Bundespatentgericht:
Urteil vom 19. Februar 2009
Aktenzeichen: 3 Ni 63/07

(BPatG: Urteil v. 19.02.2009, Az.: 3 Ni 63/07)

Tenor

1.

Das europäische Patent 0 614 362 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

2.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 1. Dezember 1992 als internationale Patentanmeldung PCT/FR92/01116 angemeldeten, die Priorität der französischen Patentanmeldung 9114936 vom 3. Dezember 1991 in Anspruch nehmenden und u. a. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland vor dem europäischen Patentamt in der regionalen Phase erteilten europäischen Patents EP 0 614 362 B1 (Streitpatent), dessen Erteilung am 19. Februar 1997 veröffentlicht worden ist und das vom Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer DE 692 17 554 geführt wird. Das in der Verfahrenssprache Französisch erteilte Streitpatent betrifft "Ebastin oder Ebastin-Analoga enthaltende Arzneimittel" und umfasst für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland 8 Patentansprüche, die in der deutschen Übersetzung folgendermaßen lauten:

1. Feste pharmazeutische Zusammensetzung mit verbesserter Auflösung, enthaltend eine Verbindung der Formelworin -R1 eine Thienylgruppe, eine gegebenenfalls durch ein Halogen substituierte Phenylgruppe, eine Alkoxygruppe mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, eine Alkylgruppe mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen bedeutet,

-R2 ein Halogenatom, ein Wasserstoffatom, eine Alkoxygruppe mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, eine Alkylgruppe mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen darstellt,

-R3 ein Halogenatom, ein Wasserstoffatom, eine Alkoxygruppe mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, eine Alkylgruppe mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, eine Alkylthiogruppe mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, eine Cycloalkylgruppe mit 5 oder 6 Kohlenstoffatomen oder eine Gruppe der Formel bedeutet, wobei R4 und R5 unabhängig voneinander ein Wasserstoffatom oder eine Alkylgruppe mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen darstellen, R6 eine Cycloalkylgruppe mit 3 bis 6 Kohlenstoffatomen, Hydroxymethyl, Carboxy oder Alkoxycarbonyl mit 2 bis 7 Kohlenstoffatomen bedeutet,

-W für eine Carbonyloder Hydroxymethylengruppe steht und deren Salze, dadurch gekennzeichnet, dass die Verbindung der Formel

(II) mikronisiert ist.

2.

Zusammensetzung gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der Wirkstoff der Formel (II) entspricht, worin -R1 eine Phenylgruppe bedeutet -R2 Wasserstoff bedeutet -R3 eine tert.-Butylgruppe bedeutet -W eine Carbonylgruppe bedeutet.

3.

Zusammensetzung gemäß den Ansprüchen 1 und 2, dadurch gekennzeichnet, dass der Wirkstoff der Formel (II) hydrophilisiert ist.

4.

Zusammensetzung gemäß Anspruch 1 dadurch gekennzeichnet, dass der Wirkstoff der Formel (II) die folgenden Eigenschaften aufweist: -maximale Größe geringer als 200 µm -zahlenmittlere Granulometrie zwischen 0,5 und 15 µm -wobei bevorzugt 90 %, bezogen auf Zahl, der Teilcheneine Granulometrie von geringer als 25 µm und bevorzugt geringer als 20 µm besitzen.

5.

Zusammensetzung in komprimierter Form, dadurch gekennzeichnet, dass sie den Wirkstoff gemäß Anspruch 4 enthält.

6.

Verfahren zur Herstellung von Zusammensetzungen gemäß Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, dass man -in einer ersten Stufe eine Mikronisierung der Verbindungder Formel (II) vornimmt, -in einer zweiten Stufe eine direkte Komprimierung vornimmt.

7.

Verfahren zur Herstellung der Zusammensetzung gemäß Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, dass man -in einer ersten Stufe eine Mikronisierung der Verbindungder Formel (II) vornimmt, -in einer zweiten Stufe eine Feuchtgranulierung und anschließend eine Komprimierung vornimmt.

8.

Zusammensetzungen in Form oraler Lyophilisate, dadurch gekennzeichnet, dass sie den Wirkstoff gemäß Anspruch 4, ein Suspendier-Mittel, ausgewählt unter den Gummen, ein süßendes Mittel und ein Verdünnungsmittel enthalten.

Die Klägerin macht die Nichtigkeit des Streitpatents gestützt auf den Klagegrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit und der fehlenden Ausführbarkeit geltend. Zur Begründung verweist sie u. a. auf folgende Entgegenhaltungen:

L-3 EP0134124B1 L-9 Boullay, G., STP Pharma 1985, 1 (4), S. 287, 296 bis 299 L-10 Rudolf Voigt "Lehrbuch der pharmazeutischen Technologie", 7. Auflage, Verlag Volk und Gesundheit, Berlin, 1987, S. 471 bis 481 L-11 DE 38 33 439 A1 L-12 DE 37 20 493 A1 L-13 US-PS 4 721 709 L-14 AT-E 75 940 B L-15 US-PS 4 532 238 L-22 EP 0 100 168 A2 L-23 Rudolf Voigt "Lehrbuch der pharmazeutischen Technologie", 7. Auflage, Verlag Volk und Gesundheit, Berlin, 1987, S. 156 bis 169 L-29 Rudolf Voigt "Lehrbuch der pharmazeutischen Technologie", 7. Auflage, Verlag Volk und Gesundheit, Berlin, 1987, S. 604 bis 612 Die Klägerin beantragt, Das europäische Patent EP-B-0 614 362 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

Die Beklagte beantragt, die Nichtigkeitsklage abzuweisen.

Zur Stützung ihres Vorbringens verweist sie auf die Dokumente Anlage rop 1 Entscheidung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes -T 0345/94 -3.3.2 Anlage rop 2 Register-Auszug zu DE 198 75 026 Anlage rop 3 Ansel's Pharmaceutical Dosage Forms and Drug Delivery systems, 2007, S. 231 Anlage rop 4 Chang, D. et al., Pharmaceutical Technology, May 2007, S. 56 bis 66 Anlage rop 5 Banker, G. S. und Rhodes, Ch. T. "Modern Pharmaceutics", Sec. Ed., 1989, Marcel Dekker, Inc. New York, Basel, S. 361.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung legt sie ferner drei EDV-Ausdrucke zu den in den Entgegenhaltungen L-11, L-12 und L-15 genannten Wirkstoffen vor, diese betreffen Daten aus dem "file merck" zu dem in L-11 genannten Wirkstoff Glibenclamid, Abstracts der Japanischen Patente JP 2008174467, JP 09124485 und JP 2000256335 zu den in L-12 und L-15 genannten Wirkstoffen Ebselen und Irsogladine sowie die Strukturformel von Irsogladin.

Hinsichtlich des weiteren Sachvortrages der Parteien sowie hinsichtlich der weiteren Dokumente wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Gründe

Die Klage erweist sich als zulässig und begründet. Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit a EPÜ) führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents.

I.

1.

Das Streitpatent betrifft feste pharmazeutische Zusammensetzungen mit verbesserter Auflösung auf der Basis von 1,4-substituierten Piperidinderivaten der allgemeinen Formel (II) (vgl. Patentanspruch 1 und Beschreibung S. 1 Z. 1/2).

Wie einleitend im Streitpatent ausgeführt wird, besitzen 1,4-substituierte Piperidinderivate der allgemeinen Formel (II), darunter insbesondere 4-Diphenylmethoxy-1[3-(4-tert.-butylbenzoyl)-propyl]-piperidin mit der internationalen Bezeichnung Ebastin, eine antihistaminische Aktivität H1, weshalb sie bei der Behandlung von Atmungserkrankungen und allergischen oder kardiovaskulären Erkrankungen wertvoll sind. Sie inhibieren ferner sowohl im Intestinalbereich als auch im Trachialbereich die konstriktorische Wirkung des Adrenalins und der Kaliumionen. Aktiv sind diese Verbindungen bei parenteraler sowie bei oraler Verabreichung. Allerdings weisen die Wirkstoffe der allgemeinen Formel (II), wenn sie zur oralen Verabreichung in fester Form formuliert werden, eine sehr unzureichende Bioverfügbarkeit auf. Zurückzuführen ist dies auf deren geringe Löslichkeit in Wasser, welche ursächlich ist für ihre sehr lange Auflösungszeit im wässrigen Milieu des Magens. Dies kann zu einem Verlust des aktiven, nicht gelösten und somit nicht absorbierbaren Wirkstoffes bei der gastrischen Entleerung führen und eine gefährliche Überdosierung zur Folge haben (vgl. L-1a, S. 1 Abs. 2 bis S. 3 Abs. 1).

2.

Davon ausgehend liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, eine neue, feste Verabreichungsform der Verbindung der allgemeinen Formel (II) bereitzustellen, worin der Wirkstoff eine verbesserte Löslichkeit und somit verbesserte Bioverfügbarkeit besitzt (vgl. L-1a S. 3 Abs. 2).

3.

Gelöst wird diese Aufgabe gemäß geltendem Patentanspruch 1 durch eine feste pharmazeutische Zusammensetzung mit verbesserter Auflösung, enthaltend eine Verbindung der allgemeinen Formel (II), wobei diese Verbindung mikronisiert ist.

Sie wird ferner gelöst durch eine Zusammensetzung in komprimierter Form gemäß Patentanspruch 5, durch die Verfahren gemäß den Patentansprüchen 6 und 7 sowie durch die Zusammensetzungen in Form oraler Lyophilisate gemäß Patentanspruch 8.

4.

Der zuständige Fachmann ist ein Chemiker bzw. Pharmazeut mit Hochschulabschluss, der über mehrjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von Arzneimitteln verfügt und der insbesondere mit den Grundlagen der Formulierung von Arzneimitteln, d. h. der Galenik, vertraut ist.

II.

Die Klage hat Erfolg, da sich das Streitpatent selbst dann als nicht bestandsfähig erweist, wenn die von der Klägerin insbesondere im Hinblick auf Patentanspruch 4 erteilter Fassung geltend gemachte Frage mangelnder Ausführbarkeit unberücksichtigt bleibt, weil die Lehre des Streitpatents zwar neu sein mag, jedenfalls aber nicht auf erfinderischer Tätigkeit i. S. v. Art. 56 EPÜ beruht, sondern für den Fachmann nahegelegt war.

1. Den nächsten Stand der Technik stellt das von der Beklagten auch als Grundpatent bezeichnete und in der Streitpatentschrift zitierte europäische Patent EP 0 134 124 B1 (= L-3) dar, das die Bereitstellung von Piperidin-Derivaten der allgemeinen Formel (I), die der allgemeinen Formel (II) des Streitpatentes entspricht, betrifft. Im Zusammenhang mit den unter diese allgemeine Formel fallenden Einzelverbindungen wird dabei auch 4-Diphenylmethoxy-1-[3-(4-tert.-butylbenzoyl)-propyl]-piperidin expressis verbis genannt, das unter der internationalen Bezeichnung Ebastin bekannt ist (vgl. Patentansprüche 1 und 8 sowie Beispiel 1). Die in diesem Dokument beschriebenen Verbindungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie selektiv als Histamin H1-Rezeptor-Blocker wirken sowie eine Calciumantagonistische Aktivität aufweisen, weshalb sie dort als geeignet zur Behandlung einer Reihe von Atemwegserkrankungen, Allergien und kardiovaskulärer Erkrankungen erachtet werden. Im Vergleich zu den Wirkstoffen Cinnarizin und Terfenadin erwiesen sie sich zudem wirkungsvoller als diese (vgl. L-3 S. 6 Z. 60 bis S. 7 Z. 8). Wie der Fachmann -was von Seiten der Beklagten im Rahmen der mündlichen Verhandlung bestätigt worden ist -jedoch bereits alleine schon anhand der Strukturformel (I) erkennt und wie einleitend im Streitpatent entsprechend ausgeführt wird (vgl. L-1a S. 1/2 übergreifender Absatz), handelt es sich bei den unter diese allgemeine Formel fallenden Verbindungen um Substanzen mit verminderter Wasserlöslichkeit. In Verbindung mit diesem Sachverhalt ist es, wie anhand der Zitate L-10 und L-29 aus dem "Lehrbuch der pharmazeutischen Technologie" des Autors Rudolf Voigt zu ersehen ist, wiederum dem Grundlagenwissen des hier tätigen Fachmannes zuzurechnen, dass eine schlechte Wasserlöslichkeit arzneilich wirksamer Substanzen Ursache einer unzureichenden Bioverfügbarkeit sein kann (vgl. L-10 S. 471 Abs. 4 und S. 471/472 übergreifender Absatz sowie L-29 S. 604, Kap. 28.2. Abs. 1 und 2, S. 607 Abs. 2, 1. Spiegelstrich, S. 609, Abs. 4 und S. 610 Abs. 2, 3. Satz). Auch von der Streitpatentinhaberin wird dieser Zusammenhang zwischen schlechter Wasserlöslichkeit und Bioverfügbarkeit so einleitend im Streitpatent beschrieben (vgl. L-1a S. 1/2 Brückenabsatz und S. 2/3 Brückenabsatz). Den Ausführungen des "Lehrbuches der pharmazeutischen Technologie" L-10 weiter folgend, ist zur Lösung dieses Problems, das im Übrigeni.

V. m. arzneilichen Wirkstoffen häufig auftritt, eine Erhöhung der Löslichkeit erforderlich, wobei die Teilchengröße eine wesentliche Rolle spielt (vgl. L-10 S. 471 Abs. 2, S. 471/472 Brückenabsatz und S. 472 Abs. 3 und sowie L-29 S. 609/610 Brückenabsatz). Durch eine Vergrößerung der Oberfläche wird nämlich die Lösungsgeschwindigkeit, die bei vielen Arzneistoffen den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt des Resorptionsprozesses darstellt, in starkem Maße erhöht, wodurch ein wesentlicher Beitrag zu einer Verbesserung der Löslichkeitsverhältnisse geleistet wird. Als dafür geeignete Methode nennt das in Rede stehende Lehrbuch in diesem Zusammenhang sodann zuvörderst die Mikronisierung (vgl. L-10 S. 471 Abs. 2 und 4 sowie S. 472, Abs. 3 sowie Gliederungspunkt 23.3.2.1. "Zerkleinerung"). Zwar wird in diesem Zusammenhang darüber hinaus auch auf weitere Möglichkeiten zur Verringerung der Teilchengrößen unter Einsatz von Hilfsstoffen und Prozessen verwiesen (vgl. a. a. O. S. 472 Abs. 3 sowie S. 473 Abs. 1 bis S.

474 Abs. 1). Bei diesen Vorgehensweisen handelt es sich jedoch um Verfahrensmaßnahmen, die der Fachmann -wie die Beklagte im Rahmen der mündlichen Verhandlung insbesondere im Zusammenhang mit den Patentschriften US-PS 4 721 709 (= L-13) und AT-E 75 940 B (= L-14) darlegt -nicht primär in Erwägung ziehen wird, weil sie zum einen einen höheren verfahrenstechnischen Aufwand erfordern, zum anderen dazu in jedem Fall Hilfsmittel benötigt werden. Angesichts dieses Sachstandes bedurfte es keiner Überlegungen erfinderischer Art, dieses durch L-10 repräsentierte Grundlagenwissen auch vorliegend zur Lösung der dem Streitpatent zugrunde liegenden Aufgabe anzuwenden und die dort insbesondere beschriebene Vorgehensweise, nämlich die Mikronisierung des Wirkstoffes, zur Erhöhung der Löslichkeit in Erwägung zu ziehen. Dabei konnte der Fachmann von vornherein davon ausgehen, dass er mit dieser Maßnahme aufgrund der damit erzielbaren Oberflächenvergrößerung eine Löslichkeit wird erzielen können, die über der des nicht mikronisierten Wirkstoffes liegt. Zur Überprüfung, inwiefern der erwartete Erfolg sodann tatsächlich eintritt, bedurfte es lediglich orientierender Versuche, deren Anlegung und Durchführung routinemäßiges Handeln nicht überschreiten und keine erfinderischen Überlegungen erforderten.

Zu keiner anderen Beurteilung der Sachlage kann der Vortrag der Beklagten führen, der Fachmann habe keinerlei Veranlassung gehabt, die Löslichkeit insbesondere des unter die allgemeine Formel (I) des Dokumentes L-3 fallenden Ebastin als unzureichend zu erachten und damit zu verändern, weil dieser Wirkstoff bereits in nicht mikronisierter Form als Arzneimittel zugelassen war, es in diesem Zusammenhang auch keinerlei Schwierigkeiten gegeben habe und, wie das Beispiel C auf der Seite 7 des Dokumentes L-3 zeige, sich diese Verbindung als sehr wirksam erwiesen habe. Der Fachmann habe daher angenommen, dass dieser Wirkstoff über eine ausreichende Bioverfügbarkeit verfüge. Auch sei der Fachmann nicht immer bestrebt alles zu verbessern. Dem Fachmann war -wie vorstehend dargelegt -jedoch unabhängig davon bewusst, dass es sich bei den in Rede stehenden Wirkstoffen um solche mit einer schlechten Wasserlöslichkeit handelt. Somit musste er aber auch -und zwar unabhängig davon, ob bereits im Handel befindliche Formulierungen als problematisch erachtet wurden oder nicht -in Betracht ziehen, dass der verabreichte Wirkstoff nur zum Teil seiner therapeutischen Zweckbestimmung zur Verfügung stand. Abgesehen davon, dass der aufgrund zu geringer Lösungsgeschwindigkeit noch nicht gelöste Wirkstoff-Anteil im Rahmen eines zeitlich festgelegten Dosierungsschemas gegebenenfalls zu Überdosierungen und damit unerwünschten Nebenwirkungen führen kann (vgl. auch L-1a S. 2/3 übergreifender Absatz), hat die schlechte Wasserlöslichkeit des Arzneistoffes aber auch einen Wirkstoff-Verlust, d. h. einen wirtschaftlichen Verlust, zur Folge. Es ist jedoch der Sorgfaltspflicht des Fachmannes zuzurechnen, beides soweit als möglich zu minimieren. Nachdem er daher stets bestrebt sein wird, die Gefahr eines Auftretens von Nebenwirkungen, und sei sie noch so gering, bzw. wirtschaftliche Verlustquellen auszuschalten, hatte er nach Überzeugung des Senates im vorliegenden Fall ausreichend Veranlassung, zu untersuchen, inwiefern die Bioverfügbarkeit insbesondere des bereits zugelassenen Ebastins den vorstehend genannten Ansprüchen genügt. Dieses trifft um so mehr zu, als es im Schrifttum -wie im Dokument L-29 S. 607 Abs. 2 1. Spiegelstrich ausgeführt wirdals unerlässlich erachtet wird, gerade bei schwer wasserlöslichen Stoffen, die Bioverfügbarkeit zu überprüfen.

Der Senat kann auch dem in vorstehendem Zusammenhang vorgetragenen Argument der Beklagten nicht folgen, bei Ebastin handele es sich um einen Arzneistoff mit "firstpass"-Effekt, weshalb die Ausführungen zur Löslichkeit und Bioverfügbarkeit im Lehrbuch-Auszug L-29 auf Seite 609 nicht zuträfen, wie auf S. 605 Absatz 2 dieses Dokumentes dargelegt werde. Bei solchen Prodrugs sei nämlich nicht nur die Löslichkeit oder Resorption entscheidend, auch die Metabolisierung könne der entscheidende Schritt sein. Auch in diesem Fall spielt die Löslichkeit des oral zu verabreichenden Wirkstoffes aber eine wesentliche Rolle, denn ungeachtet des Aufnahmeweges muss dieser zunächst in gelöster Form vorliegen, um überhaupt metabolisiert werden zu können. Der Fachmann wird daher stets, wenn er mit schlecht wasserlöslichen Wirkstoffen konfrontiert ist, die Löslichkeit auch solcher Substanzen untersuchen und gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen, um diese zu verbessern.

Die Beklagte wendet ferner ein, selbst wenn sich der Fachmann auf dem Gebiet der Verbesserung der Löslichkeit kundig gemacht hätte, sei er davon abgehalten gewesen, die Mikronisierung von Ebastin ins Auge zu fassen. Im Zusammenhang mit dem wissenschaftlichen Artikel L-9 und den Ausführungen L-10 im "Lehrbuch der pharmazeutischen Technologie" sei ihm nämlich bekannt gewesen, dass die Mikronisierung mit dem Problem der Aggregatbildung verbunden sei, was im Falle ausgeprägt hydrophober Arzneistoffe aufgrund der Oberflächenvergrößerung zu einer Erhöhung der nichtbenetzbaren Grenzfläche und damit zu einer Verschlechterung der Löslichkeitsverhältnisse führe. Um dieses zu verhindern, werde dort empfohlen, jeweils Tenside einzusetzen, was aber -in diesem Zusammenhang verweist die Beklagte auf die Dokumente rop 4 und rop 5 -dem allgemeinen Grundsatz "Keep it simple" widerspreche. Dagegen zeige das Streitpatent, dass eine Mikronisierung von Ebastin nicht mit der Bildung von Agglomeraten verbunden sei und somit eine Zugabe von Tensiden vorliegend nicht erforderlich sei. Ersichtlich sei dieses insbesondere am hohen Auflösungsgrad der Verbindungen gemäß den Beispielen 1 und 2 wie er in der Tabelle auf Seite 9 der deutschen Übersetzung des Streitpatentes (= L-1a) angegeben werde.

Dieser Argumentation kann sich der Senat indessen ebenfalls nicht anschließen. Auch vorliegend ist gemäß strittigem Patentanspruch 1 der Zusatz von Tensiden im Zusammenhang mit der Mikronisierung nicht ausgeschlossen. Entsprechend enthält auch die Beschreibung des Streitpatentes keine Anhaltspunkte, dass es Gegenstand der Erfindung sei, die Lösungsgeschwindigkeit von Ebastin ohne den Zusatz von Hilfsmitteln zu erhöhen. Dieses Argument wird auch nicht durch die von der Beklagten in diesem Zusammenhang zitierten Beispiele 1 und 2 der Streitpatentschrift gestützt. Wie anhand der Tabelle auf Seite 9 der deutschen Übersetzung L-1a der Streitpatentschrift zu ersehen ist, weist der Wirkstoff Ebastin jeweils in nichtmikronisierter und in mikronisierter Form als Pulver an sich bzw. nach Feuchtgranulation weiterverarbeitet in Tabletten einen unterschiedlichen Auflösungsgrad auf. Angaben dahingehend jedoch, inwiefern das verwendete Pulver frei jeglicher Aggregationserscheinungen war bzw. inwiefern dieses Problem nach einer Feuchtgranulation überhaupt noch eine Rolle spielen könnte, sind diesen Beispielen nicht zu entnehmen.

Unabhängig davon wird sowohl im Dokument L-9 als auch im Lehrbuch-Auszug L-10 nicht nur ausgeführt, dass bei einer Mikronisierung mit der Bildung von Aggregaten zu rechnen sei bzw. sich die Löslichkeitsverhältnisse ausgeprägt hydrophober Arzneimittel sogar verschlechtern, weshalb zur Vermeidung nach L-9 die Zugabe von Tensiden empfohlen wird und in L-10 auf neu entwickelte Verfahrenstechniken verwiesen wird (vgl. L-9 S. 296 Zusammenfassung re. Sp. Abs. 4 und S. 299 li. Sp. Abs. 3 sowie L-10 S. 472 Abschnitt 23.3.2.1. Zerkleinerung und S. 476 Abschnitt 23.3.7.). Der Fachmann erhält mit dem Dokument L-9 gleichzeitig auch den Hinweis, dass er im Zuge einer Mikronisierung jedenfalls mit einer Erhöhung der Lösungsgeschwindigkeit rechnen kann, in geringerem Maße ohne Tenside, in höherem Maße in Gegenwart von Tensiden (vgl. L-9 S. 299 li./re. Sp. übergreifender Absatz i. V. m. Figur 5). Schlussfolgernd wird dort sodann ausgeführt, dass die Mikronisierung glücklicherweise in vielen Fällen wirksam sei, auch wenn es sich dabei nicht um ein Wundermittel handle (vgl. S. 299 re. Sp. Abs. 5). Angaben dahingehend jedoch, der Einsatz von Tensiden sei stets zwingend erforderlich, weshalb die Mikronisierung eine in Verbindung mit der Herstellung von Arzneimitteln derart mit Nachteilen behaftete Methode darstelle, dass der Fachmann von deren Anwendung absehen solle, sind diesem Dokument an keiner Stelle zu entnehmen.

Auch die Ausführungen im Lehrbuchauszug L-10 sind nach Überzeugung des Senates nicht dazu geeignet, den Fachmann davon abzuhalten, die Mikronisierung zur Lösung der dem Streitpatent zugrunde liegenden Aufgabe in Erwägung zu ziehen. Der Fachmann wird dort nämlich nicht nur im Zusammenhang mit einer zur Erhöhung der Lösungsgeschwindigkeit zu erzielenden Oberflächenvergrößerung in erster Linie auf die Mikronisierung verwiesen (vgl. S. 471 2. Textabsatz und S. 472 Abs. 3), sondern insbesondere auch darauf, dass eine Mikronisierung vor allem zur Verbesserung der Löslichkeitsverhältnisse, wie der Lösungsgeschwindigkeit, bei schwerlöslichen Stoffen beitragen könne (vgl. S. 472 Abschnitt 23.3.2.1. Zerkleinerung). Von einer Verwendung von Tensiden zur Vermeidung von Aggregaten ist in diesem Zusammenhang dagegen nicht die Rede. Beschrieben werden diese lediglich im allgemeinen Kontext als Lösungsvermittler bzw. als Zusatz zu Lösungen zur Umkristallisation ausgesprochen hydrophober Arzneimittel mit dem Ziel, die Benetzbarkeit der Partikel zu steigern (vgl. S. 472 Abs. 4 sowie S. 476 Abschnitt 23.3.7.). Angesichts dieses Sachstandes bot es sich dem Fachmann sogar an, die in Rede stehende Verfahrensweise zur Lösung der dem Streitpatent zugrunde liegenden Aufgabe auch dann in Erwägung zu ziehen, wenn er, dem Grundsatz "keep it simple" folgend, den Einsatz von Hilfstoffen minimieren wollte. Den Dokumenten L-9 und L-10 folgend stellt die Mikronisierung demnach nämlich eine Methode dar, bei der der Einsatz von Tensiden zur Vermeidung von Aggregatsbildungen -wie in L-9 ausgeführt -zwar oft notwendig, nicht aber zwingend in jedem Fall erforderlich sein kann. Bestätigung erfährt diese Sichtweise insbesondere durch die deutsche Offenlegungsschrift L-12, die Arzneimittelzubereitungen mit mikronisiertem Ebselen betrifft. Dabei handelt es sich -wie aus dem von der Beklagten im Rahmen der mündlichen Verhandlung überreichten EDV-Ausdruck eines Abstracts des japanischen Patentes JP 2000256335 zu ersehen ist -um eine Substanz, die in Form der vor dessen Anmeldetag bekannten Kristalle eine Löslichkeit von 3,5 mg/l Wasser aufweist. Auch bei diesem um ein Vielfaches schwerlöslicheren Stoff als das i. V. m. dem Streitpatent insbesondere diskutierte Ebastin mit 0,8 mg/ml (vgl. L-1a S. 2 Abs. 1) hat der Fachmann die Maßnahme der Mikronisierung zur Steigerung der Wasserlöslichkeit und Erhöhung der Bioverfügbarkeit mit Erfolg ergriffen (vgl. Patentansprüche 1 und 2 i. V. m. Beschreibung Sp. 1 Z. 58 bis Sp. 2 Z. 1, Sp. 2 Z. 55 bis 58 und Sp. 3 Z. 8 bis 24 sowie Abb. 1). Hinweise aber, dass im Zuge dieser Verfahrensmaßnahme die Bildung von störenden Agglomeraten beobachtet worden ist, bzw. der Zusatz von Tensiden erforderlich war, um die Löslichkeit zu erhöhen, sind diesem Dokument an keiner Stelle zu entnehmen. Somit war der Fachmann selbst in diesem Fall nicht davon abgehalten gewesen, die Mikronisierung in Erwägung zu ziehen, weshalb die Argumentation der Beklagten den Senat nicht überzeugen kann, der Fachmann zöge im Fall des schwerlöslichen Ebastin die in Rede stehende Vorgehensweise von vornherein gar nicht in Betracht, weil er davon ausgehen musste, dass die Neigung zur Agglomeration um so größer sei, je schlechter wasserlöslich die Verbindung ist.

Der Patentanspruch 1 ist somit mangels erfinderischer Tätigkeit nicht rechtsbeständig.

3. Mit Anspruch 1 fallen auch mangels eines eigenständigen erfinderischen Gehaltes die weiteren Patentansprüche 2 bis 8, für welche die Patentinhaberin nur hinsichtlich des Anspruchs 7 einen eigenständigen erfinderischen Gehalt aufgrund des weiteren Verfahrensschritts der Feuchtgranulierung geltend gemacht hat. Dabei handelt es sich jedoch um eine bei der Verarbeitung pulverförmiger Substanzen übliche Maßnahme, die der Fachmann alleine schon aus Gründen der besseren Handhabbarkeit, beginnend bei der genaueren Dosierbarkeit gegenüber in mikronisierter Form vorliegenden Wirkstoffen ergreift (vgl. L-23 S. 156 bis 158 Abschnitt 8.3.1.). Dem Senat ist nicht ersichtlich, inwiefern es daher Überlegungen erfinderischer Art bedurfte, diese Maßnahme im Rahmen der Herstellung von Zusammensetzungen in komprimierter Form zu ergreifen.

Damit fallen auch diese Patentansprüche der Nichtigkeit anheim.

III Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

Dr. Schermer Engels Dr. Proksch-Ledig Dr. Gerster Dr. Schuster Be






BPatG:
Urteil v. 19.02.2009
Az: 3 Ni 63/07


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