Kammergericht:
Urteil vom 6. Mai 2003
Aktenzeichen: 5 U 161/01

(KG: Urteil v. 06.05.2003, Az.: 5 U 161/01)

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 3. April 2001 verkündete Urteil der Zivilkammer 16 des Landgerichts Berlin geändert:

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Betrages zuzüglich 10 % abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Bei der Klägerin handelt es sich um eine erfolgreiche Romanautorin. Sie verfasste u. a. Romane über "Anna Marx", von denen seit 1988 in der Reihe "r Thriller" Romane erschienen sind und von denen die Anlagen K 4 bis K 7, auf die verwiesen wird, vorliegen. Die Klägerin ist Inhaberin der Wortmarke "Anna Marx".

Die Beklagte ist eine Filmproduktionsgesellschaft, die u. a. zahlreiche Fernsehserien für öffentlich-rechtliche und private Rundfunkanstalten in Deutschland produziert.

Diese trat Anfang der neunziger Jahre an die Klägerin mit dem Vorschlag heran, auf der Grundlage der Romanidee der Klägerin eine Fernsehserie zu produzieren. Vorlage für die Serie sollten Figuren aus der Anna-Marx-Reihe sein, insbesondere die Figur der "Anna Marx". Die Parteien einigten sich daraufhin Ende August 1991 in einem "Autoren-Film-Drehbuch-Vertrag" über die Produktion von 13 Folgen einer Krimiserie, die auf der Vorlage eines der Anna Marx-Romane ("Grenzfälle" = Anlage K 4) entwickelt werden sollte. Dazu räumte die Klägerin der Beklagten Nutzungs- und Bearbeitungsrechte an den Romanfiguren, insbesondere an der Hauptfigur "Anna Marx" ein. Die Klägerin verpflichtete sich zudem in diesem Vertrag zur Ausarbeitung von zwei Plots nach eigenen Romanvorlagen. So lautet Ziffer 3 des Vertrages:

"Der Autor stellt seine Figuren aus diesem Roman für die von ihm ausgearbeiteten zwei Plots und für die Erarbeitung weiterer 11 Folgen à 48 Minuten 3 Sekunden durch andere vom Produzenten benannte Autoren zur Verfügung."

Die Autorin erhielt für diese Leistungen ein Gesamthonorar von ca. 71.000 DM. Wegen weiterer Einzelheiten dieses Vertrages wird auf die Ablichtungen in Bl. 19 € 25 Bd. I d. A. verwiesen.

Vertragsgemäß wurden in der Folgezeit 13 Episoden der Serie produziert und unter dem Serientitel "Auf eigene Gefahr" in der ARD ausgestrahlt, wobei etwa in den Episoden "Klatsch mit Folgen" und "Die Frau aus Deutschland" der Name der Klägerin im Vorspann als Ideengeberin eingeblendet worden ist.

Einen zweiten Vertrag über 13 Episoden der Folge schlossen die Parteien im Mai 1994. Darin heißt es u. a.:

"2.In Fortsetzung dieser Serie räumt die Autorin der R (Beklagten) das Recht ein, weitere 13 Folgen in einer Länge von jeweils 48 Minuten 30 Sekunden unter Benutzung der von der Autorin entwickelten Figuren, insbesondere der Figur "Anna Marx" zu erstellen.3.Für diese 13 Folgen räumt die Autorin R die ausschließlich zeitlich, räumlich und inhaltlich unbeschränkten urheberrechtlichen Nutzungsrechte an den von ihr entwickelten Figuren, insbesondere der Figur "Anna Marx" ein. Insbesondere werden Folgerechte an R übertragen ...3.1.Das Filmherstellungsrecht, ...3.2.Das Titelverwendungsrecht ...3.3.Das Bearbeitungsrecht, d. h. das Recht unter Verwendung der genannten Figuren und der Hauptfigur 'Anna Marx' € auch unter Abänderung der Charaktere € für die 13 Folgen Drehbücher herzustellen,3.4.Das Senderecht ...5.Die Autorin wird in jeder Folge der Serie im Vorspann wie folgt genannt: 'Nach einer Idee von C G'. Soweit in Werbemaßnahmen der Drehbuchautor genannt wird, wird zugleich auch der Hinweis 'Nach einer Idee von C G' in die Ankündigung aufgenommen."Der Vertrag wurde wie vorgesehen abgewickelt, wobei die Klägerin als Vergütung für die weiteren 13 Folgen wie vertraglich vereinbart 85.000 DM zuzüglich Mehrwertsteuer erhielt.

Zu Beginn des Jahres 1998 trat der damalige Produktionsleiter der Beklagten an die Klägerin heran und teilte ihr mit, dass die Beklagte im Auftrag des WDR beabsichtigte, 13 neue Folgen der Serie "Auf eigene Gefahr" zu produzieren. Dabei sollte die Protagonistin der Krimireihe, Anna Marx, aufgrund des Umzuges der Bundesregierung nach Berlin ebenfalls nach Berlin umsiedeln und dort das Berliner Büro für den "Bonner Anzeiger" leiten. Die neuen Folgen sollten daher in Berlin spielen. Im Übrigen sollte an dem bisherigen Konzept der Serie festgehalten werden.

Die Verhandlungen über einen weiteren Vertrag und über die Höhe des an die Klägerin zu zahlenden Honorars € wobei ein Honorar von zwischen 170.000 DM und 200.000 DM zur Diskussion stand € führten zu keinem Abschluss. Die Klägerin erfuhr im Herbst 1998 aus Autorenkreisen, dass inzwischen an weiteren Drehbüchern der Anna Marx-Serie "Auf eigene Gefahr" gearbeitet wurde. Die Forderung der Klägerin, mit ihr eine Vergütungsregelung zu treffen, lehnte die Beklagte mit dem Argument ab, dass der bloßen Beschreibung einer Person als selbstbewußte Journalistin, die eine Klatschkolumne betreut, kein urheberrechtlicher Schutz zukomme. Im Übrigen sei die Handlung nach Berlin verlagert.

Die erste Folge der neuen Staffel strahlte der WDR im ARD Gemeinschaftsprogramm am 6. Juni 2000 um 20.15 Uhr aus. Danach folgte € jeweils Dienstagabend und Mittwochvormittag € die Ausstrahlung der übrigen 12 Folgen, darunter die Episoden "Berliner Luft" und "Das Collier". In diesen Folgen wird die Klägerin im Vor- oder Abspann nicht erwähnt.

Protagonistin der klägerischen Romanreihe ist die fiktive Bonner Journalistin und Gesellschaftskolumnistin Anna Marx, die immer auf der Suche nach guten "Stories" für den "Bonner Anzeiger" ist, für den sie arbeitet. Dabei stößt die offene und selbstbewußte Journalistin aufgrund ihres politischen Engagements und ihrer Neugierde auf kriminelle Verwicklungen, die sie regelmäßig zu einem "Happy-End" führt. Die Verwicklungen ranken sich regelmäßig um Spitzenbeamte in Bonn, mit denen Anna Marx beruflich wie privat Kontakte pflegt. Die Geschichten entspinnen sich dabei in der Regel dergestalt, dass die unverheiratete Anna Marx eher zufällig mit den jeweiligen Fällen in Kontakt gerät, die dann ihr privates und berufliches Interesse finden. Dabei wird sie einerseits als besonders offenherzig, hilfsbereit und sozial engagiert beschrieben. Sie hat "Ecken und Kanten" und ein beträchtliches Durchsetzungsvermögen, das ihr dazu verhilft, ihre Recherchen durchzuführen und über die Lösung des Falles auch zu einem gelungenen Artikel für die Zeitung zu kommen. Sie wird als ruppig und schrill beschrieben € "dieses rothaarige Monstrum". Sie fährt einen alten Jaguar, ist eine sympathisch-chaotische, etwas übergewichtige Kettenraucherin, die dem Alkohol und auch ordinären Ausdrücken nicht abgeneigt ist. Mit ihrem Äußeren zeigt sie sich immer wieder unzufrieden. Mitunter erscheint die ungebundene Frau Mitte 40 recht melancholisch.

Hinsichtlich der Charaktereigenschaften gab es in den ersten Folgen der Fernsehserie auch bei der von der bekannten Schauspielern T C W gespielten Anna Marx Übereinstimmungen. Der Charakter war jedoch schon in den ersten Serien auch auf die Darstellerin der Anna Marx, die Schauspielerin T C W, zugeschnitten und fiel dementsprechend braver und adretter aus. Dies führte dazu, dass Medienberichte wie auch die Klägerin selbst schon zu diesem Zeitpunkt Frau W als "Fehlbesetzung" bezeichnet haben. In den neuen Folgen spielt Frau W eine nette, bisweilen etwas biedere Journalistin, die im Gegensatz zur Romanfigur schlank, adrett und ordentlich frisiert ist. Ihr Erscheinungsbild ist stets gepflegt und dezent und sie fährt ein Cabrio neueren Baujahrs. Sie ist überzeugte Nichtraucherin und wird keineswegs als besonders trinkfreudig dargestellt. Anderen Menschen gegenüber ist sie zwar ebenfalls offen und direkt, sowie bestimmt und bisweilen stur im Auftreten, schlägt jedoch nie den ordinären Ton an, in den die Romanfigur bisweilen verfällt. Wegen weiterer Übereinstimmungen wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen. Direkte Parallelen zu den Handlungsabläufen in den Romanen weisen die Episoden der streitgegenständlichen Staffel im Gegensatz zu den der vorausgehenden Staffeln nicht auf.

Die Klägerin hat am 11. Januar 2001 Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, ihr stehe gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch zu, da diese bei der Herstellung der dritten Staffel ihr urheberrechtlich geschütztes Werk unfrei bearbeitet habe, ohne die hierfür erforderliche Einwilligung eingeholt zu haben. Darüber hinaus stehe ihr ein Entschädigungsanspruch zu, da die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, die bei den ersten beiden Staffeln praktizierte Namensnennung auch bei den 13 Episoden der streitgegenständlichen Staffel fortzuführen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

1.an sie 90.500 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 20. Januar 2001 zu zahlen;2.an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestellte angemessene Entschädigung, die den Betrag von 20.000 DM nicht unterschreitet, zu zahlen.Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, bei der neuen Staffel handele es sich allenfalls um eine freie Benutzung des klägerischen Werkes, da sich die Anlehnung an den streitgegenständlichen Folgen in der Übernahme des Namens "Anna Marx" und des beruflichen Tätigkeitsfeldes € Journalistin € erschöpfe. Das Umfeld der Figur und ihre wesentlichen Charakterzüge, die anderen handelnden Personen und vor allem die Handlung einschließlich sämtlicher Handlungselemente seien neu erfunden. Abzustellen sei auch lediglich auf Übereinstimmungen zwischen der streitgegenständlichen Staffel und den Romanwerken, während Übereinstimmungen der streitgegenständlichen mit den vorhergehenden Staffeln bedeutungslos seien.

Gemäß dem angefochtenen Urteil, auf das Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 95.000 DM nebst 4 % Zinsen aus 85.000 DM seit dem 22. Januar 2001 zu zahlen. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen.

Gegen dieses Urteil, das ihr am 11. Mai 2001 zugestellt worden ist, wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, die am 8. Juni 2001 bei dem Kammergericht eingegangen ist. Auf ihren am 29. Juni 2001 eingegangenen Antrag auf Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung ist diese bis zum 2. August 2001 verlängert worden. Die Berufungsbegründung ist am 19. Juli 2001 bei dem Kammergericht eingegangen.

Die Beklagte ergänzt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und vertritt die Auffassung, dass es keinen "Sujetschutz" für eine investigative Journalistin namens Anna Marx geben dürfe. Aus den von ihr eingereichten Privatgutachten ergebe sich, dass nur marginale Übereinstimmungen bestünden, die sich auf Namen, Lebensumstände und gewisse Charakterzüge bezögen. Handlungselemente seien nicht übernommen.

Sie beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch sie ergänzt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen insbesondere mittels des Privatgutachtens G. Sie vertritt die Auffassung, die Übernahme sei unfrei, da wesentliche Merkmale der Romane übernommen würden, so "stolpere" die Protagonistin in die Stories, die sich aus ihrem Bekanntenkreis entwickelten. Dabei sei wesentlich, dass sie im Regierungsmilieu insbesondere mit Staatssekretären zu tun habe. In den Romanen wie in den Episoden werde eine selbstbewusste Journalistin mit investigativen Neigungen geschildert. Charaktereigenschaften wie Kritikfreudigkeit, Flapsigkeit, Hilfsbereitschaft, soziales Engagement, Einzelkämpfertum, Lebensfreude, Flirtfreudigkeit, intaktes soziales Umfeld, journalistische Tätigkeit, ohne darin aufzugehen, für ein kleines Blatt am Regierungssitz, bestimmte Ermittlungsmethoden, Glaube an Gerechtigkeit seien ebenso übernommen wie das Profil einer Journalistin mit "Ecken und Kanten", die mutig in anfallende kriminale Verwicklungen stolpert und diese dann löst. Im Übrigen sei der Name "Anna Marx" auch markenrechtlich geschützt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

Die zulässige Berufung der Beklagten erweist sich als erfolgreich.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein vertraglicher Anspruch zu. Hinsichtlich der streitgegenständlichen dritten Staffel ist ein Vertrag zwischen den Parteien unstreitig nicht zu Stande gekommen. Die Verträge hinsichtlich der vorhergehenden Staffeln entfalten keine Folgewirkung für die dritte Staffel. Es kann nicht angenommen werden, dass sich die Beklagte verpflichtet haben könnte, weitere "Anna Marx"-Folgen nur bei Vergütung der Klägerin zu drehen. Es gibt insoweit auch keinen Vorvertrag. Der lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass die Beklagte nach dem Scheitern der Verhandlungen über eine Vergütung zugesagt hat, vor Beginn der streitgegenständlichen Arbeiten die Klägerin zu kontaktieren. Daraus ergibt sich keineswegs eine Selbstbindung in dem Sinne, dass die Beklagte weitere Staffeln nur bei Vergütung der Klägerin drehen wollte.

Markenrechtliche Ansprüche der Klägerin sind nicht ersichtlich. Zwar ist sie Inhaberin der Marke "Anna Marx". Diese Bezeichnung ist aber vorliegend nicht markenmäßig, sondern nur namensmäßig benutzt worden. Dies ergibt sich daraus, dass die streitgegenständliche Staffel € wie schon die vorhergehenden € unter der Bezeichnung "Auf eigene Gefahr" ausgestrahlt worden sind. Die namensmäßige Benutzung kann einen Anspruch aus § 14 Abs. 5 MarkenG nicht auslösen, da insoweit eine markenmäßige € auf die Herstellerin verweisende € Benutzung erforderlich wäre (vgl. EuGH GRUR Int 1999, 438 € "BMW"). In der dritten Staffel wird der Name "Anna Marx" nicht markenmäßig benutzt, sondern lediglich erwähnt.

Der Klägerin steht schließlich kein Anspruch aus § 97 Abs. 1 i. V. m. § 23 UrhG zu. Dabei ist davon auszugehen, dass es nicht etwa um eine denkbare Irreführung des Publikums geht, dass etwa eine Beteiligung der Klägerin an der dritten Staffel für möglich hält, sondern allein um die Frage, ob in den Schutzumfang der Romane eingegriffen worden ist, also eine Nachschöpfung bzw. Bearbeitung vorliegt, in welche die individuellen Züge der Romane übernommen worden sind. Gegenstand des Urheberrechtsschutzes kann dabei grundsätzlich nur die einzelne konkrete Formgestaltung sein. Die abstrakte Idee, das allgemeine Motiv, der Stil und die Methode lassen sich nicht schützen. Sie müssen allgemein zugänglich bleiben und können nicht durch das UrhG monopolisiert werden (vgl. BGHZ 5, 1/4 € "Hummelfiguren I"; GRUR 1981, 520/521 f. € "Fragensammlung"). Der urheberrechtliche Schutz beschränkt sich jedoch nicht auf die € notwendig schöpferische € Form der Darstellung. Schutzfähig ist auch die eigenschöpferische Gedankenformung und -führung des dargestellten Inhalts. Der Inhalt eines Gedankens oder einer Lehre ist zwar in seinem Sinngehalt, nicht jedoch in seiner konkreten schöpferischen Darstellung frei. Wenn es € wie hier € um ein Werk der Literatur im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG geht, ist jedenfalls die auf der Phantasie des Dichters beruhende Fabel mit der Charakteristik der handelnden Person und dem Gang der Handlung schutzfähig, sofern sie eigenpersönlich geprägt sind. Dies betrifft auch die Ausgestaltung von Szenen und die Szenerie eines Romans selbst (vgl. BGH GRUR 1999, 984/987 € "Laras Tochter"). Der Schutz der Fabel beschränkt sich auf den Plagiatsschutz im eigentlichen Sinne, d. h. Dritte sollen sie als solche nicht direkt oder in bearbeiteter Form übernehmen und als eigene geistige Schöpfung ausgeben dürfen. Die Benutzung der Fabel darf daher nicht linear erfolgen, sei es, dass sie in ihrer Eigenschaft als Fabel unter Übernahme der handelnden Person, der Handlungsorte und der Handlungsstränge zur Grundlage eines neuen Werkes gemacht wird, mag dieses auch einer anderen Werkart (etwa Fernsehfilm) angehören, sei es, dass die Fabel € wie beim Fortsetzungsroman € fortgeschrieben wird. Es darf also nicht der Romanstoff verwendet werden, um damit selbst zu erzählen (vgl. BGH a. a. O. "Laras Tochter").

Um die Schutzfähigkeit einer oder mehrerer Fabeln geht es vorliegend jedoch nicht. Unstreitig sind die 13 Episoden der streitgegenständlichen Staffel neu geschrieben worden, ohne dass dabei Handlungsorte oder Handlungsgänge von Romanen der Klägerin benutzt worden wären. Die Klägerin behauptet selbst nicht, dass die Episoden "Plots" aus ihren Romanen aufnähmen.

Die Klägerin begehrt vorliegend letztlich den selbstständigen Schutz des Charakters der von ihr geschaffenen literarischen Figur "Anna Marx". Es kann vorliegend dahinstehen, ob ein solcher Schutz nur im Rahmen des Handlungs- und Beziehungsgeflechtes, in welches die literarische Figur eingebettet ist, d. h. im Rahmen der Fabel, bestehen kann, oder ob ein eigenständiger Schutz der Figur auch unabhängig von der Fabel denkbar ist (vgl. Rehbinder in Festschrift W. Schwarz, S. 163/167). Allerdings genießen nicht alle frei erfundenen Gestalten urheberrechtlichen Schutz. Ein solcher setzt eine unverwechselbare Kombination äußerer Merkmale sowie von Eigenschaften, Fähigkeiten und typischen Verhaltensweisen voraus, aus denen besonders ausgeprägte Persönlichkeiten geformt sind, die jeweils in charakteristischer Weise auftreten (BGH GRUR 1994, 191/192 € "Asterix-Persiflagen"). Es ist daher zu prüfen, durch welche € die urheberrechtliche Schutzfähigkeit begründenden € objektiven Merkmale die Romangestalt "Anna Marx" geprägt ist, und danach ist durch einen Vergleich der Romane mit den Episoden zu bestimmen, in welchem Umfang urheberrechtlich schutzfähige Elemente der Vorlagen für die Gestaltung der Episoden übernommen worden sind (vgl. dazu BGH a. a. O. € "Asterix-Persiflagen"; GRUR 1981, 267/269 € "Dirlada"). Wie noch auszuführen sein wird, führt dieser Vergleich vorliegend zu dem Ergebnis, dass die Beklagte in den urheberrechtlichen Schutzbereich, den die Klägerin für ihre Romanfigur Anna Marx geschaffen hat, nicht eingegriffen hat. Es geht nicht um eine unfreie Bearbeitung, sondern um eine freie Benutzung im Sinne des § 24 UrhG, da eine Gesamtschau zu dem Ergebnis führt, dass nicht nur neue Werke entstanden sind, sondern diese auch den erforderlichen inneren Abstand zum Schaffen der Klägerin aufweisen.

Unter diesen Umständen kann eine Abweisung der Klage nicht allein damit begründet werden, dass der bloße Name der Figur "Anna Marx" keinen urheberrechtlichen Schutz genießt. Anderes gälte bei Werktiteln und Namen nur dann, wenn diese selbstständige urheberrechtliche Sprachwerke sind. Handelt es sich lediglich um allgemeinbekannte Namen, die insoweit keinen eigentümlichen Gedankeninhalt haben, scheidet urheberrechtlicher Schutz aus (BGH GRUR 1958, 402/404 € "Lilly Marlen"; GRUR 1958, 354 € "Sherlock Holmes"). Der Name "Anna Marx" ist bei isolierter Betrachtung gebräuchlich und es sind auch keine weiteren Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass er Ausdruck einer individuellen geistigen Schöpfung sein könnte. Bei isolierter Betrachtung sind auch die Charaktereigenschaften, die die Klägerin ihrer Romanfigur beigelegt hat, und die Struktur der "Plots" jeweils für sich nicht schutzfähig. Dies betrifft den Umstand, dass "Anna Marx" in die Fälle hineinstolpert und sie auch unter Zuhilfenahme höher gestellter Personen (Staatssekretäre) zu einem Happy-End führt. Nichts anderes gilt für ihre Lebensumstände, wie das Single-Dasein, wechselnde Liebhaber, den Beruf, in dem sie nicht aufgeht. Jeweils für sich betrachtet sind auch die Charaktereigenschaften der Anna Marx, die Ecken und Kanten hat, kritikfreudig, flapsig, hilfsbereit, sozial engagiert, flirtfreudig in einem intakten sozialen Umfeld als Einzelkämpferin und "Lebefrau" geschildert wird, die an die Gerechtigkeit glaubt, nicht schutzfähig. Denn diese Eigenschaften und Umstände sind aus zahlreichen Schriftwerken und Filmen vorbekannt und sie zeigen auch keine individuelle Schöpfung. Das schließt jedoch € wie hier zu unterstellen € nicht aus, dass eine so geschilderte Persönlichkeit infolge des Zusammenspiels aller einzelnen Komponenten zu einer unverwechselbaren Gestalt wird, die insgesamt als Charakter schutzfähig ist.

Doch selbst wenn man davon ausgeht, dass es sich vorliegend in den Romanen so verhält und wenn man der Meinung folgt, dass € unabhängig von der Fabel € ein spezifischer Charakter schutzfähig sein kann, steht doch hier dem Anspruch der Klägerin entgegen, dass keine hinreichenden Übernahmen des eigenpersönlich geprägten Charakters in die Fernsehfolgen dargelegt sind. Die übernommenen Strukturen und Charaktereigenschaften verblassen letztlich in der Gesamtschau. Übernommen worden sind "Anna Marx" als Gesellschaftskolumnistin mit der Neigung, in Kriminalfälle hineinzugeraten, zu denen sie weniger aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit, sondern eher zufällig im Zusammenhang mit Beziehungen in Kontakt gerät. Die Fälle spielen in der jeweiligen Bundeshauptstadt, wobei Beziehungen zu hohen Beamten eine Rolle spielen. Die Journalistin wird sowohl in dem Roman als auch in der streitgegenständlichen Staffel als unverheiratete Frau mit kantigem Charakter, der Zynismus und Selbstzweifel kennt, dargestellt.

Allein diese Übernahmen führen jedoch nicht dazu, dass eine unfreie Bearbeitung im Sinne des § 23 UrhG anzunehmen ist. Die Grenze von der intensiveren Form der Inanspruchnahme fremder Leistung, nämlich der Bearbeitung, zur freien Benutzung eines geschützten Werkes ist zwar erst dann überschritten, wenn nicht mehr lediglich eine Umgestaltung, eine abhängige Nachschöpfung des vorbestehenden Werkes vorgenommen wird, sondern nach dem Gesamteindruck ein eigenes schutzfähiges, selbstständiges Werk entstanden ist, das damit einen ausreichenden Abstand zu dem benutzten Werk einhält, welches lediglich als Anregung für das eigene Schaffen gedient hat. Die neue eigenschöpferische Leistung rechtfertigt die Inanspruchnahme fremden Schaffens, wenn das entstehende Werk in seiner schöpferischen Ausdruckskraft gegenüber dem benutzten Werk selbstständig, d. h. von ihm unabhängig ist. Das Vorliegen einer zulässigen freien Benutzung ergibt sich danach aus dem Abstand, den das nachgeschaffene Werk von dem benutzten schutzfähigen Elementen des prioritätsälteren Werkes enthält. Die benutzten individuellen Züge des geschützten Werkes müssen angesichts der selbstständigen Eigenart des nachgeschaffenen Werkes "verblassen". Der Urheber des nachgeschaffenen Werkes muss sich von der geschützten konkreten Darstellung und Gestaltung des benutzten Elements so gelöst haben, dass eine eigene Formgestaltung, eine selbstständige, individuelle Prägung erhält und das benutzte Element allenfalls als Anregung erkennbar bleibt (OLG München GRUR 1990, 674/675 € "Forsthaus Falkenau").

So verhält es sich hier. Die Episoden übernehmen allerdings € wie dargelegt € die Figur Anna Marx mit mehreren Charaktereigenschaften als Protagonistin und auch bestimmte Strukturmerkmale der Anna Marx-Romane der Klägerin. Diese übernommenen Bestandteile sind jedoch auch in der Gesamtschau nicht hinreichend eigenschöpferisch, um urheberrechtlich schutzfähig zu sein. Denn auch in ihrer Gesamtheit ergeben sie fraglos das € gut gezeichnete € Bild einer modernen, unabhängigen, durchsetzungsfähigen Journalistin, die am Regierungssitz investigativ tätig wird. Damit sind gerade die Charakterzüge übernommen, die "im Trend" liegen und nicht als hinreichend eigenschöpferisch anzusehen sind. Diese Übernahmen "verblassen" hinter den unabhängig von der Klägerin geschriebenen Geschichten der Fernsehepisoden, deren Handlung und deren Szenerie. "Anna Marx" erweist sich so als bloße Anregung für eigenständiges Schaffen auf Seiten der Beklagten. Die Schaffung eines "Formats" wie "Anna Marx" kann nicht in der Weise monopolisiert werden, dass zugunsten der Klägerin der von Anna Marx verkörperte Journalistinnentyp mit den dargestellten Charakterzügen, soweit sie übernommen sind, geschützt wird. Dies würde zu einer unangemessenen Einschränkung der künstlerischen Leistungsmöglichkeiten aller übrigen Urheber führen. Die "Schnittmenge" der Übernahmen reicht zur Annahme einer unfreien Bearbeitung nicht aus.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da dem Fall weder grundsätzliche Bedeutung zukommt noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, die auf der Grundlage gesicherter höchstrichterlicher Rechtsprechung anhand der vorgetragenen tatsächlichen Umstände entschieden worden ist.






KG:
Urteil v. 06.05.2003
Az: 5 U 161/01


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