Landesarbeitsgericht Hamm:
Urteil vom 5. Juni 2003
Aktenzeichen: 4 (16) Sa 1976/02

(LAG Hamm: Urteil v. 05.06.2003, Az.: 4 (16) Sa 1976/02)

Tenor

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm

auf die mündliche Verhandlung vom 05. Juni 2003

durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Berscheid

sowie die ehrenamtlichen Richter B6xxxxxxxx und K2xxxxxx

für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 07.11.2002 - 4 Ca 1244/02 - teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, daß die Kündigung des Beklagten zu 1) vom 14.06.2002 unwirksam ist.

Die Klageerweiterung gegen die Beklagte zu 3) wird unter Zurückweisung der Berufung im Óbrigen abgewiesen.

Die Kosten des ersten Rechtszuges haben der Kläger zu 2/5 und der Beklagte zu 1) zu 3/5 zu tragen. Die Kosten des zweiten Rechtszuges werden dem Kläger zu 4/7 und dem Beklagten zu 1) zu 3/7 auferlegt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für die I. Instanz auf 14.500,00 EUR und für die II. Instanz auf 20.300,00 EUR festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die aufgrund entsprechender Beschwer statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sowie rechtzeitig ordnungsgemäß begründete Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg und führt unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen zu einer entsprechenden Abänderung des angefochtenen Urteils.

Die Kündigung des Beklagten zu 1) gemäß Schreiben vom 14.06.2002 ist wegen grob fehlerhafter Sozialauswahl rechtsunwirksam und hat das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Insolvenzschuldnerin nicht zum 30.09.2002 aufgelöst. Hingegen besteht gegen die Beklagte zu 3) kein Weiterbeschäftigungsanspruch, da sein Vorbringen zum behaupteten Betriebsübergang unschlüssig ist.

1.Kommt bei einer Betriebsänderung (§ 111 BetrVG) ein Interessenausgleich mit namentlicher Benennung der zu kündigenden Arbeitnehmer zustande, dann kann die soziale Auswahl nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Hs. 1 InsO). Die Beschränkung des gerichtlichen Prüfungsrahmens auf grobe Fehlerhaftigkeit bezieht sich nicht nur auf die sozialen Indikatoren und deren Gewichtung selbst, sondern auf sämtliche Betandteile der Sozialauswahl (LAG Köln v. 01.08.1997 - 11 Sa 355/97, LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 1 = NZA-RR 1998, 160). Für die Insolvenzkündigung bestimmt nämlich die "Langfassung" des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO ausdrücklich, daß "die soziale Auswahl der Arbeitnehmer ( im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und Unterhaltspflichten ( nachgeprüft werden (kann); sie ist nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten bzw. geschaffen wird". Damit sind nicht nur die sozialen Grunddaten des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG erwähnt, sondern mit der "ausgewogenen Personalstruktur" ist auch eines der Kriterien für die Herausnahme aus der Sozialauswahl ausdrücklich angesprochen. Es würde zu Wertungswidersprüchen führen, wenn die übrigen Kriterien im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG bei Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste weiterhin voll nachgeprüft werden müßte (LAG Hamm v. 02.09.1999 - 4 Sa 962/99, ZInsO 2000, 352). Die Festlegung des auswahlrelevanten Personenkreises der austauschbaren und damit vergleichbaren Arbeitnehmer ist der Grundstein für eine ordnungsgemäße Sozialauswahl. Demzufolge bezog sich bisher die Unsicherheit im Betrieb weniger auf die Wertung der drei Auswahlkriterien, sondern welche Tätigkeiten miteinander vergleichbar waren.

1.1. Bei Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste ist die soziale Auswahl gemäß § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO grob fehlerhaft (LAG Hamm v. 02.09.1999 - 4 Sa 962/99, ZInsO 2000, 352), wenn die Betriebsparteien

den auswahlrelevanten Personenkreis der austauschbaren und damit vergleichbaren Arbeitnehmer willkürlich bestimmt oder nach unsachlichen Gesichtspunkten eingegrenzt haben,

unsystematische Altersgruppen mit wechselnden Zeitsprüngen (bspw. in 12er, 8er und 10er Jahresschritten) gebildet haben,

eines der drei sozialen Grundkriterien überhaupt nicht berücksichtigt oder zusätzlichen Auswahlkriterien eine überhöhte Bewertung beigemessen haben,

die der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten entgegenstehenden Gründen nicht nach sachlichen Gesichtspunkten konkretisiert haben.

Die Darlegungs- und Beweislast für die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl liegt auch bei Massenentlassungen gemäß § 1 Abs. 3 Satz 3 Hs. 1 KSchG beim Arbeitnehmer, und zwar selbst dann, wenn diese die Folge einer Betriebsänderung nach §§ 111, 112a BetrVG sind. Zu beachten ist aber, daß der Insolvenzverwalter nicht nur bei Einzelkündigungen, sondern auch bei Massenentlassungen dem Arbeitnehmer auf dessen Verlangen hin die Gründe anzugeben hat, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 KSchG). Diese Auskunftspflicht führt zu einer abgestuften Verteilung der Darlegungslast zwischen Insolvenzverwalter und Arbeitnehmer (ArbG Senftenberg v. 05.02.1998 - 3 Ca 2923/97, AuA 1998, 328 = NZA-RR 1998, 299; zust. Berscheid, ZInsO 1999, 511, 512): Zur Erfüllung seiner substantiierten Darlegungslast, die er ohne Auskunft des Insolvenzverwalters erfüllen kann, muß der Arbeitnehmer unter Angabe der Sozialdaten die oder den Arbeitnehmer (namentlich) benennen, dem oder denen an seiner Stelle hätte gekündigt werden müssen (BAG v. 18.10.1984 - 2 AZR 543/83, NZA 1985, 423 = ZIP 1985, 953). Soweit der Arbeitnehmer nicht in der Lage ist, zur sozialen Auswahl Stellung zu nehmen und er deswegen den Insolvenzverwalter zur Mitteilung der Gründe auffordert, die ihn zu der Auswahl veranlaßt haben, hat der Insolvenzverwalter als Folge seiner materiellen Auskunftspflicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 KSchG substantiiert auch im Prozeß vorzutragen (ArbG Hamburg v. 06.07. 1998 - 21 Ca 65/98, NZA-RR 1999, 29). Erst wenn der Insolvenzverwalter seiner Auskunftspflicht ordnungsgemäß nachgekommen ist, trägt der Arbeitnehmer wieder die volle Darlegungslast für die Fehlerhaftigkeit der vorgenommenen Sozialauswahl (BAG v. 10.02.1999 - 2 AZR 716/98, NZA 1999, 702 = ZInsO 1999, 543). Der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Hs. 1 InsO ändert daran nichts, denn "dieser Prüfungsmaßstab könnte erst dann Bedeutung erlangen, wenn es aufgrund entsprechenden Sachvortrags ... überhaupt etwas zu prüfen gäbe" (so zu § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG a.F. [1996] BAG v. 10.02.1999 - 2 AZR 715/98, ZInsO 1999, 543). Erst wenn der Insolvenzverwalter seiner durch die Aufforderung des Arbeitnehmers gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 KSchG ausgelöste Auskunftspflicht nachgekommen ist, kann nach entsprechender (weiterer) Rüge durch den Arbeitnehmer geprüft werden, ob die Sozialauswahl einwandfrei ist oder ob ein festzustellender Mangel als ein leichter Fehler oder als grobe Fehlerhaftigkeit zu bewerten ist (ArbG Frankfurt/Main v. 10.09.1998 - 3 Ca 6701/97, AE 1999, 34).

1.2. Vorliegend hat der Beklagte durch erstinstanzliche Vorlage des Interessenausgleichs vom 13.06.2002 und zweitinstanzliche ergänzende schriftsätzliche Erläuterungen zwar seine Auskunftspflicht erfüllt, aber die vom Kläger nach Offenlegen der Altersgruppenbildung erhobenen Rügen zur vorgenommenen Sozialauswahl greifen durch. Dabei ist nicht die vorgenommene Altersgruppenbildung grob fehlerhaft, sondern die letztlich in der Altersgruppe des Klägers getroffene Sozialauswahl. Das Gesetz bestimmt für die soziale Auswahl in § 125 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Hs. 2 InsO, daß es nicht als grob fehlerhaft anzusehen ist, wenn eine ausgewogene Personalstruktur nicht nur "erhalten", sondern auch wenn sie erst "geschaffen" wird. Es ist daher in der Unternehmensinsolvenz auch möglich, eine nach Leistungsstärke und Altersstruktur gleichwertige Belegschaft (erstmals) zu schaffen und damit Versäumnisse bei der Einstellungspolitik des Unternehmens zu heilen (Uhlenbruck/Berscheid, 12. Aufl., § 125 InsO Rn. 60, m.w.N.). Dabei geht es nicht um den "Ausschluß" (so aber Giesen, ZfA 1997, 145, 155) oder um die "Herausnahme" (so Nerlich/Römermann/Hamacher, Lsbl., § 125 InsO Rdn 55a) einzelner Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl, gemeint ist vielmehr, daß die soziale Auswahl von vornherein nur innerhalb von abstrakten Altersgruppen vorgenommen wird (so bereits Berscheid AnwBl 1995, 8, 14; ferner v. Hoyningen-Huene/Linck DB 1997, 41, 42). Die Altersgruppen sind nicht für den gesamten Betrieb ohne Rücksicht auf die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer, sondern innerhalb des jeweils auswahlrelevanten Personenkreises zu bilden (LAG Hamm v. 28.05.1998 - 8 Sa 76/98, LAGE § 125 InsO Nr. 1 = BuW 1998, 839 = ZInsO 1998, 236). Diese Konzeption führt dazu, daß die Sozialauswahl innerhalb mehrerer "Binnengruppen" von Arbeitnehmern jeweils nach den allgemeinen Grundsätzen durchzuführen ist, die jeweils durch die Oberbegriffe "funktionelle Vergleichbarkeit" und "altersstufenbezogene Vergleichbarkeit" eingegrenzt werden (Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung, 4. Aufl., § 21 Rn. 65). Innerhalb der zu bildenden Altersgruppen kann die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG anhand eines Punkteschemas vorgenommen werden (LAG Düsseldorf v. 17.03.2000 - 9/6 Sa 84/00, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 32 = NZA-RR 2000, 421 = ZInsO 2000, 92 [Berscheid]; ebenso Berscheid, BuW 1997, 672, 674).

1.3. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die vom Beklagte vorgenommene Sozialauswahl grob fehlerhaft. Der Beklagte hat zwei Vergleichsgruppe gebildet, nämlich die der Sanitärinstallateure und die der Heizungsmonteure. Die soziale Auswahl kann nur unter austauschbaren Arbeitnehmern getroffen werden, ohne daß es auf die organisatorische Gliederung des Betriebes oder Zuordnung der Arbeitnehmer zu irgendwelchen Betriebsabteilungen ankäme. Bei struktureller Verschiedenartigkeit der Aufgabenbereiche und der an den Arbeitsplatz gestellten Anforderungen scheidet eine Vergleichbarkeit aus, weil bei einer funktionsbezogenen Betrachtungsweise nicht mehr auf die grundsätzlich gleichwertige Eignung der betroffenen Arbeitnehmer geschlossen werden kann. Ob hiernach Sanitärinstallateure und Heizungsmonteure vergleichbar und damit austauschbar sind, ganz letztendlich dahingestellt bleiben, denn die Bildung dieser beiden Vergleichsgruppen ist nicht grob fehlerhaft im Sinne von § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO.

1.3.1. Bei den Heizungsmonteuren sah die Altersstruktur vor Abschluß des Interessenausgleichs vom 13.06.2002 wie folgt aus:

Der Wechsel der Altersgruppe vollzieht sich am jeweiligen Geburtstag mit der Vollendung des in der Staffelung angegebenen Anfangs- bzw. Endalters (Berscheid BuW 1997, 632, 637), sofern die Betriebsparteien nicht einen bestimmten Stichtag festlegen (Berscheid/Kunz/Brand, Praxis des Arbeitsrechts, 2. Aufl., Teil 8 Rn. 165; Uhlenbruck/Berscheid, 12. Aufl., § 125 InsO Rn. 64). Hieraus ergibt sich die vorgenommene Zuordnung der Arbeitnehmer zu den einzelnen Altersgruppen. Der Beklagte zu 1) hat zwei Drittel der vorgenannten Arbeitnehmer entlassen wollen und dem Betriebsrat unter dem 29.05.2002 einen Interessenausgleich vorgelegt, wonach folgende Arbeitnehmer weiterbeschäftigt werden sollten:

Nachdem der Betriebsrat sich gegen die Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters S11xxxxxxx mit dem Argument gewehrt, daß dieser als jüngster Mitarbeiter alsbald eine neue Arbeitsstelle finden werde, und seinerseits vorgeschlagen hat, den Mitarbeiter M8xxxx weiterzubeschäftigen, hat der Beklagte zu 1) in diesem Punkte nachgegeben. Nach seiner Sicht sah die Altersgruppenbildung nach dem Interessenausgleich vom 13.06.2002 wie folgt aus:

Diese Sichtweise ist fehlerhaft, denn die mit dem Betriebsrat vereinbarte Altersstruktur läuft auf eine Dreiereinteilung hinaus. Anders als hinsichtlich der Verwendung von Punktetabellen, muß keine einheitliche Altersgruppenbildung in allen auswahlrelevanten Personenkreisen vorgenommen werden. Eine bestimmte Staffelung wird durch das Gesetz nicht vorgeschrieben. Die Betriebsparteien können -je nach der Zahl der in den einzelnen auswahlrelevanten Personenkreisen übrig bleibenden, also weiterzubeschäftigenden Arbeitnehmern - zwischen der Einteilung der Arbeitnehmer in drei, vier oder fünf zu bildenden Altersgruppen wählen (Berscheid/Kunz/Brand, Praxis des Arbeitsrechts, 2. Aufl., Teil 8 Rn. 112; Uhlenbruck/Berscheid, 12. Aufl., § 125 InsO Rn. 74). Mit anderen Worten, sie sind hinsichtlich der Anzahl der zu bildenden Altersgruppen frei und können für die einzelnen auswahlrelevanten Personenkreise auch unterschiedliche Gruppeneinteilungen vornehmen. Daher ist nicht zu beanstanden, daß bei den Sanitärinstallateuren eine Vierereinteilung und bei den Heizungsmonteuren eine Dreiereinteilung vorgenommen worden ist.

1.3.2. Nach der mit dem Betriebsrat im Interessenausgleich vom 13.06.2002 vereinbarten Weiterbeschäftigung der vorgenannten 4 Heizungsmonteure kann nicht mehr von einer Vierereinteilung, sondern nur noch von einer Dreiereinteilung gesprochen werden. Die vorhandene Altersstruktur, die entsprechend der Dreieinteilung zu bilden war, sah vor Abschluß des Interessenausgleichs vom 13.06.2002 wie folgt aus:

Der Beklagte zu 1) hat nach der Vereinbarung mit dem Betriebsrat im Interessenausgleich vom 13.06.2002 den Mitarbeiter S11xxxxxxx entlassen und den Mitarbeiter M8xxxx weiterbeschäftigt. Dies ergibt bei drei Altersgruppen folgendes Bild:

Von der Altersgruppenbildung her und unter Berücksichtigung des Umstandes, daß nach der vormals vorhandenen Altersstruktur in der Gruppe der 35- bis 50-jährigen die meisten Arbeitnehmer beschäftigt waren, ist es gerechtfertigt, in dieser Altersgruppe auch weiterhin die höhere Anzahl von Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen. Die grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl betrifft nicht die Altersgruppenbildung als solche, sondern die in der Altersgruppe der 35- bis 50-jährigen getroffene Auswahl. Der bei Abschluß des Interessenausgleichs 42 Jahre alte Kläger gehört der vorgenannten Altersgruppe an und ist daher nur mit dem weiterbeschäftigten Arbeitnehmer M8xxxx sozialdatenmäßig zu vergleichen, denn der ebenfalls weiterbeschäftigten Arbeitnehmer M6xxxxx genießt als Betriebsratsmitglied nach Maßgabe des § 15 Abs. 4 KSchG Sonderkündigungsschutz und fällt damit aus der Sozialauswahl heraus (LAG Hamm v. 23.03.2000 - 4 Sa 910/99, ZInsO 2000, 570). Alle übrigen Arbeitnehmer sind ebenfalls entlassen worden. Der Vortrag, der Mitarbeiter M8xxxx sei, da er nicht als (einfacher) Heizungsmonteur, sondern als Obermonteur eingesetzt gewesen sei, mit dem Kläger nicht vergleichbar, ist angesichts der Einbeziehung aller Heizungsmonteure in eine Vergleichsgruppe unbeachtlich. Während der seit über 24 Jahre bei der Insolvenzschuldnerin beschäftigte Kläger verheiratet und zwei minderjährigen Kindern gegenüber unterhaltsverpflichtet ist, war der seinerzeit 43 Jahre alte, erst seit 16 Jahren beschäftigte Arbeitnehmer M8xxxx ledig. Von den Geburtsdaten 22.03.14xx (Arbeitnehmer M8xxxx) und 01.02.14xx (Kläger) sind beide altersmäßig nicht einmal ein halbes Jahr auseinander, also quasi gleich alt. Angesichts der acht Jahre und damit weitaus längeren Betriebszugehörigkeit und der Unterhaltsverpflichtungen des Klägers ist die Weiterbeschäftigung des ledigen Arbeitnehmers M8xxxx "nicht ausreichend" im Sinne von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG, sondern grob fehlerhaft im Sinne von § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO. Mithin hat die Kündigung des Beklagten zu 1) gemäß Schreiben vom 14.06.2002 das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Insolvenzschuldnerin nicht zum 30.09.2002 aufgelöst.

2. Die vom Kläger erst im Berufungsverfahren vorgenommene Klageerweiterung auf die Beklagte zu 3) ist zulässig. Nach § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 525 Satz 1 ZPO n.F. sind auf das Berufungsverfahren grundsätzlich die im ersten Rechtszuge für das Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden. Danach sind Klageänderungen zwar unter den Voraussetzungen des § 263 ZPO erlaubt (LAG Hamm vom 01.12.1994 - 4 Sa 1631/94, LAGE § 630 BGB Nr. 28; LAG Hamm v. 26.11.1998 - 4 Sa 384/98, ZInsO 1999, 302). Die Ausdehnung des Rechtsstreits auf einen weiteren Beklagten erst in der Berufungsinstanz hat aber Ausnahmecharakter und ist deshalb nur dann zulässig, wenn der neue Beklagte zustimmt oder die Verweigerung der Zustimmung rechtsmißbräuchlich ist (BAG v. 27.01.2000 - 8 AZR 106/99, ZInsO 2000, 411). Als Rechtsmißbrauch ist die Weigerung des Zweitbeklagten, der Klageerstreckung in der Berufungsinstanz zuzustimmen, allerdings bereits dann zu werten, wenn nicht ersichtlich ist, daß der Zweitbeklagte bei der Zulassung der Klageerstreckung eine irgendwie geartete beachtliche Schlechterstellung zu befürchten hat (BGH v. 18.03.1997 - XI ZR 34/96, NJW 1997, 2885). Eine solche Schlechterstellung hat die Beklagte zu 3) nicht dargelegt. Die Klageerweiterung ist mithin zulässig, die Klage als solche aber unbegründet.

2.1. Das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Insolvenzschuldnerin ist nicht infolge eines Betriebsübergangs auf die Beklagte zu 3) gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB übergegangen. Ein Betriebsübergang im Sinne von § 613a BGB liegt vor, wenn ein neuer Rechtsträger die wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortführt. Ob ein im wesentlichen unveränderter Fortbestand der organisierten Gesamtheit "Betrieb" bei dem neuen Inhaber anzunehmen ist, richtet sich nach den Umständen des konkreten Falles. Zu den maßgeblichen Tatsachen zählen insbesondere die Art des betreffenden Betriebs, der Übergang der materiellen Betriebsmittel, wie Gebäude und bewegliche Güter sowie deren Wert und Bedeutung, die Übernahme der immateriellen Betriebsmittel und der vorhandenen Organisation, der Grad der Ähnlichkeit mit der Betriebstätigkeit des bisherigen Inhabers, die Weiterbeschäftigung der Hauptbelegschaft, der Übergang von Kundschaft und Lieferantenbeziehungen sowie die Dauer einer eventuellen Unterbrechung der Betriebstätigkeit (BAG v. 25.05.2000 - 8 AZR 416/99, MDR 2000, 1444 = NZA 2000, 1115 = RdA 2001, 236 [Boecken] = ZInsO 2001, 46 = ZIP 2000, 1630 [Bauer/Mengel]; zuletzt BAG v. 16.05.2002 - 8 AZR 319/01, KTS 2003, 309 = ZInsO 2003, 43; BAG v. 08.08.2002 - 8 AZR 583/01, NZA 2003, 315 = ZInsO 2003, 99). Dabei darf eine Einheit nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. Die Identität der Einheit ergibt sich auch aus anderen Merkmalen, wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und ggf. den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln. Den für das Vorliegen eines Übergangs maßgeblichen Kriterien kommt je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den Produktions- oder Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu (BAG v. 22.05.1997 - 8 AZR 101/96, NZA 1997, 1050 = SAE 1998, 204 [Wank] = ZIP 1997, 1555; BAG v. 22.05.1997 - 8 AZR 103/96, EzA § 613a BGB Nr. 157; BAG v. 22.05.1997 - 8 AZR 118/96, ZInsO 1998, 93). In Branchen, in denen es im wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, kann eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind, eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Die Wahrung ihrer Identität ist anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hat. Hingegen stellt die bloße Fortführung der Tätigkeit durch einen Auftragnehmer (Funktionsnachfolger) keinen Betriebsübergang dar (BAG v. 11.12.1997 - 8 AZR 426/94, MDR 1998, 723 = NZA 1998, 532 = ZAP ERW 1998, 141 [Berscheid] = ZIP 1998, 663; BAG v. 11.12.1997 - 8 AZR 156/95, NZA 1999, 486 = ZAP ERW 1998, 141 [Berscheid]; BAG v. 11.12.1997 - 8 AZR 729/96, MDR 1998, 722 = NZA 1998, 534 = ZIP 1998, 666).

2.2.Bei Anwendung dieser Grundsätze können vorliegend die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs nicht festgestellt werden. Das Vorbringen des Klägers ist nicht einmal schlüssig. Er trägt zur Begründung lediglich vor, soweit er informiert sei, sei die Beklagte zu 3) die "Nachfolgefirma" der Insolvenzschuldnerin. Die Beklagte zu 3) beschäftige sich mit Heizungs-, Lüftungs- und Sanitärarbeiten, habe Arbeitsmaterialien der Insolvenzschuldnerin übernommen und beschäftige etliche Mitarbeiter von ihr. Des Weiteren sei davon auszugehen, dass die Beklagte zu 3) auch die Kundenstruktur der Insolvenzschuldnerin komplett übernommen habe. Dieses Vorbringen genügt nicht den Anforderungen, die an eine schlüssige Klage zu stellen sind. Angesichts dessen stellt sich die beantragte Parteivernehmung der Geschäftsführerin G3xxx der Beklagten zu 3) und des Beklagten zu 1) als Ausforschungsbeweis dar. Die Beklagte zu 3) hat in Abrede gestellt, Mitarbeiter der Insolvenzschuldnerin zu beschäftigen. Es wäre Sache des Klägers gewesen, "Roß und Reiter", also die vormals bei der Insolvenzschuldnerin beschäftigten und nunmehr angeblich für die Beklagte zu 3) tätigen Arbeitnehmer namentlich zu benennen. Dies ist nicht geschehen, so dass die Klage gegen die Beklagte zu 3) ohne Erfolg hat bleiben müssen.

3. Nach alledem hat die Berufung des Klägers nur Hinsichtlich des Kündigungsschutzbegehrens Erfolg, während sie im übrigen -soweit sie nicht zurückgenommen worden ist - hat ohne Erfolg bleiben müssen.

3.1. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1, 100 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Die Kostenquotelung orientiert sich an dem jeweiligen Unterliegen und Obsiegen der Parteien.

3.2. Der Wert des Streitgegenstandes war nach § 25 Abs. 1 GKG, § 9 BRAGO in Verbindung festzusetzen. Für das erstinstanzliche Verfahren war für den Kündigungsschutzantrag gegen den Beklagten zu 1) gemäß § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG das Vierteljahreseinkommen des Klägers anzusetzen und für den Weiterbeschäftigungsantrag gegen die Beklagte zu 2) gemäß §§ 3 ff ZPO sein doppelter Monatsverdienst. Da der Kläger unbeschränkt Berufung eingelegt hat, erhöht sich Streitwert für den Weiterbeschäftigungsantrag gegen die Beklagte zu 3) gemäß §§ 3 ff ZPO um den doppelten Monatsverdienst. Die Addition der jeweiligen Teilbeträge ergibt den (unterschiedlich hohen) Gesamtstreitwert der beiden Instanzen. Der Streitwertbeschluß hat mit der Urteilsformel verbunden werden können.

3.3. Ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 1 ArbGG ist bei der vorliegenden Einzelfallgestaltung nicht ersichtlich, denn die von den Parteien aufgeworfenen Rechtsfragen sind bereits sämtlich beantwortet bzw. konnten dahingestellt bleiben. Die Nichtzulassung der Revision war in den Urteilstenor aufzunehmen, da die Parteien bereits nach Verkündung des Urteils wissen müssen, ob der zwischen ihnen bestehende Konflikt entschieden ist oder nicht (§ 72 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 64 Abs. 3a ArbGG).

/Woi.






LAG Hamm:
Urteil v. 05.06.2003
Az: 4 (16) Sa 1976/02


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