Bundespatentgericht:
Beschluss vom 3. Februar 2011
Aktenzeichen: 8 W (pat) 330/06

(BPatG: Beschluss v. 03.02.2011, Az.: 8 W (pat) 330/06)

Tenor

Das Patent wird in vollem Umfang aufrechterhalten.

Gründe

I.

Die Patentinhaberin hat das Patent 103 61 767 am 31. Dezember 2003 beim Patentamt angemeldet. Die Erteilung des Patents mit der Bezeichnung

"Verfahren und Vorrichtung zur mechanischen Bearbeitung von parallelen Stirnflächen an kleinteiligen Werkstücken"

ist am 22. Dezember 2005 veröffentlicht worden.

Dagegen hat am 22. März 2006 die Einsprechende Einspruch erhoben, weil der Gegenstand des Patents gegenüber dem Stand der Technik nicht erfinderisch sei.

Sie hat ihren Einspruch ausschließlich auf drei offenkundige Vorbenutzungen, betreffend jeweils denselben Gegenstand, nämlich ein Spannfutter der Firma S..., gestützt. Hierzu hat die Einsprechende die Kopie einer Power-Point-Präsentation, einen Videofilm, eine Fotografie, eine technische Zeichnung, diverse Rechnungen sowie eine eidesstattliche Versicherung eingereicht. Schriftlich hat sie ausgeführt, dass durch das vorbenutzte Spannfutter eine Trägerplatte mit den wesentlichen Merkmalen des Patentanspruchs 5 vorbekannt sei, mit dem zwar lediglich die einseitige Bearbeitung offenbart sei, der Fachmann im Bedarfsfall jedoch ohne weiteres damit auch eine beidseitige Bearbeitung durchführen werde. Demzufolge ergebe sich für den Fachmann auch das Verfahren nach den erteilten Patentansprüchen 1 bis 4 alleine aufgrund seines Fachwissens.

Mit Schriftsatz vom 30. November 2010 hat die Einsprechende angekündigt, dass sie an der anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.

Von der Einsprechenden liegt der Antrag vor, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, das angegriffene Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten.

Die Patentinhaberin tritt dem Vorbringen der Einsprechenden entgegen und führt aus, dass mit dem angeblich vorbenutzten Spannfutter ein völlig anderes Verfahren erfolge, weil mit diesem Spannfutter zweifelsfrei nur eine einseitige und daher keine zweiseitige, demzufolge auch keine planparallele Stirnseitenbearbeitung möglich sei. Im Übrigen seien bei dem angeblich vorbenutzten Spannfutter sowohl eine erste Trägerplatte als auch eine zweite Platte erforderlich. Ein Wenden der beiden Platten sei weder vorgesehen noch möglich.

Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:

"Verfahren zur mechanischen Bearbeitung von parallelen Stirnflächen an kleinteiligen Werkstücken, wobei ein zu bearbeitendes Werkstück (1) mit zwei überstehenden Stirnflächen (2, 2') in einen scheibenförmigen Träger (3) eingespannt wird, der an seiner Oberseite und Unterseite planparallele, das Werkstück mit einem Abstand umgebende erste und zweite Auflageflächen (4, 4') aufweist, wobei der Träger (3) an seiner ersten Auflagefläche (4) an einer rotierend antreibbaren Gegenfläche (5) einer Werkzeugmaschine gespannt wird und danach die erste Stirnfläche (2) des Werkstückes bearbeitet wird, wobei der Träger (3) zur Bearbeitung der zweiten Stirnfläche (2') des Werkstückes gewendet und mit der zweiten Auflagefläche (4) erneut an der Gegenfläche (5) der Werkzeugmaschine gespannt wird und wobei die Gegenfläche (5) mit dem hieran befestigten Träger (3) während der Bearbeitung beider Stirnflächen (2, 2') des Werkstückes rotierend angetrieben wird."

Der erteilte nebengeordnete Patentanspruch 5 lautet:

"Werkstückhalter zur Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 4, mit einem scheibenförmigen Träger (3), der mindestens eine Aufnahmeöffnung (9) zur Aufnahme eines Werkstückes (1) aufweist, und einer an dem Träger (3) angeordneten Spannvorrichtung (11) zur Fixierung des Werkstückes (1) in der Aufnahmeöffnung (9), wobei die zu bearbeitenden Stirnflächen (2, 2') des in den Träger (3) eingesetzten Werkstückes (1) zugänglich sind und durch Wenden des Trägers (3) nacheinander bearbeitet werden können, wobei der Träger (3) im äußeren Bereich seiner Oberund Unterseite zueinander planparallele Auflageflächen (4, 4') aufweist, die zur beidseitigen Werkstückbearbeitung wechselseitig nacheinander an einer Gegenfläche (5) einer Werkzeugmaschine spannbar sind und den Träger (3) hierbei gegenüber der Werkzeugmaschine ausrichten, und wobei der Scheibendurchmesser (D) des Trägers (3) groß gegenüber der Weite (d) der Aufnahmeöffnung (9) ist."

Hinsichtlich des Wortlauts der auf den Patentanspruch 1 bzw. 5 rückbezogenen abhängigen Patentansprüche 2 bis 4 sowie 6 bis 8 sowie weiterer Einzelheiten wird auf die Patentschrift sowie auf den Inhalt der Akten verwiesen.

Im Prüfungsverfahren sind ferner noch die DE 195 13 338 C2 und die EP 849 039 B1 in Betracht gezogen worden.

II.

1.

Der Senat ist für die Entscheidung im vorliegenden Einspruchsverfahren auch nach der mit Wirkung vom 1. Juli 2006 erfolgten Aufhebung der Übergangsvorschriften des § 147 Abs. 3 PatG auf Grund des Grundsatzes der "perpetuatio fori" gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO analog i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG zuständig (vgl. BGH GRUR 2009, 184, 185 -Ventilsteuerung; GRUR 2007, 862 f. -Informationsübermittlungsverfahren II).

2.

Der Patentgegenstand betrifft nach Absatz [0001] der Streitpatentschrift ein Verfahren zur mechanischen Bearbeitung von parallelen Stirnflächen an kleinteiligen Werkstücken sowie einen Werkstückhalter zur Durchführung des Verfahrens. Gemäß den Ausführungen in Absatz [0002] der Streitpatentschrift werden an die Parallelität der Stirnflächen von kleinteiligen Werkstücken häufig hohe Anforderungen gestellt. So müssten in einigen Anwendungsfällen die Stirnflächen der bearbeiteten Werkstücke mit einer Abweichung von weniger als 1 µm parallel zueinander ausgerichtet sein. Diese Genauigkeitsanforderungen könnten nicht eingehalten werden, wenn das Werkstück bei der Bearbeitung umgespannt werden müsse, weil Abweichungen in Bezug auf die Außenkontur sowie die Wiederholgenauigkeit der Spannmittel der insgesamt erreichbaren Genauigkeit Grenzen setzten. Aus diesem Grund werden bei bekannten Verfahren zur mechanischen Bearbeitung von parallelen Stirnflächen an kleinteiligen Werkstücken die beiden Stirnflächen in einer Aufspannung gleichzeitig bearbeitet, weshalb die Vorrichtungen hierfür teuer und aufwändig sind.

Daher liegt dem Streitpatent nach Absatz [0005] der Streitpatentschrift die Aufgabe zu Grunde, ein Verfahren sowie eine Vorrichtung anzugeben, die eine präzise Bearbeitung von parallel zueinander ausgerichteten Stirnflächen an kleinteiligen Werkstücken ermöglichen.

Zur Lösung schlägt das Streitpatent hinsichtlich des Verfahrens die im erteilten Patentanspruch 1 angegebenen Merkmale vor, die sich wie folgt gliedern lassen:

1.

Verfahren zur mechanischen Bearbeitung von parallelen Stirnflächen an kleinteiligen Werkstücken;

2.

ein zu bearbeitendes Werkstück wird mit zwei überstehenden Stirnflächen in einen scheibenförmigen Träger eingespannt;

3.

der Träger weist an seiner Oberseite und Unterseite planparallele, das Werkstück mit einem Abstand umgebende erste und zweite Auflageflächen auf;

4.

der Träger wird an seiner ersten Auflagefläche an einer rotierend antreibbaren Gegenfläche einer Werkzeugmaschine gespannt;

5.

danach wird die erste Stirnfläche des Werkstückes bearbeitet;

6.

der Träger wird zur Bearbeitung der zweiten Stirnfläche des Werkstückes gewendet;

7.

der Träger wird mit der zweiten Auflagefläche erneut an der Gegenfläche der Werkzeugmaschine gespannt;

8.

wobei die Gegenfläche mit dem hieran befestigten Träger während der Bearbeitung beider Stirnflächen des Werkstückes rotierend angetrieben wird.

Dem Fachmann, einem Diplom-Ingenieur mit Fachhochschulausbildung der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Berufserfahrung in dem Gebiet der Spannmittelkonstruktion, erschließt sich somit ein Verfahren zum Bearbeiten von parallelen Stirnflächen an kleinteiligen Werkstücken, bei dem die Werkstücke in einen scheibenförmigen Träger derart eingespannt werden, dass die Stirnflächen des Werkstücks auf beiden Seiten des Trägers überstehen. Weil der Träger zudem an beiden Seiten planparallele Auflageflächen aufweist, mit denen er jeweils an einer rotierend antreibbaren Gegenfläche einer Werkzeugmaschine gespannt werden kann, ermöglicht dies die beidseitige genaue Bearbeitung von planparallelen Stirnflächen.

2. Der Einspruch ist fristund formgerecht erhoben und auch im Übrigen zulässig. In der Sache hat er jedoch keinen Erfolg, denn die Gegenstände nach den nebengeordneten Patentansprüchen 1 und 5 des Streitpatents sind patentfähig.

2.1. Die erteilten Patentansprüche 1 bis 8 sind zulässig, weil deren Merkmale in den Ursprungsunterlagen offenbart sind. Dies wurde von der Einsprechenden auch nicht beanstandet.

2.2. Die Neuheit des zweifellos gewerblich anwendbaren Verfahrens zur mechanischen Bearbeitung von parallelen Stirnflächen an kleinteiligen Werkstücken nach dem erteilten Patentanspruch 1 ist gegeben und wurde von der Einsprechenden auch nicht in Zweifel gezogen, so dass sich weitere Ausführungen hierzu erübrigen.

2.3. Das Verfahren nach dem erteilten Patentanspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, denn für die im Patentanspruch 1 aufgeführten Merkmale vermittelt der aufgezeigte Stand der Technik keine Anregungen.

Aus einer Zusammenschau der zum angeblich vorbenutzten Spannfutter eingereichten Unterlagen erschließt sich dem Fachmann ein Verfahren zur mechanischen Bearbeitung der Stirnfläche von Sensoren, also durchaus von kleinteiligen Werkstücken. Dieses Spannfutter wird jedoch gemäß den Ausführungen der Einsprechenden unstrittig nur für die einseitige Stirnbearbeitung von Kleinteilen verwendet. Aus diesem Grund handelt es sich bei der behaupteten Vorbenutzungshandlung nicht um die Bearbeitung von parallelen Stirnflächen an Werkstücken gemäß dem Merkmal 1 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents. Die zu bearbeitenden Werkstücke werden in oder auf eine erste scheibenförmige Werkstückhalteplatte aufbzw. eingelegt. Da diese erste Werkstückhalteplatte beim Einlegen der Werkstücke offensichtlich auf einer Ebene liegt (s. Videofilm an Stelle 40 Sek.), können die zu bearbeitenden Werkstücke auch nicht entsprechend Merkmal 2 mit zwei überstehenden Seiten, sondern allenfalls mit einer überstehenden Seite in diese erste Werkstückhalteplatte eingelegt werden. Auch ein Einspannen in diese (erste) Werkstückhalteplatte findet ersichtlich nicht statt, weil die Werkstücke offensichtlich einen Bund aufweisen, so dass sie auf der Werkstückhalteplatte aufliegt -anders würden die Werkstücke beim einfachen Tragen herausfallen (s. Videofilm an Stelle 40 Sek.). Weiterhin wird offensichtlich eine zweite Werkstückhalteplatte benötigt

(s. Videofilm an Stelle 4:10 Sek), mit der zusammen die Werkstücke mittels Spannklauen gespannt werden. Somit handelt es sich hier nicht um einen scheibenförmigen Träger im Sinne des streitpatentgemäßen Verfahrens, sondern um ein mehrteiliges Spannsystem. Nach dem Foto bzw. der Zeichnung zu schließen, weist die erste Werkstückhalteplatte des angeblich vorbenutzten mehrteiligen Spannsystems zumindest an ihrer Unterseite eine erste Auflagefläche auf, mit der sie an einer rotierend antreibbaren Gegenfläche einer Werkzeugmaschine gespannt wird (Merkmal 4), um anschließend die eine Stirnfläche des Werkstückes zu bearbeiten (Merkmal 5). Eine zweite Auflagefläche im Sinne des Merkmals 3 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents, mit der das Spannsystem des angeblich vorbenutzten Spannfutters nach einem Wenden an der rotierend antreibbaren Gegenfläche der Werkzeugmaschine ein zweites Mal gespannt wird, weist das angeblich vorbenutzte Spannfutter jedoch nicht auf, weil es nur zur einseitigen Stirnflächenbearbeitung vorgesehen ist.

Die Merkmale 6 bis 8 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents sind aus der angeblichen Vorbenutzungshandlung unstrittig nicht bekannt, wie auch die Einsprechende ausdrücklich zugesteht.

Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass der angeblichen Vorbenutzungshandlung nicht nur -wie die Einsprechende zugesteht -die Merkmale 1, 6, 7 und 8 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents fehlen, sondern darüber hinaus auch die Merkmale 2 und 3.

Die beiden im Prüfungsverfahren genannten, aber von der Einsprechenden nicht aufgegriffenen Druckschriften nach der DE 195 13 383 C2 und der EP 0 849 039 B1 liegen weiter ab vom streitpatentgemäßen Verfahren nach Patentanspruch 1, weil sie die gleichzeitige Bearbeitung der beiden Stirnflächen in einer Aufspannung zum Inhalt haben und aus diesem Grund zumindest nicht die Merkmale 3 bis 8 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents aufweisen.

Weil somit keine der im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen die im geltenden Anspruch 1 aufgeführten Merkmale 3, 6, 7 und 8 aufweist, können sie weder für sich gesehen noch in Kombination untereinander den Fachmann dazu anregen, ein Verfahren zur mechanischen Bearbeitung von parallelen Stirnflächen an kleinteiligen Werkstücken dahingehend auszugestalten. Insbesondere führen auch die von der Einsprechenden herangezogenen handwerklichen bzw. einfachen fachüblichen Erwägungen vom Gegenstand der angeblichen Vorbenutzung nicht zum Streitpatentgegenstand. Denn falls der Fachmann, ausgehend von dem angeblichen Vorbenutzungsgegenstand, beide Stirnseiten von Kleinteilen bearbeiten wollte, so würde er die aus der DE 195 13 383 C2 oder der EP 0 849 039 B1 bekannte und bewährte Art und Weise der gleichzeitigen Bearbeitung der beiden Stirnflächen in einer Aufspannung übernehmen, weil er dadurch auch die Bearbeitungszeit deutlich reduzieren könnte. Die beanspruchte Lehre war somit auch nicht durch einfache fachübliche Erwägungen auffindbar; vielmehr bedurfte es darüber hinaus gehender Gedanken und Überlegungen, die auf erfinderische Tätigkeit schließen lassen, um zur beanspruchten Lösung zu gelangen.

2.4. Der Gegenstand des nebengeordneten Patentanspruchs 5, der aufgrund seiner Zweckbestimmung ohne Zweifel gewerblich anwendbar ist, ist neu, da keine Entgegenhaltung seine Merkmale in ihrer Gesamtheit zeigt. Er beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Wie bereits zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Verfahrens nach dem Patentanspruch 1 ausgeführt ist, ist aus dem Stand der Technik kein Verfahren zur mechanischen Bearbeitung von parallelen Stirnflächen an kleinteiligen Werkstücken bekannt oder nahe gelegt, welches die im erteilten Patentanspruch 1 aufgeführten Merkmale aufweist.

Da der Patentanspruch 5 zu den Verfahrensmerkmalen des Patentanspruchs 1 die korrespondierenden Vorrichtungsmerkmale umfasst, ist das Vorliegen der erfinderischen Tätigkeit übereinstimmend zu beurteilen. Auf die entsprechenden Ausführungen, insbesondere zu den die Patentfähigkeit tragenden, die beidseitige Werkstückbearbeitung betreffenden Merkmalen, wird Bezug genommen.

3. Die erteilten Unteransprüche 2 bis 4 sowie 6 bis 8 betreffen zweckmäßige Ausgestaltungen des Streitpatentgegenstands nach dem Patentanspruch 1 bzw. 5, die über Selbstverständlichkeiten hinausreichen.

Bei dieser Sachlage kann es deshalb dahingestellt bleiben, ob die offenkundigen Vorbenutzungen der Firma S... tatsächlich offenkundig vorbenutzt waren, wie die Einsprechende behauptet.

Dr. Zehendner Kätker Rippel Dr. Dorfschmidt Cl






BPatG:
Beschluss v. 03.02.2011
Az: 8 W (pat) 330/06


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/35cdd03f7898/BPatG_Beschluss_vom_3-Februar-2011_Az_8-W-pat-330-06




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share