Verwaltungsgericht München:
Urteil vom 24. September 2014
Aktenzeichen: M 24 K 12.30800

(VG München: Urteil v. 24.09.2014, Az.: M 24 K 12.30800)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Gegenstand des vorliegenden Asylfolgeverfahrens ist, die beklagte Bundesrepublik Deutschland (vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge € BAMF) zu verpflichten, beim Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) für Mazedonien festzustellen unter entsprechender Abänderung eines bestandskräftigen ablehnenden Erstbescheides, und den streitgegenständlichen, im vorliegenden Folgeverfahren ergangenen Ablehnungsbescheid aufzuheben.

Der Kläger ist mazedonischer Staatsangehöriger. Ein Asylerstantrag wurde am 2. August 1994 unanfechtbar abgelehnt; dabei wurde festgestellt, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 Ausländergesetz (AuslG) nicht vorliegen. Die Unterlagen dieses Asylerstverfahrens sind beim BAMF bereits vernichtet. Der Ablehnungsbescheid liegt auch bei der Ausländerbehörde nicht mehr vor.

Ein erster Asylfolgeantrag (Az. ...) wurde mit Bescheid vom 8. Februar 2011, unanfechtbar seit dem 8. März 2011, abgelehnt, wobei festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Die Verwaltungsakte dieses ersten Asylfolgeverfahrens liegen dem Gericht vor.

Am 10. April 2012 stellte der bereits im Verwaltungsverfahren bestellte Klägerbevollmächtigte für den Kläger einen weiteren Folgeantrag, mit dem

im Wege des Wiederaufgreifens die Prüfung des Vorliegens eines Abschiebungshindernisses gem. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG

beantragt wurde.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass der Antragsteller erkrankt sei. Es wurden mehrere ärztliche Unterlagen vorgelegt (Bl. 4 € 8 der Verwaltungsakte des vorliegenden, zweiten Folgeverfahrens Nr. ... € d.A.), die unter anderem eine langjährige, insulinpflichtige Diabetes mellitus und eine Hypertonie, die zu einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz geführt hätten, sowie eine koronare Herzkrankheit und eine Erblindung auf dem linken Auge bei gleichzeitiger Sehminderung auf dem rechten Auge mit Erblindungsgefahr auch dort feststellen. Es wurde weiter ein Bescheid des Versorgungsamtes vom ... September 2011 vorgelegt, der feststellt, dass der Grad der Behinderung (GdB) beim Kläger 100 beträgt (Bl. 9 d.A.). Aus einem Schreiben des Landratsamts Neuburg-Schrobenhausen vom ... Januar 2011 (Bl. 11 d.A.) ergibt sich unter anderem, dass der Kläger teilerblindet und stark sehgemindert ist € er bedürfe deshalb einer Betreuung, sei jedoch nicht speziell betreuungsbedürftig; die Pflege könne sowohl durch die Ehefrau wie auch durch Dritte (Nachbarn, Landleute) erfolgen.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 22. Oktober 2012 (Bl. 19 d.A.) lehnte das BAMF den Antrag auf Abänderung des nach altem Recht ergangenen Bescheides vom 29.06.1994 bezüglich der Feststellung zu § 53 Abs. 1 bis 6 des Ausländergesetzes ab. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, die Erkrankungen des Klägers könnten in Mazedonien behandelt werden.

Der Bescheid vom 22. Oktober 2012 wurde dem damaligen Klägerbevollmächtigten mit gesondertem Zustellanschreiben vom 26. Oktober 2012 (Bl. 26 d.A.) zugestellt, das am 26. Oktober 2012 (Bl. 31 d.A.) als Einschreiben zur Post gegeben wurde.

Mit Klageschrift vom 12. November 2012, per Telefax bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, beantragte der damalige Klägerbevollmächtigte unter anderem, den streitgegenständlichen Bescheid aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, beim Kläger unter Abänderung des früher ergangenen Bescheids vom 29. Juni 1994 hinsichtlich der Feststellungen zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses €gem. § 60 Abs. 7 S. 2, hilfsweise eines anderen Abschiebungshindernisses gem. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG€ festzustellen.

Mit Schreiben vom 21. November 2011 beantragte die Beklagte

Klageabweisung.

Zur Begründung bezog sie sich auf die angefochtene Entscheidung.

Das Gericht hat im Hinblick auf § 52 Nr. 2 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 3 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO) vom 23. Juni 1993 (GVBl. 15/1993, S. 408) zunächst Ermittlungen zur Klärung seiner örtlichen Zuständigkeit angestellt.

Aufgrund von Schreiben der Klagepartei vom 5. Dezember 2012, der Beklagtenpartei vom 4. Januar 2013 und vom 26. Februar 2013 sowie des Landratsamts Neuburg-Schrobenhausen vom 9. Januar 2013 und vom 25. März 2013 ergab sich, dass die Asylerstverfahrensakte, einschließlich des Asylerstbescheides, nicht mehr verfügbar und dass der exakte Zeitpunkt der Asylerstantragstellung auch unter Nutzung elektronischer Medien nicht ermittelbar ist. Der Kläger ist seit dem ... November 2011 dem Landkreis Neuburg-Schrobenhausen zugewiesen.

Mit Schriftsatz vom 5. März 2013 stellte die Klagepartei auf entsprechende gerichtliche Anfrage klar, dass es sich bei der Antragstellung im Klageschriftsatz vom 12. November 2012 um einen Schreibfehler handele € tatsächlich solle der Antrag auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gerichtet sein.

Mit Beschluss vom 26. März 2013 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

Mit Schreiben vom 22. April 2013 wurde das BAMF vom Gericht aufgefordert, Erkenntnismittel vorzulegen, die im streitgegenständlichen Bescheid zitiert, in der Verwaltungsakte aber nicht enthalten sind.

Mit Beschluss vom 22. April 2013 wurde dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt und sein früherer Bevollmächtigter beigeordnet.

Mit Schreiben vom 30. April 2013 legte das BAMF die vom Gericht erbetenen Unterlagen vor.

Mit Schriftsatz vom 20. Juni 2013 legte der frühere Bevollmächtigte dem Gericht weitere ärztliche Unterlagen vor. In der Sache wurde unter anderem vorgetragen, aufgrund früherer Erfahrungen des Klägers und seiner Ehefrau in Mazedonien könne davon ausgegangen werden, dass für alle medizinischen Leistungen € auch für eher bagatellmäßige und geringfügige, wie Verschreibung von Medikamenten € erhebliche Geldbeträge bezahlt werden müssten. Dies entspreche zwar wohl nicht der Rechtslage in Mazedonien, jedoch den tatsächlichen Gegebenheiten.

Mit Schriftsatz vom 21. Juni 2013 teilte der frühere Bevollmächtigte dem Gericht mit, dass das Mandatsverhältnis beendet sei.

Das Gericht hat am 26. Juni 2013 erstmals mündlich verhandelt. Das Gericht hielt weitere Ermittlungen hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeiten für den Kläger in Mazedonien in Form einer Befragung des Auswärtigen Amtes für erforderlich und forderte die Klagepartei mit verkündetem Beschluss auf, bis zum 22. Juli 2013 € soweit noch nicht geschehen € sämtliche für den Kläger derzeit erforderlichen medizinischen Versorgungsmaßnahmen und Medikamentierungen anzugeben und hierfür die notwendigen Beweismittel zu bezeichnen. Der nach § 87b Abs. 3 VwGO vorgesehene Hinweis wurde insoweit gegeben. Die Verwaltungsstreitsache wurde vertagt.

Mit Telefax vom 18. Juli 2013 übersandte die Klagepartei mehrere medizinische Unterlagen insbesondere zur Medikamentierung des Klägers und ein ärztliches Attest vom ... Juni 2013, in dem unter anderem festgestellt wird, der Kläger sei nicht reisefähig.

Mit Schreiben vom 30. September 2013 befragte das Gericht € nach entsprechender Anhörung der Parteien vom 12. September 2013 € das Auswärtige Amt zu den Behandlungsmöglichkeiten in Mazedonien.

Mit Beschluss vom 8. Oktober 2013 hob der Einzelrichter die Beiordnung des früheren Bevollmächtigten gemäß § 48 Abs. 2 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) auf.

Mit Schreiben vom 1. November 2013 teilte das Auswärtige Amt dem Gericht unter anderem mit, dass die genannten Krankheiten (dialysepflichtige Nierenerkrankung, hochgradige Sehbehinderung, Zuckerkrankheit, Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen des Herzens, Glaukom, Depression) in Mazedonien behandelt werden könnten und dass dem Kläger die Behandlung kostenlos und ohne Wartefristen zur Verfügung stehe. Als Sozialhilfeempfänger mit entsprechender Bescheinigung des mazedonischen Zentrums für Sozialhilfe wäre der Kläger kostenlos krankenversichert und von jeglicher Zuzahlung befreit. Die Frage des Gerichts, ob dem Auswärtigen Amt Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass in Mazedonien medizinische Leistungen, die nach mazedonischem Recht an sich kostenlos zur Verfügung zu stellen wären, tatsächlich doch nur gegen erhebliche Geldbeträge zur Verfügung gestellt würden, wurde vom Auswärtigen Amt verneint; sollte ein Angestellter im medizinischen Bereich Geldbeträge für kostenlose medizinische Leistungen verlangen, so könne dies umgehend angezeigt werden. Sollte der Kläger aufgrund einer schweren Erkrankung nicht in der Lage sein, einen Antrag auf Sozialleistungen persönlich zu stellen, könne er einen Verwandten beauftragen, dies für ihn zu tun, wenn sich der Kläger in Mazedonien aufhalte.

Das Gericht hat am 6. Dezember 2013 eine zweite mündliche Verhandlung durchgeführt, in der die Klagepartei ein ärztliches Attest vom ... November 2013 überreichte, in dem unter anderem im Hinblick auf die Niereninsuffizienz des Klägers mitgeteilt wurde, der Kläger müsse zur Erhaltung seines Lebens dreimal pro Woche mit der künstlichen Niere behandelt werden. Die Blutreinigung müsse regelmäßig erfolgen; schon ein einmaliges Pausieren könne zu lebensgefährlichen gesundheitlichen Störungen führen.

Die Klagepartei beantragte (Sitzungsprotokoll vom 6.12.2014, S. 5),

den streitgegenständlichen Bescheid aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, beim Kläger unter Abänderung des Bescheids vom 29. Juni 1994 hinsichtlich der Feststellungen zu § 53 Abs. 1 € 6 AuslG das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Mazedonien festzustellen.

Mit Beschluss vom 19. Dezember 2013 hat der Einzelrichter die mündliche Verhandlung wiedereröffnet zwecks weiterer Sachaufklärung.

Nach entsprechender Einverständniserklärung der Klagepartei vom 13. Januar 2014 fragte das Gericht daraufhin mit Schreiben vom 15. Januar 2014 beim Auswärtigen Amt erneut an, und stellte dabei unter anderem die Frage, ob dem Kläger die im Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 1. November 2013 genannten Behandlungsmöglichkeiten sofort nach Einreise zur Verfügung stünden, und zwar unabhängig von der Stellung, Bearbeitung und positiven Verbescheidung eines Sozialhilfeantrags.

Das Auswärtige Amt bejahte die Frage des Gerichts mit einem auf den 7. März 2014 datierenden, bei Gericht am 11. August 2014 eingegangenen, Schreiben; dabei wurde unter anderem ausgeführt, die Dialysebehandlung werde ohne jegliche Verzögerung in Mazedonien fortgesetzt, unabhängig vom Versicherungsstatus, den der Kläger habe.

Mit Schriftsatz vom 10. September 2014 übersandten die Klägerbevollmächtigten eine ärztliche Bescheinigung vom ... September 2014, in der unter anderem ausgeführt wurde, der Kläger benötige dreimal pro Woche eine Dialyse und sei am ... September 2014 wegen Suizidalität ins Klinikum ... eingewiesen worden, wo die Dialysen für die Dauer des stationären Aufenthalts durchgeführt werden würden.

Das Gericht hat am 24. September 2014 eine weitere mündliche Verhandlung durchgeführt, zu der nur die Klagepartei erschienen ist. In der mündlichen Verhandlung schilderte die Klagepartei die gesundheitliche Situation des Klägers und legte einen vorläufigen Arztbrief vom ... August 2014, ein Schreiben eines Neurologen vom ... September 2014 und ein Informationsblatt über das Projekt €Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen€ der Internationalen Organisation für Migration (IOM) vom Januar 2014 vor. Die Klagepartei wiederholte den bereits in der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2013 gestellten Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Verwaltungsakte zum vorliegenden weiteren Asylfolgeverfahren (Gz.: ...) sowie auf die vorgelegte Verwaltungsakte des ersten Asylfolgeverfahrens (Gz.: ...) Bezug genommen.

Gründe

1. Die Klage ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes) zwar zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Das Gericht kann aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. September 2014 entscheiden, auch wenn seitens der Beklagtenpartei niemand erschienen war. Denn im Ladungsanschreiben vom 1. September 2014 war darauf hingewiesen worden, das beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung € VwGO).

Das Verwaltungsgericht München ist entscheidungsbefugt, insbesondere örtlich zuständig, weil der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung seinen Aufenthalt im Gerichtsbezirk des Verwaltungsgerichts München zu nehmen hatte (§ 52 Nr. 2 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung € VwGO € i.V.m. Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung € AGVwGO € i.V.m. § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz € GVG). Eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach aufgrund früherer Rechtsvorschriften und entsprechender Überleitungsvorschriften besteht nicht; der Zeitpunkt der Asylerstantragstellung war trotz Recherche bei den Beteiligten und bei der Ausländerbehörde nicht ermittelbar.

Aufgrund des Kammerbeschlusses vom 26. März 2013 ist der Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung berufen (§ 76 Abs. 1 AsylVfG).

Streitgegenständlich ist nach dem maßgeblichen, in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag der Klagepartei allein die Frage einer Verpflichtung der Beklagten, unter Abänderung der ursprünglichen Ablehnung ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) festzustellen. Nicht streitgegenständlich ist die Frage einer Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes oder eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Zwar wurden in der Klageschrift vom 12. November 2012 in Form eines Hilfsantrags auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in dessen damaliger Fassung thematisiert, so dass das Gericht erwogen hat, in der nachträglichen Beschränkung des klägerischen Antrags eine teilweise Klagerücknahme (§ 92 VwGO) zu sehen. Allerdings ist im Ergebnis nicht von einer solchen teilweisen Klagerücknahme auszugehen, weil die Anträge der Klagepartei bereits bei Eingang der Klageschrift auslegungsbedürftig (§ 88 VwGO) waren und der Sache nach von Anfang an in dieselbe Richtung gezielt haben, wie die von der Klagepartei zuletzt gestellten Anträge. Zum einen ist dabei zu sehen, dass € abweichend vom gesetzlich angelegten Stufenverhältnis, bei dem der subsidiäre Schutz gerade Vorrang vor nationalen Abschiebungsverboten hat, die regelmäßig nur hilfsweise für den Fall gestellt werden, dass subsidiärer Schutz nicht zuerkannt wird (vgl. BVerwG U.v. 24.6.2008 € 10 C 43.07 € BVerwGE 131, 198) € die Klageschrift gerade den nachrangigen nationalen Abschiebungsschutz in den Mittelpunkt gestellt hat. Wichtig für die Auslegung erscheint auch, dass die Klagepartei bereits im Verwaltungsverfahren den Asylfolgeantrag ausschließlich und ausdrücklich auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beschränkt hatte (Bl. 1 d.A.). Der Umstand, dass die ursprüngliche Klageschrift explizit einen Hilfsantrag enthielt, ändert an diesem Auslegungsergebnis jedenfalls vorliegend nichts, weil die Zitierung der Vorschriften im ursprünglichen Klageantrag ihrerseits auslegungsbedürftig war; anstatt nämlich § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (a.F.) zu zitieren, benannte der Antrag der Klageschrift § 60 Abs. 7 Satz €2€ AufenthG (a.F.) € also eine seinerzeit den subsidiären Schutz betreffenden Norm €, was im Kontext der zu ändernden ursprünglichen Feststellung zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG von vornherein einer gerichtlichen Auslegung (§ 88 VwGO) bedurfte, einer solchen Auslegung aber auch von vornherein zugänglich war. Schließlich ist zu sehen, dass die innerprozessuale Bedingung des ursprünglichen Hilfsantrags im Zeitpunkt der verbindlichen Antragstellung in der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2013 nicht eingetreten war, was zusammen mit den genannten Gründen gegen eine teilweise Klagerücknahme spricht. Im Ergebnis ist allein § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG streitgegenständlich.

2. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen Anspruch gegen die Beklagte, unter Abänderung des ursprünglichen, ablehnenden Bescheides ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (n.F.) für Mazedonien festzustellen.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei ist die Gefahr, dass sich die Erkrankung eines Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist (BVerwG U.v. 17.10.2006 € 1 C 18/05 € BVerwGE 127, 33, juris Rn. 15); erforderlich, aber auch ausreichend ist in derartigen Fällen, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, derart dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach Rückkehr des Ausländers droht (BVerwG B.v. 17.8.2011 € 10 B 13/11 € juris Rn. 3 mit Hinweis auf BVerwGE 127, 33 vom 17.10.2006).

Hinsichtlich der beim Kläger bestehenden Krankheiten sind für den Kläger aber in Mazedonien Behandlungsmöglichkeiten verfügbar, so dass im Ergebnis kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AsylVfG vorliegt.

Der Kläger verfügt über einen bis zum 2. November 2020 gültigen mazedonischen Reisepass (Bl. 53 der Verwaltungsakte zum ersten Asylfolgeverfahren); die Erteilung derartiger Dokumente setzt aber voraus, dass der Kläger in Mazedonien registriert ist. Damit stehen ihm aber schon nach den allgemein verfügbaren Erkenntnismitteln jedenfalls auch die Leistungen des Mazedonischen Krankenversicherungssystems im Falle einer Rückkehr zur Verfügung (Ad-hoc-Lagebericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien (MKD) vom 11. Dezember 2013, Stand: Oktober 2013 [Lagebericht 2013], unter IV.4., S. 10; Ad-hoc-Lagebericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien vom 27.01.2013, Stand: Dezember 2012 [Lagebericht 2012], unter IV.4, S. 11; siehe auch Ad-hoc-Teil-Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Ehemaligen jugoslawischen Republik (EJR) Mazedonien v.a. bzgl. Der Situation der Roma sowie zur medizinischen Versorgung vom 19.01.2011, Stand: Januar 2011 [Lagebericht 2011], unter II.2.2., S. 8). Auch im Fall des Klägers ist davon auszugehen, dass er im Falle einer Rückkehr nach Mazedonien dort medizinische Versorgungsleistungen sogleich erhalten kann. Das Gericht legt seiner Entscheidung insoweit die auf zweimalige gerichtliche Anfrage erteilten und speziell auf den Kläger bezogenen Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 1. November 2013 und vom 7. März 2014 zugrunde.

Dabei können zwar nach den dem Gericht vorliegenden allgemeinen Erkenntnismitteln die meisten Krankheiten und Verletzungen € ausgenommen Organtransplantationen sowie einige schwere und seltene Krankheiten, beispielsweise im Bereich der Kardiologie und bei speziellen Augenoperationen € in Mazedonien therapiert werden, einschließlich psychiatrischer Erkrankungen aller Art (Lagebericht 2011 unter II.2.1., S. 7/8). Aufgrund des multiplen beim Kläger bestehenden Krankheitsbildes und der Schwere dieser Erkrankungen, hat das Gericht aber zusätzlich das Auswärtige Amt zur Frage der Behandelbarkeit gerade der beim Kläger im Wesentlichen festgestellten Krankheitsbilder (dialysepflichtige Nierenerkrankung, hochgradige Sehbehinderung, Zuckerkrankheit, Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen des Herzens, Glaukom, Depression) mit gerichtlichem Schreiben vom 30. September 2013 befragt. Das Auswärtige Amt hat daraufhin im Schreiben vom 1. November 2013 diverse für den Kläger verfügbare Behandlungsmöglichkeiten in Mazedonien benannt. Nachdem die Klagepartei in der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2013 unter Vorlage entsprechender Unterlagen vortrug, dass bereits eine einmalige Unterbrechung der Dialyse im Fall des Klägers lebensgefährlich sein würde, hat das Gericht € insbesondere angesichts der auch von Beklagtenseite unbestrittenen Erforderlichkeit einer regelmäßig beim Kläger durchzuführenden Dialyse, deren auch nur einmalige Unterbrechung lebensgefährlich sein würde € mit gerichtlichem Schreiben vom 15. Januar 2014 das Auswärtige Amt nochmals gezielt unter anderem zur Frage der sofortigen € und von der Stellung, Bearbeitung und Verbescheidung eines Sozialhilfeantrags unabhängigen € Verfügbarkeit der im Schreiben vom 1. November 2013 genannten Behandlungsmöglichkeiten befragt. Daraufhin hat das Auswärtige Amt in seinem weiteren Schreiben vom 7. März 2014 (bei Gericht eingegangen am 11.8.2014) ausdrücklich mitgeteilt, dem Kläger stünden diese Behandlungsmöglichkeiten sofort nach der Einreise zur Verfügung, und zwar unabhängig von der Stellung, Bearbeitung und positiven Verbescheidung eines Sozialhilfeantrags. Die Dialysebehandlung werde ohne jegliche Verzögerung in Mazedonien fortgesetzt, unabhängig vom Versicherungsstatus, den der Kläger habe.

Für das Gericht ist mit den genannten Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 1. November 2013 und vom 7. März 2014 mit hinreichender Sicherheit erwiesen, dass dem Kläger in Mazedonien medizinische Behandlungsmöglichkeiten tatsächlich zur Verfügung stehen, die sicherstellen, dass sich die Erkrankungen des Klägers bei Rückkehr nach Mazedonien nicht in einer Weise verschlimmern, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, derart dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankungen alsbald nach Rückkehr des Klägers droht. Für das Gericht ist kein Grund ersichtlich, die inhaltlichen Aussagen der Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 1. November 2013 und vom 7. März 2014 in Zweifel zu ziehen. Dass das Schreiben vom 7. März 2014 knapp gehalten ist, ändert nichts an seinem eindeutigen Inhalt, wobei auch zu sehen ist, dass dieses Schreiben eine Ergänzung zum ausführlicheren Schreiben vom 1. November 2013 ist.

Auch die in der letzten mündlichen Verhandlung am 24. September 2014 vorgetragenen Gegenargumente der Klagepartei führen insoweit zu keinem anderen Ergebnis. Soweit die Klagepartei vortrug, beim Kläger liege auch ein psychische Erkrankung vor (organische wahnhafte Störung; organische depressive Störung), ist zu sehen, dass schon nach den allgemeinen Erkenntnismitteln in Mazedonien psychiatrische Erkrankungen jedweder Art sowohl stationär als auch ambulant behandelt werden können (Lagebericht 2011, unter II.2.1., S. 8). Außerdem wurde die depressive Erkrankung bereits in der ersten gerichtlichen Anfrage an das Auswärtige Amt vom 30. September 2013 (dort S. 2) ausdrücklich aufgeführt und daraufhin vom Auswärtigen Amt im Schreiben vom 1. November 2013 ausdrücklich als behandelbar bezeichnet. Soweit die Klagepartei in der mündlichen Verhandlung unter Vorlage des ärztlichen Schreibens vom ... August 2014 vortrug, der Kläger bedürfe zur Vermeidung einer Infektion besonderer hygienischer Rahmenbedingungen sowie unter Vorlage des Schreibens vom ... September 2014 vortrug, der Kläger habe aufgrund einer neurologischen Erkrankung auch Schwierigkeiten beim Gehen, so dass er sich zu den jeweiligen medizinischen Behandlungsorten in Mazedonien nicht begeben könne, stellt dies die Mitteilungen des Auswärtigen Amtes nicht in Frage. Denn zum einen ist zu sehen, dass schon nach den allgemeinen Erkenntnismitteln in Mazedonien nicht nur eine ambulante, sondern auch eine stationäre klinische Pflege und Versorgung sichergestellt ist (Lagebericht 2011, unter II.2.1., S. 7), so dass die Gefahr einer Verschlimmerung der Erkrankungen des Klägers wegen fehlender Mobilität nicht hinreichend wahrscheinlich ist. Auch insoweit ist zu berücksichtigen, dass in Mazedonien die meisten Krankheiten und Verletzungen therapiert werden können (Lagebericht 2011, unter II.2.1., S. 7/8). Unabhängig davon ist auch zu sehen, dass das Gericht der Klagepartei zusammen mit der Ladung zur letzten mündlichen Verhandlung mit gesondertem Schreiben vom 1. September 2014, der Klagepartei zugestellt gegen Empfangsbekenntnis vom 4. September 2014, eine 1-wöchige Frist gemäß § 87b Abs. 3 VwGO mit entsprechender Belehrung zur Vorlage weiterer Beweismittel betreffend das Abschiebungsverbot gesetzt hatte, und dass bis zum Ablauf dieser Frist (11.9.2014) weder das ärztliche Schreiben vom ... August 2014 noch das Schreiben vom ... September 2014 dem Gericht vorgelegt worden war. Abgesehen davon, dass ausweislich der genannten vorliegenden Erkenntnismittel durch diese ärztlichen Schreiben und den Vortrag der Klagepartei kein weiterer Ermittlungsbedarf ausgelöst wird, wäre € selbst bei anderer Ansicht € die Vorlage der genannten beiden Schreiben erst in der mündlichen Verhandlung jedenfalls verspätet gewesen, ohne dass dafür ein hinreichender Grund ersichtlich wäre, und hätten insoweit angestellte weitere Ermittlungsschritte die Erledigung des Rechtsstreits verzögert, obwohl bereits hinreichende und umfangreiche Ermittlungsschritte vom Gericht durchgeführt worden waren. Dabei ist zu sehen, dass in dem neurologischen Schreiben vom ... September 2014 unter anderem ausgeführt wird, der Kläger habe berichtet, seit 1 Jahr Schmerzen in den Beinen zu haben; es wäre deshalb € abgesehen davon, dass dadurch kein weiterer zielstaatsbezogener Ermittlungsbedarf ausgelöst wird € der Klagepartei jedenfalls möglich gewesen, dieses Thema dem Gericht bereits zu einem früheren Zeitpunkt mitzuteilen, um eine Einbeziehung zumindest in die zweite Anfrage an das Auswärtige Amt anzuregen. Soweit die Klagepartei unter Hinweis auf den Lagebericht 2013 (dort IV.1., S. 9) die Gefahr sah, dass durch Nichterfüllung der monatlichen Meldepflicht beim Kläger nicht nur sein Sozialhilfeanspruch, sondern auch sein damit verbundener Krankenversorgungsanspruch unterbrochen sein könnte, wird dies jedenfalls durch die gerade auf den Fall des Klägers bezogenen Ausführungen des Auswärtigen Amtes in den Schreiben vom 1. November 2013 und vom 7. März 2014 nicht bestätigt. Gleiches gilt, soweit die Klagepartei in der letzten mündlichen Verhandlung auf finanzielle Rückkehrschwierigkeiten und die nach ihrer Ansicht ausgeschlossene Förderung durch die IOM hingewiesen hat € aufgrund der vom Auswärtigen Amt dargestellten, jeweils sofort zur Verfügung stehenden, Behandlungsmöglichkeiten ist nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers bei einer Rückkehr nach Mazedonien eine Verschlimmerung seiner Erkrankungen zu befürchten ist. Auch ist wegen der nachgewiesenen medizinischen Behandlungsmöglichkeiten trotz der € wegen Nichterfüllung der Meldepflicht € möglichen vorübergehenden Unterbrechung von Sozialhilfeansprüchen (Lagebericht 2012 unter IV.1 und IV.3, S. 10 und 11) in wirtschaftlicher Hinsicht weder im Hinblick auf die allgemeine wirtschaftliche Situation in Mazedonien noch im Hinblick auf die besondere Situation des Klägers von einer extremen Gefahrenlage auszugehen, die aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Ausnahme vom Ausschlusstatbestand des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG (früher § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG a.F.) gebieten würde.

Wegen der € wie gezeigt € im Falle einer Rückkehr sofort bestehenden Teilhabe des Klägers am mazedonischen Krankenversicherungssystem ist deshalb im Ergebnis eine zielstaatsbezogene Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht hinreichend wahrscheinlich.

Soweit die Erkrankungen des Klägers eine Reiseunfähigkeit bedingen sollten (vgl. etwa das mit Schreiben der Klägerbevollmächtigten vom 18.7.2013 vorgelegte ärztliche Attest vom ...6.2013), wäre dies nicht im Rahmen von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern als inlandsbezogenes Abschiebungshindernis von der Ausländerbehörde bei der Entscheidung über die Durchführung einer konkreten Abschiebung zu prüfen. Unabhängig von den in Mazedonien € wie gezeigt € gegebenen Behandlungsmöglichkeiten würden auch etwaige sonstige, neben einer eventuellen Reiseunfähigkeit bestehende und beherrschbare Übergangsprobleme, die jedenfalls hinsichtlich derjenigen Erkrankungen, zu denen sich das Auswärtige Amt geäußert hat, ohnehin nicht zu erwarten sind (s.o.), kein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen, sondern wären von der Ausländerbehörde bei der konkreten Durchführung der Abschiebung zu berücksichtigen (vgl. OVG Lüneburg U.v. 18.5.2010 € 11 LB 186/08 € juris Rn. 37 und 47).

3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen, wobei Gerichtskosten nicht erhoben werden (§ 83b AsylVfG).

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).






VG München:
Urteil v. 24.09.2014
Az: M 24 K 12.30800


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/34a2674f8e2f/VG-Muenchen_Urteil_vom_24-September-2014_Az_M-24-K-1230800




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share