Anwaltsgerichtshof Celle:
Urteil vom 19. Oktober 2015
Aktenzeichen: AGH 10/15 (I 13)

(AGH Celle: Urteil v. 19.10.2015, Az.: AGH 10/15 (I 13))

Tenor

Die Berufung der Rechtsanwältin gegen das Urteil des Anwaltsgerichts C. vom 20. April 2015 wird mit der Maßgabe verworfen, dass gegen die Rechtsanwältin eine Geldbuße in Höhe von 2.000 € verhängt wird.

Die Rechtsanwältin trägt die Kosten der Berufung.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Angewendete Vorschriften:

§§ 113 Abs. 1, 43, 43a Abs. 3, 197 Abs. 2 S. 1 BRAO.

Gründe

I.

Das Anwaltsgericht C. hat mit seinem Urteil vom 20.4.2015 für Recht erkannt, dass die Rechtsanwältin schuldig ist, gegen die Verpflichtung, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und sich innerhalb und außerhalb des Berufes der Achtung und des Vertrauens welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen, zuwider gehandelt und dadurch ihre Pflichten als Rechtsanwältin verletzt zu haben, indem sie bewusst Unwahrheiten der Rechtsanwaltskammer gegenüber mitgeteilt hat.

Das Gericht hat gegen die Rechtsanwältin einen Verweis ausgesprochen und eine Geldbuße in Höhe von 3.000 € verhängt sowie der Rechtsanwältin die Kosten des Verfahrens und ihre notwendigen Auslagen auferlegt.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Rechtsanwältin. Sie begehrt einen Freispruch. Inhaltlich greift die Rechtsanwältin die Beweiswürdigung des Anwaltsgerichts an, vertritt die Auffassung, dass ein €Verbreiten€ nicht vorläge, und hält im Übrigen die Verhängung einer Geldbuße für unverhältnismäßig.

Die Berufung der Rechtsanwältin hat teilweise Erfolg.

II.

Zu den persönlichen Verhältnissen der Rechtsanwältin hat die Hauptverhandlung folgendes ergeben:

Die Rechtsanwältin hat ihre erste juristische Staatsprüfung am €1993 und die zweite juristische Staatsprüfung am ...1996 abgelegt. Sie ist geschieden und alleinerziehende Mutter zweier Kinder im Alter von .. und .. Jahren.

Die Rechtsanwältin erzielt einen jährlichen Umsatz zwischen 100.000 € und 200.000 €; in den Jahren 2013 und 2014 hat sie steuerlich einen Verlust erzielt. Daneben ist sie Gesellschafterin einer Verlagsgesellschaft. Sie betreibt seit 2013 Reitsport gewerbsmäßig. Aus diesem Gewerbe erzielt sie keinen Gewinn. Sie verwendet ihre Einnahmen aus der Rechtsanwaltstätigkeit zum Ausgleich der Verluste.

Die Rechtsanwältin ist Fachanwältin für das Handels- und Gesellschaftsrecht. Ihre Klage gegen den Widerruf der Zulassung als Fachanwältin für gewerblichen Rechtsschutz hat die Rechtsanwältin zurückgenommen.

Straf- und berufsrechtlich ist die Rechtsanwältin bislang nicht in Erscheinung getreten.

III.

Die Rechtsanwältin hat bewusst gegenüber der Rechtsanwaltskammer C. in der nachfolgend genannten Kommunikation behauptet, am 15.3.2013 im H.Hotel in M. an einem Seminar der D.A.A. zum Thema €Kennzeichenrecht - Marken - Firmen - Titel - Domains€ teilgenommen zu haben, konkret im Schreiben vom 22.4.2014 sowie in den Mails vom 14.2.2014 und 24.2.2014. Tatsächlich hat die Rechtsanwältin an dem Seminar, das sie als Fortbildungsnachweis zur Führung der Fachanwaltsbezeichnung für den gewerblichen Rechtsschutz benötigte, nicht teilgenommen.

IV.

Diese Feststellungen beruhen zum Teil auf der Einlassung der Rechtsanwältin, im Übrigen auf der durchgeführten Beweisaufnahme.

Die Rechtsanwältin hat eingeräumt, in dem Schreiben vom 22.4.2014 und den Mails vom 14. und 24.2.2014 behauptet zu haben, am 15.3.2013 im H.Hotel in M. an einem Seminar der D.A.A. zum Thema €Kennzeichenrecht - Marken - Firmen - Titel - Domains€ teilgenommen zu haben. Darüber hinaus räumt sie ein, das Seminar gegenüber der Rechtsanwaltskammer C. für ihre Fachanwaltszulassung im Fachgebiet €Gewerblicher Rechtsschutz€ erwähnt zu haben.

Tatsächlich hat die Rechtsanwältin das Seminar nicht besucht. Beweise für die Tatsache, dass die Rechtsanwältin nicht vor Ort war, liegen nicht vor. Aufgrund der nachfolgend genannten Indizien ist der Senat aber zu der Überzeugung gelangt, dass die Rechtsanwältin nicht am Seminar teilgenommen hat:

Der Zeuge S., der als Seminarleiter für den Veranstalter vor Ort war, hat die Rechtsanwältin auch in der persönlichen Gegenüberstellung in der mündlichen Verhandlung nicht als Teilnehmerin identifizieren können.

Der Veranstalter D.A.A. hat eine Teilnahmebestätigung nicht erteilt und stattdessen mit Schreiben vom 3.7.2014 mitgeteilt, dass die Rechtsanwältin nach den dortigen Unterlagen sich am 2.3.2013 zum Seminar angemeldet, es aber nicht besucht hat.

Ein namentlicher Eintrag in der Teilnehmerliste war vom Veranstalter nicht festzustellen; die Rechtsanwältin bestätigte, sich nicht eingetragen zu haben. Der fehlende Eintrag spricht gegen einen tatsächlichen Besuch des Seminars. Der Zeuge S. hat angegeben, dass er sowohl am Vormittag, als auch am Nachmittag die Anwesenheitslisten im Teilnehmerkreis hat herumgehen lassen. Der Umlauf erfolgte dabei stets um die Kaffeepause herum zur Mitte des Vormittags- und Nachmittagsblocks. Dabei konnte der Zeuge sich zwar an die konkrete Veranstaltung nicht erinnern. Er hat aber glaubhaft und nachvollziehbar angegeben, häufiger als Seminarleiter tätig zu sein und stets so vorzugehen. Die Einlassung der Rechtsanwältin dazu ist hingegen nicht nachvollziehbar. Auf der einen Seite hat sie zu erkennen gegeben, dass sie generell, aber gerade zu dem konkreten Thema in M. kein gesteigertes Interesse an den Inhalten der Veranstaltung hatte, sondern allein wegen des Fortbildungsnachweises anwesend gewesen sei. Sie hat dazu erklärt, dass sie zu dem konkreten Thema selbst Fortbildungen gebe und deshalb keinen Erkenntnisgewinn erwartet hätte. Auf der anderen Seite hat sie sich sodann aber nicht um den Eintrag in die Anwesenheitsliste bemüht, obwohl sie als damals €zweifache€ Fachanwältin nicht zum ersten Mal ein solches Seminar besuchte und um die Bedeutung des Eintrags in der Anwesenheitsliste wusste.

Ihre persönliche Situation, die nach ihrer Schilderung durchaus auch aus Sicht des Senats eine erhebliche Stressbelastung beinhaltete, begründet ein Unterlassen der Eintragung nicht. Der Senat wertet ihre diesbezügliche Einlassung als bloße Schutzbehauptung, denn gerade wenn in Anbetracht einer großen persönlichen familiären Belastung auch noch der Weg von H. nach M. zu einem Fachanwaltsseminar gefunden wird, ist es nicht nachvollziehbar, dass sodann der eigentliche Zweck, nämlich der Erwerb der Teilnahmebescheinigung über die Eintragung in die Anwesenheitslisten nicht verfolgt wird. Eine konkrete Erinnerung daran, wie die Anwesenheitslisten zweimal an dem Tag die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erreichen konnten, ohne von der Rechtsanwältin wahrgenommen worden zu sein, hatte sie nicht. Der Zeuge S. hat angegeben, dass es im Hinblick auf diese Veranstaltung keine weiteren Teilnehmer gab, die einen Eintrag versäumt hatten.

Als weiteres Indiz für die Nichtteilnahme wird das Unterlassen des Abholens der Teilnahmebescheinigung gewertet. Nach eigenem Bekunden hat die Rechtsanwältin die Veranstaltung 15 Minuten vor deren Ende verlassen. Als konkrete Begründung gab sie an, dass sie einfach genug von der Veranstaltung hatte. Spätestens hier hätte die Rechtsanwältin, da sie mit dem alleinigen Ziel des Erlangens des Fortbildungsnachweises nach § 15 FAO angereist war, eine erhöhte Sorgfalt an den Tag legen und nach der Bescheinigung fragen müssen. Ihr muss zum Zeitpunkt des Verlassens der Veranstaltung bewusst gewesen sein, dass sie sich in keine Anwesenheitsliste eingetragen hatte. Deshalb kam es zur Dokumentation der Teilnahme maßgeblich auf die Nachfrage nach der Bescheinigung an. Der Zeuge S. erklärte, er hätte der Rechtsanwältin eine viertel Stunde vor Schluss die Teilnahmebescheinigung auf Nachfrage ausgehändigt.

Auch der Umstand, dass die Rechtsanwältin die Rechnung für das Seminar bis heute nicht beglichen hat, spricht indiziell gegen einen tatsächlichen Besuch desselben. Auf den ersten Blick erscheint es folgerichtig, im Fall der Weigerung der Übersendung der Teilnahmebescheinigung von einer Bezahlung des Seminars Abstand zu nehmen. Tatsächlich träfe aber die Rechtsanwältin eine Pflicht zur Zahlung der Vergütung für das Seminar, wenn sie daran teilgenommen hat. Sie hätte möglicherweise ein Zurückbehaltungsrecht wegen der Bescheinigung. Dazu müsste sie aber ihrerseits die zusätzlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Bescheinigung erfüllen, nämlich den Nachweis der Teilnahme führen.

Die weitere Einlassung der Rechtsanwältin zu den näheren Umständen des Besuchs in M. ist für die Frage einer Teilnahme an dem Seminar unergiebig. Die vorgelegte Tankquittung aus H. besagt nichts über einen Aufenthalt beim Seminar. Ebenso wenig ist ein Besuch bei nicht namentlich benannten Freunden in M. kein Anhaltspunkt für eine Teilnahme am Seminar; entsprechendes gilt für den Mandantenbesuch in F.

V.

Die Rechtsanwältin hat sich damit einer Berufspflichtverletzung, konkret eines Verstoßes gegen das Unsachlichkeitsverbot gem. §§ 113 Abs. 1, 43, 43a Abs. 3 BRAGO schuldig gemacht. Unsachlich handelt danach insbesondere, wer bei seiner Berufsausübung bewusst Unwahrheiten verbreitet. Bei der Behauptung, am 15.3.2013 an dem Seminar in M. teilgenommen zu haben, handelt es sich um eine Unwahrheit. Diese unwahre Tatsachenbehauptung hat die Rechtsanwältin auch verbreitet. Verbreiten bedeutet €mitteilen€, also sich gegenüber einem anderen äußern (Gaier/Wolf/Göken/Zuck, 2010, § 43a Rn. 72). Entgegen der Auffassung der Rechtsanwältin ist es nicht erforderlich, dass die Behauptung einem größeren Personenkreis übermittelt wird. Unabhängig davon greift die Argumentation der Rechtsanwältin zu kurz, wenn sie meint, ein Schreiben an die Rechtsanwaltskammer wäre nicht an einen größeren Personenkreis gerichtet, sondern beträfe vielmehr allein den dortigen Sachbearbeiter. Mit der Übermittlung an die Kammer liegt es nicht mehr in der Hand der Rechtsanwältin, wer von den dort tätigen Personen zuständigkeitshalber das Schriftstück zur Kenntnis nimmt.

Die Verbreitung der Unwahrheiten ist auch bei der Berufsausübung erfolgt. In der Literatur ist es durchaus nicht unumstritten, ob der Begriff der Berufsausübung weit auszulegen ist (vgl. zur Darstellung der Meinungen: Zuck a.a.O. Rn. 74). Jedenfalls trifft die Rechtsanwältin aber in der Korrespondenz mit der Rechtsanwaltskammer über eigene berufliche Angelegenheiten - hier die Pflicht zur korrekten Angabe der besuchten Seminare für die Fachanwaltszulassung - eine Wahrheitspflicht (Zuck a.a.O.; Feuerich/Böhnlein, § 43a Rn. 38.).

Die Rechtsanwältin handelte auch vorsätzlich. Sie wusste, dass sie nicht an dem Seminar teilgenommen hatte, und teilte die unwahre Tatsache der Teilnahme bewusst der Rechtsanwaltskammer mit. Auf ein absichtliches Handeln, das noch dazu auf eine - möglicherweise wegen des Fehlens der Bescheinigung von vorne herein untaugliche - Täuschung der Rechtsanwaltskammer gerichtet war, kommt es nicht an.

VI.

Bei der Zumessung der konkreten Folge hat der Senat allein die Verhängung einer Geldbuße § 114 Abs. 1 Nr. 3 BRAO als anmessen erachtet. Die Kombination aus Verweis und Geldbuße als letzte Vorstufe vor dem Ausspruch eines Vertretungsverbotes nach § 114 Abs. 1 Nr. 4 BRAO kam nicht in Betracht.

Dabei wurde zugunsten der Rechtsanwältin berücksichtigt, dass sie bislang straf- und berufsrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist. Außerdem wurde insoweit der freiwillige Verzicht auf die Fachanwaltsbezeichnung im gewerblichen Rechtsschutz mit der Klagrücknahme gegen den Widerrufsbescheid der Rechtsanwaltskammer bewertet.

Zulasten der Rechtsanwältin wurde berücksichtigt, dass es sich bei der Wahrheitspflicht gegenüber der Rechtsanwaltskammer um eine Kernpflicht der anwaltlichen Berufspflichten handelt.

Die Höhe der Geldbuße resultiert bei einem Rahmen von bis zu 25.000 € aus der Abwägung aller für und gegen die Rechtsanwältin sprechenden Umstände und unter besonderer Berücksichtigung ihrer finanziellen Verhältnisse. Dabei wurde der von ihr angegebene schwankende Umsatz aus der Rechtsanwaltstätigkeit zugrunde gelegt. Dass sie ihren daraus resultierenden Gewinn über den Reitsport aufzehrt, konnte hingegen nicht besonders berücksichtigt werden.

VII.

Die Kostenentscheidung ergeht gem. § 197 Abs. 2 S. 1 BRAO. Trotz des Teilerfolgs der Berufung ist von einer Kostenquote abgesehen worden, weil die Rechtsanwältin mit ihrer Berufung einen Freispruch begehrte und insoweit mit ihrer Berufung erfolglos bleibt.






AGH Celle:
Urteil v. 19.10.2015
Az: AGH 10/15 (I 13)


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