Oberlandesgericht Celle:
Beschluss vom 20. Mai 2014
Aktenzeichen: 2 W 106/14

(OLG Celle: Beschluss v. 20.05.2014, Az.: 2 W 106/14)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Die vorliegende Gerichtsentscheidung des Oberlandesgerichts Celle betrifft die Geltendmachung von Kostenansprüchen in einem Verfahren, in dem Prozesskostenhilfe gewährt wurde. Der Kläger hatte gegen zwei Beklagte Schadensersatz und Schmerzensgeld eingeklagt. Das Amtsgericht wies die Klage ab und legte dem Kläger die Kosten des Verfahrens auf. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten stellten daraufhin Kostenfestsetzungsanträge in Höhe von insgesamt 1084,81€ bei der Landeskasse. Das Amtsgericht stellte dem Kläger daraufhin den Gesamtbetrag in Rechnung. Der Kläger erhob gegen den Kostenansatz des Amtsgerichts Erinnerung und Beschwerde, welche jedoch beide erfolglos blieben.

In seiner weiteren Beschwerde an das Oberlandesgericht Celle berief sich der Kläger auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts München und argumentierte, dass die Landeskasse seine Kostenansprüche nicht geltend machen könne, da ihm ebenfalls Prozesskostenhilfe gewährt wurde. Das Oberlandesgericht Celle erklärte die weitere Beschwerde des Klägers für zulässig, verneinte allerdings die grundsätzliche Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage.

In der Sache selbst wies das Oberlandesgericht die weitere Beschwerde des Klägers zurück. Es entschied, dass die Landeskasse die Kostenansprüche, die gemäß § 59 RVG auf sie übergegangen waren, auch gegen den Gegner geltend machen könne, selbst wenn diesem ratenfreie Prozesskostenhilfe gewährt wurde. Die gegenteilige Ansicht des Oberlandesgerichts München wurde als unzutreffend angesehen.

Das Gericht argumentierte, dass weder das Gesetz noch der Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe ein solches Verständnis unterstützten. Es sei auch nicht ersichtlich, warum die Bedürftigkeit einer Partei Auswirkungen auf ihre Verpflichtung haben solle, dem Gegner entstandene Kosten zu erstatten. Das Oberlandesgericht stellte außerdem fest, dass die Gesetzgebung die Möglichkeit gelassen habe, dass das Gericht im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung Bestimmungen treffen könne, die die bedürftige Partei zur Erstattung der Kosten des Gegners verpflichten. Auch der Umstand, dass der Gesetzgeber die Rechtsprechung nicht korrigiert habe, belege, dass die herrschende Rechtsauffassung korrekt sei.

Das Oberlandesgericht stellte abschließend fest, dass die Klage des Klägers keinen Erfolg habe und wies die weitere Beschwerde zurück. Die Kostenentscheidung beruhe auf § 66 Abs. 8 GKG.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

OLG Celle: Beschluss v. 20.05.2014, Az: 2 W 106/14


Tenor

Die weitere Beschwerde des Klägers vom 23. April 2014 gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 2. April 2014, durch den die Beschwerde des Klägers gegen den seine Erinnerung gegen den Kostenansatz der Rechnung vom 29. Januar 2014 zurückweisenden Beschluss des Amtsgerichts Diepholz vom 17. Februar 2014 zurückgewiesen worden ist, wird zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

In dem vor dem Amtsgericht Diepholz geführten Rechtsstreit hat der Kläger zwei Beklagte auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch genommen. Das Amtsgericht hat dem Kläger und beiden Beklagten ratenfreie Prozesskostenhilfe gewährt. Mit rechtskräftigem Urteil vom 8. Januar 2014 hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Auf Anträge der Prozessbevollmächtigten beider Beklagten gemäß § 45 Abs. 1 RVG hat die Landeskasse zu erstattende Kosten in Höhe von 539,19 € und 545,62 € festgesetzt und an die Prozessbevollmächtigten ausgezahlt. Unter dem 29. Januar 2014 hat das Amtsgericht dem Kläger den Gesamtbetrag in Höhe von 1.084,81 € gemäß § 59 Abs. 1 GKG in Rechnung gestellt.

Hiergegen wendet sich der Kläger, der unter Hinweis auf eine Rechtsprechung des OLG München meint, aus den Gesetzesmaterialien zu §122 Abs. 1 Ziff. 1 lit. b ZPO ergebe sich, dass es der Landeskasse nach dieser Vorschrift verwehrt wäre, den nach § 59 GKG auf die Landeskasse übergegangenen Anspruch gegen ihn geltend zu machen. Erinnerung und Beschwerde hatten keinen Erfolg.

II.

1. Die weitere Beschwerde des Klägers ist nach §§ 59 Abs. 2 Satz 1, 66 Abs. 4 GKG zulässig, weil das Landgericht sie ausdrücklich wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat, ob die Staatskasse die nach § 59 Abs. 1 GKG auf sie übergegangenen Ansprüche beigeordneter Rechtsanwälte gegen den Gegner auch dann geltend machen kann, wenn diesem selbst ratenfreie Prozesskostenhilfe gewährt worden ist.

Die Zulässigkeit der weiteren Beschwerde wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass dem Verfahren keine grundsätzliche Bedeutung zukommen dürfte. Eine Rechtssache hat nämlich nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen auftreten kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. BGH NJW 2003, 1943, 1944; BGHR ZPO (1.1.2002) § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 €Bedeutung, grundsätzliche€ 1). Insoweit dürfte das Landgericht nicht ausreichend berücksichtigt haben, dass die gestellte Rechtsfrage bereits höchstrichterlich geklärt ist und beinahe die gesamte obergerichtliche Rechtsprechung dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung gefolgt ist. Der BGH hat mit Beschluss vom 11. Juni 1997 entschieden (XII ZR 254/94, FamRZ 1997, 1141), dass der Geltendmachung des gemäß § 130 Abs. 1 BRAGO (heute: § 59 RVG) auf die Bundes- oder Landeskasse übergegangenen Anspruchs gegen den erstattungspflichtigen Prozessgegner nicht entgegensteht, dass diesem selbst Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Dieser Rechtsprechung sind die Oberlandesgerichte Köln (FamRZ 2004, 37), Koblenz (MDR 2008, 172), Nürnberg (FamRZ 2002, 479 und MDR 2008, 233), Zweibrücken (FamRZ 2008, 2140), Oldenburg (FamRZ 2009, 622) und Dresden (FamRZ 2010, 583) gefolgt. Soweit der 20. Senat für Familiensachen des OLG Karlsruhe im Jahre 1998 offenbar in Unkenntnis der Entscheidung des BGH gemeint hat, die gegenteilige Ansicht vertreten zu müssen (JurBüro 1999, 370), hat sich der 16. Senat für Familiensachen des OLG Karlsruhe im Jahre 2005 ausdrücklich der Rechtsprechung des BGH angeschlossen, ohne auf die Entscheidung des 20. Senats für Familiensachen auch nur einzugehen (FamRZ 2005, 2002). Soweit ersichtlich ist lediglich das OLG München der Rechtsprechung des BGH nicht gefolgt (FamRZ 2001, 1156) und vertritt diese Auffassung auch heute noch (AGS 2014, 84). Ob angesichts der höchstrichterlichen und gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung von einer grundsätzlichen Bedeutung der in Rede stehenden Rechtsfrage auszugehen ist, nur weil ein einziges Oberlandesgericht eine andere Rechtsansicht als der BGH vertritt und die Rechtsprechung des BGH in der Literatur Kritik erfahren hat (vgl. etwa Musielak, ZPO, 11. Aufl., § 122 Rdnr. 5 m.w.N.), erscheint zumindest zweifelhaft.

2. Die weitere Beschwerde des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Mit Recht haben das Amtsgericht und das Landgericht gemeint, dass die Staatskasse die nach § 59 Abs. 1 RVG auf sie übergegangenen Vergütungsansprüche eines beigeordneten Rechtsanwalts auch dann gegen den Gegner geltend machen kann, wenn diesem ebenfalls ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Die gegenteilige Ansicht ergibt sich weder aus dem Gesetz, noch gebieten Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe ein anderes Gesetzesverständnis.

a) Soweit das Oberlandesgericht München in seiner Entscheidung vom 24. Januar 2001 (FamRZ 2001, 1156) ausgeführt hat, entscheidend sei, dass nach den Gesetzesmaterialien die auf die Staatskasse übergegangenen Ansprüche der beigeordneten Rechtsanwälte auch die "übergegangenen Ansprüche der dem Gegner beigeordneten Rechtsanwälte" umfassen sollten (BT-Drucksache 8/3068 S. 30), trifft zu, dass der Regierungsentwurf aus dem Jahre 1979 tatsächlich davon auszugehen scheint, dass die Staatskasse gehindert sein sollte, die dem Anwalt der obsiegenden Partei ausgezahlte Anwaltsvergütung von der unterlegenen Partei geltend zu machen, wenn auch der obsiegenden Partei ratenfreie Prozesskostenhilfe gewährt worden ist, soweit sich aus dem Beschluss über die Gewährung von Prozesskostenhilfe nichts gegenteiliges ergibt. Allerdings hat bereits der BGH zutreffend darauf hingewiesen, dass diese Auffassung in der Fassung der Gesetz gewordenen Vorschriften gerade auch im Hinblick auf die eindeutige Regelung in § 123 ZPO keinen hinreichenden Ausdruck gefunden hat und deshalb keine bindende Richtschnur darstellt. Welche Intention der Gesetzgeber selbst hatte, lässt sich den Materialien nicht entnehmen.

Hinzu kommt, dass der Gesetzesvorschlag des Regierungsentwurfs nicht vom Gesetzgeber übernommen worden ist und deshalb auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Gesetzgeber dasselbe gewollt hat, was die Begründung des Regierungsentwurfs besagt. Auf Seite 30 der Bundestags-Drucksache 8/3068 heißt es zunächst zum Gesetzesvorschlag des damaligen § 120 Abs. 1 Nr. 1 lit. b ZPO, dass auch die nach §130 BRAGO (= § 59 RVG) übergegangenen Ansprüche der dem Gegner beigeordneten Rechtsanwälte gegen die Partei erfasst werden, wobei dieser Fall eintreten könne, wenn beiden Parteien Prozesskostenhilfe bewilligt sei. Sodann heißt es: €Die ersatzpflichtige Partei soll auch dann nur höchstens die in den §§ 114 a, 114 c Abs. 3 i.d.F des Artikels 1 Nr. 4 vorgesehenen Beträge an die Staatskasse zahlen.€ Die §§ 114 a, 114 c Abs. 3 des Regierungsentwurfs regelten die Anordnung der Zahlung von Raten aus dem Einkommen oder Vermögen. Die Rechtsfolge, dass die ersatzpflichtige Partei in einem solchen Fall nur höchstens die in den §§ 114 a, 114 c Abs. 3 i.d.F des Artikels 1 Nr. 4 vorgesehenen Beträge an die Staatskasse zahlen sollte, wurde nach dem Regierungsentwurf dadurch herbeigeführt, dass die Staatskasse die auf sie übergegangenen Ansprüche der beigeordneten Rechtsanwälte €nur nach den Bestimmungen, die das Gericht nach den Vorschriften dieses Titels trifft€, gegen die Partei geltend machen kann. Da die Bestimmungen des Gerichts auf die Vorschriften des Titels begrenzt waren und es sich daher nur um Ratenzahlungsanordnungen handeln konnte, war gewährleistet, dass die ersatzpflichtige Partei nur im Umfang der Ratenzahlungsanordnung für übergegangene Ansprüche des beigeordneten Rechtsanwalts des Gegners haften konnte. Die einschränkende Regelung des Regierungsentwurfs auf Bestimmungen des Gerichts nach diesem Titel ist vom Gesetzgeber indes nicht übernommen worden. In § 120 Abs. 1 Nr. 1 lit. b ZPO ist vielmehr geregelt, dass die Staatskasse die auf sie übergegangenen Ansprüche der beigeordneten Rechtsanwälte €nur nach den Bestimmungen, die das Gericht trifft€, geltend machen kann. Mithin sind nach der Gesetzesfassung weitere Bestimmungen des Gerichts über den Umfang der gewährten Prozesskostenhilfe möglich und zulässig. Nach dieser Regelung wäre es daher ohne weiteres möglich, dass das Gericht im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung eine Regelung trifft, nach der die bedürftige Partei der Staatskasse auch dann nach § 59 RVG übergegangene Ansprüche des beigeordneten Rechtsanwalts des Gegners zu erstatten hat, wenn diesem gleichfalls ratenfreie Prozesskostenhilfe gewährt wird. Nach der gesetzlichen Regelung wäre also dass, was der Regierungsentwurf gewährleisten wollte, nämlich dass die bedürftige Partei auch für übergegangene Ansprüche nur im Rahmen von Ratenzahlungsanordnungen haftet, nicht mehr gegeben.

Deshalb kann auch nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber den Vorschlag des Regierungsentwurfs hat übernehmen wollen. Dagegen spricht, dass dann Ausführungen des Gesetzgebers dazu zu erwarten wären, unter welchen Voraussetzungen das Gericht eine solche Bestimmung treffen kann. Dass der Gesetzgeber hierzu nichts ausgeführt hat belegt, dass offenbar nicht beabsichtigt war, dass das Gericht im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung eine derartige Bestimmung treffen sollte. Vielmehr scheint der Gesetzgeber davon auszugehen, dass die bedürftige Partei für die Prozesskosten des Gegners auch dann aufzukommen hat, wenn diesem ratenfreie Prozesskostenhilfe gewährt ist und die Staatskasse den Prozessbevollmächtigten des Gegners befriedigt.

b) Dem steht nicht entgegen, dass in § 122 Abs. 1 Ziff. 1 lit. b ZPO von Rechtsanwälten (Plural) die Rede ist. Insoweit ist bereits mehrfach von anderen Oberlandesgerichten in ihren Entscheidungen zutreffend darauf hingewiesen worden, dass einer Partei, wenn auch nur ausnahmsweise, durchaus mehrere Rechtsanwälte beigeordnet werden können, etwa ein Rechtsanwalt am Gerichtsort und ein Verkehrsanwalt. Der Regierungsentwurf aus dem Jahre 1979 spricht selbst davon, dass es nicht nur um €die Ansprüche der Rechtsanwälte, die der Partei beigeordnet waren€, gehen soll und geht daher selbst davon aus, dass der Verwendung des Plurals keine Bedeutung für die streitige Frage zukommt.

c) Dafür, dass der Gesetzgeber tatsächlich gemeint hat, dass die Staatskasse die nach § 59 Abs. 1 RVG auf sie übergegangenen Vergütungsansprüche eines beigeordneten Rechtsanwalts auch dann gegen den Gegner geltend machen kann, wenn diesem ebenfalls Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, spricht die systematische Regelung des Gesetztes. Während der Regierungsentwurf in § 120 Abs. 3 ZPO regelte, dass die Gewährung von Prozesskostenhilfe auf die Verpflichtung, die dem Gegner entstandenen Kosten zu erstatten, keinen Einfluss hat, hat das Gesetz dies in der eigenen Vorschrift des § 123 ZPO ohne jede Einschränkung geregelt. Eine Einschränkung dieses Grundsatzes wäre daher systematisch in dieser Vorschrift oder einer folgenden Vorschrift zu erwarten, nicht aber in einer vorstehenden Regelung. Denn bei dem nach § 59 RVG geltend gemachten Anspruch der Staatskasse handelt es sich nicht um einen eigenen originären Anspruch der Staatskasse, sondern um einen Anspruch aus übergegangenem Recht, der dem beigeordnetem Prozessbevollmächtigten des Gegners als dessen gesetzlicher Prozessstandschafter (vgl. BGH FamRZ 2007, 710) zusteht und damit letztlich um einen Anspruch des Gegners im Sinne des § 123 ZPO. Wenn die Staatskasse damit einen Anspruch des Gegners geltend macht, hindert sie § 123 ZPO ausdrücklich nicht an der Geltendmachung. Dadurch, dass der Gesetzgeber offenbar bewusst die Einheitlichkeit der Regelungen in § 120 ZPO des Regierungsentwurfs aufgebrochen und die Haftung der bedürftigen Partei für die Kosten des Prozessgegners in einer eigenen Vorschrift hervorgehoben hat, hat er deutlich gemacht, die Haftung der bedürftigen Partei für die übergegangenen Prozesskosten des Gegners anders beurteilen zu wollen, als der Regierungsentwurf dies noch vorsah.

d) Dagegen, dass es tatsächlich Intention des Gesetzgebers gewesen wäre, unter den auf die Staatskasse übergegangenen Ansprüche der beigeordneten Anwälte nach § 122 Abs. 1 Ziff. 1 lit. b ZPO nicht nur die Ansprüche der Rechtsanwälte zu verstehen, die der Partei beigeordnet waren, sondern auch die nach § 59 RVG übergegangenen Ansprüche der dem Gegner beigeordneten Rechtsanwälte gegen die Partei, spricht jedenfalls, dass wenn der BGH und ihm folgend die ganz herrschende obergerichtliche Rechtsprechung tatsächlich den Willen des Gesetzgebers missverstanden hätten, zu erwarten wäre, dass der Gesetzgeber hiergegen einschreitet. Das Prozesskostenhilferecht hat indes im Laufe der Jahre nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zahlreiche Änderungen erfahren, ohne dass der Gesetzgeber es für erforderlich gehalten hätte, ändernd einzugreifen. Zumindest in dem am 31. August 2013 verkündeten und am 1. Januar 2014 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts, in dem umfangreiche Änderungen der Vorschriften der §§ 114 ff. ZPO vorgenommen worden sind, wäre eine klarstellende gesetzgeberische Änderung zu erwarten, wenn der Gesetzgeber tatsächlich meinen sollte, die Rechtsprechung habe dem BGH folgend die gesetzliche Regelung verkannt. Der Umstand, dass der Gesetzgeber keinen Grund zum Einschreiten gesehen hat, belegt, dass der Gesetzgeber offenbar selbst nicht meint, die Rechtsprechung verkenne die gesetzliche Regelung.

e) Insbesondere aber spricht gegen das Gesetzesverständnis des OLG München, dass kein nachvollziehbarer und verständlicher Grund ersichtlich und dargelegt ist, warum der Gesetzgeber regeln sollte, dass die Staatskasse die nach § 59 Abs. 1 RVG auf sie übergegangenen Ansprüche beigeordneter Rechtsanwälte gegen den Gegner dann nicht geltend machen können soll, wenn diesem selbst ratenfreie Prozesskostenhilfe gewährt worden ist.

Soweit das OLG München geltend macht, der Zweck der Prozesskostenhilfe liege darin, die wirtschaftlich unvermögende Partei nicht an der Durchsetzung ihrer individuellen Rechtspositionen zu hindern (vgl. BVerfG, JurBüro 1999, 540), weshalb der Staat mit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe die "unbemittelte Partei" unterstütze und sich letztlich im Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten setzen würde, wenn er andererseits die Mittel, die er zur Unterstützung des (ebenfalls bedürftigen) Prozessgegners aufwende, bei einer Partei beitreibe, deren Mittellosigkeit gerade zu einer Unterstützung zum Anlass genommen worden sei, verkennt es die gesetzlichen Regelungen dazu, welche Wirkungen die Prozesskostenhilfe hat. Gerade auch wenn der Zweck der Prozesskostenhilfe darin liegt, die wirtschaftlich unvermögende Partei nicht an der Durchsetzung ihrer individuellen Rechtspositionen zu hindern, geht das Gesetz davon aus, dass die bedürftige Partei trotz ihrer Mittellosigkeit grundsätzlich die Kosten des Gegners zu tragen hat, wenn das Gericht der bedürftigen Partei die Kosten auferlegt. Das Gesetz macht daher in aller Klarheit deutlich, dass die Bedürftigkeit einer Partei nichts mit der Verpflichtung zu tun hat, dem Gegner entstandene Kosten zu erstatten.

Hieran ändert sich nach dem Willen des Gesetzes auch nichts dadurch, dass auch dem Gegner ratenfreie Prozesskostenhilfe gewährt worden ist. Denn in diesem Fall hat zum einen der dem Gegner beigeordnete Rechtsanwalt nach § 126 Abs. 1 ZPO die Möglichkeit, die Kosten bei dem unterlegenen Gegner im eigenen Namen beizutreiben. Tut er dies, muss die unterlegene Partei, der gleichfalls ratenfreie Prozesskostenhilfe gewährt wird, diese Kosten zahlen. Daneben hat auch der obsiegende Prozessgegner, dem ratenfreie Prozesskostenhilfe gewährt worden ist, selbst das Recht, Kostenfestsetzung gegenüber der unterlegenen bedürftigen Partei zu beantragen und die Kosten beizutreiben (vgl. BGH NJW 2009, 2962). Auch hier spielt es für die Haftung der bedürftigen Partei für die Kosten des Prozessgegners überhaupt keine Rolle, ob die obsiegende Partei selbst bedürftig ist, ob die bedürftige Partei leistungsfähig ist und warum ihr Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Das Gesetz nimmt es ganz bewusst in Kauf, dass eine bedürftige Partei für Kosten des Gegners einzustehen hat, auch wenn sie nicht leistungsfähig ist und auch der Prozessgegner bedürftig war und ist.

Wenn der Gesetzgeber grundsätzlich auch dann, wenn beiden Parteien ratenfreie Prozesskostenhilfe gewährt worden ist, die unterlegene Partei nicht von der Verpflichtung befreien will, dem Gegner die entstandenen Prozesskosten zu erstatten, ist kein Grund ersichtlich, warum dies anderes zu beurteilen sein sollte, nur weil die Staatskasse eher zufällig in Anspruch genommen worden ist. Die Staatskasse macht keinen eigenen originären Anspruch nach § 59 RVG geltend, vielmehr handelt es sich um einen übergegangenen Anspruch des Rechtsanwalts des Gegners, den die Staatskasse gegenüber der unterlegenen Partei nach § 59 Abs. 1 RVG geltend macht. Wenn der Rechtsanwalt selbst diesen Anspruch gegenüber der unterlegenen Partei geltend machen kann, ist nicht ansatzweise ein Grund ersichtlich, warum die Staatskasse denselben Anspruch nicht geltend machen können sollte. Das Argument des OLG München, die Staatskasse verhalte sich widersprüchlich, verfängt nicht, weil das Verhalten der Staatskasse gerade nicht widersprüchlich ist, sich vielmehr am Willen des Gesetzgebers orientiert, dass die unterlegene bedürftige Partei diese Kosten tragen soll. Das Gesetz regelt in § 126 ZPO gerade, dass diese Partei bei Geltendmachung durch den Rechtsanwalt der obsiegenden Partei für die Kosten des Gegners aufzukommen hat. Hieran ändert sich nichts dadurch, dass der Rechtsanwalt diesen Anspruch nicht unmittelbar selbst geltend macht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 66 Abs. 8 GKG.






OLG Celle:
Beschluss v. 20.05.2014
Az: 2 W 106/14


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