Bundesgerichtshof:
Urteil vom 12. März 2002
Aktenzeichen: X ZR 224/98

(BGH: Urteil v. 12.03.2002, Az.: X ZR 224/98)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 3. August 1998 verkündete Urteil des 4. Senats (Juristischer Beschwerdesenat und Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des unter anderem für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 404 537 (Streitpatent), das auf einer Anmeldung vom 27. Dezember 1990 beruht, mit der eine Priorität vom 23. Juni 1989 geltend gemacht worden ist. Das Streitpatent in der Verfahrenssprache Englisch ist mit folgendem Patentanspruch 1 erteilt worden:

"A sanitary toilet system adapted for use in a recreational vehicle

(16)

having a body (20) including an upright outer wall (32C)

having an opening (36) therethrough, said toilet system comprising a base section (44) which ist adapted to be supported by said body and which has a top wall (62); a bowl section (42) mounted on said base section and having a toilet bowl (48) provided with a forwardly projecting front portion (59) and with a bottom discharge outlet (50); a waste holding tank (46) adapted to have a stowed position within said body in which at least a portion of said tank is disposed beneath said base section top wall (62); means (30, 66) for supporting and guiding said tank (46) for horizontal motion into and out of said body through said opening (36) in said outer wall (32C) and means (106, 180, 182) forming a disconnectable sealed coupling operable to provide a fluid passage connection between said bowl outlet (50) and an inlet (86) to said tank (46) when said tank is in said stowed position whereby said tank receives waste from said bowl (48); characterised in that the means

(72)

mounting the bowl section (42) to the base section (44) are such that said bowl section (42) is rotatably positionable relative to the base section (44) about an upright axis (51) to permit the front portion (59) of the bowl section (42) to be selectively positioned within a predetermined range of radial directions from said axis (51), said bottom discharge outlet (50) being substantially concentric about said axis (51)."

Wegen des Wortlauts der unmittelbar und/oder mittelbar auf Anspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 14 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Unter anderem mit der Behauptung, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der europäischen Patentanmeldung in ihrer bei dem Europäischen Patentamt ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, hat die Klägerin begehrt, das Streitpatent für nichtig zu erklären. Die Klägerin meint, der erteilte Patentanspruch 1 stelle ein Toilettensystem unter Schutz, dessen Bekken auch in montiertem Zustand für den Benutzer drehbar auf dem Basisabschnitt gehalten werde, während nach den ursprünglichen Unterlagen das Bekken nur in verschiedenen Winkelpositionen montierbar und anschließend für den Benutzer nicht mehr drehbar sei.

Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat das Streitpatent hilfsweise in anderer Fassung verteidigt.

Das Bundespatentgericht hat die erteilte Fassung des Streitpatents für über die ursprüngliche Anmeldung hinausgehend erachtet, während es die mit dem Hilfsantrag 2 von der Beklagten verteidigte Fassung für bestandskräftig angesehen hat. Das Bundespatentgericht hat deshalb das Streitpatent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, daß Patentanspruch 1 die Fassung nach dem Hilfsantrag 2 der Beklagten erhält und die Patentansprüche 2 bis 14 auf diesen so gefaßten Patentanspruch 1 zu lesen sind. Im übrigen hat das Bundespatentgericht die Klage abgewiesen.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung und dem Antrag, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin ist dem Rechtsmittel entgegengetreten.

Professor Dr.-Ing. H. W. hat als gerichtlicher Sachverständiger ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Beklagte hat ein schriftliches Gutachten von Professor Dr.-Ing. J. W.

vorgelegt.

Gründe

Das zulässige Rechtsmittel der Beklagten hat keinen Erfolg.

1. Das Streitpatent betrifft ein Sanitärtoilettensystem für sogenannte Erholungsfahrzeuge, also etwa Wohnwagen oder Campinganhänger. Die Toiletten für solche Fahrzeuge bezieht deren Hersteller im allgemeinen von Drittunternehmen, welche diese Einrichtungen fertigen und zuliefern. Da Fahrzeughersteller verschiedene Fahrzeugmodelle anbieten, besteht bei ihnen Interesse, ein universelles, flexibles Einrichtungssystem zu erhalten, das man möglichst bei allen vorkommenden Einbaubedingungen, die sehr unterschiedlich sein können, zum Einbau in den Fahrzeugen und zur Herstellung einer funktionierenden Toilettenanlage verwenden kann. Demgemäß heißt es in der Strei tpatentschrift in Spalte 1 Zeilen 20 bis 26, die Aufgabe der Erfindung liege darin, ein einziges Toilettensystem zu schaffen, welches so gestaltet sei, daß es an einer Vielzahl von Stellen innerhalb eines Erholungsfahrzeugs nach Wunsch des Fahrzeugherstellers verwendet werden könne; außerdem solle die Flexibilität des Herstellers bei der Innenausgestaltung des Fahrzeugs vergrößert werden.

Die vorgeschlagene Lösung besteht nach dem Inhalt des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung aus einem Sanitärtoilettensystem, das folgende Merkmale hat:

1.

Einen Basisabschnitt, der a) von der Karosserie des Fahrzeugs getragen wird, b) eine obere Wand hat;

2.

einen Beckenabschnitt, der a) auf dem Basisabschnitt montiert ist, b) ein Toilettenbecken aufweistmit einem Frontteil und einem nach unten weisenden Auslaß, der konzentrisch um eine bestimmte senkrechte Achse angeordnet ist;

3.

einen Abwasserhaltetank, dera) dem Basisabschnitt angepaßt ist, b) normalerweise innerhalb der Karosserie des Fahrzeugs sich befindet, und dabeic) mindestens teilweise unter der oberen Wand des Basisabschnitts angeordnet ist;

4.

Mittel, die erlauben, den Abwasserhaltetank durch eine Öffnung in einer aufrecht stehenden Außenwand des Fahrzeugs hindurch -geführt und horizontal - aus der Karosserie heraus- und (wieder) hineinzubewegen;

5.

Mittel, diea) eine lösbare, abgedichtete Kupplung bilden undb) bei entsprechender Betätigung dafür sorgen, daß das Abwasser durch den Auslaß vom Toilettenbecken in den Abwasserhaltetank fließt, wenn sich dieser in der normalen Position befindet;

6. Mittel, die a) den Beckenabschnitt an den Basisabschnitt haltern undb) so beschaffen sind, daß der Beckenabschnitt um die senkrechte Achse (vgl. Merkmal 2 b) relativ zum Basisabschnitt drehbar positioniert werden kann, damit der Frontteil (vgl. Merkmal 2 b) wahlweise innerhalb eines vorbestimmten Bereichs radialer Richtungen stehen kann.

Dieser Vorschlag ist -wie auch der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat -auf eine Vorrichtung gerichtet, bei der zu irgendeiner Zeit einer wie auch immer gearteten Benutzung, die im praktischen Gebrauch vorkommen kann, eine gewünschte Ausrichtung des Beckenabschnitts mit dem Toilettenbecken innerhalb eines bestimmten Bereichs durch Drehen gewählt werden kann. Denn die zur Kennzeichnung gemäß 6 b im erteilten Patentanspruch verwendeten Ausdrücke "rotatably positionable" und "to permit ... to be selectively positioned" stehen für Beliebigkeit und vermitteln dem Fachmann keinerlei Einschränkung. Als Fachmann, auf dessen Sicht hier abzustellen ist, ist in Übereinstimmung mit dem gerichtlichen Sachverständigen ein einschlägig erfahrener Mitarbeiter eines mittelständischen Zulieferunternehmens anzusehen, der eine ingenieurtechnische Ausbildung erfahren hat und mit den sodann erworbenen praktischen Kenntnissen den Anforderungen des Marktes zu genügen sucht. Dieser Fachmann erfährt durch die Kennzeichnung zu 6 a nur noch, daß er für eine Halterung des Beckenabschnitts an dem Basisabschnitt zu sorgen hat. Da auch die insoweit gewählte Formulierung des erteilten Anspruchs 1 allgemein gehalten ist, entnimmt der Fachmann ihr die Anweisung, den Anforderungen, denen eine Toilette im praktischen Gebrauch in einem Erholungsfahrzeug ausgesetzt ist, durch eine geeignete Verbindung gerecht zu werden; angesichts Merkmal 6 b darf die gewählte Form allerdings die Drehbarkeit des Beckenabschnitts gegenüber dem Basisabschnitt in dem vorzusehenden Bereich nicht einschränken.

Zusammenfassend gesagt besteht der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung damit in einer -was die Gestaltung im Hinblick auf Merkmal 6 anbelangt -ganz allgemein gehaltenen Lehre, die sowohl durch eine Herrichtung, die vor allem dem Fahrzeughersteller erlaubt, entsprechend der jeweiligen Einbausituation die Ausrichtung des Beckenabschnitts mit dem Toilettenbecken und seinem Frontteil dauerhaft festzulegen, als auch dadurch zu verwirklichen ist, daß etwa durch eine entsprechende Auslegung der den Bekkenabschnitt mit dem Basisabschnitt drehbar verbindenden Teile für eine Gestaltung gesorgt wird, die nach dem fertigen Einbau der Vorrichtung zum Beispiel dem Toilettennutzer ermöglicht, die ihm innerhalb eines bestimmten Bereichs fallweise genehme Position des Beckenabschnitts mit dem Toilettenbekken zu wählen.

Dieser Deutung steht nicht entgegen, daß die Beschreibung - weder was die Angaben zum Hintergrund der Erfindung und der sich im Stand der Technik ergebenden Probleme anbelangt, noch was die Vorteile der vorgeschlagenen Lösung betrifft - auf eine auch nach dem Einbau von jedem zu nutzende Drehbeweglichkeit des Beckenabschnitts mit dem Toilettenbecken abhebt und sich allein mit den Bedürfnissen und Wünschen der Fahrzeughersteller sowie der Flexibilität befaßt, welche die vorgeschlagene Lösung Fahrzeugherstellern in bezug auf die möglichen Einbausituationen bietet. Den Gegenstand eines erteilten Patents zu definieren, ist Aufgabe der Patentansprüche. Demgemäß bildet beim erteilten Patent der jeweilige Patentanspruch die maßgebliche Grundlage, aus der sich ergibt, welche Lehre zum technischen Handeln geschützt ist. Einschränkungen, die sich ausschließlich aus der Beschreibung ergeben, können mithin nicht von Bedeutung sein.

Auch die Beklagte zieht mit ihrem Rechtsmittel nicht in Zweifel, daß -wie es auch das mit technischen Richtern besetzte Bundespatentgericht gesehen hat - die Drehbarkeit des Beckenabschnitts, auch durch den Benutzer, den Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung kennzeichnet. Mit dem Rechtsmittel wird lediglich geltend gemacht, die Offenbarung der ursprünglichen Anmeldung sei vom Bundespatentgericht zu eng und damit unzutreffend beurteilt worden.

2. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung geht über den Inhalt der diesem Schutzrecht zugrundeliegenden Patentanmeldung hinaus, weshalb insoweit der mit der Klage geltend gemachte Nichtigkeitsgrund des § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG besteht.

a) Ob eine unzulässige Erweiterung nach dieser Vorschrift vorliegt, beurteilt sich nicht aufgrund eines Vergleichs des Gegenstands des erteilten Anspruchs mit dem des in der Anmeldung formulierten Anspruchs. Entscheidend ist insoweit vielmehr, ob Änderungen gegenüber dem erfolgt sind, das dem Fachmann mit durchschnittlichem Wissen und Können durch die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen in ihrer Gesamtheit offenbart worden ist (Sen.Urt.

v. 7.12.1999 -X ZR 40/95, GRUR 2000, 591 -Inkrustierungsinhibitoren, m.w.N.). Der Nichtigkeitsgrund ist gegeben, wenn der Fachmann der Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen nicht entnimmt, daß als Gegenstand zu der in der Anmeldung beanspruchten Erfindung (auch) die Lehre zum technischen Handeln gehört, die aufgrund der Patenterteilung geschützt sein soll (vgl.

Sen.Beschl. v. 5.10.2000 -X ZR 184/98, GRUR 2001, 140 -Zeittelegramm). Das ist hier zu bejahen.

b) Die Anmeldung beschreibt das System, für das um Schutz nachgesucht wird, in Spalte 1 Zeilen 29 ff. dahin: Die Erfindung beinhalte einen oberen Beckenabschnitt, der ein Toilettenbecken mit einem Bodenauslaß aufnehme, und einen unteren Basisabschnitt, auf welchem der Beckenabschnitt über dem Fußboden des Erholungsfahrzeugs montiert sei. Der Basisabschnitt bilde entweder für sich oder im Zusammenwirken mit einer Wandstruktur innerhalb des Erholungsfahrzeugaufbaus einen Stauraum. Dort sei unter dem Auslaß und in Fließverbindung mit diesem ganz oder zumindest teilweise ein entfernbarer Abwasserhaltetank untergebracht, der eine trennbare fluidische Kupplung mit dem Beckenaustritt aufweise, um das Abwasser aus demselben aufzunehmen. Der Tank könne aus dem Stauraum über eine Öffnung in der Erholungsfahrzeugseitenwand herausgenommen werden, um den Abwasserinhalt des Tanks zu entsorgen. Der Beckenabschnitt und der Basisabschnitt des Toilettensystems seien in einer solchen Art und Weise aufgebaut, daß der Frontbereich des Beckenabschnitts um eine vertikale Achse gegenüber dem Basisabschnitt gedreht werden könne, um die installierte Position des Beckenabschnitts in dem Erholungsfahrzeug an eine gewünschte Position anzupassen. Der weitere Inhalt der Anmeldung -und zwar sowohl der die Erfindung allgemein beschreibende Teil als auch der sich anschließende, sich mit dem Ausführungsbeispiel befassende Teil - erläutert diese Vorrichtung dabei durchgängig, indem auf die Bedürfnisse des Fahrzeugherstellers hingewiesen wird, der Toilettensysteme einbaut. Diese Hinweise sind durch die Möglichkeiten geprägt, die der Fahrzeughersteller beim Einbau eines patentgemäßen Systems hat. Als Vorteil wird herausgestellt, der Fahrzeughersteller könne ohne Rücksicht auf die Orientierung des Beckenabschnitts auf dem Basisabschnitt ("regardless of the orientation of the bowl section upon the base section" -Sp. 2 Z. 19 f.) das System an einer Vielzahl von Stellen innerhalb des Fahrzeugs aufstellen und die Steuerung für das Ventil montieren. Ein Hinweis, daß daneben oder gar allein der spätere Benutzer des mit einem patentgemäßen System ausgestatteten Fahrzeugs von einer Drehbeweglichkeit des Beckenabschnitts gegenüber dem Basisabschnitt Nutzen ziehen könne oder solle, findet sich in der Anmeldung dagegen nicht. Eine solche Person ist dort überhaupt nicht erwähnt.

Die nächstliegende Deutung des Fachmanns, was mit der Anmeldung beansprucht ist, geht deshalb dahin, daß ihm eine Lehre für ein System zur Verfügung gestellt werden soll, dessen Beschaffenheit dadurch gekennzeichnet ist, daß es zur Aufstellung an einem weitgehend beliebigen Ort innerhalb des Fahrzeugs eine Verdrehung des Beckenabschnitts gegenüber dem Basisabschnitt erlaubt, der Beckenabschnitt nach Festlegung einer Position, die der jeweiligen Einbaubedingung Rechnung trägt, jedoch nicht mehr drehbeweglich sein soll. Bestätigung dieser Auslegung findet der Fachmann in dem Umstand, daß in Spalte 1 Zeile 52 der Beschreibung der Anmeldung ebenso wie im angemeldeten Patentanspruch 1 die gewünschte Position als installierte Stellung ("installed position"), also als eine bereits hergestellte Lage bezeichnet ist. Auch das weist darauf hin, daß anmeldungsgemäß die Drehbeweglichkeit einen Montagezustand ermöglichen soll, nach dessen Verwirklichung nichts mehr verdreht werden soll. Bei Zugrundelegung dieses Verständnisses paßt dann auch, daß für das Ausführungsbeispiel in der Anmeldung beschri eben und gezeigt (Figur 4) ist, die ineinander liegenden Teile des Basisabschnitts und des Beckenabschnitts beispielsweise mittels einer radial eingesetzten Schraube in einer Weise dauerhaft aneinander festzulegen, welche (auch) die vorher bestehende Drehbarkeit des Beckenabschnitts gegenüber dem Basisabschnitt aufhebt.

Angesichts dieser Umstände kann angenommen werden, daß die gegen die auch vom Bundespatentgericht vorgenommene Deutung des Offenbarungsgehalts der Anmeldung vorgebrachten Gesichtspunkte der Berufung den Fachmann nicht zu einem anderen Verständnis veranlassen. Die Textstelle auf S. 2 linke Spalte Zeilen 48 bis 53 der Anmeldung beinhaltet den bereits erwähnten Hinweis auf eine installierte Position, weshalb ihr entgegen der Meinung der Berufung nicht ohne weiteres die Aussage einer allgemeinen, unbeschränkten Drehbarkeit des Beckenabschnitts auf dem Basisabschnitt entnommen werden kann. Selbst wenn man hiervon absieht, besteht jedenfalls kein Grund zu der Annahme, der Fachmann könnte die von der Berufung für entscheidend gehaltene Textstelle isoliert zur Kenntnis nehmen. Er wird sie im Kontext der übrigen Angaben, insbesondere auch derjenigen in Spalte 1 bis Spalte 2 Zeilen 32 lesen, die sich mit der angemeldeten Erfindung befassen, ohne auf Einzelheiten des Ausführungsbeispiels einzugehen. Auch das Verständnis dieser Textstelle wird deshalb durch die Sicht beeinflußt, welche die übrigen Angaben nahelegen. Das trifft gleichermaßen für die bei rein philologischer Analyse der Textstelle in Spalte 1 Zeile 53 bis Spalte 2 Zeile 2 richtige Feststellung der Berufung zu, daß anders als im ersten Teil im zweiten dieser sich mit der Beweglichkeit des Beckenabschnitts befassenden Aussage auf eine personenbezogene Beschränkung der genannten Möglichkeit nicht abgestellt ist. Die wiederholten Hinweise, daß die angemeldete Erfindung dem Fahrzeughersteller Gestaltungsfreiheit durch eine universell einsetzbare Einrichtung geben soll und gibt, führt dazu, daß auch diese von der Berufung angezogene Textstelle nicht anders verstanden wird. Das trifft für den im Privatgutachten der Beklagten herausgestellten Gesichtspunkt ebenfalls zu, daß die beschriebene und bildlich dargestellte Abstützung des Beckenabschnitts auf dem Basisabschnitt für den normalen Belastungszustand des Toilettensystems ohne Zusatzmaßnahme auch für die spätere Benutzung völlig ausreichend sei, weshalb dahinstehen kann, ob dieser Darlegung überhaupt gefolgt werden kann. Bei dieser Sachlage ist schließlich auch unbehelflich, daß im Hinblick auf die Verbindung von Beckenabschnitt und Basisabschnitt in der Anmeldung nicht zwingend vorgeschrieben ist, hierzu eine Schraube oder ein anderes geeignetes Befestigungsmittel einzusetzen. Da die Anmeldung die Beschaffenheit einer Vorrichtung mit Blick auf die Möglichkeiten beschreibt, die der Fahrzeughersteller haben soll, ist es folgerichtig, daß nur die Möglichkeit einer Verwendung beispielsweise einer Schraube angesprochen ist.

c) Bei der vorstehenden Bewertung des Offenbarungsgehalts der Anmeldung sieht sich der Senat im Einklang mit dem, was der gerichtliche Sachverständige als Erkenntnis des Fachmanns in seinem schriftlichen Gutachten dargestellt hat. Auch danach geht die angemeldete Lehre dahin, ein universelles System zur Verfügung zu stellen, dessen Flexibilität der Wohnwagenhersteller für eine feste Installation einsetzen kann. Zur Anmeldung gehören deshalb Vorrichtungen, bei denen am Basisabschnitt und am Beckenabschnitt -wie es im angemeldeten Anspruch 1 heißt -angeordnete Mittel nach Maßgabe der in der Beschreibung weiter genannten Einzelheiten so beschaffen sind, daß entsprechend der jeweiligen Einbausituation die Ausrichtung des Beckenabschnitts mit dem Toilettenbecken erfolgen und das System nach festgelegter Ausrichtung als feststehende Toilette eines Erholungsfahrzeugs dienen kann.

3.

Der Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung hat mithin einen breiteren Gegenstand, als ihn der Fachmann der ursprünglichen Anmeldung entnimmt. Während nach der Anmeldung der Fachmann Anweisungen zur Herrichtung des Systems für die Bedürfnisse des Fahrzeugherstellers erhält, lehrt ihn der erteilte Patentanspruch 1, wie man -auch -etwaigen Wünschen des Benutzers im Hinblick auf eine veränderbare Stellung des Toilettenbeckens gerecht werden kann. Das erfüllt den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG, wobei unentschieden bleiben kann, ob der erteilte Patentanspruch 1 eine gegenständliche Erweiterung derselben Erfindung oder eine gegenüber der Anmeldung andere Lehre zum technischen Handeln beinhaltet. Denn Identität zwischen ursprünglicher Offenbarung und erteiltem Anspruch 1 oder ein den Offenbarungsgehalt der Anmeldung lediglich einschränkender Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1, die nicht dem Verbot nachträglicher Änderung der ursprünglichen Anmeldung unterliegen, lassen sich nach dem Vorgesagten nicht feststellen. Auch die Beklagte zieht nicht in Zweifel, daß im vorliegenden Fall eine unzulässige Erweiterung gegeben ist, wenn der Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen vom Fachmann so verstanden wird, wie es nach Überzeugung des Senats der Fall ist.

4.

Der festgestellte Nichtigkeitsgrund ergreift auch die anderen Ansprüche des Streitpatents in der erteilten Fassung, weil sie unmittelbar und/oder mittelbar auf Anspruch 1 rückbezogen sind und deshalb ebenfalls über die ursprüngliche Anmeldung hinausgehen.

5.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 110 Abs. 3 PatG a.F. in Verbindung mit § 97 ZPO.






BGH:
Urteil v. 12.03.2002
Az: X ZR 224/98


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