Bundespatentgericht:
Beschluss vom 2. Dezember 2003
Aktenzeichen: 23 W (pat) 3/02

(BPatG: Beschluss v. 02.12.2003, Az.: 23 W (pat) 3/02)

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der Beschluß der Patentabteilung 33 vom 19. September 2001 aufgehoben und das Patent wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten: Ansprüche 1 bis 11, Beschreibungsspalten 1 bis 6, diese Unterlagen überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 2. Dezember 2003, Zeichnung gemäß Patentschrift, Figuren 1 bis 4.

2. Die weitergehende Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Prüfungsstelle für Klasse H 01 J des Deutschen Patent- und Markenamts hat auf die am 16. Februar 1991 eingereichte Patentanmeldung das am 10. April 1997 veröffentlichte Patent 41 04 845 mit der Bezeichnung "Elektronenstrahlerzeuger, insbesondere für eine Elektronenstrahlkanone" (Streitpatent) erteilt.

Die Patentabteilung 33 des Deutschen Patent- und Markenamts hat nach Prüfung zweier für zulässig erklärter Einsprüche das Patent widerrufen.

Zur Begründung ist ausgeführt, daß der erteilte Patentanspruch 1 unzulässig erweitert sei.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin.

In der mündlichen Verhandlung hat die Patentinhaberin geltend gemacht, daß beide Einsprüche unzulässig seien. Hilfsweise hat sie zur beschränkten Verteidigung des Streitpatents neue Patentansprüche 1 bis 11 mit angepaßter Beschreibung vorgelegt und die Auffassung vertreten, daß der neugefaßte Patentanspruch 1 zulässig sei und daß dessen Gegenstand gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik nach den Druckschriften - S. Schiller et al "Electron Beam Technology", laut Angaben der Einsprechenden 1 John Wiley & Sons, New York, 1982, Seiten 56 bis 63 (Druckschrift 1)

- DDR-Patentschrift 237 932 (Druckschrift 2)

- DDR-Patentschrift 132 380 (Druckschrift 3)

- deutsche Auslegeschrift 23 36 851 (Druckschrift 4)

- deutsche Auslegeschrift 1 248 175 (Druckschrift 5)

- deutsche Auslegeschrift 1 232 661 (Druckschrift 6)

- PCT-Offenlegungsschrift WO 81/03579 (Druckschrift 7)

- deutsche Auslegeschrift 15 14 782 (Druckschrift 8)

- S. Schiller et al "Elektronenstrahltechnologie", Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 1977, Seiten 30 bis 34, 44 bis 82 und 88 bis 99 (Druckschrift 9)

- Vorlesung Elektronenstrahlmikroskopie I und II, Professor Möllenstedt, Universität Tübingen, 1976/77, aus Diplomarbeit H. Hoffmann, Seiten 94 und 97 laut Angaben der Einsprechenden 2 (Druckschrift 10)

- Dissertation A. Schuler, Technische Universität Wien, Dezember 1976, Seiten 98, 100, 103, 105 bis 109, 127 und 128 (Druckschrift 11)

- Dissertation F. Noller, Universität Stuttgart, Januar 1979, Seiten 28 bis 41 (Druckschrift 12)

- M. von Ardenne "Tabellen zur angewandten Physik", Bd. 1, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1962, Seiten 50, 81 und 83 (Druckschrift 13)

- Schulung: Funktion und Aufbau des Elektronenstrahlgenerators", IGM Steigerwald Strahltechnik, Seiten 5 bis 12 (Druckschrift 14)

- Függe "Handbuch der Physik", Bd. 33, Springer-Verlag, Berlin 1956, Seiten 24 bis 29 und 31 bis 34 (Druckschrift 15)

- Brüche und Scherzer "Geometrische Elektronenoptik, 1934, Seiten 87 und 88 (Druckschrift 16)

- europäische Offenlegungsschrift 0 053 107 (Druckschrift 17)

und einer von der Einsprechenden 2 geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung patentfähig sei, zu der technische Zeichnungen der Firmen Steigerwald Strahltechnik bzw. MG Industries mit den Zeichnungsnummern - Z 112.101.203 (Zeichnung 1) - Z 112.101.803 (Zeichnung 2) - Z 112.101.103 (Zeichnung 3) - 5290.0034 (Zeichnung 4)

vorgelegt worden sind und Zeugenbeweis durch noch zu benennende Personen angeboten worden ist.

Die Patentinhaberin beantragt, den Beschluß der Patentabteilung 33 vom 19. September 2001 aufzuheben und die beiden Einsprüche als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise den Beschluß der Patentabteilung 33 vom 19. September 2001 aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten:

Ansprüche 1 bis 11, Beschreibungsspalten 1 bis 6, diese Unterlagen überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 2. Dezember 2003, Zeichnung gemäß Patentschrift, Figuren 1 bis 4.

Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:

"Elektronenstrahlerzeuger, insbesondere für eine Elektronenstrahlkanone mit einer Kathode, einer Steuerelektrode und einer Anode mit einer zentralen Bohrung für den Durchtritt des Elektronenstrahls, gekennzeichnet durch folgende Merkmale:

a) daß die Strahlquelle als Triode ausgebildet ist und aus einer Kathode (1) mit einer diese zumindest teilweise umgebenden Steuerelektrode (2) sowie einer nachgeschalteten, eine zylindrische Bohrung (15) aufweisenden Anode (3) besteht, b) daß der Winkel des Elektronenstrahls (4) im Bereich des minimalen Strahldurchmessers bzw. des Fokussierpunktes (5) des Elektronenstrahls (4) und/oder der Abstand der Emissionsfläche (12) der Kathode (1) und der Anode (3) so gewählt ist, c) daß der Elektronenstrahl (4) zwischen der Kathode (1) und der Anode (3) in etwa parallel und zwischen der Anode (3) und der Magnetlinse (6) divergierend verläuft, d) daß die Form der Steuerelektrode (2) und der Anode (3) sowie der Abstand (A1) zwischen der Emissionsfläche (12) der Kathode (1) und dem oberen Ende, insbesondere der Einlaßseite der in der Anode (3) vorgesehenen Bohrung derart groß ist, daß an der aus Wolfram bestehenden Kathode (1) eine Emissionsstromdichte von ca. 2 bis 12 A/cm2 erzeugt wird, e) daß der Abstand und die Oberflächengeometrie der Kathode (1), der Steuerelektrode (2) und der Anode (3) so gewählt ist, daß sich eine Äquipotentiallinie mit dem Kathodenpotential ausbildet, die den Pierce-Winkel einschließt und nur eine kreisrunde Fläche auf der Kathode (1) zur Elektronenemission freigibt, f) daß der divergierende Elektronenstrahl (4) nach Passieren der Anodenbohrung einen Austrittswinkel je nach gewählter Perveanz zwischen 10 bis 50 mrad aufweist."

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag hat folgenden Wortlaut:

"Elektronenstrahlerzeuger, insbesondere für eine Elektronenstrahlkanone, mit den folgenden Merkmalen:

a) die Strahlquelle ist als Triode ausgebildet und besteht aus einer Kathode (1) mit einer diese zumindest teilweise umgebenden Steuerelektrode (2) sowie einer nachgeschalteten, eine zylindrische zentrale Bohrung (15) aufweisenden Anode (3), b) der Winkel des Elektronenstrahls (4) im Bereich des minimalen Strahldurchmessers bzw. des Fokussierpunktes (5) des Elektronenstrahls (4) und/oder der Abstand der Emissionsfläche (12) der Kathode (1) und der Anode (3) ist so gewählt, daß durch Ausgestaltung der Steuerelektrode (2) und der Anode (3) und das Potential zwischen der Steuerelektrode und der Anode ein elektrostatisches Feld derart erzeugt wird, daß der Elektronenstrahl (4) zwischen der Kathode (1) und der Anode (3) in etwa parallel und zwischen der Anode (3) und der Magnetlinse (6) divergierend verläuft, c) die Form der Steuerelektrode (2) und der Anode (3) sowie der Abstand (A1) zwischen der Emissionsfläche (12) der Kathode (1) und dem oberen Ende, insbesondere der Einlaßseite der in der Anode (3) vorgesehenen Bohrung ist derart groß, daß an der aus Wolfram bestehenden Kathode (1) eine Emissionsstromdichte von ca. 7 bis 12 A/cm2 erzeugt wird, d) der Abstand und die Oberflächengeometrie der Kathode (1), der Steuerelektrode (2) und der Anode (3) ist so gewählt, daß sich eine Äquipotentiallinie mit dem Kathodenpotential ausbildet, die den Pierce-Winkel einschließt und nur eine kreisrunde Fläche auf der Kathode (1) zur Elektronenemission freigibt, e) der divergierende Elektronenstrahl (4) weist nach Passieren der Anodenbohrung einen Austrittswinkel je nach gewählter Perveanz zwischen 10 bis 50 mrad auf."

Die Einsprechende 1 vertritt die Auffassung, daß ihr Einspruch zulässig sei und daß das Streitpatent auch in der beschränkt verteidigten Form zu widerrufen sei, weil der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag gegenüber dem Stand der Technik nach den vorgenannten Druckschriften 1 bis 3 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Die Einsprechende 1 beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Die ordnungsgemäß geladene, zur mündlichen Verhandlung jedoch nicht erschienene Einsprechende 2 hat vorher mitgeteilt, daß für sie niemand an der mündlichen Verhandlung teilnehmen werde. Im Einspruchsverfahren hat sie im Hinblick auf den erteilten Patentanspruch 1 die Widerrufsgründe der unzulässigen Erweiterung, der mangelnden Offenbarung bzw. Ausführbarkeit und der fehlenden Patentfähigkeit geltend gemacht. Im Beschwerdeverfahren hat sie sich weder in der Sache geäußert noch Anträge gestellt.

Wegen der erteilten Unteransprüche 2 bis 18 wird auf die Streitpatentschrift und wegen der Unteransprüche 2 bis 11 nach Hilfsantrag und der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde der Patentinhaberin ist zulässig. Sie ist jedoch nur insoweit begründet, als nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung der angefochtene Beschluß aufgehoben und das Patent entsprechend dem Hilfsantrag der Patentinhaberin beschränkt aufrechterhalten wird.

1. Die beiden Einsprüche sind zulässig.

Der mit Schriftsatz vom 25. Juni 1997 frist- und formgerecht eingelegte Einspruch der Einsprechenden 1 ist insofern zulässig, als mit ihm innerhalb der Einspruchsfrist der Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit des Streitpatentgegenstands nach §§ 1 bis 5 PatG geltend gemacht worden ist und zur Substantiierung dieses Einspruchsgrundes anhand des Standes der Technik nach den vorgenannten Druckschriften 1 bis 3 zur gesamten patentierten Lehre die Tatsachen im einzelnen angegeben worden sind, aus denen sich ergeben soll, daß das Patent zu widerrufen ist (vgl. hierzu BGH BlPMZ 1988, 250, Leitsatz 2, 251, liSp Abs 1 - "Epoxidation"; Schulte PatG 6. Aufl. § 59 Rdn 64 bis 69). Die Schlüssigkeit der Einspruchsbegründung ist dabei keine Voraussetzung der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Einspruchs (Schulte PatG 6. Aufl. § 59 Rdn 71).

Die Einsprechende 2 hat mit ihrem Einspruchsschriftsatz vom 1. Juli 1997 innerhalb der Einspruchsfrist die Widerrufsgründe - der fehlenden Patentfähigkeit nach §§ 1 bis 5 PatG - der mangelnden Offenbarung bzw. Nichtausführbarkeit und - der unzulässigen Erweiterunggeltend gemacht. Dieser Einspruch ist schon deshalb zulässig, weil mit ihm der Widerrufsgrund der unzulässigen Erweiterung völlig ausreichend mit dem Hinweis darauf substantiiert worden ist, daß die gemäß dem Merkmal d) des erteilten Patentanspruchs 1 des Streitpatents für eine Kathode aus Wolfram vorgesehene Emissionsstromdichte von ca. 2 bis 12 A/cm2 in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nicht offenbart sei (Seite 5, Absatz 2 des vorgenannten Einspruchsschriftsatzes) (vgl. hierzu auch Schulte PatG 6. Aufl. § 59 Rdn 68).

2. Der erteilte Patentanspruch 1 ist unzulässig.

Dem angefochtenen Beschluß ist dahingehend zu folgen, daß der erteilte Patentanspruch 1 insofern unzulässig erweitert ist, als dessen Merkmal d) für eine aus Wolfram bestehende Kathode (1) eine Stromdichte von ca. 2 bis 12 A/cm2 vorsieht, wohingegen die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen (Anspruch 9 iVm den Ansprüchen 10 und 11 sowie Beschreibungsseite 5, letzter Absatz) für eine Kathode aus Wolfram nur eine Stromdichte von ca. 7 bis 12 A/cm2 offenbaren.

Mit dem unzulässig erweiterten erteilten Patentanspruch 1 fallen auch die darauf zurückbezogenen erteilten Unteransprüche 2 bis 18.

3. Gegen die Zulässigkeit der Patentansprüche 1 bis 11 nach Hilfsantrag bestehen keine Bedenken.

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag findet inhaltlich eine ausreichende Stütze in den erteilten Patentansprüchen 1 und 9 (hinsichtlich der Beschränkung der Emissionsstromdichte für Wolfram auf ca. 7 bis 12 A/cm2 im Merkmal c)) und in Spalte 6, Zeilen 1 bis 9 der Streitpatentschrift (hinsichtlich der Einfügung im Merkmal b) betreffend die Ausgestaltung der Steuerelektrode und der Anode und das Potential zwischen der Steuerelektrode und der Anode). Die beiden vorgenannten Änderungen sind auch durch die ursprünglichen Unterlagen gedeckt.

Die Unteransprüche 2 bis 11 nach Hilfsantrag entsprechen inhaltlich - in dieser Reihenfolge - den erteilten Patentansprüchen 2, 4 bis 8, 12 und 14 bis 16.

Im übrigen ist die Zulässigkeit der Patentansprüche 1 bis 11 nach Hilfsantrag von beiden Einsprechenden auch nicht in Frage gestellt worden.

4. Nach den Angaben in der Beschreibung zum Hilfsantrag (Spalte 1, Absatz 4) geht die Erfindung von einem als Triode ausgebildeten Elektronenstrahlerzeuger aus, wie er aus der deutschen Auslegeschrift 23 36 851 (Druckschrift 4) bekannt ist (vgl. dort die Glühemissions-Elektronenquelle mit Kathode (Glühkathode 13), Steuerelektrode (Wehnelt-Elektrode 14) und Anode (17) im Patentanspruch iVm der Fig. 1 nebst der dazugehörigen Beschreibung in Spalte 3, letzter Absatz bis Spalte 4, Absatz 1). Der Elektronenstrahl bildet dabei einen reellen Fokussierungspunkt bzw. Crossover (Überkreuzungspunkt A) zwischen Kathode (13) und Anode (17), der von der Elektronenoptik eines Elektronenmikroskops auf einem Objekt abgebildet wird (Spalte 1, Zeilen 48 bis 53).

Gemäß der Beschreibung (Spalte 1, Zeilen 8 bis 27 und 51 bis 53 iVm Fig. 1 nebst Spalte 5, Zeilen 62 bis 68) beeinträchtigt ein reeller Crossover bei hohem Strahlstrom jedoch die Fokussierung (Abbildung), weil er zu einer verstärkten Abstoßung der Elektronen und somit zu einer Aufspreizung des Elektronenstrahls führt und weil er sich mit steigendem Strahlstrom zudem nach der Magnetlinse (6) hin verlagert und so die Gegenstandsweite (W) verringert.

Vor diesem Hintergrund liegt dem Gegenstand des Streitpatents als technisches Problem die Aufgabe zugrunde, einen Elektronenstrahlerzeuger der vorgenannten Art zu schaffen, dessen Elektronenstrahl auch bei hohem Strahlstrom bzw. großer Leistungsdichte gut abgebildet bzw. fokussiert werden kann (Spalte 2, Absatz 2 der Beschreibung zum Hilfsantrag).

Diese Aufgabe wird mit dem Elektronenstrahlerzeuger nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag gelöst. Denn die Merkmale a) bis e) dieses Patentanspruchs ergeben in der Kombination einen leistungsstarken Elektronenstrahlerzeuger mit einem Strahlengang, der lediglich einen virtuellen Crossover mit entsprechend großer Gegenstandsweite W aufweist (vgl. Spalte 2, Zeilen 14 bis 49 iVm Fig. 2 nebst der dazugehörigen Beschreibung in Spalte 6, Absatz 1).

Durch die Ausbildung der Strahlquelle als Triode - entsprechend dem Merkmal a) - ist der Elektronenstrahl mittels der Steuerelektrode leistungslos steuerbar, wobei hohe Stromdichten realisierbar sind (Spalte 3, Absätze 2 und 3 der Beschreibung).

Dadurch, daß gemäß dem Merkmal b) durch das Potential und die Ausgestaltung der Steuerelektrode (2) und der Anode (3) ein - in Fig. 2 dargestellter - Strahlengang mit zwischen der Kathode (1) und der Anode (3) parallelem und zwischen der Anode (3) und der Magnetlinse (6) divergierendem Elektronenstrahlverlauf herbeigeführt wird (vgl. hierzu auch die Beschreibung, Spalte 6, Zeilen 1 bis 9), wird ein virtueller Crossover erzielt, d.h. es werden hierdurch die starken Abstoßungskräfte zwischen den Elektronen vermieden, wie sie in einem reellen Crossover gegeben sind (Spalte 2, vorletzter Zeile bis Spalte 3, Absatz 1). Durch geeignete Wahl des Winkels des divergierenden Elektronenstrahls - im Rahmen des Merkmals e) - ist der virtuelle Crossover hinter der Kathode (1) plazierbar - insoweit entsprechend dem Unteranspruch 2 -, was zu einer großen Gegenstandsweite W (Fig. 2) und somit zu einer optimalen Abbildung eines sehr kleinen Brennflecks hoher Strahldichte führt (Spalte 6, Zeilen 11 bis 24 der Beschreibung).

Die gemäß dem Merkmal c) vorgesehene Wolfram-Kathode mit einer Emissionsstromdichte von ca. 7 bis 12 A/cm2 ermöglicht die Erzeugung hoher Strahlströme bzw. Leistungsdichten, wie sie beispielsweise zum Schweißen bzw. zum Schmelzen oder Verdampfen erforderlich sind (Spalte 5, Zeilen 41 bis 45 der Beschreibung).

Das Merkmal d) trägt nach den Angaben der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung dazu bei, daß der Elektronenstrahl zwischen Kathode (1) und Anode (3) einen parallelen Verlauf aufweist.

5. Die Lehre des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag ist - entgegen der von den beiden Einsprechenden vertretenen Auffassung - auch hinsichtlich des Merkmals b) insofern ausführbar, als danach zur Erzielung des Strahlengangs mit parallel verlaufenden Elektronen zwischen Kathode und Anode sowie mit divergentem Verlauf der Elektronen zwischen Anode und Magnetlinse bei einem gemäß dem Merkmal a) als Triode ausgebildeten Elektronenstrahlerzeuger das Potential und die Ausgestaltung der Steuerelektrode und der Anode ausschlaggebend sind. Hierdurch erhält der Fachmann nämlich einen Hinweis in die entscheidende Richtung, in der er ohne Aufwendung eigener erfinderischer Tätigkeit allein aufgrund seines Fachwissens mit Erfolg weiterarbeiten und die jeweils günstigste Lösung auffinden kann (BGH GRUR 1968, 311, 313 liSp Abs b) - "Garmachverfahren"), zumal weitere diesbezügliche Einzelheiten den Unteransprüchen und der zur Erläuterung des Patentanspruchs heranzuziehenden Beschreibung (Fig. 4 mit zugehörigen Erläuterungen) entnehmbar sind.

6. Der - zweifelsohne gewerblich anwendbare - Elektronenstrahlerzeuger nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag ist gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik neu und beruht diesem gegenüber auch auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Durchschnittsfachmanns, der hier als ein mit der Entwicklung und Anwendung von Elektronenstrahlerzeugern, insbesondere für Elektronenstrahlkanonen, befaßter, berufserfahrener Physiker oder Elektroingenieur mit Universitätsausbildung zu definieren ist.

a) Die Neuheit des beanspruchten Elektronenstrahlerzeugers gegenüber dem Stand der Technik folgt schon daraus, daß - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit ergibt - keines der eingangs genannten Dokumente einen als Triode ausgebildeten Elektronenstrahlerzeuger offenbart, bei dem der Elektronenstrahl zwischen Kathode und Anode in etwa parallel und zwischen Anode und Magnetlinse divergierend verläuft, wie dies der Lehre der Merkmale a) und b) des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag entspricht.

b) Die eingangs genannten Dokumente können dem vorstehend definierten zuständigen Durchschnittsfachmann den Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag auch weder einzeln noch in einer Zusammenschau nahelegen.

Denn soweit diese Dokumente einen Elektronenstrahlerzeuger offenbaren, dessen Elektronenstrahl zwischen Kathode und Anode in etwa parallel und zwischen Anode und Magnetlinse divergierend verläuft, handelt es sich hierbei stets um eine Diode, die keine Steuerelektrode aufweist (vgl. hierzu die Druckschriften 1 bzw. 9, Bilder 2.7a) und 2.8b) nebst den dazugehörigen Legenden). Infolgedessen findet sich in diesen Dokumenten schon kein Hinweis darauf, daß ein solcher Strahlengang auch bei einem als Triode ausgebildeten Elektronenstrahlerzeuger von Vorteil sein könnte, wie dies die Merkmale a) und b) des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag vorsehen. Schon gar nicht kann der Fachmann durch diese Dokumente also eine Anregung zu der weitergehenden Lehre des Merkmals b) des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag erhalten, wonach für einen solchen Strahlengang bei einem gemäß dem Merkmal a) als Triode ausgebildeten Elektronenstrahlerzeuger das Potential und die Ausgestaltung der Steuerelektrode und der Anode maßgeblich sind.

Andererseits könnte dem Fachmann durch die Druckschrift 13 (Tabelle der thermischen Daten von Wolfram) möglicherweise zwar eine Kathode aus Wolfram mit einer Emissionsstromdichte von ca. 7 bis 12 A/cm - insoweit entsprechend dem Merkmal c) des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag - und durch die Druckschrift 15 (Fig. 26 mit zugehöriger Legende und Beschreibung) zudem eine Äquipotentiallinie mit dem Kathodenpotential nahegelegt sein, die den Pierce-Winkel einschließt und nur eine kreisrunde Fläche auf der Kathode zur Elektronenemission freigibt - insoweit entsprechend dem Merkmal d) des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag. Jedoch kann der Fachmann durch die eingangs genannten Dokumente ebenfalls keine Anregung zu dem Merkmal e) des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag erhalten, wonach der divergierende Elektronenstrahl nach Passieren der Anodenbohrung einen Austrittswinkel zwischen 10 bis 50 mrad je nach gewählter Perveanz aufweist. Denn soweit in der Druckschrift 3 (Fig. 1) verschiedene Kurvenpaare (9 bis 11) mit unterschiedlichem Austrittswinkel dargestellt sind, wobei der Austrittswinkel eines Kurvenpaares (9) ersichtlich in den Winkelbereich des Merkmals e) fallen könnte, entsprechen diese Kurvenpaare (9 bis 11) nicht verschiedenen Elektronenstrahlen - wie von der Einsprechenden 1 geltend gemacht -, sondern exemplarischen Elektronenbahnen ein und des selben - einzigen - Elektronenstrahls (Seite 2, letzter Absatz bis Seite 3, Absatz 1), dessen Austrittswinkel (vgl. das äußere Kurvenpaar 11) weit außerhalb des Winkelbereichs des Merkmals e) liegt. Demgegenüber offenbart die Druckschrift 11 (Tabelle 5.1) zwar Strahldivergenzwinkel, die - wie von der Einsprechenden 2 geltend gemacht - in den Winkelbereich des Merkmals e) fallen, jedoch gehören diese Strahldivergenzwinkel zu Elektronenstrahlen mit reellem Crossover (vgl. die Bilder 5.5 und 5.7 bis 5.9), die - nur - wegen des geringen Strahlstroms von 7mA (Seite 127, Absatz 1) zusätzlich einen virtuellen Crossover aufweisen (vgl. hierzu auch die Beschreibung nach Hilfsantrag, Spalte 4, Zeilen 27 bis 36 bzw. die Druckschrift 12, Bilder 10 und 15). Ersichtlich wird der Fachmann diese Strahldivergenzwinkel nicht ohne weiteres bei Elektronenstrahlerzeugern in Betracht ziehen, deren Elektronenstrahlen keinen reellen Crossover und zudem einen hohen Strahlstrom aufweisen, wie dies beim Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag der Fall ist.

Die darüber hinaus genannten Druckschriften sind von geringerem Bezug zum Anspruch 1 nach Hilfsantrag und daher weder für sich noch iVm den genannten Schriften geeignet, die Patentfähigkeit des Anspruchs in Frage zu stellen.

Der von der Einsprechenden 2 geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung brauchte insofern nicht nachgegangen zu werden, als diese sich nur gegen das Merkmal a) des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag richtet (Einspruchsschriftsatz vom 1. Juli 1997, Seite 3, oben), das jedoch - wie dargelegt - beispielsweise aus der Druckschrift 4 bekannt ist (Patentanspruch iVm Fig 1 nebst dazugehöriger Beschreibung in Spalte 3, letzter Absatz bis Spalte 4, Absatz 1). Daß weitere Merkmale des Patentanspruchs 1 durch die Vorbenutzungshandlung nahegelegt sein könnten, ist auch von der Einsprechenden 2 nicht geltend gemacht worden. Unter diesen Umständen konnte die Frage der Offenkundigkeit und der Substantiierung der geltend gemachten Vorbenutzung dahingestellt bleiben. Da der Sachvortrag der Einsprechenden 2 zur offenkundigen Vorbenutzung nicht entscheidungserheblich ist, erübrigt sich auch eine Einvernahme von Zeugen hierzu.

Der Elektronenstrahlerzeuger nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag ist demnach patentfähig.

7. Im Zusammenhang mit dem Patentanspruch 1 haben auch die darauf zurückbezogenen Unteransprüche 2 bis 11 nach Hilfsantrag Bestand, die vorteilhafte und nicht selbstverständliche Ausführungsarten des Elektronenstrahlerzeugers nach dem Hauptanspruch betreffen.

8. Die Beschreibung nach Hilfsantrag erfüllt in Verbindung mit der erteilten Zeichnung die an sie zu stellenden Anforderungen hinsichtlich der Wiedergabe des maßgeblichen Standes der Technik, von dem die Erfindung ausgeht, und hinsichtlich der Erläuterung des beanspruchten Elektronenstrahlerzeugers.

Dr. Tauchert Dr. Gottschalk Knoll Lokys Ko






BPatG:
Beschluss v. 02.12.2003
Az: 23 W (pat) 3/02


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/323f745b22ce/BPatG_Beschluss_vom_2-Dezember-2003_Az_23-W-pat-3-02




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share