, dieses Signal werde so verändert, dass eine Anregung des Resonators nicht mehr stattfinde und dieser frei nachschwinge, sei dies nichts anderes als das, was das Klagepatent beschreibe.

Dass auch das Steuergerät der Beklagten ein die modulierten Nachschwingungen des Resonators enthaltendes Antwortsignal des Sensors empfange und daraus durch Frequenzanalyse und Umrechnung mindestens einen Messwert, nämlich die Temperatur ableite, sei den Darstellungen der Beklagten über ihr Messsystem immanent. Auch dieses Merkmal sei erfüllt.

Soweit die Beklagte behaupte, ihr Steuergerät setze die Lehren der JP-OS um, sei dies unzutreffend, denn der Vortrag, mit dem sie dies belegen wolle, betreffe eine kabelgebundene Temperaturmessung und gerade keine kabellose über Funk.

Die Klägerin hat ausweislich der Klageschrift zunächst eine mittelbare Patentverletzung durch den Vertrieb von Messwertgebern des Typs €W." geltend gemacht. Mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2010 hat sie die auf eine mittelbare Patentverletzung gerichteten Anträge nur noch hilfsweise zu den nunmehr auf eine unmittelbare Patentverletzung durch den Vertrieb des gesamten Messsystems €W.€ gerichteten Hauptanträgen I. bis IV. gestellt.

Die Klägerin hat zuletzt b e a n t r a g t,

I. die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 EUR; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu unterlassen,

Vorrichtungen zur drahtlosen Übertragung von mindestens einem Meßwert aus bewegten Teilen, bestehend aus

einem Messwertgeber und einem Messsystem, welches seinerseits mindestens eine Antenne in der Nähe des Messwertgebers, einen Empfänger und mindestens eine Elektronikbaugruppe aufweist, wobei im Messsystem mindestens eine modulierte Speisefrequenz erzeugt und an den Messwertgeber abgestrahlt und von diesem empfangen wird,

in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den vorgenannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen, bei denen

der Messwertgeber über mindestens einen nachschwingenden Resonator verfügt und der Resonator in seiner Frequenz- oder Absorptionscharakteristik vom zu messenden Wert beeinflusst wird,

durch den Empfang der modulierten Speisefrequenz im Messwertgeber, wenn eine Übereinstimmung der Modulationsfrequenz der modulierten Speisefrequenz (indirekte modulierte Anregung) mit der Resonatorfrequenz vorliegt, der Resonator zum Schwingen angeregt wird,

nach erfolgter Anregung des Resonators die Modulation der Speisefrequenz periodisch abgeschaltet oder so verändert wird, dass keine Anregung des Resonators mehr stattfindet,

der Resonator hiernach nachschwingt, dabei diese Nachschwingungen ihrerseits durch den zu messenden Wert moduliert und diese modulierte Nachschwingungen vom Messwertgeber abgestrahlt werden, und

der im Messsystem vorhandene Empfänger diese modulierten Nachschwingungen erfasst und daraus durch Frequenzanalyse und Umrechnung mindestens einen Messwert ableitet (Patent DE 197 02 ***.*-09, Anspruch 1),

insbesondere das Temperaturmesssystem €W." bestehend aus Messwertgeber(n) (Sensoren) und Steuergerät (Speisefrequenzgeber/Empfänger).

hilfsweise hierzu:

die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 EUR; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu unterlassen,

Messwertgeber, die über mindestens einen nachschwingenden Resonator verfügen, der in seiner Frequenz- oder Absorptionscharakteristik vom zu messenden Wert beeinflusst wird und der

durch den Empfang der modulierten Speisefrequenz im Messwertgeber zum Schwingen angeregt wird, wenn eine Übereinstimmung der Modulationsfrequenz der modulierten Speisefrequenz (indirekte modulierte Anregung) mit der Resonatorfrequenz vorliegt,

der nachschwingt, wenn nach erfolgter Anregung des Resonators die Modulation der Speisefrequenz periodisch abgeschaltet oder so verändert wird, dass keine Anregung des Resonators mehr stattfindet, wobei diese Nachschwingungen ihrerseits durch den zu messenden Wert moduliert und diese modulierte Nachschwingungen vom Messwertgeber abgestrahlt werden,

insbesondere die Messwertgeber vom Typ €W."

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten oder zu liefern, die dazu geeignet und bestimmt sind,

im Zusammenhang mit einer Vorrichtung zur drahtlosen Übertragung von mindestens einem Meßwert aus bewegten Teilen benutzt zu werden, die aus einem Messwertgeber und einem Messsystem besteht, welches seinerseits mindestens eine Antenne in der Nähe des Messwertgebers, einen Empfänger und mindestens eine Elektronikbaugruppe aufweist, wobei im Messsystem mindestens eine modulierte Speisefrequenz erzeugt und an den Messwertgeber abgestrahlt und von diesem empfangen wird,

dadurch gekennzeichnet, dass

der Messwertgeber über mindestens einen nachschwingenden Resonator verfügt und der Resonator in seiner Frequenz- oder Absorptionscharakteristik vom zu messenden Wert beeinflusst wird,

durch den Empfang der modulierten Speisefrequenz im Messwertgeber, wenn eine Übereinstimmung der Modulationsfrequenz der modulierten Speisefrequenz (indirekte modulierte Anregung) mit der Resonatorfrequenz vorliegt, der Resonator zum Schwingen angeregt wird,

nach erfolgter Anregung des Resonators die Modulation der Speisefrequenz periodisch abgeschaltet oder so verändert wird, dass keine Anregung des Resonators mehr stattfindet,

der Resonator hiernach nachschwingt, dabei diese Nachschwingungen ihrerseits durch den zu messenden Wert moduliert und diese modulierte Nachschwingungen vom Messwertgeber abgestrahlt werden, und

der im Messsystem vorhandene Empfänger diese modulierten Nachschwingungen erfasst und daraus durch Frequenzanalyse und Umrechnung mindestens einen Messwert ableitet (Patent DE 197 02 ***.*-09, Anspruch 1),

II. die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 EUR; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu unterlassen,

Vorrichtungen zur drahtlosen Übertragung von mindestens einem Messwert aus bewegten Teilen bestehend aus

einem Messwertgeber im bewegten Teil,

einem relativ dazu ortsfesten Messsystem, welches seinerseits aus mindestens einer Antenne in der Nähe des Messwertgebers sowie mindestens einer Elektronikbaugruppe besteht,

wobei das Messsystem zumindest eine Speisefrequenz erzeugt, diese an den Messwertgeber abstrahlt und dieser die Speisefrequenz empfängt,

wobei der Messwertgeber über mindestens einen nachschwingenden Resonator verfügt, der in seiner Frequenz- oder Absorptionscharakteristik vom zu messenden Wert beeinflusst ist und

wobei ein im Messsystem vorhandener Empfänger die Nachschwingungen des Resonators erfasst und daraus durch Frequenzanalyse und Umrechnung den Messwert ableitet

in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den vorgenannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen, bei denen

ein Modulieren der Speisefrequenz mittels wenigstens einer Modulationsfrequenz erfolgt,

durch den Empfang der Speisefrequenz bei Übereinstimmung der Modulationsfrequenz der Speisefrequenz mit der Resonatorfrequenz der Resonator angeregt ist,

das Messsystem die Modulation der Speisefrequenz regelmäßig nach erfolgter Anregung des Resonators abschaltet oder so verändert, dass keine Anregung mehr stattfindet, und

der Resonator hiernach nachschwingt und dabei diese Nachschwingungen direkt oder indirekt durch Modulation mit dem Messwert wieder abstrahlt (Europäisches Patent EP 0 901 *** B1, Anspruch 9)

insbesondere das Temperaturmesssystem €W." bestehend aus Messwertgeber(n) (Sensoren) und Steuergerät (Speisefrequenzgeber/Empfänger).

hilfsweise hierzu:

die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 EUR; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu unterlassen,

Messwertgeber, die über mindestens einen nachschwingenden Resonator verfügen, der in seiner Frequenz- oder Absorptionscharakteristik vom zu messenden Wert beeinflusst wird und der

durch den Empfang der Speisefrequenz bei Übereinstimmung der Modulationsfrequenz der Speisefrequenz mit der Resonatorfrequenz angeregt ist, und der

nachschwingt, wenn nach erfolgter Anregung des Resonators die Modulation der Speisefrequenz abgeschaltet oder so verändert wird, dass keine Anregung des Resonators mehr stattfindet, wobei diese Nachschwingungen direkt oder indirekt nach Modulation mit dem Messwert wieder abstrahlt,

insbesondere die Messwertgeber vom Typ €W."

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten oder zu liefern, die dazu geeignet und bestimmt sind,

im Zusammenhang mit einer Vorrichtung zur drahtlosen Übertragung von mindestens einem Meßwert aus bewegten Teilen benutzt zu werden, die aus einem Messwertgeber im bewegten Teil und einem relativ dazu ortsfesten Messsystem, welches seinerseits mindestens aus einer Antenne in der Nähe des Messwertgebers, einen Empfänger sowie mindestens eine Elektronikbaugruppe besteht,

wobei im Messsystem mindestens eine Speisefrequenz erzeugt, diese an den Messwertgeber abstrahlt,

und wobei ein im Messsystem vorhandener Empfänger die Nachschwingungen des Resonators erfasst und daraus durch Frequenzanalyse und Umrechnung den Messwert ableitet,

wobei ein Modulieren der Speisefrequenz mittels wenigstens einer Modulationsfrequenz erfolgt,

und das Messsystem die Modulation der Speisefrequenz regelmäßig nach erfolgter Anregung des Resonators abschaltet oder so verändert, dass keine Anregung mehr stattfindet (Europäisches Patent EP 0 901 *** B1, Anspruch 9).

III. die Beklagte zu verurteilen, Auskunft zu erteilen und unter Vorlage eines geordneten Verzeichnisses Rechnung zu legen über den Umfang der begangenen Patentverletzung, und zwar unter Angabe

1.der Herstellungsmengen und -zeiten sowie der Menge der erhaltenen oder bestellten Messsysteme gemäß Klageantrag I. und/oder II., ferner der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer;2.der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss der Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer;3.der einzelnen Angebote unter Einschluss der Typenbezeichnung sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger;4.der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet; und5.der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;wobei die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben gemäß vorstehender Ziffern 1. und 2. durch Vorlage von Bank-, Finanz- und/oder Handelsunterlagen oder einen geeigneten Zugang dazu, hilfsweise durch Übermittlung von Belegen (Rechnungen und Lieferscheine, jeweils in Kopie) nachzuweisen ist.

hilfsweise hierzu:

die Beklagte zu verurteilen, Auskunft zu erteilen und unter Vorlage eines geordneten Verzeichnisses Rechnung zu legen über den Umfang der begangenen Patentverletzung, und zwar unter Angabe

1.der Herstellungsmengen und -zeiten sowie der Menge der erhaltenen oder bestellten Messwertgeber gemäß den Hilfsanträgen zu Klageantrag I. und/oder II., ferner der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer;2.der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss der Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer;3.der einzelnen Angebote unter Einschluss der Typenbezeichnung sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger;4.der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet; und5.der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;wobei die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben gemäß vorstehender Ziffern 1. und 2. durch Vorlage von Bank-, Finanz- und/oder Handelsunterlagen oder einen geeigneten Zugang dazu, hilfsweise durch Übermittlung von Belegen (Rechnungen und Lieferscheine, jeweils in Kopie) nachzuweisen ist.

IV. die Beklagte zu verurteilen, die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen Messsysteme gemäß Klageantrag I. und/oder II. zu vernichten.

hilfsweise hierzu:

die Beklagte zu verurteilen, die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen Messwertgeber gemäß den Hilfsanträgen zu Klageantrag I. und/oder II. zu vernichten.

V. die Beklagte zu verurteilen, die Messsysteme gemäß Klageantrag I. und/oder II. zurückzurufen und/oder sie endgültig aus den Vertriebswegen zu entfernen.

hilfsweise hierzu:

die Beklagte zu verurteilen, die Messwertgeber gemäß den Hilfsanträgen zu Klageantrag I. und/oder II. zurückzurufen und/oder sie endgültig aus den Vertriebswegen zu entfernen.

VI. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche Schäden zu ersetzen, die ihr durch die im Klageantrag I. und/oder II. bezeichneten Handlungen entstanden sind und zukünftig noch entstehen werden.

VII. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 5.375,20 zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. Januar 2010 zu bezahlen.

Die Beklagte hat b e a n t r a g t,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2010 erfolgte Klageänderung aufgrund der vorwerfbaren Verspätung für nicht sachdienlich. Die späte Klageänderung sei alleine Folge des prozesstaktischen Vorgehens der Klägerin, die bereits im Mai 2010 einen entsprechenden Antrag hätte stellen können. Der auf die mittelbare Patentverletzung gerichtete Unterlassungsantrag sei im Zeitpunkt der Klageänderung bereits entscheidungsreif gewesen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass mit ihrem System W. lediglich der mit der als Anlage B 2 vorgelegten japanischen Offenlegungsschrift offenbarte Stand der Technik vor Erteilung der streitgegenständlichen Patente verwirklicht wird. Die japanischen Offenlegungsschrift erwähne eine mit einem Wobbelsignal modulierte Trägerschwingung zur Ermittlung der temperaturabhängigen Resonanzfrequenz eines Resonators und die Zeichnungen offenbarten eine freie Nachschwingung, welche von einem Steuergerät empfangen werde und von der der zu gewinnende Messwert abgeleitet werde.

Die Beklagte stellt sowohl eine unmittelbare, als auch eine mittelbare Patentverletzung in Abrede.

Das Merkmal der Messübertragung aus bewegten Teilen werde nicht verwirklicht. Dieses Merkmal sei als Messwertübertragung zwischen relativ zueinander bewegten Teilen im Zeitpunkt der Messung zu verstehen. Beim Messsystem der Beklagten erfolge der Messvorgang jedoch im Stillstand bei geschlossener Türe; bei der Messwertübertragung während der Gefriertrocknung bewege sich keines der Fläschchen, in denen gemessen werde. Sowohl das deutsche als auch das europäische Streitpatent erwähnten die Schwierigkeiten, die mit der Datenübermittlung eines den Reifendruck darstellenden Messwertes unter den Bedingungen stark schwankender Drehzahlen sowie Lenkbewegungen verbunden seien. Vor diesem Hintergrund dürfe nicht davon ausgegangen werden, dass dieses erste Teilmerkmal eine zu ignorierende Überbestimmung oder dergleichen darstelle.

Das Messsystem der Beklagten erzeuge auch keine modulierte Speisefrequenz, sondern eine mit einem Wobbelsignal gemischte Trägerfrequenz als Speisefrequenz, der eine Modulationsschwingung überlagert werde, deren Frequenz innerhalb eines definierten, die zu erwartende Resonanzfrequenz enthaltenden Bandes kontinuierlich geändert werde. Von dem Messsystem werde somit ein Breitbandsignal mit einer sich innerhalb dieses Bandes ständig ändernden Frequenz gesendet. Sobald eine Anregung stattfinde, werde das sich einstellende Nachschwingsignal des Resonators mit einer sich von der empfangenen Trägerfrequenz unterscheidenden Trägerfrequenz gemischt und als den Messwert enthaltendes Antwortsignal zu dem Messsystem zurückgesendet.

Auch das Merkmal der periodischen Abschaltung der Modulation werde beim Messsystem der Beklagten nicht verwirklicht. Es sei nicht richtig, dass die Modulation der Speisefrequenz (Amplitudenmodulation) beim Steuergerät der Beklagten periodisch aussetze, also abgeschaltet bzw. verändert werde. Richtig sei vielmehr, dass das W. der Beklagten zwischen den Aussendungen auf verschiedenen Trägerfrequenzen das von den Funkzulassungsbehörden geforderte Überprüfen der neuen Frequenz einfüge. Hierzu müsse der Träger abgeschaltet werden. Dies könne nicht mit einer Abschaltung der Modulation gleichgesetzt werden, denn bei abgeschaltetem Träger könne auch keine Modulation des Trägers durch den Sensor erfolgen. Dies zeigten die nachfolgenden Abbildungen, bei denen deutlich zu erkennen sei, dass im Falle der Abbildung 2 die Modulation abgeschaltet werde, der Träger aber weiterhin gesendet wird (zwischen den vertikalen Balken der AM Anregemodulation ist der weiterhin gesendete Träger bei ca. der halben maximalen Aussteuerung zu sehen). Beim Signal des W. sei hingegen zu erkennen, wie vor jedem Trägerfrequenzwechsel keine Aussendung, insbesondere auch keine Trägeraussendung stattfinde, da in dieser Phase das vom Gesetzgeber geforderte Überprüfen auf einen freien Kanal erfolge (zwischen den vertikalen Balken der aktiven Messung geht das Signal an den unteren Rand des Bildes = 0 = keine Leistung).

Gründe

Die zulässige Klage hat Erfolg.

I.

Die Klage ist zulässig. Insbesondere sind die mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2010 von der Klägerin vorgenommenen und als Klageänderung bezeichneten Änderungen hinsichtlich der Antragstellung zulässig.

Ob es sich hier überhaupt um eine Klageänderung im Sinne des § 263 ZPO handelt, oder ob lediglich € bei gleicher Tatsachengrundlage € ein anderer rechtlicher Gesichtspunkt (unmittelbare statt mittelbare Patentverletzung) geltend gemacht wird (vgl. dazu Zöller/Greger, § 263 Rn. 8 ZPO), kann letztlich dahinstehen; denn selbst wenn die Antragsänderung wie eine Klageänderung nach § 263 ZPO zu behandeln sein sollte, war sie als nachträgliche Klagehäufung zulässig.

Bei den von der Klägerin selbst als Klageänderung bezeichneten neuen Hauptanträgen handelte es sich dann zwar nicht um den typischen Fall einer Klageänderung durch Austausch verschiedener prozessualer Ansprüche, sondern um eine nachträgliche Klagehäufung in Eventualstellung nach § 260 ZPO; denn die Klägerin wollte neben dem bisherigen, mit einer mittelbaren Patentverletzung begründeten Anspruch hilfsweise einen auf eine unmittelbare Patentverletzung gestützten Anspruch geltend machen. Eine solche nachträgliche Klagehäufung ist aber wie eine Klageänderung zu behandeln (BGH NJW 1985, 1841; BGH, WM 1983, 1162; Zöller/Greger, § 263 Rn. 2).

Zwar hat die Beklagte der Klageänderung widersprochen, die Kammer erachtet diese aber als sachdienlich.

Bei der Zulassung einer Klageänderung handelt es sich um eine Ermessensfrage. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es für die Frage, ob eine Klageänderung sachdienlich ist, nicht auf die subjektiven Interessen der Partei an, sondern allein auf die objektive Beurteilung, ob und inwieweit die Zulassung der Klageänderung den sachlichen Streitstoff im Rahmen des anhängenden Rechtsstreits ausräumt und einem andernfalls zu gewärtigenden weiteren Rechtsstreit vorbeugt. Maßgebend ist der Gesichtspunkt der Prozeßwirtschaftlichkeit. Deshalb steht der Sachdienlichkeit einer Klageänderung regelmäßig nicht entgegen, dass aufgrund ihrer Zulassung neue Parteierklärungen und Beweiserhebungen nötig werden und dadurch die Erledigung des Prozesses verzögert wird (BGH WM 1983, 1162). Die Sachdienlichkeit einer Klageänderung ist hingegen im Allgemeinen zu verneinen, wenn ein völlig neuer Streitstoff in den Rechtsstreit eingeführt werden soll, bei dessen Beurteilung das Ergebnis der bisherigen Prozeßführung nicht verwertet werden kann.

Die Zulassung der Klageänderung entsprach hier der Prozeßwirtschaftlichkeit. Sie beugte einem sonst sicher zu erwartenden zweiten Prozeß vor. Insbesondere wurde der bisherige Streitstoff durch Umstellung der Klage auf eine unmittelbare Patentverletzung nicht gegenstandslos. Der entsprechende Sachvortrag war nämlich schon im Rahmen des Vorwurfs der mittelbaren Patentverletzung weitgehend in den Prozeß eingeführt worden.

II.

110Der nach der mündlichen Verhandlung vom 3. März 2011 mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 23. März 2011 erfolgte Antrag der Beklagten, den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die gegen die Klagepatente erhobenen Nichtigkeitsklagen auszusetzen, hat keinen Erfolg.

Der Antrag ist bereits verspätet (§ 296 ZPO), da die am 22. März 2011 gegen die Klagepatente anhängig gemachten Nichtigkeitsklagen bereits zu einem früheren Zeitpunkt im Rahmen des hiesigen Patentverletzungsstreits hätten erhoben werden können. Die Beklagte war auch nicht dadurch an der rechtzeitigen Einreichung von Nichtigkeitsklagen gehindert, dass die Klägerin zunächst nur eine mittelbare Patentverletzung geltend gemacht hat. Denn die Nichtigkeitsklage ist auch in diesem Fall ein probates Verteidigungsmittel.

Der Antrag hätte aber selbst dann, wenn er rechtzeitig gestellt worden wäre, keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Denn unabhängig von den Erfolgsaussichten der Nichtigkeitsklagen verdient derjenige, der zögerlich handelt, nicht den €Schutz€ der Aussetzung (LG Düsseldorf, InstGE 3, 54, 58 € Sportschuhsohle). Hier hat die Beklagte die Nichtigkeitsklagen so spät eingereicht, dass diese im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht einmal der Klägerin zugestellt waren.

III.

Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre des Anspruchs 1 des Klagepatents I. und von der Lehre des Anspruchs 9 des Klagepatents II. unmittelbar Gebrauch.

1. Die Klagepatente betreffen jeweils eine Vorrichtung zur drahtlosen Übertragung von mindestens einem Messwert aus bewegten Teilen. Derartige Vorrichtungen kommen insbesondere zur Messung des Reifendrucks in Kraftfahrzeugen zur Anwendung. Dabei befindet sich im Reifen ein Sensor (Messwertgeber), der den Reifendruck misst, in eine elektronische Größe umsetzt und als elektronisches Signal an den Empfänger übermittelt.

Die Klagepatentschrift beschreibt die Notwendigkeit einer drahtlosen, allerdings weder optischen noch akustischen Datenübermittlung, die mit der schwankenden Drehzahl des Reifens, Lenk- und Fahrwerksbewegungen und Schmutzeinwirkung begründet wird. Bei der drahtlosen Datenübermittlung besteht € so wird in den Beschreibungen der Klagepatente ausgehend von der Patentanmaldung DE 196 21 ***.1 ausgeführt € die Schwierigkeit, den von Mischprodukten ungestörten Empfang des Meßsignals zu gewährleisten.

2. Ohne das vorgeschlagene drahtlose, nicht-optische und nicht-akustische Meßsystem damit auf diese Einsatzbeispiele zu beschränken, schlägt das Klagepatent I. zur Lösung eine Vorrichtung nach Anspruch 1 mit folgenden Merkmalen vor.

(0.) Vorrichtung zur drahtlosen Übertragung von mindestens einem Meßwert aus bewegten Teilen, bestehend aus

(1.) einem Messwertgeber und

(2.) einem Messsystem, welches seinerseits aufweist:

(a.) mindestens eine Antenne in der Nähe des Messwertgebers,

(b.) einen Empfänger und

(c.) mindestens eine Elektronikbaugruppe,

(3.) wobei im Messsystem mindestens eine modulierte Speisefrequenz erzeugt und

(4.) an den Messwertgeber abgestrahlt und von diesem empfangen wird,

dadurch gekennzeichnet, dass

(5.) der Messwertgeber über mindestens einen nachschwingenden Resonator verfügt und

(6.) der Resonator in seiner Frequenz- oder Absorptionscharakteristik vom zu messenden Wert beeinflusst wird,

(7.) durch den Empfang der modulierten Speisefrequenz im Messwertgeber, wenn eine Übereinstimmung der Modulationsfrequenz der modulierten Speisefrequenz (indirekte modulierte Anregung) mit der Resonatorfrequenz vorliegt, der Resonator zum Schwingen angeregt wird,

(8.) nach erfolgter Anregung des Resonators die Modulation der Speisefrequenz periodisch abgeschaltet oder so verändert wird, dass keine Anregung des Resonators mehr stattfindet,

(9.) der Resonator hiernach nachschwingt, dabei diese Nachschwingungen ihrerseits durch den zu messenden Wert moduliert und diese modulierte Nachschwingungen vom Messwertgeber abgestrahlt werden, und

(10.) der im Messsystem vorhandene Empfänger diese modulierten Nachschwingungen erfasst und daraus durch Frequenzanalyse und Umrechnung mindestens einen Messwert ableitet.

Die Merkmale des Anspruchs 9 aus dem Klagepatent II lassen sich wie folgt darstellen:

(0.) Vorrichtung zur drahtlosen Übertragung von mindestens einem Messwert aus bewegten Teilen, bestehend aus

(1.) einem Messwertgeber, insbesondere einem Druckmesser, im bewegten Teil und

(2.) einem relativ dazu ortsfesten Messsystem, welches

(a.) seinerseits aus mindestens einer Antenne in der Nähe des Messwertgebers

(b.) sowie mindestens einer Elektronikbaugruppe besteht,

(3.) wobei das Messsystem zumindest eine Speisefrequenz erzeugt,

(4.) diese an den Messwertgeber abstrahlt und dieser die Speisefrequenz empfängt,

(5.) wobei der Messwertgeber über mindestens einen nachschwingenden Resonator verfügt,

(6.) der in seiner Frequenz- oder Absorptionscharakteristik vom zu messenden Wert beeinflusst ist, und

(7.) wobei ein im Messsystem vorhandener Empfänger die Nachschwingungen des Resonators erfasst und daraus durch Frequenzanalyse und Umrechnung den Messwert ableitet

dadurch gekennzeichnet,

(8.) dass ein Modulieren der Speisefrequenz mittels wenigstens einer Modulationsfrequenz erfolgt,

(9.) dass durch den Empfang der Speisefrequenz bei Übereinstimmung der Modulationsfrequenz der Speisefrequenz mit der Resonatorfrequenz der Resonator angeregt ist,

(10.) dass das Messsystem die Modulation der Speisefrequenz regelmäßig nach erfolgter Anregung des Resonators abschaltet oder so verändert, dass keine Anregung mehr stattfindet, und

(11.) dass der Resonator hiernach nachschwingt und dabei diese Nachschwingungen direkt oder indirekt durch Modulation mit dem Messwert wieder abstrahlt.

3. Die angegriffene Ausführungsform (€W.€) verwirklicht sämtliche Merkmale der Klagepatente wortsinngemäß.

a. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Merkmale (1.), (2.), (4.), (5.), (6.), (7.), (9.) und (10.) des Klagepatents I. und die Merkmale (1.), (2.), (4.), (5.), (6.), (7.), (9.) und (11.) des Klagepatents II. bei dem angegriffenen Messsystem ihrem Wortlaut nach verwirklicht sind.

b. Bei dem von der Beklagten als nicht verwirklicht angesehenen Merkmal (0.) beider Klagepatente, der Messübertragung aus bewegten Teilen handelt es sich um eine Funktions- und Zweckangabe. Im Klagepatent II. findet sich dieses Merkmal nochmals gleichlautend (€im bewegten Teil€), ohne dass damit eine inhaltliche Änderung der Anspruchsfassung verbunden ist.

Der Patentschutz erstreckt sich ungeachtet der in seinem Patentanspruch enthaltenen Zweck-, Wirkungs- und Funktionsangaben auf jeden Gegenstand, der die gleichen Eigenschaften besitzt. Der Sachschutz umfasst also alle Funktionen, Wirkungen, Zwecke, Brauchbarkeiten und Vorteile der Vorrichtung ohne Rücksicht darauf, ob der die Patentfähigkeit gegebenenfalls allein begründende neue Verwendungszweck € hier die Messung aus bewegten Teilen wie etwa Autoreifen € von der angegriffenen Ausführungsform auch tatsächlich genutzt oder ob diese zu einem anderen Zweck verwendet wird (BGHZ 112, 140, 156 € Befestigungsvorrichtung II). Zwar sind im Patentanspruch enthaltene Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben nicht schlechthin bedeutungslos. Sie können vielmehr als Bestandteile des Patentanspruchs an dessen Aufgabe teilnehmen, den geschützten Gegenstand zu bestimmen und damit zugleich zu begrenzen, wenn sie das Vorrichtungselement, auf das sie sich beziehen, als ein solches definieren, das so ausgebildet sein muss, dass es die betreffende Funktion erfüllen kann (BGHZ 112, 140 € Befestigungsvorrichtung II).

Aus der Formulierung €Messübertragung aus bewegten Teilen€ ergibt sich zwar, dass das Messsystem patentgemäß so beschaffen sein muss, dass der patentgemäße Zweck der Messübertragung aus bewegten Teilen möglich sein muss. Damit wird der durch das Patent geschützte Gegenstand dahin definiert, dass er so ausgebildet sein muss, dass er für den im Patentanspruch angegebenen Zweck verwendbar ist. Nicht notwendig ist hingegen, dass die angegriffene Ausführungsform das Messsystem zu eben diesem Zweck einsetzt. Versteht man die Übertragung aus bewegten Teilen also als Angabe einer notwendigen Funktion oder als Zweckangabe, so erfordert die patentgemäße Lehre nur einen Meßwertgeber, der in einem bewegten Teil eingesetzt werden kann. Eine solche Einsatzmöglichkeit ihres Messsystems €W.€, welches zur Messung im Rahmen der Gefriertrocknung eingesetzt wird, hat die Beklagte nicht bestritten. Dass der Messwertgeber in der angegriffenen Ausführungsform auch tatsächlich in einem bewegten Teil eingesetzt wird, ist hingegen nicht erforderlich.

c. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht auch das Merkmal (3.) des Klagepatents I. und die gleichlautenden Merkmale (3.) und (8.) des Klagepatents II., wonach im Messsystem eine modulierte Speisefrequenz erzeugt wird.

Die Beklagte hat einerseits vorgetragen, ihr Messsystem erzeuge keine modulierte Speisefrequenz, sondern eine mit einem Wobbelsignal gemischte Trägerfrequenz als Speisefrequenz. Mit ihrer Duplik (dort Seiten 25 ff.) hat die Beklagte zugestanden, dass durch das in ihrem Messsystem eingesetzte Wobbelsignal eine Modulation erzeugt wird.

Damit steht schon nach dem eigenen Vortrag der Beklagten fest, dass mit dem angegriffenen Messsystem eine Speisefrequenz erzeugt wird, die mittels einer Modulationsfrequenz € hier: dem Wobbelsignal € moduliert wird.

d. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht auch das Merkmal (8.) des Klagepatents I. und das gleichlautende Merkmal (10.) des Klagepatents II., wonach nach erfolgter Anregung des Resonators die Modulation der Speisefrequenz periodisch so verändert wird, dass keine Anregung des Resonators mehr stattfindet.

Eine Anregung des Resonators (zum Schwingen) findet patentgemäß dann statt, wenn die Modulationsfrequenz mit der Resonatorfrequenz übereinstimmt. Umgekehrt findet keine Anregung des Resonators statt, wenn die Modulationsfrequenz mit der Resonatorfrequenz nicht übereinstimmt. Der Wechsel von Anregung und Nichtanregung wird dadurch bewerkstelligt, dass die Modulation der Speisefrequenz periodisch abgeschaltet, zumindest aber verändert wird. Grund für den Wechsel von Anregung und Nicht-Anregung des Resonators ist, diesem die Möglichkeit zu geben, nachschwingen zu können, um so eine Messung zu ermöglichen.

Beim Messsystem der Beklagten wird die Modulationsfrequenz von einem Wobbelsignal erzeugt. Ein Wobbelsignal ist ein in der Frequenz permanent an- und absteigendes € insofern also frequenzmoduliertes € Speisesignal, d.h. eine modulierte Speisefrequenz im Sinne des o.g. Patentmerkmals. Selbst wenn das €W.€ der Beklagten die Aussendung des Wobbelsignals periodisch durch Abschalten des Trägers € und nicht nur der Modulation € unterbricht, wird doch zwischen den Unterbrechungen eine (sich permanent ändernde) modulierte Speisefrequenz erzeugt und ausgesandt, die patentgemäß den Resonator immer dann zum Schwingen anregt, wenn eine Frequenzübereinstimmung mit der Eingabefrequenz des Resonators eintritt und den Resonator durch den nachfolgenden (modulationsbedingten) Frequenzunterschied nachschwingen lässt. Nach allem wird auch bei der Beklagten das (Wobbel-) Signal so verändert, dass eine Anregung des Resonators nicht mehr stattfindet und dieser nachschwingen kann, bis das Wobbelsignal die Resonatorfrequenz das nächste Mal erreicht. Unerheblich ist insoweit, dass zusätzlich auch die von der Beklagten behauptete Unterbrechung durch Abschaltung des Trägers eine Nachschwingung fördert.

4. Soweit die Beklagte einwendet, dass mit ihrem System €W.€ lediglich der mit der japanischen Offenlegungsschrift offenbarte Stand der Technik verwirklicht werde, kann dem nicht gefolgt werden.

Wird von allen Merkmalen eines erteilten Patentanspruchs bei der angegriffenen Ausführungsform in identischer Weise Gebrauch gemacht, kann sich die Beklagte des Patentverletzungsprozesses nicht damit verteidigen, die angegriffene Ausführungsform stelle mit Rücksicht auf den Stand der Technik keine patentfähige Erfindung dar, weil dies auf eine inzidente Feststellung der Nichtigkeit des Klagepatents im Rahmen des Patentverletzungsverfahrens hinauslaufen würde, was mit der dem deutschen Recht entsprechenden Kompetenzverteilung zwischen Nichtigkeits- und Patentverletzungsverfahren nicht vereinbar ist. Die Patenterteilung kann nur mit der Nichtigkeitsklage angefochten werden (BGH GRUR 1999, 914 € Kontaktfederblock).

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709, 108 ZPO.






LG München I:
Urteil v. 19.05.2011
Az: 7 O 8923/10


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/364321f4d929/LG-Muenchen-I_Urteil_vom_19-Mai-2011_Az_7-O-8923-10




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