Hessischer Verwaltungsgerichtshof:
Beschluss vom 20. Dezember 1995
Aktenzeichen: 11 UE 3449/95

(Hessischer VGH: Beschluss v. 20.12.1995, Az.: 11 UE 3449/95)

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Klägerin ist begründet.

Die Beschwerde ist zulässig, da sie sich gegen die in dem im Tenor genannten Urteil des Verwaltungsgerichts enthaltene Feststellung richtet, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Klägerin für das Vorverfahren sei im Sinne des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht notwendig gewesen und deshalb Gebühren und Auslagen für das Vorverfahren nach dieser Vorschrift nicht erstattungsfähig. Die Beschwerde gegen das der Klägerin am 8. August 1992 zugestellte Urteil, die am 20. August 1992 bei dem Verwaltungsgericht eingegangen ist, war statthaft. Denn diese Feststellung in dem Urteil des Verwaltungsgerichts ist nicht Teil der Kostenentscheidung im Sinne von § 158 Abs. 1 VwGO nach dem die Anfechtung der Entscheidung über die Kosten unzulässig ist, wenn nicht gegen die Entscheidung in der Hauptsache ein Rechtsmittel eingelegt wird. Denn die gerichtliche Feststellung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO gehört nicht zur Kostenfolge im Sinne der Entscheidungen nach §§ 154 bis 161 VwGO, über die nach § 161 Abs. 1 VwGO im Urteil zu entscheiden ist. Sie betrifft vielmehr den Umfang der Kostenerstattungspflicht, über die systemgerecht im Kostenfestsetzungsverfahren zu entscheiden ist. Diese Entscheidung ist grundsätzlich durch Beschluß zu treffen, der durch Beschwerde angreifbar ist; sie kann aber auch im Urteil getroffen werden, ohne daß dies etwas an der Anordnung als Feststellung im Kostenfestsetzungsverfahren und des dagegen statthaften Rechtsmittels ändert (BVerwG, U. v. 18. Februar 1981 - 4 C 75.80 -, Buchholz 310, § 162 VwGO Nr. 15; Hess. VGH, B. v. 12. März 1985 - 4 TE 2645/84 -; B. v. 8. September 1995 - 14 TE 788/95 -).

An der Statthaftigkeit der Beschwerde änderte sich nichts dadurch, daß nach Anhängigwerden der Beschwerde die Beklagte - später mit Zustimmung der Klägerin - die zugelassene Sprungrevision an das Bundesverwaltungsgericht eingelegt hat und das Bundesverwaltungsgericht diese Revision mit Urteil vom 23. Mai 1995 - 1 C 32.92 - zurückgewiesen hat, wodurch das verwaltungsgerichtliche Urteil rechtskräftig wurde. Denn bei der Feststellung gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO handelt es sich in der Sache nicht um eine im Urteil zu treffende (Kosten-) Entscheidung, die der Rechtskraft des Urteils unterläge. Vielmehr handelt es sich um eine selbständig angreifbare Kostenfestsetzungsentscheidung. Die Beschwerde gegen diese Kostenfestsetzungsentscheidung bleibt deshalb auch nach Rechtskraft des Urteils im übrigen statthaft.

Der Senat kann über die Beschwerde entscheiden, auch wenn das Verwaltungsgericht keine ausdrückliche Entscheidung über die Abhilfe bzw. Nichtabhilfe gemäß § 148 Abs. 1, 1. Halbsatz VwGO getroffen hat. Das Verwaltungsgericht hat das Rechtsmittel, wie auch aus dem Schreiben, mit dem das Rechtsmittel und die Verfahrensakten dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurden, als "Berufung" qualifiziert, die von der Klägerin hilfsweise eingelegt worden ist. Mit dieser Vorlage bei dem beschließenden Gericht ist die Sache jedenfalls bei dem dafür zuständigen Senat anhängig geworden und deshalb von diesem über das Rechtsmittel, das aus den dargelegten Gründen als Beschwerde zu qualifizieren ist, zu entscheiden.

Die Beschwerde ist auch begründet, denn das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht festgestellt, die Zuziehung eines Bevollmächtigten durch die Klägerin für das Vorverfahren sei nicht notwendig gewesen. Notwendig ist die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren in der Regel dann, wenn die Zuziehung aus der Sicht eines verständigen Beteiligten für erforderlich gehalten werden durfte, um seine Rechte gegenüber dem öffentlichen Rechtsträger ausreichend zu wahren (Kopp, 10. Aufl., 1994, § 162 Rdnr. 18). Dies ist jedenfalls in schwierigen und umfangreichen Verfahren, zu deren angemessener Durchführung die Beiziehung fachlichen Spezialwissens als sachgerecht zu beurteilen ist, in der Regel zu bejahen. Diese Voraussetzung ist angesichts der schon weit fortgeschrittenen und noch weiter zunehmenden Spezialisierung auch im juristischen Bereich nicht eng auszulegen. Denn für eine dem Umfang, der Bedeutung und der Schwierigkeit der Sache angemessene Verfahrensführung kann es gerade im Vorverfahren, das nach seinem Sinn und Zweck auch der Vermeidung gerichtlicher Verfahren dienen soll, erforderlich sein, sich von Anfang an für eine optimale Vertretung im Verwaltungsverfahren der Hilfe ausgewiesener Experten in einem Spezialbereich zu vergewissern. Unabhängig davon, ob es angesichts dieser Entwicklung noch als realitätsnah, zeitgemäß und dem auf dieser Grundlage zu bestimmenden Zweck des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO angemessen ist, die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nach der persönlichen Vorbildung und Erfahrung eines vernünftigen Bürgers zu beurteilen (BVerwG, B. v. 6. Mai 1982 - 7 B 81.82 -, Buchholz 310, § 162 VwGO Nr. 17), erscheint es jedenfalls bei schwierigen und umfangreichen Verfahren, zu deren Durchführung spezielles Expertenwissen in einem besonderen Sachgebiet des Verwaltungsrechts erforderlich ist, notwendig, einen Bevollmächtigten auch im Vorverfahren hinzuzuziehen (so auch im Ergebnis Kopp, VwGO a.a.O.). In diesem Falle ist davon auszugehen, daß die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten nur dann ausnahmsweise nicht erforderlich ist, wenn der am Vorverfahren Beteiligte selbst über dieses spezielle Expertenwissen verfügt, was aber grundsätzlich die Ausnahme sein dürfte.

Auf der Grundlage dieser Kriterien ist die Notwendigkeit der Hinzuziehung der Bevollmächtigten der Klägerin im Vorverfahren als notwendig zu beurteilen. Denn es ging, wie die Klägerin zutreffend und unter den Beteiligten unstreitig darlegt, im vorliegenden Verwaltungsstreitverfahren um spezielle Probleme der Anwendung der Bestimmungen des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG). Dazu hatte die Beklagte schon im Beitragsbescheid zur Begründung Bezug genommen u.a. auf umfangreiche Gutachten der Professoren Dr.. W. und Dr. S.. Damit wurde schon deutlich, worauf die Klägerin zu Recht hinweist, daß es hier um inhaltlich komplexe und spezialisierte Fragen ging, zu deren Klärung im Verwaltungsverfahren sich die Beklagte selbst nicht ohne Hinzuziehung von Expertenwissen in der Lage sah. Dann erscheint es durchaus aus der Sicht der Klägerin zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen als Aktiengesellschaft angemessen, daß auch die Klägerin im Vorverfahren durch die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten die Hilfe fachlich spezialisierter Experten heranzog. Auch unter Berücksichtigung des Umfanges und vor allem der Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin durfte diese es für angemessen - und aus ihrer Sicht sogar für geboten - halten, einen Bevollmächtigten für das Vorverfahren hinzuzuziehen. Da im Unterschied zur Beklagten die Befassung mit den speziellen und schwierigen Fragen dieses Verwaltungsstreitverfahrens nicht zu den üblicherweise von der Rechtsabteilung der Klägerin zu bearbeitenden Problemen gehörte, war es für die Klägerin inhaltlich ebenso wie die Beklagte notwendig, sich durch die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren speziellen Expertenwissens zu bedienen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit dem entsprechend anzuwendenden § 14 Gerichtskostengesetz - GKG -. Da Streitgegenstand dieses die Kostenfestsetzung betreffenden Verfahrens die von der Beklagten zu erstattenden Gebühren und Auslagen im Vorverfahren sind, richtet sich der Streitwert nach dem vom Kostenbeamten festzusetzenden Betrag. Nach § 118 BRAGO kann dafür eine Gebühr bis 10/10 festgelegt werden, so daß sich daraus unter Zugrundelegung des von dem Verwaltungsgericht und dem Bundesverwaltungsgericht festgesetzten Wert des Streitgegenstandes für das Verwaltungsstreitverfahren von 49.901.976,00 DM der von der Klägerin in ihrem Kostenfestsetzungsantrag als 10/10 Gebühr genannte Betrag ergibt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).






Hessischer VGH:
Beschluss v. 20.12.1995
Az: 11 UE 3449/95


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