Bundespatentgericht:
Beschluss vom 26. August 2009
Aktenzeichen: 7 W (pat) 308/09

(BPatG: Beschluss v. 26.08.2009, Az.: 7 W (pat) 308/09)

Tenor

Das Patent 101 50 625 wird widerrufen.

Gründe

I.

Gegen das Patent 101 50 625 mit der Bezeichnung Schutzvorrichtung für Kraftfahrzeuge, dessen Erteilung am 7. April 2005 veröffentlicht worden ist, hat die N... in O... Einspruch erhoben. Sie macht geltend, dass der Gegenstand des Streitpatents gegenüber dem Standder Technik nicht patentfähig sei.

Zum Stand der Technik hat die Einsprechende u. a. die Druckschrift US5722708A (D1)

genannt.

Die Einsprechende beantragt, das Streitpatent in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Patentinhaberin hat mit der Eingabe vom 24. August 2009 beantragt, das deutsche Patent 101 50 625 im Umfang der mit der Eingabe vom 28. Juli 2009 eingereichten Ansprüche 1 bis 7 aufrechtzuerhalten.

Die Patentinhaberin hat mit der Eingabe vom 28. Juli 2009 ihren Hilfsantrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

Der geltende Patentanspruch 1 hat folgende Fassung:

Schutzvorrichtung für ein Kraftfahrzeug Die geltenden Patentansprüche 2 bis 7 sind auf die weitere Ausgestaltung des Gegenstandes nach dem geltenden Patentanspruch 1 gerichtet.

a. mit einem Querträger (2) aus einem stranggepressten Profil

(4), i. das eine äußere Vertikalwand (6), eine dieser gegenüberliegende innere Vertikalwand (5) sowie mindestenszwei diese verbindende Horizontalwände (7, 8) aufweist, ii. wobei der Querträger (2) gegenüber der Frontlinie

(20) des Kraftfahrzeugs nach außen gewölbt ist undb. mit mindestens einer Halterung (3) zur Befestigung des Querträgers (2) an dem Fahrzeug, c. wobei mindestens eine Horizontalwand (7, 8) in Richtung aufdie mindestens eine andere Horizontalwand (8, 7) um ein Maß (A1, A2) ausgebaucht ist, d. wobei die Horizontalwände (7, 8) aus mit der inneren Vertikalwand (5) verbundenen Innen-Abschnitten (10) und sichdaran anschließenden, mit der äußeren Vertikalwand (6) verbundenen Außen-Abschnitten (12) bestehen, wobei die Innen-Abschnitte (10) und die Außen-Abschnitte (12) jeweilsim Bereich einer Knickstelle (13) aneinander stoßen, wobeider Abstand der Knickstelle (13) in der Horizontalwand (7) zuder inneren Vertikalwand (5) als Ko und der entsprechende Abstand in der Horizontalwand (8) als Ku bezeichnet wird, wobei gilt: Ko<Ku, e. wobei die Knickstellen (13) Soll-Knickstellen vorgeben, sodass ein unkontrolliertes Zusammenfalten vermieden wird, f. wobei die Innen-Abschnitte (10) parallel zueinander verlaufen und plan sind, undg. wobei sich der Abstand der Außen-Abschnitte (12) in Richtung auf die äußere Vertikalwand (6) erweitert.

Gemäß Abs. [0005] der geltenden Beschreibung liegt der Erfindung die Aufgabe zugrunde, eine Schutzvorrichtung für ein Kraftfahrzeug mit einem Querträger aus einem stranggepressten Profil zu schaffen, der Aufprallkräfte in vorbestimmbarer Weise aufnimmt und möglichst einfach aufgebaut ist.

II.

1.

Der Senat ist für die Entscheidung im vorliegenden Einspruchsverfahren auch nach der -mit Wirkung vom 1. Juli 2006 erfolgten -Aufhebung der Übergangsvorschriften des § 147 Abs. 3 PatG noch auf Grund des Grundsatzes der "perpetuatio fori" gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO analog i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG zuständig (vgl. BGH, GRUR 2009, 184, 185 -Ventilsteuerung; GRUR 2007, 862 f. -Informationsübermittlungsverfahren II).

2.

Der fristund formgerecht erhobene Einspruch ist zulässig. Er ist auch begründet und führt zum Widerruf des Patents.

3.

Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt keine patentfähige Erfindung dar, da er nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

Der zuständige Fachmann ist ein Maschinenbau-Ingenieur mit langjähriger Erfahrung bei der Entwicklung von mechanischen Schutzvorrichtungen für Fahrzeuge, insbesondere von Stoßfängern.

Die aus der Druckschrift US 5 722 708 A (D1) bekannte Schutzvorrichtung ist ausgebildet mit einem Querträger (bumper bar) aus einem stranggepressten Profil (Sp. 3, Z. 62 -64), wobei sie eine äußere Vertikalwand (flange 1), eine dieser gegenüberliegende innere Vertikalwand (flange 2.1) sowie mindestens zwei diese verbindende Horizontalwände (webs 2.2) aufweist, der Querträger gegenüber der Frontlinie des Fahrzeugs nach außen gewölbt ist (Fig. 4), und mit mindestens einer Halterung (fastener 4) zur Befestigung des Querträgers an dem Fahrzeug, wobei mindestens eine Horizontalwand (2.2) in Richtung auf die mindestens eine andere Horizontalwand (2.2) um ein Maß ausgebaucht ist (Fig. 1A), dass die Horizontalwände (2.2) aus mit der inneren Vertikalwand (2.1) verbundenen Innen-Abschnitten und sich daran anschließenden, mit der äußeren Vertikalwand (1) verbundenen Außen-Abschnitten bestehen, wobei die Innen-Abschnitte und die Außen-Abschnitte jeweils im Bereich einer Knickstelle (fold 2.4) aneinander stoßen, wobei die Knickstellen Soll-Knickstellen (fold 2.4) vorgeben, so dass ein unkontrolliertes Zusammenfalten vermieden wird, und die Innen-Abschnitte (der Horizontalwände 2.2) parallel zueinander verlaufen und plan sind (PA1, Fig. 1A), und sich der Abstand der Außen-Abschnitte (der Horizontalwände 2.2) in Richtung auf die äußere Vertikalwand (1) erweitert.

Damit ist eine Schutzvorrichtung für ein Kraftfahrzeug mit den Merkmalen a. bis c. sowie e. bis g. und ein Teil des Merkmales d. des geltenden Patentanspruchs 1 aus D1 bekannt.

Angaben dazu, dass, wenn wie im geltenden Patentanspruch 1 der Abstand der Knickstelle in der Horizontalwand zu der inneren Vertikalwand als Ko und der entsprechende Abstand in der Horizontalwand als Ku bezeichnet würden, die Relation Ko<Ku gelten soll, also die Knickstellen in den Horizontalwänden unterschiedliche Abstände zur inneren Vertikalwand aufweisen sollen, sind der D1 nicht zu entnehmen.

In der Streitpatentschrift ist in Abs. [0014] dargestellt, dass für die Wirkung der Schutzvorrichtung die Knickstellen in Horizontalwänden funktionstragend sind. So wird dort erläutert, dass bei einem Aufprall eines Objekts auf den Druckgurt (das ist beim Streitpatentgegenstand die äußere Vertikalwand) eine definierte Deformation der Querwände erfolge, und zwar primär derart, dass der Winkel zwischen den Innen-Abschnitten und den zugehörigen Außenabschnitten verkleinert werde. Durch die Knickstelle zwischen dem jeweiligen Innen-Abschnitt und Außenabschnitt sei eine Soll-Knickstelle vorgegeben, so dass ein unkontrolliertes Zusammenfalten mit einer daraus resultierenden nicht bekannten und über die Einfalttiefe nicht vorherbestimmbaren Deformationskraft vermieden werden könne. Es sei vielmehr so, dass die erforderliche Einfaltkraft als Funktion des sich reduzierenden Abstandes zwischen dem Zuggurt (innere Vertikalwand) und Druckgurt (äußere Vertikalwand) vorherbestimmt werden könne.

Diese vorgenannte Erkenntnis findet sich bereits in der D1 (Sp. 1, Z. 49 -53 u. Sp. 3, Z. 6 -19 sowie Fig. 3), wobei der Fachmann durch die Fig. 3, in der durch zwei verschiedene Kraft/Weg-Kennungen in Abhängingkeit vom Abstand der Knickpunkte von der Last einleitenden äußeren Vertikalwand bzw. vom Abstand der Knickpunkte von der inneren Vertikalwand dargestellt sind, zusätzlich darüber in Kenntnis gesetzt wird, dass dem Abstand der Knickpunkte bezogen auf die Last einleitende Fläche im Hinblick auf die Wirkung der Schutzeinrichtung, d. h. der Anpassung an die voraussichtliche Deformationskraft, besondere Bedeutung zukommt. Der Fachmann wird die D1 deshalb auch so verstehen, dass er die Lage der Knickpunkte zu den Vertikalwänden im Rahmen der konstruktiven Auslegung der Schutzeinrichtung anwendungsorientiert variieren kann.

Der in der D1 angenommene, dem dargestellten Ausführungsbeispiel für einen Fahrzeugstoßfänger gemäß Figur 1B unterlegte Lastfall mit einer zentral mittig auf die äußere Vertikalwand auftreffenden Kraft ist geeignet, die Vorrichtung exemplarisch an einem Sonderfall zu erläutern, bleibt in der Praxis aber eher die Ausnahme. So ist auch der Streitpatentschrift, Abs. [0014] zu entnehmen, dass ein typischer Aufprall auf einen Querträger nicht mittig auf den Druckgurt resp. die äußere Vertikalwand, sondern häufig schräg von oben oder von unten erfolgt.

Der eine wirkungsvolle Schutzvorrichtung anstrebende Fachmann wird sich bei seinen Konstruktionsbemühungen auf realistische Lastannahmen stützen. In diesem Zusammenhang wird er ausgehend von dem Gegenstand der D1 die Knickpunktlagen in den Horizontalwänden variieren und sich dabei nicht auf eine symmetrische Verschiebung beider Knickpunkte in beiden Horizontalwänden beschränken, da bei schräg auf die Vertikalwand treffender Last die Horizontalwände von einander abweichende Lastkomponenten erreichen. Die Angabe, dass die Knickstellen in den Horizontalwänden unterschiedliche Abstände zur inneren Vertikalwand aufweisen und dabei Relationen Ko<Ku gelten sollen, stellt lediglich eine mit den Kenntnissen der D1 auf den (üblichen) Lastfall einer schräg auf die äußere Vertikalwand auftretenden Deformationskraft durch den Fachmann im Rahmen seiner üblichen Konstruktionsaufgaben umgesetzte, darauf abgestimmte Lösung dar. Eine erfinderische Tätigkeit ist dazu nicht erforderlich. Dabei kann dahinstehen, ob der Fachmann nicht auch durch die D1 zu einer asymmetrischen Anordnung der Knickpunkte in der oberen Horizontalwand gegenüber der unteren angeregt wird. Die D1 geht in den Patentansprüchen 1 und 5 von einem ersten Winkel (Sp. 6, Z. 7) zwischen dem ersten und dem zweiten Abschnitt einer der beiden Horizontalwände aus und von einem weiteren (zweiten) Winkel zwischen dem ersten und dem zweiten Abschnitt der anderen Horizontalwand aus (Sp. 7, Z. 38), was jedoch nicht mit der Offenbarung einer asymmetrischen Anordnung der Knickpunkte gleichgesetzt werden kann, da es keine weiterführenden Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Winkel zielgerichtet unterschiedliche Werte aufweisen sollen.

Dabei ist es offenbar ohne Belang bzw. wird bestimmt von der angenommenen Lastrichtung, ob die Abstände der Vorgabe Ko<Ku folgen, wie in der Beschreibung, geltende S. 3, Z. 10, oder ob sie der dazu umgekehrten Relation Ku<Ko gemäß der Patentschrift, Abs. [0014] folgen, aus der auch hervorgeht, dass durch die letztgenannte asymmetrische Lage der Knickstellen der Tatsache Rechnung getragen werden kann, dass ein typischer Aufprall auf einen Querträger nicht mittig auf den Druckgurt resp. die äußere Vertikalwand, sondern häufig schräg von oben oder von unten erfolgt.

Zu der einen, im geltenden Patentanspruch 1 genannten Lösung (mit Ko<Ku) gelangt der Fachmann daher ebenso in nahe liegender Weise durch den Stand der Technik nach der US 5 722 708 A wie auch zu der, die zusätzlich in der Beschreibung (mit Ku<Ko) dargestellt ist.

Dass in den Patentansprüchen 2 bis 7 noch Merkmale von patentbegründender Bedeutung enthalten sind, hat die Patentinhaberin in den der mündlichen Verhandlung vom 26. August 2009 vorausgehenden Eingaben nicht geltend gemacht und ist für den Senat auch nicht erkennbar.

Bei dieser Sachlage war das Patent zu widerrufen.

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BPatG:
Beschluss v. 26.08.2009
Az: 7 W (pat) 308/09


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