Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 20. Februar 2015
Aktenzeichen: 6 U 99/14

(OLG Köln: Urteil v. 20.02.2015, Az.: 6 U 99/14)

Tenor

Die Berufung der Beklagen gegen das am 24.04.2014 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 31 O 259/11 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagen auferlegt.

Dieses Urteil und das des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung ihrerseits Sicherheit leistet. Die Höhe der zu leistenden Sicherheit beträgt bezüglich des Unterlassungsanspruchs 500.000,00 €, bezüglich des Auskunftsanspruchs 100.000,00 € und hinsichtlich der Kosten für die Beklagte 110 % des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrages und für die Klägerin 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien sind Konkurrenten auf dem Süßwarenmarkt. Die Klägerin vertreibt seit 1965 u.a. den Schokoladenriegel "merci" in einer 200 g-Verpackung, deren Gestaltung sie ab dem Jahr 2000 nur leicht veränderte, und die sich seit dem Jahr 2011 unverändert wie folgt präsentiert:

Das merci-Produkt der Klägerin ist durch diverse Marken geschützt.

Die Beklagte, ein Unternehmen der T.-Gruppe, vertreibt u.a. ebenfalls einzeln verpackte Schokoladenriegel unter der Bezeichnung "Reichardt - Edelste Variationen" in folgender Ausstattung:

Die Klägerin sieht darin eine unlautere Nachahmung ihrer Produktausstattung sowie eine Verletzung von Markenrechten. Sie hat im März 2011 vor dem Landgericht Köln im Verfahren 31 O 123/11 erfolgreich eine einstweilige Unterlassungsverfügung erwirkt. Diese ist im anschließenden Berufungsverfahren 6 U 161/11 vom Senat mit Urteil aus Januar 2012 aufgehoben worden.

Im vorliegenden - parallel zum Eilverfahren eingeleiteten - Hauptsacheverfahren hat die Klägerin beantragt, der Beklagten bei Meidung der üblichen Ordnungsmittel zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr Schokoladenriegel in der o.a. Verpackungsgestaltung anzubieten und/oder anbieten zu lassen, in den Verkehr zu bringen und/oder in den Verkehr bringen zu lassen, zu vertreiben und/oder vertreiben zu lassen, zu bewerben und/oder bewerben zu lassen; darüber hinaus sie beantragt, die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz festzustellen sowie die Beklagte in konkret beschriebenem Umfang zur Erteilung von Auskünften und Vorlage von Belegen zu verurteilen. Die Klägerin hat nach wie vor die Ansicht vertreten, ihr stehe gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch zu. Sie hat diesen Anspruch in erster Linie auf §§ 8, 3, 4 Nr. 9 UWG gestützt, hilfsweise auf § 14 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 MarkenG.

Das Landgericht hat nach Vorlage eines von der Klägerin in Auftrag gegebenen Gutachtens der Ipsos GmbH sowie zweier von der Beklagten in Auftrag gegebener Studien der V. GmbH Beweis erhoben zu der Frage, ob die Gefahr einer Herkunftstäuschung besteht, durch Einholung eines Gutachtens der Sachverständigen Dr. Pflüger. Auf die Gutachten und Studien (Bl. 210 ff. GA; Bl. 318 ff. und 332 ff. GA; Anlagenhefter) wird inhaltlich Bezug genommen.

Die Klägerin hat vorgetragen, es liege eine vermeidbare Herkunftstäuschung vor. Da es sich bei dem von ihr vertriebenen Schokoladenriegel um ein überaus bekanntes Produkt handele und die Verpackungsgestaltung des Produkts der Beklagten einen in hohem Maße ähnlichen Gesamteindruck aufweise, werde der Eindruck erweckt, bei der Marke "Reichardt" handele es sich um eine Zweitmarke ihres Unternehmens. Dass tatsächlich ein großer Anteil des angesprochenen Verkehrskreises einer Herkunftstäuschung unterliege, werde sowohl durch das Ipsos-Gutachten als auch durch die Ergebnisse des vom Gericht eingeholten Gutachtens der Sachverständigen Dr. Pflüger belegt.

Die Beklagte hat dagegen eingewandt, dass die Gefahr einer Herkunftstäuschung nicht gegeben sei, was die Studien der V. belegten. Alle Gestaltungselemente des Produkts der Klägerin seien Gemeinplätze, die auch von anderen Wettbewerbern genutzt würden. Ihre Hinweiskraft beziehe die Produktverpackung lediglich aus dem dominanten merci-Logo. Der Verkehr erkenne die Marke "Reichardt", die seit langem auf dem Markt eingeführt sei, als Herstellerangabe, so dass jedwede Gefahr einer direkten oder indirekten Herkunftstäuschung ausgeschlossen sei, zumal die Produkte im Handel nicht aufeinander träfen. Sie habe auch sonst genügend Abstand zum Produkt der Klägerin gewahrt. Die Ausmaße der Verpackung ergäben sich aus dem Inhalt und Sachzwängen logistischen Handelns bei einer Schachtel für 2 x 8 Riegel zu insgesamt 200 g. Der Vertrieb von Schokoladenriegeln in acht verschiedenen Geschmacksrichtungen sei im Umfeld ebenso wenig etwas Besonders wie die Öffnungsvorrichtung. Die Beklagte hat zudem die Auffassung vertreten, die Ergebnisse des vom Gericht eingeholten Gutachtens seien nicht verwertbar; dies hat sie im Einzelnen ausgeführt.

Mit Urteil vom 24. April 2014, auf das gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht der Klage stattgegeben.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Das Gutachten der Sachverständigen Dr. Pflüger verkenne die reale wirtschaftliche Werbesituation; ihr Produkt sei gerade keine billige Nachahmung, sondern höherwertiger und teurer als das der Klägerin. Außerdem sei das Gutachten der Sachverständigen Dr. Pflüger auf der Grundlage einer erst nachträglich entstandenen Monopolsituation und eines mithin nicht mehr vergleichbaren Wettbewerbsumfeldes erstellt worden, so dass die Befragten die Schokoladenstäbchen im kurzlebigen Süßwarenmarkt nur dem allein noch bekannten Produkt der Klägerin hätten zuordnen können. Aber selbst wenn man vorliegend zu einer Verwechslungsgefahr käme, könne sie nach den Grundsätzen der Regalsystem-Entscheidung des BGH vom 24.01.2013 im Hinblick auf die Unzumutbarkeit weiterer Maßnahmen zur Vermeidung einer Herkunftstäuschung nicht auf eine andere, weniger attraktive Ausstattung verwiesen werden. Allein schon die Anbringung der Herstellermarke sei die geeignete, geforderte und ausreichende Maßnahme, um eine rechtlich relevante Verwechslungsgefahr auch im weiteren Sinne auszuschließen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 24. April 2014 zum Az. 31 O 259/11 kostenpflichtig und vorläufig vollstreckbar abzuweisen und ihr als Gläubigerin Sicherheitsleistung, die auch durch selbstschuldnerische Bank- oder Sparkassenbürgschaft erbracht werden kann, zu gestatten,

hilfsweise

für den Fall des teilweisen oder vollständigen Unterliegens ihr nachzulassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung, die auch durch selbstschuldnerische Bank- oder Sparkassenbürgschaft erbracht werden kann, abzuwenden.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Hinsichtlich der von ihr hilfsweise weiterverfolgten markenrechtlichen Ansprüche stellt die Klägerin klar, dass die Klage insoweit auf die Marke DE 305 32 672 gestützt wird.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf die Berufungsbegründung vom 30.07.2014 und den Schrifsatz der Beklagten vom 11.01.2015 nebst Anlagen sowie auf die Berufungserwiderung vom 09.09.2014 inhaltlich Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat der Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben.

1.

Der Unterlassungsanspruch die Klägerin folgt aus § 8 Abs. 1, 3 Nr. 1 UWG. Danach kann derjenige, der eine nach § 3 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, bei Wiederholungsgefahr von jedem Mitbewerber auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Eine geschäftliche Handlung ist nach § 3 Abs. 1 UWG unzulässig, wenn sie unlauter und geeignet ist, die Interessen von Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Unlauter handelt gemäß § 4 Nr. 9 UWG insbesondere, wer Waren anbietet, die eine Nachahmung der Waren eines Mitbewerbers sind, sofern das nachgeahmte Produkt über wettbewerbliche Eigenart verfügt und besondere Umstände hinzutreten, die die Nachahmung unlauter erscheinen lassen. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen, so dass bei einer größeren wettbewerblichen Eigenart und einem höheren Grad der Übernahme geringere Anforderungen an die besonderen Umstände zu stellen sind, die die Wettbewerbswidrigkeit der Nachahmung begründen, und umgekehrt.

a) Die Feststellung des Landgerichts, dass die streitgegenständliche Produktverpackung der Klägerin über hohe wettbewerbliche Eigenart verfügt, wird mit der Berufung im Ergebnis nicht angegriffen.

Die - von Hause aus als durchschnittlich zu bewertende - wettbewerbliche Eigenart ergibt sich aus dem Gesamtkonzept der Verpackung, das die Bestimmung des Produkts als hochwertige "Geschenkschokolade" unterstreicht. Chatakteristisch sind insbesondere der Markenname "merci", die nahezu quadratische und eher an eine Pralinenschachtel als eine Schokoladentafel erinnernde Verpackung mit abgeschrägten Seitenkanten, besonderer Öffnungsvorrichtung und Folienschlauch-Umverpackung, das edel wirkende Farbkonzept Weiß/Rot/Gold sowie die klare grafische Gestaltung - breite weiße U-förmige Umrahmung eines roten Quadrats, auf dem eine mit Schokoladenriegeln gefüllte Nachtischschale abgebildet ist. Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass von diesen Gestaltungselementen nur die Wortmarke "merci" sowie (seit Juni 2013) die Präsentation der Schokoladenstäbchen in einer Konfektschale unter Sonderrechtsschutz stünden, ist dies für die Bestimmung der wettbewerblichen Eigenart ohne Belang. Zu berücksichtigen ist zwar generell, dass eine gestalterische Grundidee, die als solche keinem Sonderschutz zugänglich wäre - wie hier z.B. die Schokolade in Stäbchenform, die Verpackung eines jeden einzelnen Schokoladenstäbchens, die Zusammenfassung mehrere Schokoladenstäbchen in einer Schachtel, die Wiedergabe des Produkts auf der Verpackung - auch nicht im Wege des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes für einen Wettbewerber monopolisiert werden kann, jedoch nimmt die konkrete Umsetzung der gestalterischen Grundidee - hier in Form des o.a. Designs der Verpackung - am wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz teil (vgl. BGH GRUR 2009, 1069 - Knoblauchwürste, juris-Tz. 21, 22).

Eine Schwächung der wettbewerbliche Eigenart durch das wettbewerbliche Umfeld ist nicht feststellbar. Dieses unterscheidet sich im jeweiligen Gesamteindruck der Verpackungen deutlich von der Verpackung der Klägerin, überwiegend bereits in der Form, aber auch in der Farbgestaltung. Keines der Produkte des wettbewerblichen Umfeldes hat eine ähnliche Öffnungsvorrichtung. Die wettbewerbliche Eigenart der Verpackung der Klägerin wird gesteigert aufgrund der Dauer und des Umfangs der Präsenz auf dem deutschen Schokoladenmarkt. Die Verpackungsgestaltung der merci-Schokolade ist seit ca. 20 Jahren nahezu unverändert. Das Produkt genießt überragende Bekanntheit auf den Schokoladenmarkt, die durch umfangreiche Werbemaßnahmen - im Jahr 2010 Aufwendungen i.H.v. 17,2 Mio. EUR - aufrecht erhalten wird.

b) Bei der Produktverpackung der Beklagten handelt es sich um eine nachschaffende Nachahmung. Die Beklagte trägt selbst vor, dass ihr das Produkt der Klägerin als Vorlage gedient habe. Sie habe das in die Jahre gekommene biedere Produkt der einzeln verpackten Schokoladenriegel, das oft als Geschenkschokolade verkauft werde, mit einem aktuellen frischen Design ansprechend aufgepeppt und dargeboten.

Die Produktverpackung der Beklagten greift insoweit absichtlich wiedererkennbare wesentliche Elemente der Produktverpackung der Klägerin auf. So sind die Maße der beiden Schachteln fast identisch. Beide haben abgeschrägte Seitenkanten. Bei der Beklagen befindet sich auf zwei Seiten des Randes die Bezeichnung "Reichardt Edelste Variationen 8 ausgewählte Schokoladen", bei der Klägerin auf allen vier Rändern die Bezeichnung "8 erlesene Schokoladenspezialitäten merci 8 varieties of chocolate specialities". Beide Schachteln befinden sich in Umverpackungen aus durchsichtiger, an zwei gegenüberliegenden Seiten offener Folie. Beide Schachteln haben einen Perforations-Öffnungsmechanismus. Bei der Beklagten läuft die Perforation unten zwar nicht quadratisch, sondern trapezförmig zu, die Funktion der Perforierung, dass nach dem Öffnen die einzelnen Schokoladenriegel wie auf einem Tablett präsentiert werden können, bleibt dabei aber erhalten. Beide Beteiligte arbeiten beim Farbdesign ihrer Ausstattungen mit Weiß als Grundfarbe, ergänzt um Rot und Gold. Auch auf der Verpackung der Beklagten befindet sich eine Abbildung der Schokoladenriegel vor einem roten, mit einem schmalen goldenen Streifen verzierten Rechteck, wobei das Rechteck bei der Beklagten allerdings länglich und nicht quadratisch ist, sich in der unteren statt der oberen Hälfte der Verpackung befindet und durch die Abbildung der Schokoladenriegel stärker verdeckt wird als bei der Klägerin. Zudem sind die Schokoladenriegel auf der Verpackung der Beklagten, anders als bei der Klägerin, in etwa in Originalgröße dargestellt. Die von der Beklagten dabei gewählte "Sichtfenster"-Optik gibt dabei jedoch gerade zu erkennen, dass die Riegel in der gleichen Weise wie in der merci-Verpackung angeordnet sind. Außerdem suggeriert die Abbildung der Beklagten, dass die einzelnen Schokoladenstäbchen in gleicher Weise wie die merci-Schokoladenstäbchen ummantelt sind, nämlich in der obene Hälfte mit durchsichtiger Folie und in der unteren Hälfte mit goldenem/farbigem Papier, wobei die Farben jeweils auf die Geschmacksrichtung der Schokolade hinweisen. Dass die Schokoladenstäbchen der Beklagten tatsächlich nicht zur Hälfte in Folie, sondern durchgehend in bedrucktes Papier gewickelt sind, lässt sich aus der Abbildung auf der Verpackung nicht ohne weiteres erkennen. Schließlich weisen die Produktbeschreibungen "edelste Variationen" bzw. "finest selection" jeweils unter Verwendung von Schreibschrift stilistische Ähnlichkeiten auf, und die Schokolade der Beklagten ist in ihren acht Geschmacksrichtungen bis auf einen Riegel (Trüffel statt Dunkle Mousse) identisch mit dem Angebot der Klägerin, bei vier Geschmacksrichtungen mit wortgleicher Bezeichnung (Kaffe-Sahne, Mandel-Milch-Nuss, Herbe Sahne, Milch Praline - im Übrigen: Rahm statt Edelrahm, Nugat statt Edel Nugat, Marzipancreme statt Marzipan).

c) Das Verhalten der Beklagten erfüllt den Tatbestand der Herkunftstäuschung nach § 4 Nr. 9a UWG und ist damit als unlauter zu bewerten. Zwar stehen einer unmittelbaren Herkunftstäuschung i.S.d. § 4 Nr. 9a UWG die unterschiedlichen, optisch markanten Produktbezeichnungen "merci" und "Reichard" entgegen, aufgrund derer der angesprochenen Verkehrskreis, der Schokolade kaufende und/oder essende Verbraucher, die Produkte nicht miteinander verwechseln wird, es ist jedoch von einer mittelbaren Herkunftsttäuschung auszugehen. Die Gesamtaufmachung der Produktausstattungen ist einander so ähnlich, dass die Unterschiede in der Gestaltung im maßgeblichen Erinnerungseindruck als geringfügig zurücktreten und trotz der Kennzeichnungen ein erheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise davon ausgehen wird, dass es sich bei dem Produkt der Beklagten entweder um eine Zweitmarke im Sinne einer Ausstattungsvariante der Klägerin handelt, oder dass jedenfalls die Beklagte mit der Herstellerin der merci-Produkte in lizenz- oder gesellschaftsvertraglichen oder sonstigen organisatorischen Beziehungen steht.

Der Senat hält seine zu diesem Punkt abweichende Ansicht aus dem einstweiligen Verfügungsverfahren nicht mehr aufrecht. Er sieht seine damalige Einschätzung durch das Gutachten der Sachverständigen Dr. Pflüger widerlegt. Dieses Gutachten belegt, dass trotz der Kennzeichnung "Reichardt Chocolatier seit 1908" über 30 % der angesprochenen Verbraucher und damit in jedem Fall ein erheblicher Teil (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl., § 5 Rn. 2.106) die Produktausstattung der Beklagten mit der der Klägerin in Verbindung bringt, entweder weil die Verbraucher das Produkt der Beklagten unmittelbar als "merci"- bzw. Storck-Produkt ansehen, oder weil sie davon ausgehen, dass beide Produkte vom selben Hersteller bzw. dem selben Konzern stammen, oder weil sie davon ausgehen, dass Reichardt eine Lizenz von "merci" besitzt. Vor dem Hintergrund der durch die repräsentative Umfrage der Sachverständigen Dr. Pflüger festgestellten tatsächlichen Täuschung der Verbraucher kann letztlich offen bleiben, wie hoch der Bekanntheitgrad der seit dem Jahr 1909 eingetragenen Marke "Reichardt" ist, und ob das Kennzeichen "Reichardt" bei der angegriffenen Produktausstattung als Herstellerangabe oder als Handelsmarke verstanden wird. Allein die Kennzeichnung mit einer Herstellermarke kann gegen die positive Feststellung einer Täuschung jedenfalls nicht ins Feld geführt werden. Unterschiedliche Herstellerangaben sind zwar in der Regel ein Indiz gegen eine Herkunftstäuschung auch im weiteren Sinne (s. BGH GRUR 2009, 1069, 1071 - Knoblauchwürste; GRUR 2001, 251, 254 - Messerkennzeichnung; GRUR 2001, 443, 446 - Vienetta), im konkreten Fall ist dieses Indiz jedoch dadurch entkräftet, dass - aus welchem Grund auch immer - fast ein Drittel der Verbraucher sich bei der Beurteilung der betrieblichen Herkunft tatsächlich nicht an der Bezeichnung der Beklagten orientiert.

Die Ergebnisse des Gutachtens der Sachverständigen Dr. Pflüger sind im Rahmen der vom Senat zu beantwortenden Frage, ob im konkreten Fall eine mittelbare Verwechslungsgefahr vorliegt, verwertbar. Dass es für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr als normativem Rechtsbegriff keines demoskopischen Gutachtens bedarf, führt nicht dazu, dass die Ergebnisse eines vorhandenen Umfragegutachtens in tatsächlicher Hinsicht zu ignorieren sind. Der Senat muss vielmehr alle ihm bekannten und die Wirklichkeit abbildenden Tatsachen für die rechtliche Bewertung heranziehen. Ohne Belang ist dabei, dass das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten in erster Linie statistische Ergebnisse wiedergibt und keine im Einzelnen nachprüfbare Feststellungen dazu trifft, worauf die Befragten ihre Einschätzung zur Herkunftstäuschung jeweils exakt gestützt haben, insbesondere aufgrund welcher wettbewerblich eigenartiger Merkmale sie die angegriffene Verpackung ggf. der Klägerin zugeordnet haben, und ob sie dabei die gestalterischen Grundideen - wie z.B. das Schokoladenstück in Stäbchenform - nicht als solche, sondern nur in ihrer konkreten Umsetzung berücksichtigt haben. Auf das "Warum" der Irreführung kommt es im Rahmen des § 4 Nr. 9a UWG nicht an. Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die speziell für die Verwechslungsgefahr im Markenrecht, § 23 Nr. 3 MarkenG, entwickelten besonderen Anforderungen an die Verwertbarkeit eines Meinungsforschungsgutachten (wonach bereits durch die Art der Befragung eindeutig darüber Klarheit gewonnen werden muss, inwieweit bestimmte Herkunftsvorstellungen der befragten Personen auf für die Beurteilung der Unlauterkeit nicht relevanten Umständen beruhen, s. BGH GRUR 2005, 423 - Staubsaugerfiltertüten, juris-Tz. 25) auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar sind.

Das Gutachten der Sachverständigen Dr. Pflüger ist fachlich überzeugend und inhaltlich nachvollziehbar. Mit den in erster Instanz erhobenen Einwänden der Beklagten bezüglich der Fragestellungen, dem Ablauf der Befragung sowie der Auswahl der Befragten hat sich das Landgericht umfassend auseinandergesetzt. Konkrete Einwände hiergegen sind mit der Berufung nicht erhoben.

Dem Einwand der Beklagte, das Gutachten verkenne die reale wirtschaftliche Werbesituation, da ihr Produkt gerade keine billige Nachahmung, sondern höherwertiger und teurer als das der Klägerin sei, kann nicht beigetreten werden. Zum einen bedeutet die Vorstellung einer Zweitmarke nicht zwangsläufig, dass das Produkt als minderwertig erachtet wird. Zum anderen ist der Preisunterschied zwischen den Produkten der Parteien nicht so hoch, dass der Verbraucher ihn als wesentliches Kriterium registriert. Die von der Beklagten vorgenommene Umrechnung des Preises bei einer 200 Gramm Reichardt-Packung (1,99 € pro 100 Gramm) und einer 250 Gramm merci-Packung (0,91 € pro 100 Gramm) nimmt der Verbraucher so nicht vor, zumal die streitgegenständliche 200 Gramm merci-Packung ausschließlich über Aldi vertrieben wird und daher in der Regel nicht unmittelbar neben dem Reichardt-Produkt erscheint. Ob die 250 Gramm merci-Packung aufgrund ihrer Größe und ihres anderen Formats nicht mit der streitgegenständlichen Reichardt-Verpakung verwechselt werden kann, ist für das vorliegende Verfahren nicht entscheidungserheblich.

Dass das wettbewerbliche Umfeld zum Zeitpunkt der Begutachtung (August bis Oktober 2013) nicht mehr ohne weiteres mit dem im Zeitpunkt der Klagerehebnung (Mai 2011) vergleichbar gewesen sein mag - das Produkt der Beklagten war bis zum Erlass der einstweiligen Verfügung Anfang 2011 auf dem Markt, das weitere Konkurrenzprodukt "Marabello" - Schokoladenstäbchen in einer ebenfalls quadratischen Schachtel - bis zur Auflösung der Schlecker-Discounterkette - begründet ebenfalls keine Zweifel hinsichtlich der Verwertbarkeit der Ergebnisse des Gutachtens der Sachverständigen Dr. Pflüger. Wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt es für die Beurteilung des Herkunftstäuschungstatbestandes auf das wettbewerbliche Umfeld und dessen Entwicklung nicht an. Maßgeblich ist die Vorstellung des angesprochenen Verkehrskreises im Zeitpunkt der Entscheidung.

Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen der Sachverständigen Dr. Pflüger ergeben sich schließlich nicht aus den von den Parteien eingeholten Privatgutachten. Auch nach den Ausführungen der Ipsos-GmbH unterliegen mehr als 30 % des Verkehrs irgendwie gearteten Herkunftstäuschungen. Die Studie der V. GmbH zu Aspekten der Wahrnehmung der merci und Reichardt Packungen weicht in ihrem Ergebnis zwar von den Feststellungen der Sachverständigen Dr. Pflüger ab, sie genügt jedoch - abgesehen von der Problematik der Aussagekraft einer Internetbefragung - bereits hinsichtlich ihres Ausgangspunktes nicht den Anforderungen an ein wissenschaftliches Gutachten. Dass trotz der suggestiven Einleitungsfrage (nach Ansehen der Reichardt Packung: Wer ist der Hersteller dieses Schokoladenprodukts€) und unmittelbar anschließender Frage nach der Verwechselbarkeit der Packungen im direkten Vergleich der Produkte gleichwohl noch 12 % der Befragten die Reichardt-Packung merci / Storck als Hersteller zugeordnet und 19 % die Packungen als verwechselbar angesehen haben, spricht dann auch eher für als gegen eine Herkunftstäuschung. Die Target-Studie zur Marken-Assoziation auf Basis von Riegeln / Reichardt-Packung betrifft eine andere Fragestellung als das Gutachten der Sachverständigen Dr. Pflüger.

Die Ansicht der Beklagten, aus den Befragungsergebnissen der Sachverständigen Dr Pflüger ergebe sich mit einem Prozentsatz von nur 6,9 - nämlich 3,8 % zu Frage 15 ("Edelste Variationen" und "merci Finest Selection" gehören zu Unternehmen aus demselben Konzern) und 3,1 % zu Frage 17 (Reichardt hat für die Verwendung der Verpackung eine Lizenz von "Merci") keine quantitativ ins Gewicht fallende Herkunftstäuschung, geht fehl. Die Beklagte berücksichtigt bei ihrer Berechnung nicht die Antworten auf die Fragen 3 ("Edelste Variationen / Reichardt" werden unmittelbar "merci Finest Selection / Storck" zugeordnet) und 13 ("Edelste Variationen" und "merci Finest Selection" stammen vom selben Hersteller). Unter Einbeziehung auch dieser Daten ergeben sich für den maßgebliche Verkehrskreis der Käufer / Esser von Schokolade bei den beiden von der Sachverständigen befragen Teilgruppen (Testpersonen, denen zuerst das Produkt der Beklagten vorgelegt wurde und Testpersonen, denen zuerst das Produkt der Klägerin vorgeegt wurde) die vom Landgericht zutreffend angeführten Zahlen (in der ersten Gruppe 9,9 % + 19,2 % + 3,7 % + 3,4 % = 36,2 % und in der zweiten Gruppe 3,6 % + 18,8 % + 4 % + 4 % = 30,4 % Fehlvorstellungen bezogen auf den Hersteller).

d) Auf die Unzumutbarkeit weiterer Maßnahmen zur Vermeidung einer Herkunftstäuschung kann die Beklagte sich im Zusammenhang mit der Herkunftstäuschung nach § 4 Nr. 9a UWG nicht berufen. Die von ihr angeführte Regalsystem-Entscheidung des BGH (GRUR 2013, 951) bezieht sich auf die Ausnahmefälle, in denen ein Ersatz- und Erweiterungsbedarf bezüglich optisch kompatibler Produkte besteht. Dies betrifft nicht den Handel mit Süßwaren, für deren Verpackungen eine nahezu grenzenlose Variationsbreite eröffnet ist. Auch für das Segment der Geschenkschokoladen in attraktiver Ausstattung kommt nicht nur die Farbstellung Weiß/Rot/Gold in Betracht.

Soweit die Beklagte hinsichtlich der weißen Grundfarbe, der Goldfarbe und der viereckigen Verpackung unter Hinweis auf eine bei ebay angebotene historische Reichardt-Schokoladenpackung (Abb. Bl. 598 GA) ältere und besseren Rechte geltend macht, ist ihr mit der Klägerin entgegenzuhalten, dass gerade diese Schachtel die bestehende Design-Vielfalt belegt. Dass für den Öffnungsmechanismus im Jahr 1992 ein später auf die Stollwerk AG umgeschriebenes Gebrauchsmuster eingetragen worden ist und die Reichardt-Stäbchen nach dem Vorbringen der Beklagten auf dieser Grundlage verpackt werden, ist für das vorliegende Verfahren ebenfalls ohne Belang; das Gebrauchsmuster ist ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Unterlagen 1996, nach Ablauf von drei Jahren, erloschen und außerdem nicht Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren.

Bei der abschließend gebotenen Gesamtabwägung steht der nachschaffenden Nachahmung mit ihren bewussten und deutlichen Anlehnungen an die merci-Verpackung deren hohe wettbewerbliche Eigenart gegenüber, so dass es bezüglich der besonderen Umstände, die die Unlauterkeit begründen, keiner besonderen Anforderungen bedarf. Die besonders hohe Bekanntheit des merci-Produktes trägt wesentlich zu der mittelbaren Herkunftstäuschung bei.

e) Die nach § 3 UWG erforderliche spürbare Beeinträchtigung der Interessen der Marktteilnehmer ist dem Unlauterkeitstatbestand des § 4 Nr. 9 UWG bereits immanent. Die Wiederholungsgefahr folgt aus der bereits vorgenommenen Verletzungshandlung.

2.

Da die Klägerin bereits mit ihrem Hauptantrag obsiegt, ist über den hilfsweise geltend gemachten Anspruch aus der Marke DE 305 32 672 nicht mehr zu befinden.

Der Annexanspruch auf Feststellung der Schadensersatzverpflichtung folgt aus § 9 UWG i.V.m. § 256 ZPO, der Auskunftsanspruch aus §§ 242, 259 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Sicherheit kann durch Bankbürgschaft nach den Kriterien des § 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO erbracht werden.

Für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO besteht keine Veranlassung. Das Urteil betrifft die tatrichterliche Übertragung allgemein anerkannte Auslegung und Rechtsanwendungsgrundsätze auf einen Einzelfall.






OLG Köln:
Urteil v. 20.02.2015
Az: 6 U 99/14


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