Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 31. Mai 2007
Aktenzeichen: L 10 B 6/07 SB

(LSG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 31.05.2007, Az.: L 10 B 6/07 SB)

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 14.03.2007 abgeändert. Die dem Kläger zu erstattenden außergerichtlichen Kosten werden auf 506,68 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Mit seiner Klage hat der Kläger die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleich "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) begehrt. Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat ihm für die Durchführung des sozialgerichtlichen Verfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten bewilligt. In dem Rechtsstreit hat das SG einen Befundbericht und nach Beiziehung der Rentenakte der Deutschen Rentenversicherung Rheinland ein Gutachten von dem Arzt für Innere Krankheiten Dr. S eingeholt. Im Erörterungstermin vom 08.11.2006 hat der Kläger die Klage zurückgenommen.

Der Kläger hat die Festsetzung folgender Gebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) beantragt:

Verfahrensgebühr nach 3102 VV RVG 250,00 EUR Terminsgebühr nach 3106 VV RVG 200,00 EUR Entgelt für Post und Telekommunikationsleistungen 20,00 EUR Fahrkosten nach 7003 VV RVG 46,80 EUR Abwesenheitsgeld nach 7005 VV RVG 20,00 EUR insgesamt: 536,80 EUR 16% Umsatzsteuer 85,89 EUR insgesamt: 622,69 EUR.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 15.11.2006 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die zu erstattenden Gebühren wie folgt festgesetzt:

Verfahrensgebühr 125,00 EUR Terminsgebühr 100,00 EUR Post- und Telekommunikationspauschale 20,00 EUR Fahrtkosten 46,80 EUR Abwesenheitsgeld 20,00 EUR insgesamt: 311,80 EUR 16% Umsatzsteuer 49,89 EUR Summe 361,69 EUR.

Zur Begründung hat er angegeben, das Merkzeichen "RF" sei von der Bedeutung für den Kläger eher gering. Der Termin sei ebenfalls als gering einzuschätzen (5 Minuten lang); Fachgutachten seien üblich.

Auf die Erinnerung des Klägers hat das SG die Entscheidung des Urkundsbeamten bestätigt und die zu erstattenden Gebühren mit 361.69 EUR festgesetzt: Verfahrens- und Terminsgebühr seien weit unterhalb der Mittelgebühr anzusetzen. Der anwaltliche Aufwand sei mit Klageerhebung, Klagebegründung, Besprechungstermin mit dem Mandanten und erforderlicher Stellungnahme zum eingeholten Gutachten als durchschnittlich zu werten. Der Schwierigkeitsgrad des Verfahrens sei allerdings nicht durchschnittlich, da lediglich der Nachteilsausgleich "RF" streitig gewesen sei. Gemessen an dem Schwierigkeitsgrad der sonstigen beim Sozialgericht zu behandelnden Rechtsstreitigkeiten wie z.B. Rentenstreitverfahren bzw. Verfahren nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung weiche die Schwierigkeit des Verfahrens deutlich nach unten ab. Auch nach der Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger sei lediglich der untere Bereich des Gebührenrahmens anzusetzen. Gegenüber der erstmaligen Anerkennung als Schwerbehinderter komme einem Rechtsstreit über den Nachteilsausgleich "RF" lediglich eine untergeordnete Rolle zu (Beschluss vom 14.03.2007).

Gegen den am 21.03.2007 zugestellten Beschluss wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde vom 03.04.2007 Beschwerde.

II.

Die Beschwerde ist nach § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 S. 1 und 3 RVG zulässig Der Beschwerdewert übersteigt 200,00 EUR; die Beschwerde ist binnen 2 Wochen eingelegt worden.

Die Beschwerde ist auch zum Teil begründet.

Prüfungsmaßstab ist § 14 RVG. Nach § 14 Abs. 1 Satz RVG bestimmt bei den in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit entstehenden Rahmengebühren (§ 3 RVG) der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr - wie vorliegend - von einem Dritten zu ersetzen, ist die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 3 RVG). Entspricht die Bestimmung der Rahmengebühr durch den Rechtsanwalt nicht der Billigkeit, ist sie richterlich zu korrigieren.

Dabei sind die vom Gesetzgeber vorgegebenen festen Anhaltspunkte (Mindest-, Mittel- und Höchstgebühr) sowie der in Rechtsprechung und Literatur akzeptierte Toleranzrahmen von bis zu 20 v.H. zu berücksichtigen; d.h. nur eine Bestimmung des Rechtsanwalts, die um 20 v.H. oder mehr von der Vorstellung der anderen Stelle abweicht, ist unbillig (BSG, Urteil vom 26.02.1992 - 9a RVs 3/90 -; Beschluss des Senats vom 16.08.2006 - L 10 B 7/06 SB -; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl. 2002, Rdn. 9).

1. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls liegen die Voraussetzungen für eine richterliche Korrektur der vom Prozessbevollmächtigten des Klägers getroffenen Bestimmung der Verfahrensgebühr nicht vor. Die Gebühr ist nicht unbillig; zu Recht ist der Gebührenrechnung die Mittelgebühr i.H. von 250,00 EUR zugrunde gelegt worden.

Nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG angefügten erhält der Anwalt in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, eine Gebühr zwischen 40,00 und 460,00 EUR, entsprechend einer Mittelgebühr von 250,00 EUR (Gebühr Nr. 3102), wenn - wie vorliegend - keine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist.

Die Verfahrensgebühr erhält der Anwalt für das Betreiben des Verfahrens. Dabei steht ihm nach dem Willen des Gesetzgebers in Verfahren mit durchschnittlicher Schwierigkeit, durchschnittlichem Aufwand und durchschnittlicher Bedeutung für den Mandanten die Mittelgebühr zu. Entscheidend ist eine Gesamtabwägung. Es müssen sämtliche den Gebührenanspruch potentiell beeinträchtigenden Faktoren miteinander im Einzelfall abgewogen werden.

Diese Abwägung ergibt vorliegend, dass für die Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV die angesetzte Mittelgebühr nicht zu korrigieren ist.

Der Senat schließt sich der Beurteilung des SG an, dass der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit unter Berücksichtigung der Faktoren Klagebegründung, Besprechungstermin mit dem Kläger, Stellungnahme zum eingeholten Gutachten als annährend durchschnittlich zu werten ist.

Nicht zu folgen ist dem SG allerdings hinsichtlich seiner Beurteilung, der Schwierigkeitsgrad des Verfahrens und die Bedeutung der Angelegenheit seien weit unterdurchschnittlich. Auch hier besteht kein Ansatzpunkt, vom Durchschnitt abzuweichen.

Soweit das SG einen dahingehenden Erfahrungssatz propagiert, dass der Schwierigkeitsgrad eines Verfahrens zur Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen eines Nachteilsausgleichs nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch unter dem der sonstigen sozialgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten wie z.B. eines Rentenstreitverfahrens oder eines Verfahrens nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung liege, gibt es dafür keinen objektiven Ansatzpunkt. So ist gerade der vorliegende Rechtsstreit exemplarisch für eine subjektive Fehleinschätzung der zu prüfenden rechtlichen Voraussetzungen und der damit verbundenen rechtlichen Schwierigkeiten: Mit seinen angegriffenen Entscheidungen vom 18.04.2005 bzw. 11.05.2005 hat der Beklage den auf Feststellung des Nachteilsausgleichs "RF" gerichteten Antrag des Klägers mit der Begründung abgelehnt, dass die Voraussetzungen des § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB) nicht erfüllt seien, weil keine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers eingetreten sei. Dies hat das SG mit seiner Beweisanordnung vom 25.01.2006 mit der Beweisfrage zu 4. aufgegriffen, obwohl die Voraussetzungen des § 48 SGB X nicht zu prüfen waren. § 48 SGB X findet nämlich dann keine Anwendung, wenn ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung als Vergleichsmaßstab nicht vorliegt bzw. die zum Vergleich herangezogene Verwaltungsentscheidung sich in der Ablehnung eines begehrten Nachteilsausgleichs erschöpft.

Entgegen der Auffassung des SG ist vorliegend auch nicht von einer deutlich unterdurchschnittlichen, sondern von einer zumindest durchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger auszugehen. Denn die angestrebte Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht (Wert in etwa 17,00 EUR / Monat) ist gemessen an den dem Kläger gewährten Rentenleistungen von 506,00 EUR / monatlich erheblich; dahin stehen kann dabei, ob auch noch Vorteile des sog. Sozialtarifs für Verbindungen im T-Net der Deutsche Telekom AG für den Kläger in Betracht gekommen wären. Bei der Beurteilung der Bedeutung der Angelegenheit sind auch die weiteren Auswirkungen auf die persönlichen Lebensumstände des Klägers zu berücksichtigen. Mit einer Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht wäre für den pflegebedürftigen Kläger (Pflegestufe II i.S. des § 15 Abs. 1 Nr. 2 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) eine Teilnahme am allgemeinen und öffentlichen Leben zumindest über Rundfunk und Fernsehen gewährleistet gewesen.

Als weiteres Bemessungskriterium sind auch die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers zu berücksichtigen; dabei können bessere wirtschaftliche Verhältnisse grundsätzlich eine höhere Vergütung und schlechtere wirtschaftliche Verhältnisse eine Mäßigung der Gebühr begründen. Die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers allein rechtfertigen es jedoch nicht, die von seinem Prozessbevollmächtigten getroffene Bestimmung der Mittelgebühr als unbillig zu bewerten. Denn in Fällen, in denen - wie hier - Prozesskostenhilfe gewährt worden ist, liegen grundsätzlich schlechte Einkommens- und Vermögensverhältnisse vor (Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert a.a.O. § 12, Rdn. 15). Zu berücksichtigen sind alle Umstände des Einzelfalls. Anderenfalls könnte ein Rechtsanwalt, der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet worden ist, in einem solchen Fall nicht die Gebühr erhalten, die aufgrund des Vorliegens der übrigen Bemessungskriterien gerechtfertigt wäre (Beschluss des Senats vom 16.08.2006 - L 10 B 7/06 SB -)

2. Etwas anderes gilt allerdings hinsichtlich der Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV. Hier ist der Ansatz der Mittelgebühr von 200,00 EUR bereits deshalb unbillig, weil der Termin vom 08.11.2006 lediglich fünf Minuten gedauert hat. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit war auch unter Berücksichtigkeit einer etwaigen Vorbereitungszeit außerordentlich gering, so dass der Senat mit dem SG eine Gebühr von 100,00 EUR (Hälfte der Mittelgebühr) für angemessen erachtet. Fahrt- und Abwesenheitszeiten des Prozessbevollmächtigten sind nicht in die Bewertung einzubeziehen, da diese von den Nrn. 7003 bzw. 7005 VV abgedeckt werden.

Die Vergütung des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist somit wie folgt festzusetzen:

Verfahrensgebühr nach 3102 VV RVG 250,00 EUR Terminsgebühr nach 3106 VV RVG 100,00 EUR Entgelt für Post und Telekommunikationsleistungen 20,00 EUR Fahrkosten nach 7003 VV RVG 46,80 EUR Abwesenheitsgeld nach 7005 VV RVG 20,00 EUR insgesamt: 436,80 EUR 16% Umsatzsteuer 69,88 EUR insgesamt: 506,68 EUR.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).






LSG Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 31.05.2007
Az: L 10 B 6/07 SB


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