Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. Dezember 2003
Aktenzeichen: 33 W (pat) 211/01

(BPatG: Beschluss v. 19.12.2003, Az.: 33 W (pat) 211/01)

Tenor

Auf die Beschwerde der Anmelderin werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 18 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 17. Januar 2001 und vom 3. April 2001 aufgehoben.

Gründe

I.

Die Anmelderin begehrt mit ihrer am 2. August 2000 eingereichten Anmeldung die Eintragung der nachfolgend abgebildeten Damenhandtasche als dreidimensionale Marke für die Waren "Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus, insbesondere Handtaschen":

siehe Abb. 1 am Ende Wegen der eingereichten weiteren Abbildungen wird auf die Anlagen zu diesem Beschluss verwiesen.

Die Markenstelle für Klasse 18 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung mit zwei Beschlüssen, von denen einer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, zurückgewiesen. In den Gründen hat die Markenstelle ausgeführt, dass die Markenfähigkeit nicht in Frage stehe und das Bestehen eines Freihaltungsbedürfnisses offen bleiben könne, da der angemeldeten Marke jedenfalls die erforderliche Unterscheidungskraft fehle. Um als Herkunftshinweis geeignet zu sein, müsse ein Zeichen, das aus der Form der betreffenden Ware bestehe oder eine Ware zeige, zu deren Herstellung sich die weiter beanspruchten Grundmaterialien Leder und Lederimitation eigneten, eine erkennbare Originalität aufweisen. Die angemeldete Marke weise gegenüber dem gebräuchlichen Formenschatz nur geringfügige und nicht hinreichend originelle Abweichungen auf. Die hiergegen gerichtete Erinnerung der Anmelderin ist durch Beschluss der Markenstelle für Klasse 18 vom 3. April 2001 zurückgewiesen worden. Bei Damenhandtaschen, bei denen es eine unübersehbare Gestaltungsvielfalt gebe, sei es üblich, durch Etiketten und Einprägungen auf die betriebliche Herkunft hinzuweisen, weshalb der Verkehr nicht daran gewöhnt sei, allein in der Form der Ware einen Hinweis auf die betriebliche Herkunft der Waren zu sehen. Er kenne und erwarte aus modischen Gründen unterschiedliche Gestaltungen, damit sein jeweiliges Bedürfnis nach Mode befriedigt werden könne und sehe in ihnen regelmäßig lediglich ein modisches Design der Ware und keinen betrieblichen Herkunftshinweis. Die Designelemente der angemeldeten Marke seien auch bei Handtaschen anderer Hersteller zu finden. Dass in Zivilurteilen die Eignung der betreffenden Tasche, als Herkunftshinweis zu dienen, zuerkannt worden sei, sei bei der Beurteilung der Eintragbarkeit unerheblich, da es dort auf die betriebliche Eigenart der Waren angekommen sei, was nach teilweise anderen Kriterien zu beurteilen sei als die Frage der markenrechtlichen Unterscheidungskraft. Die BGH-Entscheidung "Likörflasche" sei für den vorliegenden Fall nicht einschlägig, da kein Behältnis für die Waren, sondern diese Ware selbst angemeldet sei. Bei den Waren "Leder und Lederimitationen" sehe der Verkehr in dem Zeichen lediglich ein Demonstrationsobjekt für deren Bestimmung und Eignung.

Eine Verkehrsdurchsetzung sei von der Anmelderin nicht konkret geltend macht, entsprechende Belege seien nicht eingereicht worden.

In ihrer gegen die Zurückweisung gerichteten Beschwerde trägt die Anmelderin vor, die angemeldete Marke sei als dreidimensionale Marke markenfähig. Zwar hätten die Merkmale der Form auch eine "technische" Funktion im weitesten Sinn. Sie seien aber aus gestalterischen Gründen gewählt worden und nicht, um diese Funktionen zu erfüllen. Auch ansonsten bestünden keine Eintragungshindernisse. Insbesondere besitze die Marke Unterscheidungskraft, sie erschöpfe sich nicht in der Beschreibung der Waren. Dies gelte nicht nur für die beanspruchten Handtaschen, sondern erst Recht für die übrigen Waren. Die Form der dargestellten Tasche sei sogar - obwohl dies nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht gefordert werden dürfe - originell, was der Vergleich mit den üblichen Formen von Damenhandtaschen zeige. Sie weiche von der produkt- oder verkaufstechnisch oder ästhetisch bedingten oder von der allgemein verwendeten, typischen Produktform deutlich ab, falle aus dem verkehrsüblichen Rahmen und erschöpfe sich nicht in bestimmten gebräuchlichen oder nahe liegenden Gestaltungsmerkmalen. Die Elemente des KELLY-Designs Taschengürtel und Verschlusspartie kehrten bei einer Vielzahl von HERMES-Produkten wieder und verstärken damit nicht nur den Grad der Bekanntheit dieser Formmerkmale, sondern auch die auf die Anmelderin bezugnehmende, herkunftshinweisende Wirkung. Der Anmeldung stehe kein Freihaltebedürfnis entgegen. Kein Wettbewerber der Anmelderin sei darauf angewiesen, die Gestaltungselemente, die die erforderliche Unterscheidungskraft bewirkten, selbst für seine Produkte einzusetzen.

Zumindest habe die Marke infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt. Diese Benutzung sei über einen belegten Zeitraum von ca. 50 Jahren in mannigfaltiger Form erfolgt.

Die Anmelderin beantragt sinngemäß, die angefochtenen Beschlüsse aufzuheben.

Mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2003 hat sie folgende Beschreibung der angemeldeten Marke eingereicht:

"Die angemeldete Tasche ist in der Form eines Trapez aufgebaut, deren Vorder- und Rückseite unten breiter sind und nach oben hin schmaler - in einem Winkel von ca. 10 Grade - verlaufen. Die Seitenstücke der Tasche sind rechtwinklig, werden durch das Schließen der Tasche jedoch im oberen Bereich - einem Blasebalg ähnlich - zusammengezogen, wie auf der Seitenansicht der Markenabbildung ersichtlich.

Die Tasche steht auf einem rechteckigen, geraden Boden. In den Ecken des Bodens sitzt jeweils ein kleiner Metallabsatz.

Die Rückseite der Tasche ist im oberen Bereich länger als die Vorderseite; diese Überlänge dient als Lasche und wird von hinten über die Vorderseite umgeschlagen. Dabei sind die Kanten des Umschlags an den Seiten in einem 90 Grad Winkel einige Zentimeter ausgeschnitten.

Um den oberen Teil dieses Ausschnitts legt sich ein schmaler Gürtel, der den Umschlag von der Rückseite auf der Vorderseite fixiert. Die abgerundeten, halbellipsenförmigen Enden des Gürtels sind im jeweils äußeren Viertel der Rückseite nahe seiner Oberkante festgenäht. Durch den Innenraum und die Seiten der Tasche werden die anderen Enden dieses Gürtels weiter in fünf Durchzügen über die Seiten nach vorn geführt, wo der Gürtel in zwei gleichmäßigen, rechteckigen Messingbeschlägen endet. Die Kanten dieser Beschläge sind im 45 Grad-Winkel auf der jeweils zur Tascheninnenseite gerichteten Seite abgeschrägt. Die Beschläge werden durch jeweils vier Nieten gehalten und sind in der Mitte rechteckig ausgeschnitten.

In der Mitte des Umschlages der Tasche, nur wenige Zentimeter über dem Abschluss des Umschlages befindet sich ebenfalls ein Beschlag, der rechteckig ist und der mit vier Nieten gehalten wird. In der Mitte dieses Beschlages ist wiederum eine rechteckige Aussparung. An der entsprechenden Stelle im oberen Teil der Taschenvorderseite befindet sich nochmals ein Messingbeschlag, aus dessen Mitte ein drehbarer Dorn horizontal hervorsteht. Über diesen Dorn wird zunächst die Aussparung des Messingbeschlages auf dem Umschlag geführt; sodann folgen die Aussparungen an den Enden des Gürtels. Auf dem Kopf des Dornes sitzt ein Ring, der sich drehen lässt und über den der Gürtel endgültig fixiert werden kann. Durch den Ring des Dornes wird zusätzlich ein kleines Schloss geführt, das so die Tasche verschließt. Das Schloss gleicht einem Miniaturvorhängeschloss, das von unten geöffnet wird. Auf der Vorder- und auf der Rückseite des Schlosses sind senkrechte und waagerechte Rillen eingraviert.

Die Draufsicht auf die Tasche zeigt, dass der Umschlag oben schmal ist und die Seiten der Tasche sich aufgrund der Trapezform deutlich sichtbar hervorheben. Auf diesem oberen Teil des Umschlages ist ein Henkel befestigt, der nach oben gewölbt ist und über zwei Metallringe an zwei halben gedehnten Ellipsen, die an den Seiten der Oberseite des Umschlages festgemacht sind, gehalten wird."

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 11. August 2003 und auf die Beschwerdebegründung vom 23. August 2001 sowie auf die zum Nachweis der Unterscheidungskraft und der Bekanntheit der angemeldeten Tasche als Anlage 1 vorgelegte Kopie der Monografie "Handtaschen" von Larid Borelli und Valerie Steele, DuMont 1999, und die in Kopien als Anlagen 2 bis 81 vorgelegten Auszüge aus Beiträgen in Modezeitschriften, Zeitungsartikeln und Unterlagen zu Rechtsstreitigkeiten gegen Wettbewerber Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet, da die angemeldete 3D-Marke markenfähig ist und ihr keine Schutzhindernisse entgegen stehen.

1. Die angemeldete Marke ist gemäß § 3 MarkenG markenfähig.

a) Nach Abs. 1 dieser Vorschrift sind grundsätzlich alle Zeichen dem Markenschutz zugänglich, sofern sie geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Hierbei kommt es nicht darauf an, dass das Zeichen seiner Art nach in dem ohnehin nur beispielhaften Katalog des § 3 Abs. 1 MarkenG enthalten ist (vgl. Ströbele/Hacker Markengesetz 7. Aufl. Rn 9 zu § 3 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die abstrakte Unterscheidungseignung dann gegeben, wenn die angesprochenen Verkehrskreise den Schluss ziehen können, dass alle mit der Marke bezeichneten Waren unter der Kontrolle des Markeninhabers hergestellt wurden (EuGH GRUR 2002, 804 ff - Philips Rn 47). Dass eine angemeldete Form in diesem Sinn völlig ungeeignet ist, als Herkunftshinweis zu dienen, und zwar unter keinem denkbaren Umstand, ist nur in einem extremen Ausnahmefall anzunehmen (Ströbele/Hacker a.a.O. Rn 10 zu § 3 m.w.N.), der hier angesichts der Komplexität des Zeichens aber nicht vorliegt.

b) Die angemeldete Form besitzt auch die notwendige Selbständigkeit von den beanspruchten Waren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Vorlagebeschluss des BGH GRUR Int 2001, 462-465 - Stabtaschenlampen; GRUR 2001, 334-337 - Gabelstapler; MarkenR 2001, 75-79 - Rado-Uhr; jeweils m.w.N). Dieses Kriterium ist hier im Hinblick auf die angemeldete Form nur hinsichtlich der Waren problematisch, soweit diese (insbesondere) Handtaschen sind (vgl. Ströbele/Hacker a.a.O. Rn 104 zu § 3). Die angemeldete Marke ist insoweit kein funktionell notwendiger Bestandteil der Ware, da sie über die technisch bedingte Grundform einer Tasche hinausreichende nichttechnische Elemente aufweist, die zwar nicht physisch, aber doch gedanklich von der Ware abstrahierbar sind und die Identifizierungsfunktion der Marke erfüllen (vgl. BGH a.a.O). Prüfungsmaßstab ist allgemein eine "Handtasche", ohne dass auf den speziellen Typ abzustellen ist. Hier sind technisch bedingte Gattungsmerkmale lediglich ein zur Aufnahme von Gegenständen geeigneter Hohlkörper, der verschließbar ist, also hier der Korpus und die Klappe. Keine Gattungsmerkmale sind vor dem Hintergrund, dass mit "Handtasche" ein weiter Oberbegriff angemeldet ist, aber unter anderem der Tragegriff, der von der Anmelderin so bezeichnete horizontal im Klappenbereich verlaufende Gürtel sowie das (Vorhänge-) Schloss.

c) Die vorgreiflich (vgl. EuGH GRUR-Int 2003, 632 ff Rn 65 - Linde, Winward und Rado) zu prüfende Vorschrift § 3 Abs. 2 MarkenG steht dem Markenschutz ebenfalls nicht entgegen. Der Sinn dieser Art. 3 Abs. 1 lit e RiLi entsprechenden Vorschrift liegt darin, dass verhindert werden soll, solche technischen Lösungen oder Gebrauchseigenschaften zu monopolisieren, die der Benutzer auch bei den Waren der Mitbewerber suchen kann. Der Markenschutz soll nicht über die Unterscheidungsfunktion hinaus Schutz gewähren, indem er die Möglichkeit behindert, technische Lösungen oder Gebrauchseigenschaften im Wettbewerb frei anzubieten (EuGH - Philips a.a.O. Rn 78).

aa) Das angemeldete Zeichen besteht, soweit es sich um Handtaschen handelt, ausschließlich aus der Form der Ware, dh sie weist keine anderen als Formelemente auf. Soweit mit ihm Schutz für andere Waren als Handtaschen begehrt wird, handelt es sich um eine produktunabhängige Formmarke, bei der die Form ersichtlich nicht durch die Ware selbst bedingt oder zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist, noch handelt es sich um eine Form, die der Ware einen wesentlichen Wert verleiht.

bb) Soweit das angemeldete Zeichen für die Ware "Handtaschen" Schutz genießen soll, besteht es ebenfalls nicht ausschließlich aus einer Form, die durch die Art der Ware selbst bedingt ist. Dies wäre dann der Fall, wenn sämtliche bei der angemeldeten Form vorhandenen Merkmale zwingend erforderlich sein müssen, um die jeweilige Ware auszumachen, dh kein Merkmal weggelassen werden dürfte, ohne dass das Wesensmäßige der Ware entfiele. Das Wesensmäßige der Ware würde nur dann entfallen, wenn die angemeldete Form lediglich die Grundform der Ware darstellen würde (BGH a.a.O.). Das ist indessen nicht der Fall. Insoweit gelten die oben unter b) gemachten Ausführungen entsprechend. Die vorliegend angemeldete Marke weist über die technisch bedingten Gattungsmerkmale der oben angesprochenen Grundform hinaus eine Reihe von Gestaltungsmerkmalen auf, die nicht ausschließlich durch die Art der Ware selbst bedingt sind. Zu nennen sind wiederum jedenfalls der Gürtel sowie das (Vorhänge-)Schloss. Auch wenn man mit Hacker/Ströbele auf Warenformen abstellt, die im Verkehr üblich sind, dh von der Grundform auf für Handtaschen im Verkehr übliche Formen abstellt, gelangt man zu keinem anderen Ergebnis, da die genannten Elemente nicht dem bei Handtaschen Üblichen entsprechen.

cc) Die hier angemeldete dreidimensionale Marke besteht auch nicht ausschließlich aus einer Form, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist. Mit der 2. Fallgestaltung des § 3 Abs. 2 MarkenG (Art. 3 Abs. 1 lit e RiLi) soll verhindert werden, dass solche Formen als Marken eingetragen werden, deren wesentlichen Merkmale einer technischen Funktion entsprechen, dass also Wettbewerber über die Marke ausschließliche Rechte an technischen Lösungen erlangen (EuGH a.a.O. - Philips, Rn 82). Denn dann könnten Konkurrenten keine Waren mit einer solchen technischen Funktion mehr anbieten oder aber die betreffende technische Lösung nicht mehr bei ihrer Ware einsetzen, um ihr eine solche Funktion zu geben (EuGH a.a.O. - Philips, Rn 79, 80). Für den Ausschluss des Schutzes ist der Nachweis erforderlich, dass die wesentlichen funktionellen Merkmale der Form einer Ware nur der technischen Wirkung zuzuschreiben sind (EuGH a.a.O. - Philips, Rn 83,84). Hierbei spielt die Frage, ob sich die gleiche technische Wirkung auch durch eine andere Form erzielen lässt, keine Rolle (EuGH a.a.O. - Philips, Rn 83). Insoweit entgegen Hacker in Ströbele/Hacker bedeutet dies aber nach Auffassung des Senats nicht, dass Schutzunfähigkeit dann vorliegt, wenn alle wesentlichen Merkmale einer Warenform eine technische Funktion erfüllen (Ströbele/Hacker a.a.O. Rn 115), dass also im Ergebnis allein die technische Funktionalität der die Form der Ware konstituierenden Merkmale den Schutzausschluss nach sich zieht (Ströbele/Hacker a.a.O. Rn 116). Andernfalls wäre Industriedesign überwiegend vom Markenschutz ausgeschlossen. Für die Annahme, dass der Gesetzgeber eine so weite Einschränkung des Markenschutzes wollte, sind keine Anhaltspunkt ersichtlich. Eine solche Einschränkung ergibt sich nach Auffassung des Senats auch nicht aus der EuGH-Entscheidung in Sachen Philips gegen Remington (a.a.O.). Maßgeblich ist danach vielmehr, ob die gewählte Form auf der funktionellen Wirkung beruht, dh durch sie bedingt ist. Dies folgt daraus, dass nach der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 lit e RiLi durch den EuGH eine Form dann nicht eintragungsfähig ist, wenn die wesentlichen funktionellen Merkmale der Form einer Ware nur der technischen Wirkung zuzuschreiben sind EuGH a.a.O - Philips Rn 84. Diese in der Formulierung "nur" liegende Einschränkung kann sich nur auf die Form beziehen. Denn nur dann, wenn Form und technische Funktion untrennbar miteinander verbunden sind, führt der Markenschutz zur Monopolisierung der technischen Lösung, und nur dies soll durch Art. 3 Abs. 1 lit e RiLi, § 3 Abs. 2 MarkenG, jeweils 2. Spiegelstrich, verhindert werden. Bezogen auf die hier angemeldete Form ergibt sich danach, dass das Zeichen nicht ausschließlich aus einer Form besteht, die zur Erreichung einer technischen Wirkung kausal erforderlich ist. Hierbei ist unerheblich, ob man mit dem BGH (GRUR Int 2001, 462-465 - Stabtaschenlampen; GRUR 2001, 334-337 - Gabelstapler; MarkenR 2001, 75-79 - Rado-Uhr) jeweils nur auf die Grundform "Handtasche" abstellt - dann gilt das oben unter b) Gesagte entsprechend - oder ob man die konkret angemeldete Form mit sämtlichen formbildenden Merkmalen zu Grunde legt. Die wesentlichen Merkmale dieser Form - einer Überschlagtasche mit Henkelgriff - sind der Korpus, der Henkel, die Klappe, der Gürtel, die durchbrochenen Beschläge und das Vorhängeschloss. Inwieweit die Form des Korpus und des Henkels nur deren technischer Wirkung zuzuschreiben sind, kann dahinstehen. Denn bereits bei der Ausgestaltung der - an sich funktionell wesentlichen - Klappe ist dies zu verneinen. Deren seitliche Ausschnitte sind nicht durch die Funktion der Klappe bedingt, die dem Verschließen der Tasche dient, sondern vielmehr durch den umlaufenden Gürtel und dessen - ebenfalls nicht funktionell erforderlichen - Austritt aus dem Taschenkorpus. Der Gürtel hat zwar in Verbindung mit den an seinen Enden befestigten Beschlägen, dem Beschlag des Umschlags und dem Beschlag der Taschenvorderseite in Verbindung mit dem drehbaren Dorn ebenfalls eine funktionale Bedeutung, nämlich die Fixierung der Klappe. Die gewählte Form, diese Fixierung über mehrere Elemente zu erreichen, ist aber nicht funktionell bedingt. Dies gilt auch für die Teilung des Gürtels an der Taschenrückseite. Schließlich erfüllt auch das Vorhängeschloss eine funktionelle Aufgabe, ohne dass dessen Form durch die Funktion vorgegeben wäre, insbesondere nicht dessen auf der Vorder- und Rückseite eingravierten senkrechten und waagerechten Rillen.

dd) Die angemeldete Form ist nach Auffassung des Senats auch nicht deshalb vom Markenschutz ausgeschlossen, weil sie der Ware einen wesentlichen Wert verleiht. Ein Ausschluss kommt namentlich dann in Betracht, wenn die betreffenden ästhetischen Elemente nicht mehr als bloße Zutat zur Ware angesehen werden, sondern vielmehr deren Wesen ausmachen (vgl. auch Eichmann GRUR 1995,186; Klaka GRUR 1996, 617), dh der durch die Form vermittelte ästhetische Wert die Hauptfunktion der Marke, als Herkunftshinweis zu dienen, verdrängt (Ströbele/Hacker a.a.O. Rn 120). Trotz des von der Anmelderin vorgetragenen Kultstatus der sogenannten "Kelly-Bag" geht der Senat hier davon aus, dass für die Abnehmer nicht das Produktdesign im Vordergrund steht, da neben der gestalterischen Form die Funktion der Ware als Handtasche deren wesentlichen Wert darstellt.

2. § 8 Abs. 1 MarkenG steht der Eintragung nicht entgegen. Das Zeichen wurde in der Anmeldung als dreidimensionale Marke bezeichnet und in der üblichen zweidimensionalen Weise durch Fotografien grafisch wiedergegeben (vgl. Ströbele/Hacker § 3 Rn 25).

3. Absolute Schutzhindernisse nach § 8 Abs. 2 Nrn 1 und 2 MarkenG liegen ebenfalls nicht vor.

a) Die Marke verfügt über die erforderliche Unterscheidungskraft, also die Eignung, die Waren, für die die Eintragung beantragt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Ware somit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Hierbei kommt es auf die Wahrnehmung der durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher an. Bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft dreidimensionaler Marken gelten grundsätzlich keine anderen Maßstäbe als bei den übrigen Markenformen (EuGH a.a.O. - Philips Rn 35, 48 und 63), insbesondere keine strengeren (EuGH GRUR-Int 2003, 632 ff Rn 65 - Linde, Winward und Rado Rn 49). Erfahrungsgemäß sieht der Verkehr in der Form der Ware zwar regelmäßig eine funktionelle oder eine ästhetische Gestaltung, ohne daraus auf deren Herkunft zu schließen. Die Anmelderin hat nichts vorgetragen, woraus zu entnehmen wäre, dass sich für das in Rede stehende Warengebiet der Verkehr abweichend von diesem Erfahrungssatz regelmäßig an der Form der Ware orientiert, um Waren eines Unternehmens von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. EuGH a.a.O. - Philips Rn 63 f). Gerade auf dem Gebiet der Handtaschen besteht, wie auch die von der Anmelderin vorgelegten Unterlagen zeigen, eine erhebliche Gestaltungsvielfalt mit unterschiedlichsten Modellen. Eine der angemeldeten Form in vielen Elementen zumindest sehr nahe kommende Form weist beispielsweise die auf Seite 128 der von der Anmelderin eingereichten Monografie "Handtaschen" von Larid Borelli und Valerie Steele abgebildeten Metallbügeltasche von Salvatore Ferragamo auf. Der Markenstelle ist daher im Grundsatz beizupflichten, dass es bei Damenhandtaschen üblich ist, durch Etiketten und Einprägungen auf die betriebliche Herkunft hinzuweisen. Dies zeigen u.a. neben der bereits erwähnten Metallbügeltasche von Salvatore Ferragamo die Überschlagtasche von Bulgari oder die Bügeltasche von CELINE ("Handtaschen" S. 20 und 111) oder die Umhängetaschen von PRADA (S. 127 und 167/168). Es kann daher nicht allgemein angenommen werden, dass der Verkehr daran gewöhnt sei, allein in der Form der Ware einen Hinweis auf die betriebliche Herkunft der Waren zu sehen. Er kennt und erwartet - so die Markenstelle zutreffend - aus modischen Gründen unterschiedliche Gestaltungen, damit sein jeweiliges Bedürfnis nach Mode befriedigt werden könne. Die Markenstelle hat auch grundsätzlich zutreffend festgestellt, dass die Abnehmer in den unterschiedlichen Gestaltungen regelmäßig lediglich ein modisches Design der Ware und keinen betrieblichen Herkunftshinweis sehen. Soweit die Markenstelle aber die Auffassung vertreten hat, dass die Designelemente der angemeldeten Marke auch bei Handtaschen anderer Hersteller zu finden seien, kann dem nicht gefolgt werden. Die Recherchen des Senats haben keinen Nachweis erbringen können, dass auch Handtaschen anderer Hersteller ein Vorhängeschloss aufweisen. Dieses Stilelement ist bei einer Handtasche überraschend, weil es von seiner Art her relativ grobschlächtig ist und daher normalerweise nur bei Behältnissen wie Truhen, Koffern oder allenfalls Reisetaschen zu finden ist. Das Schloss ist aber nicht nur wegen des mit seinem Einsatz grundsätzlich verbundenen Stilbruchs geeignet, als Herkunftshinweis innerhalb der Gesamtmarke zu wirken. Dies folgt nach Auffassung des Senats insbesondere im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung des Schlosses mit den auf der Vorder- und auf der Rückseite eingravierten senkrechten und waagerechten Rillen. Die außen rechts und links vorhandenen vertikalen Rillen werden in der Mitte durch horizontale Rillen auf eine Weise verbunden, dass ein stilisiertes großes "H" entsteht, in dem der Verkehr auf Grund der Übereinstimmung mit dem Anfangsbuchstaben der Bezeichnung der Anmelderin ohne weiteres einen Herkunftshinweis annehmen wird. Diese für die Ware "Handtasche" geltenden Überlegungen gelten erst Recht für die übrigen beanspruchten Waren, bei denen das Zeichen nicht produktabhängig ist.

b) Auch wenn bei dreidimensionalen Marken, die eine Warenform darstellen, ein erhöhtes Freihaltungsbedürfnis insofern besteht, als bei Waren nur ein begrenzter Gestaltungsspielraum gegeben ist (vgl. Ströbele/Hacker a.a.O. Rn 411 zu § 8), so liegt das Eintragungshindernis nur dann vor, wenn die angemeldete Warenform ausschließlich aus Angaben besteht, die im Verkehr u.a. zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Bestimmung oder der Bezeichnung sonstiger Merkmale der in Frage stehenden Waren dienen oder dienen können (EuGH a.a.O. - Linde, Winward und Rado Rn 74). Aus den Ausführungen zur Unterscheidungskraft ergibt sich, dass dies vorliegend jedenfalls im Hinblick auf das Vorhängeschloss und dessen konkreter Ausgestaltung weder für die Ware "Handtasche" noch für die anderen Waren, für die Schutz beansprucht wird, nicht der Fall ist.

Winkler Baumgärtner Dr. Hock Cl Abb. 1 http://agora/bpatg2/docs/33W(pat)211-01.3.gif






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Az: 33 W (pat) 211/01


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