Bundespatentgericht:
Urteil vom 9. August 2001
Aktenzeichen: 3 Ni 14/00

(BPatG: Urteil v. 09.08.2001, Az.: 3 Ni 14/00)

Tenor

Das Patent 34 48 365 wird für nichtig erklärt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 22.000,- DM vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 7. Juli 1984 angemeldeten Patents 34 48 365 (Streitpatent), das durch Teilung aus der Stamm-Patentanmeldung 34 25 161.8 entstanden ist. Das Streitpatent betrifft eine Einrichtung zum Kompensieren von Drehstößen und umfasst 5 Patentansprüche. Patentanspruch 1 lautet:

"Einrichtung zum Kompensieren von Drehstößen, insbesondere von Drehmomentschwankungen einer Brennkraftmaschine, mittels mindestens zweier, entgegen der Wirkung einer Dämpfungseinrichtung über eine Wälzlagerung zueinander verdrehbarer Schwungmassen, von denen die eine mit der Brennkraftmaschine und die andere mit dem Eingangsteil eines Getriebes verbindbar ist, die Dämpfungseinrichtung wenigstens aus in Umfangsrichtung wirksamen Kraftspeichern und einer Reibeinrichtung besteht, dadurch gekennzeichnet, dass die einen Reibring (37) sowie einen axial vorgespannten Kraftspeicher (35) enthaltende Reibeinrichtung (13a) axial zwischen den beiden Schwungmassen (3, 4), und zwar axial zwischen einem, mit der eine Reibungskupplung tragenden Schwungmasse (4) über einen Formschluß drehfesten, scheibenartigen Bauteil (30) einerseits und der mit der Brennkraftmaschine verbindbaren Schwungmasse (3) andererseits vorgesehen ist und dass das Lager (16) auf der die Reibungskupplung tragenden Schwungmasse (4) axial gesichert ist, indem es zwischen einer dieser Schwungmasse (4) angeformten Schulter (31) und dem scheibenartigen Bauteil (30) eingespannt ist".

Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 4 und 5 sowie der nebengeordneten Patentansprüche 2 und 3 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 3 sei nicht patentfähig, weil er gegenüber der ursprünglichen Offenbarung der Stammanmeldung 34 25 161.8 unzulässig erweitert sei. Darüber hinaus fehlten den Patentansprüchen 1 und 2 gegenüber der älteren Patentanmeldung 35 20 853 bzw dem Patentanspruch 2 gegenüber der britischen Patentschrift 1 452 956 die Neuheit. Im Vergleich zum Stand der Technik beruhe Patentanspruch 1 auch nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Zur Begründung beruft sich die Klägerin im wesentlichen auf folgende Druckschriften:

K 1 DE 34 48 365 C2, K 4 DE 34 25 161 A1, K 6 Prioritätsbeleg P 34 21 709.6, K 11 Liste der Dokumente:

D 1 DE 34 12 961 A1, D 2 FR 21 66 604, D 3 DE 35 20 853 A1, D 6A GB 14 52 956, D 6B Vergrößerung D 7A G. Niemann, Maschinenelemente Band I, Springer-Verlag 1981, S. 278, D 7B SKF General catalogue, June 1980, D 7C1 Rover, WORKSHOP MANUAL, Februar 1965, Fig. C-1, Fig. C-5, D 7C2 Rover, WORKSHOP MANUAL, Februar 1965, Fig. C-3, Fig. C-5 D 7D J.H. Haynes, Skoda 1000 & 1100, Owners Workshop Manual, J.H. Haynes and Company Limited 1977, Fig. 1.9, Fig. 16.3, Fig. 45.4, Fig. 49.4, D 8 DE 32 25 625 A1, D 9 JP 58 48 787, D 10 DE G 83 27 431.6 U1, K 15 DE 35 46 959 C2.

Die Klägerin beantragt, das Patent 34 48 365 für nichtig zu erklären.

Die Beklagte verteidigt das Streitpatent auf der Grundlage der gemäß Schriftsatz vom 17. August 2000 eingereichten neuen Patentansprüche 1 bis 3, die folgenden Wortlaut haben:

"1. Einrichtung zum Kompensieren von Drehstößen, insbesondere von Drehmomentschwankungen einer Brennkraftmaschine, mittels mindestens zweier, entgegen der Wirkung einer Dämpfungseinrichtung über eine Wälzlagerung in Form eines einreihigen Kugellagers zueinander verdrehbarer Schwungmassen, von denen die eine mit der Brennkraftmaschine und die andere mit dem Eingangsteil eines Getriebes verbindbar ist, die Dämpfungseinrichtung wenigstens aus in Umfangsrichtung wirksamen Kraftspeichern und einer Reibeinrichtung besteht, dadurch gekennzeichnet, dass die einen Reibring (37) sowie einen axial vorgespannten Kraftspeicher (35) enthaltende Reibeinrichtung (13a) axial zwischen den beiden Schwungmassen (3, 4), und zwar axial zwischen einem, mit der eine Reibungskupplung tragenden Schwungmasse (4) über einen Formschluß drehfesten, scheibenartigen Bauteil (30) einerseits und der mit der Brennkraftmaschine verbindbaren Schwungmasse (3) andererseits vorgesehen ist und dass das Lager (16) auf der die Reibungskupplung tragenden Schwungmasse (4) axial gesichert ist, indem es zwischen einer dieser Schwungmasse (4) angeformten Schulter (31) und dem scheibenartigen Bauteil (30) eingespannt ist.

2. Einrichtung zum Kompensieren von Drehstößen, insbesondere von Drehmomentschwankungen einer Brennkraftmaschine, mittels mindestens zweier, entgegen der Wirkung einer Dämpfungseinrichtung über eine Wälzlagerung in Form eines einreihigen Kugellagers zueinander verdrehbarer Schwungmassen, von denen die eine mit der Brennkraftmaschine und die andere mit dem Eingangsteil eines Getriebes verbindbar ist, die Dämpfungseinrichtung wenigstens aus in Umfangsrichtung wirksamen Kraftspeichern und einer Reibeinrichtung besteht, dadurch gekennzeichnet, dass das Lager (16) auf der die Reibungskupplung tragenden Schwungmasse (4) axial gesichert ist, indem es zwischen einer dieser Schwungmasse angeformten Schulter (31) einerseits und einem scheibenartigen, innerhalb der Kraftspeicher (34) über einen Formschluß (29) drehfest an dieser Schwungmasse befestigten Bauteil (30) andererseits eingespannt ist.

3. Einrichtung zum Kompensieren von Drehstößen, insbesondere von Drehmomentschwankungen einer Brennkraftmaschine, mittels mindestens zweier, entgegen der Wirkung einer Dämpfungseinrichtung über eine Wälzlagerung in Form eines einreihigen Kugellagers zueinander verdrehbarer Schwungmassen, von denen die eine mit der Brennkraftmaschine und die andere mit dem Eingangsteil eines Getriebes verbindbar ist, die Dämpfungseinrichtung wenigstens aus in Umfangsrichtung wirksamen Kraftspeichern und einer Reibeinrichtung besteht, dadurch gekennzeichnet, dass die einen Reibring (37) sowie einen axial vorgespannten Kraftspeicher (35) enthaltende Reibeinrichtung (13a) axial zwischen den beiden Schwungmassen (3, 4), und zwar axial zwischen einem radial innerhalb der Kraftspeicher (33, 34) über Formschluß mit der eine Reibungskupplung tragenden Schwungmasse (4) drehfest verbundenen scheibenartigen Bauteil (30) einerseits und der mit der Brennkraftmaschine verbindbaren Schwungmasse (3) andererseits vorgesehen ist."

Die Unteransprüche 4 und 5 bleiben unverändert.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpatent im verteidigten Umfang richtet.

Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält das Streitpatent in der verteidigten Fassung für patentfähig.

Hilfsweise beantragt die Beklagte, dem Streitpatent die Fassung eines der Hilfsanträge 1 bis 3 zugrunde zu legen.

Nach Hilfsantrag 1 erhalten die Patentansprüche 1 bis 3 jeweils folgenden Zusatz:

" ...., und dass ein die von der Reibungskupplungsseite einwirkende Hitze abstrahlendes Seitenblech vorgesehen ist."

Die Patentansprüche 4 und 5 beziehen sich auf die insoweit hilfsweise verteidigten Patentansprüche 1 bis 3.

Nach Hilfsantrag 2 wird den Patensprüchen 1 bis 3 jeweils folgender Zusatz angefügt:

" ....., und dass das Lager durch einen gleichzeitig zur thermischen Isolierung dienenden Isolierungs-Dichtring abgedichtet ist."

Die Patentansprüche 4 und 5 beziehen sich auf die insoweit hilfsweise verteidigten Patentansprüche 1 bis 3.

Gemäß Hilfsantrag 3 lautet der Zusatz jeweils für die Patentansprüche 1 und 2:

" ....., wobei die Einspannung unter Zwischenlage von den Wärmefluß zum Lager vermindernden Isolierungen erfolgt."

Patentanspruch 3 erhält folgenden Zusatz:

"...., und dass zwischen dem Lager und dieser anderen Schwungmasse eine Wärmeisolierung vorgesehen ist."

Die Patentansprüche 4 und 5 beziehen sich auf die insoweit hilfsweise verteidigten Patentansprüche 1 bis 3.

Nach Auffassung der Klägerin kann keine der hilfsweise verteidigten Fassungen des Streitpatents den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung nach §§ 22 Abs 1, 21 Abs 1 Nr 4, 2. Alt. PatG ausräumen.

Gründe

I.

Die zulässige Klage erweist sich als begründet.

Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung gegenüber den ursprünglichen Unterlagen der Stamm-Patentanmeldung führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents auch im verteidigten Umfang, §§ 22 Abs 1, 21 Abs 1 Nr 4, 2. Alt. PatG.

Ob dem Streitpatent darüber hinaus auch der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit nach §§ 22 Abs 1, 21 Abs 1 Nr 1 PatG entgegensteht, kann bei dieser Sachlage offen bleiben.

1) Das Streitpatent betrifft eine Einrichtung zum Kompensieren von Drehstößen, insbesondere von Drehmomentschwankungen einer Brennkraftmaschine mittels zweier Schwungmassen, die entgegen der Wirkung einer Dämpfungseinrichtung über eine Wälzlagerung zueinander verdrehbar sind. Die eine Schwungmasse ist mit der Brennkraftmaschine, die andere mit dem Eingangsteil eines Getriebes verbindbar. Die Dämpfungseinrichtung besteht wenigstens aus in Umfangsrichtung wirksamen Kraftspeichern und einer Reibeinrichtung.

Eine derartige Einrichtung ist aus der deutschen Offenlegungsschrift 34 12 961 bekannt (s StrPS Sp 1 Z 14 bis 26) und beschreibt ein geteiltes Schwungrad für Brennkraftmaschinen mit einer Torsionsdämpfungseinrichtung. Nachteile ergeben sich jedoch aus der unterschiedlichen Wärmebelastung und den eingeschränkten Wärmeabstrahlmöglichkeiten der unterschiedlichen Bauteile einerseits und aus einer geringen Standzeit des Wälzlagers, die durch eine atypische Belastung wie zB hochfrequente Schwingungen hervorgerufen sein kann.

2) Demgemäß ist es Aufgabe des Streitpatents (s StrPS Sp 1 Z 27 bis 34), eine Einrichtung zum Kompensieren von Drehstößen zu schaffen, die die vorgenannten Nachteile beseitigt und die gegenüber den bisher vorgeschlagenen Einrichtungen der eingangs genannten Art eine verbesserte Funktion und eine erhöhte Lebensdauer aufweist und die weiterhin in besonders einfacher und wirtschaftlicher Weise herstellbar ist.

3) Zur Lösung beschreibt Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassungeine Einrichtung zum Kompensieren von Drehstößen, insbesondere von Drehmomentschwankungen einer Brennkraftmaschine, 1. mittels mindestens zweier Schwungmassen, 1.1. die entgegen der Wirkung einer Dämpfungseinrichtung 1.2. über eine Wälzlagerung in Form eines einreihigen Kugellagers zueinander verdrehbar sind, 1.3. von denen die eine mit der Brennkraftmaschine 1.4. und die andere mit dem Eingangsteil eines Getriebes verbindbar sind.

2. Die Dämpfungseinrichtung besteht aus wenigstens 2.1. in Umfangsrichtung wirksamen Kraftspeichern und 2.2. einer Reibeinrichtung, 3. wobei die Reibeinrichtung, 3.1. die einen Reibring sowie 3.2. einen axial vorgespannten Kraftspeicher enthält, 3.3. axial zwischen den beiden Schwungmassen vorgesehen ist, 3.3.1. und zwar axial zwischen einem scheibenartigen Bauteil einerseits, 3.3.2. das über einen Formschluß drehfest an dieser eine Reibungskupplung tragenden Schwungmasse befestigt ist, 3.3.3. und der mit der Brennkraftmaschine verbindbaren Schwungmasse andererseits, 4. wobei das Lager auf der die Reibungskupplung tragenden Schwungmasse axial gesichert ist, 4.1. indem es zwischen einer dieser Schwungmasse angeformten Schulter einerseits 4.2. und dem scheibenartigen Bauteil andererseits eingespannt ist.

Patentanspruch 2 enthält folgende Merkmale:

eine Einrichtung zum Kompensieren von Drehstößen, insbesondere von Drehmomentschwankungen einer Brennkraftmaschine, 1. mittels mindestens zweier Schwungmassen, 1.1. die entgegen der Wirkung einer Dämpfungseinrichtung 1.2. über eine Wälzlagerung in Form eines einreihigen Kugellagers zueinander verdrehbar sind, 1.3. von denen die eine mit der Brennkraftmaschine 1.4. und die andere mit dem Eingangsteil eines Getriebes verbindbar sind.

2. Die Dämpfungseinrichtung besteht aus wenigstens 2.1. in Umfangsrichtung wirksamen Kraftspeichern 2.2. und einer Reibeinrichtung.

3. Das Lager ist auf der die Reibungskupplung tragenden Schwungmasse axial gesichert, 3.1. indem es zwischen einer dieser Schwungmasse angeformten Schulter einerseits 3.2. und einem scheibenartigen Bauteil andererseits eingespannt ist, 3.2.1. das innerhalb der Kraftspeicher über einen Formschluß drehfest an dieser Schwungmasse befestigt ist.

Patentanspruch 3 gliedert sich in folgende Merkmale:

eine Einrichtung zum Kompensieren von Drehstößen, insbesondere von Drehmomentschwankungen einer Brennkraftmaschine, 1. mittels mindestens zweier Schwungmassen, 1.1. die entgegen der Wirkung einer Dämpfungseinrichtung 1.2. über eine Wälzlagerung in Form eines einreihigen Kugellagers zueinander verdrehbar sind, 1.3. von denen die eine mit der Brennkraftmaschine 1.4. und die andere mit dem Eingangsteil eines Getriebes verbindbar sind.

2. Die Dämpfungseinrichtung besteht aus wenigstens 2.1. in Umfangsrichtung wirksamen Kraftspeichern 2.2. und einer Reibeinrichtung, 3. wobei die Reibeinrichtung, 3.1. die einen Reibring 3.2. sowie einen axial vorgespannten Kraftspeicher enthält, 3.3. axial zwischen den beiden Schwungmassen vorgesehen ist, 3.3.1. und zwar axial zwischen einem scheibenartigen Bauteil einerseits, 3.3.2. das radial innerhalb der Kraftspeicher über einen Formschluß drehfest mit der eine Reibungskupplung tragenden Schwungmasse verbunden ist, 3.3.3. und der mit der Brennkraftmaschine verbindbaren Schwungmasse andererseits.

II.

1. Die Beklagte hat das Streitpatent, das durch Teilung aus der Stammanmeldung P 34 25 161.8 entstanden ist, gemäß Hauptantrag mit geänderten Patentansprüchen 1, 2 und 3 verteidigt. Auch wenn das dabei hinzugekommene Merkmal "in Form eines einreihigen Kugellagers" den Schutzumfang der erteilten Ansprüche 1, 2 und 3 nicht erweitert und dieses Merkmal auch in der Streitpatentschrift wie auch in den ursprünglichen Unterlagen offenbart ist, sind der Patentanspruch 1 und die nebengeordneten Patentansprüche 2 und 3 gemäß Hauptantrag und auch schon gemäß der Patentschrift gegenüber den ursprünglichen Unterlagen der Stammanmeldung unzulässig abgeändert worden. Denn der Fachmann - ein Fachhochschulingenieur des Allgemeinen Maschinenbaus mit speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Feder- und Dämpfungseinrichtungen und ihrer Anwendungen in der Kraftfahrzeugtechnik - konnte dem Gesamtinhalt der ursprünglichen Unterlagen der Stammanmeldung die Lehre, wie sie jeweils durch die Patentansprüche 1, 2 oder 3 gemäß Hauptantrag bzw. Streitpatentschrift vermittelt wird, nicht entnehmen. Die Patentansprüche 1, 2 und 3 gemäß Hauptantrag umschreiben nach Überzeugung des Senates andere Gegenstände.

Die gemäß Hauptantrag verteidigten wie auch die erteilten Patentansprüche 2 und 3 sind auf die Einspannung des Lagers (vgl. Anspruch 2 Merkmale 3. bis 3.2.1.) bzw. auf die die Gestaltung und Anordnung der die Reibeinrichtung 13a betreffenden Elemente (vgl. Anspruch 3 Merkmale 3. bis 3.3.3.) gerichtet, und der Patentanspruch 1 umfaßt in seiner erteilten und verteidigten Fassung beide Ausbildungen gleichermaßen (vgl. Anspruch 1 Merkmale 3. bis 3.3.3. und 4. bis 4.2.). Für die Frage, inwieweit die Stammanmeldung diese Gegenstände ohne die wärmeflußmindernde Vorkehrung offenbart, kommt es darauf an, was der Durchschnittsfachmann den gesamten ursprünglichen Unterlagen (Beschreibung, Zeichnungen und Ansprüche) als zur angemeldeten Erfindung gehörig entnehmen kann. Die Ermittlung des Offenbarungsinhaltes hat also mit den Augen des Fachmannes und dahingehend zu erfolgen, welche technischen Erkenntnisse ihm durch die Anmeldungsunterlagen objektiv und ohne weiteres vermittelt werden, sich ihm also offenbaren, wobei er sich nicht allein an der wörtlichen Offenbarung, sondern auch an dem mit der angemeldeten Erfindung im Hinblick auf die Nachteile des Standes der Technik verfolgten Ziel unter Berücksichtigung des Zwecks der Erfindung und der Funktion der einzelnen Elemente orientiert (BGH, GRUR 1983, 169 - Abdeckprofil, BGH, PMZ 1990, 366 - Crackkatalysator, BGH, Mitt. 1996, 204 - unzulässige Erweiterung).

Nach diesen Grundsätzen sind die Gegenstände nach den erteilten und den gemäß Hauptantrag verteidigten Patentansprüchen 1, 2 und 3 neben der wärmeflußmindernden Vorkehrung nicht als eigenständige oder alternative Lösungen erkennbar, denn diese weiteren Gegenstände wurden gegenüber dem wärmeflußmindernden Aspekt nicht differenziert beschrieben, noch gibt es dafür geeignete Hinweise in den ursprünglichen Unterlagen. Aufgrund des Offenbarungsinhaltes der Stammanmeldung stellt sich die wärmeflußmindernde Maßnahme dem Fachmann als zur angemeldeten Erfindung gehörig und als alleiniger Lösungsgedanke der Stammanmeldung dar.

Das der Stammanmeldung zugrundeliegende konkrete technische Problem ergibt sich für den Fachmann aus den Ausführungen auf Seite 11 Absatz 3 und Seite 19 Absatz 4 der ursprünglichen Unterlagen der Stammanmeldung, wonach mit dem Erfindungsgegenstand die thermische Überbelastung des Lagers und die dadurch bedingten Lagerschäden verringert werden sollen und als Ursache für die zu hohe thermische Belastung des Lagers die während der Betätigung der Kupplung freiwerdende und auf das Lager einwirkende Wärmemenge benannt wird. Zur Reduzierung der hohen Lagererwärmung wird in der Beschreibung wie auch im dortigen Patentanspruch 1 vorgeschlagen, eine den Wärmefluß von der Reibfläche der Kupplung zur Lagerung zumindest vermindernde Vorkehrung vorzusehen, und die nachfolgenden Ausführungen der Stammanmeldung (S 12 bis 17) oder die ursprünglichen Unteransprüche 2 bis 38 betreffen ausschließlich Ausgestaltungsmöglichkeiten dieses auf dem Prinzip der Wärmeflußminderung beruhenden Lösungsgedankens. Andere Gesichtspunkte, wie sie den Gegenständen des Streitpatentes zugrundeliegen, sind den ursprünglichen Unterlagen der Stammanmeldung nicht zu entnehmen, und auch die in der Streitpatentschrift beschriebenen Wirkungen, die mit den Gegenständen nach den erteilten Ansprüchen 1, 2 oder 3 erreicht werden sollen, finden in den ursprünglichen Unterlagen keine Stütze. Somit fehlt es in der Stammanmeldung bereits an detaillierten Angaben, die neben dem wärmeflußtechnischen Aspekt die andersgelagerten Problembereiche der Gegenstände des Streitpatentes deutlich zu erkennen geben.

Zielvorstellungen, die in Richtung auf die Gegenstände nach den erteilten Patentansprüchen bzw. verteidigten Patentansprüchen 1, 2 oder 3 weisen, kann der Fachmann auch nicht gewinnen, wenn im weiteren mit berücksichtigt wird, daß die Lagerung einen der kritischen Punkte bilden soll (vgl. S 11 Abs. 1), und die Aufgabe ganz allgemein darauf gerichtet ist, die Funktion und Lebensdauer der Drehmomentübertragungseinrichtung zu verbessern. Diese allgemeinen Angaben müssen im Gesamtzusammenhang gesehen und bewertet werden und sind in diesem Fall ungeeignet, auf eine mehrteilige Problematik und damit auf Lösungen hinzuweisen, die mit der Wärmeflußminderung nichts zu tun haben und die Lagereinspannung oder die Ausbildung der Dämpfungseinrichtung 13a betreffen. Die nicht zufriedenstellende Funktion oder Lebensdauer der Drehmomentübertragungseinrichtung versteht der Fachmann aufgrund der ursächlichen und lösungsmäßigen Zusammenhänge (vgl. Anspruch 1, S 11 Abs 3) im Sinne wärmeleitungsmäßiger Beeinträchtigungen des Lagers, und anderweitige Zielsetzungen wie die Verbesserung der Lagerfixierung oder der Dämpfungseinrichtung sind daraus nicht herleitbar. Diese Einschätzung wird auch durch die einzubeziehenden Aussagen auf S 10 Abs 2 der ursprünglichen Unterlagen gestützt. Dort wird als Ausgangspunkt und zu verbessernde Ausführung eine Drehmomentübertragungseinrichtung angesprochen, bei der die Lagerung unmittelbar zwischen den beiden Schwungmassen vorgesehen ist und mit der bis auf eine zu kurze Standzeit des Lagers bereits eine sehr gute Dämpfung erzielt wurde. Hierdurch kommt, wie auch aus dem ursprünglichen Patentanspruch 1 hervorgeht, den dämpfungstechnischen Ausbildungen und somit der Reibeinrichtung 13a und deren Anordnung eine vergleichsweise untergeordnete Bedeutung zu, und in Verbindung mit der unmittelbaren Lageranordnung zwischen den Schwungmassen wird eine in sich schlüssige Weiterentwicklung aufgezeigt, bei der der direkte Kontakt von Schwungmasse und Lager für die genannten thermischen, durch Wärmeleitung bedingten Lagerprobleme vorausgesetzt wird und im konkreten Ausführungsbeispiel Isolationsringe zur Wärmeabschirmung zwischengeschaltet werden. Angesichts dieses sich durch die Stammanmeldung ziehenden Lösungsgedankens und der isolierenden Zwischenringausbildung ergeben sich für den Fachmann keine Anhaltspunkte, die Lagerung losgelöst vom wärmeflußtechnischen Aspekt zu sehen und hinsichtlich ihrer Einspannung und dabei unter Beibehaltung der unmittelbaren Anordnung des Lagers zwischen den Schwungmassen in der im Streitpatent angegebenen Weise zu verbessern.

Entscheidende Hinweise für die Offenbarung der Gegenstände des Streitpatentes erhält der Fachmann auch nicht durch die in Fig 1 dargestellte Konstruktion und deren Beschreibung. Auch wenn dort die Drehmomentübertragungseinrichtung detailliert beschrieben und dargestellt wird, treten die Reibeinrichtung 13a und die Lagereinspannung nicht als eigenständige Ausführungen hervor oder sind als solche für den Fachmann erkennbar. Mit den Ausführungsbeispielen, insbesondere bei Berücksichtigung der Ausführungen nach Fig 2 und 3 konzentriert sich die angemeldete Erfindung ersichtlich auf die Ausbildung der Isolationsringe, und auch die Angabe, daß die Fig 1 eine Drehmomentübertragungseinrichtung gemäß der Erfindung zeigt (vgl. S 18 Z 5 und 6), vermag nicht, wie die Beklagte meint, auf darüber hinausgehende Gegenstände wie die Ausbildung der Reibeinrichtung 13a oder die Lagereinspannung hinzuweisen. Abgesehen davon, daß diese Anmerkung für sich ausschließlich eine gesamtheitliche Aussage machen kann, ist sie im Zusammenhang mit den Angaben zu den Fig 2 und 3 letztlich nur im engeren, die Isolationsringe umfassenden Sinne zu verstehen, da die in den Figuren 2 und 3 dargestellten Ringanordnungen ebenfalls als erfindungsgemäß bezeichnet werden. Die die Reibeinrichtung 13a bzw. die Lagereinspannung betreffenden Angaben zeigen lediglich die weiteren konstruktiven Zusammenhänge mit den Isolationsringen auf und haben erläuternden bzw zum Verständnis des Erfindungsgegenstandes beitragenden Charakter oder werden als mögliche Ausgestaltungen der wärmeisolierenden Ringausbildung aufgefaßt. Darüber hinaus ist die die Fig 1 betreffende Konstruktion auch deswegen als Offenbarungsgrundlage unzureichend, weil die Lagereinspannung nur mit den wärmeisolierenden Ringen beschrieben (vgl. S 21 Abs 1) und konstruktiv ausgeführt wird und sich nicht in einer davon loslösbaren Weise darstellt. Denn es ist nicht ersichtlich und auch nicht zwingend, daß das Lager auch ohne zwischengeschalteten Ringe axial verspannt sein soll. Aus diesem Grund und auch im übrigen erhält der Fachmann aus der Konstruktion keine gezielten Hinweise, die axiale Einspannung unter dem Gesichtspunkt einer verbesserten Axialsicherung des Lagers zu sehen und im weiteren der axialen Einspannung eine erfindungswesentliche Bedeutung in Bezug auf die axiale Lagerabstützung und die wechselnde Lagerbelastung bei Betätigung der Kupplung beizumessen.

Auch bei zusammengefaßter Wertung der zuvor abgehandelten Angaben und Aussagen ist den ursprünglichen Unterlagen der Stammanmeldung weder die Reibeinrichtung 13a noch die Lagereinspannung in einer vom wärmeflußmindernden Aspekt losgelösten Form als offenbart zu entnehmen. Die dazu gegensätzlichen Ausführungen der Beklagten, die sich vorwiegend auf die vorausgehend erörterten Einzelaussagen und auf die fachmännische Beurteilung der Konstruktion gemäß Fig 1 stützen, konnten den Senat deshalb nicht überzeugen. Bei sinngemäßer Auslegung des ursprünglich Offenbarten bildet die wärmeflußmindernde Maßnahme bzw. die Ausbildung der Isolationsringe ein grundlegendes und bestimmendes Element der angemeldeten Erfindung und ist somit unentbehrlich. Die Patentansprüche 1, 2 und 3 gemäß Hauptantrag, denen die Reibeinrichtung 13a und die Lagereinspannung jeweils allein oder kombiniert zugrundeliegen, umschreiben durch das Weglassen des erfindungswesentlichen Merkmals jeweils andere Gegenstände und sind deshalb nicht bestandsfähig. Damit fallen auch die Patentansprüche 4 und 5.

2. Das Streitpatent ist auch mit den Ansprüchen 1, 2 und 3 gemäß den jeweiligen Hilfsanträgen 1 bis 3 nicht bestandsfähig, da mit diesen Ansprüchen der Schutzbereich des Patentes unzulässig erweitert wird (vgl. § 22 PatG). Die Patentansprüche 1, 2 und 3 gemäß den jeweiligen Hilfsanträgen 1 bis 3 weisen gegenüber den erteilten Patentansprüchen jeweils unterschiedliche Ergänzungen auf, die jedoch in den erteilten Patentansprüchen nicht enthalten sind.

Das bei den Patentansprüchen 1, 2 und 3 gemäß Hilfsantrag 1 hinzugekommene Merkmal ist auf ein Seitenblech gerichtet, das die von der Reibungskupplungsseite einwirkende Hitze abstrahlt. Abgesehen davon, daß dieses Merkmal ursprünglich nicht offenbart ist, wird damit kein Merkmal der erteilten Ansprüche näher gestaltet. Vielmehr ergibt sich mit der Anordnung des Seitenbleches und dessen Abstrahlungswirkung eine zusätzliche Ausbildung, die von der Lehre gemäß den erteilten Ansprüchen nicht umfaßt wird und die deshalb zu einer unzulässigen Schutzbereichserweiterung führt.

Ebenso ist bei den Patentansprüchen 1, 2 und 3 gemäß den Hilfsanträgen 2 und 3 eine Schutzbereichserweiterung gegenüber den erteilten Ansprüchen festzustellen. Die hinzugekommenen Merkmale betreffen, soweit es um den Hilfsantrag 2 geht, eine Ausbildung, bei der das Lager durch einen gleichzeitig zur thermischen Isolierung dienenden Isolierungs-Dichtring abgedichtet ist, und sehen im Fall des Hilfsantrags 3 die Einspannung vor, die unter Zwischenlage von den Wärmefluß zum Lager vermindernden Isolierringen erfolgen soll. Mit der zusätzlichen Anordnung von Isolierringen bzw. Isolierungsdichtringen werden in den Ansprüchen 1, 2 und 3 gemäß den Hilfsanträgen 2 und 3 wärmeabschirmende Maßnahmen angegeben, die nicht zu den Gegenständen der erteilten Patentansprüche gehören. Sie finden in den erteilten Patentansprüchen, die mit ihren Merkmalen ausschließlich die axiale Einspannung des Lagers und die Anordnung der Reibeinrichtung 13a zum Gegenstand haben, keine Stütze und stellen damit ein aliud zu dem Gegenstand des Streitpatents in seiner erteilten Fassung dar. Bei dieser Sachlage kann es dahinstehen, ob die hier aufgenommenen Merkmale in den ursprünglichen Unterlagen der Stammanmeldung offenbart sind. Die jeweiligen Patentansprüche 4 und 5 teilen dieses Schicksal.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht auf Grund von § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.

Hellebrand Schmidt-Kolb Sperling Sredl Dr. Huber Ko






BPatG:
Urteil v. 09.08.2001
Az: 3 Ni 14/00


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