Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 10. September 2014
Aktenzeichen: 1 UF 211/14

(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 10.09.2014, Az.: 1 UF 211/14)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat die Beschwerde zurückgewiesen. Damit bleibt das Ruhen der elterlichen Sorge für den betroffenen Jugendlichen bestehen. Das Jugendamt des Kreises wurde zum Vormund bestellt. Der Amtsvormund hatte beantragt, dass für asyl- und ausländerrechtliche Angelegenheiten ein juristisch ausgebildeter Mitvormund bestellt wird, da ihm die erforderliche Qualifikation fehlt. Das Gericht hat jedoch entschieden, dass dies nicht notwendig ist. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) soll das Familiengericht im Regelfall nur einen Vormund bestellen, es sei denn, es liegen besondere Gründe vor. Diese Gründe sah das Gericht in diesem Fall nicht. Es verwies auf entsprechende Entscheidungen des Oberlandesgerichts Frankfurt in ähnlichen Fällen. Das Gericht war der Meinung, dass es nicht notwendig ist, dem Jugendlichen einen rechtskundigen Vertreter zur Seite zu stellen. Die Verantwortung dafür liegt bei den Jugendämtern. Es ist Aufgabe der Jugendämter, qualifizierte Mitarbeiter einzusetzen oder die Mitarbeiter entsprechend zu qualifizieren. Das Gericht folgte somit nicht der Meinung eines anderen Senats des Oberlandesgerichts Frankfurt, der einen rechtskundigen Vertreter für den Minderjährigen für erforderlich hielt. Eine Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 10.09.2014, Az: 1 UF 211/14


Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Langen (Hessen) vom 18.06.2014 wurde das Ruhen der elterlichen Sorge für den betroffenen Jugendlichen mit der Begründung festgestellt, der Jugendliche sei ohne Sorgeberechtigte in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und die Sorgeberechtigten, deren Aufenthalt unbekannt sei, könnten die elterliche Sorge deshalb nicht ausüben. Es bestellte das Jugendamt des Kreises ... zum Vormund. In den Gründen der Entscheidung führte es aus, dass das Gericht von der Bestellung eines Mitvormundes absehe und sich insoweit der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 02.12.2013 (Az.: 5 UF 310/13) anschließe.

Mit seiner am 16.06.2014 beim Familiengericht eingegangenen Beschwerde verfolgt der Amtsvormund sein Begehren weiter, dass für den Wirkungskreis der asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten ein juristisch ausgebildeter Mitvormund bestellt werden solle. Dem Amtsvormund fehle es an der für diesen Wirkungskreis erforderlichen Qualifikation. Zwar müsse das Jugendamt künftig dafür Sorge tragen, dass in Umsetzung der rechtlichen Vorgaben speziell ausgebildete Personen mit den notwendigen Fachkenntnissen als Amtsvormund eingesetzt werden. Diese Voraussetzungen seien jedoch bislang noch nicht erfüllt, weshalb derzeit noch eine Mitvormundschaft einzurichten sei.

Der Jugendliche wurde im Rahmen des Beschwerdeverfahrens persönlich angehört.

II.

Die Beschwerde ist gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässig, insbesondere fristgemäß erhoben. Der Amtsvormund ist, da er sich gegen seine Auswahl und Bestellung zum alleinigen Vormund wendet, gem. § 59 FamFG beschwerdeberechtigt.

In der Sache ist die Beschwerde jedoch nicht begründet, denn das Amtsgericht hat nach Bestellung des Jugendamtes zum Amtsvormund gemäß § 1791 b BGB zu Recht von der Bestellung eines Mitvormundes zur Vertretung des 15 Jahre alten Jugendlichen in asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten abgesehen.

Nach § 1775 S. 2 BGB soll das Familiengericht im Regelfall nur einen Vormund für das Mündel bestellen. Mehrere Vormünder sollen nur dann bestellt werden, wenn besondere Gründe dies erfordern. Solche Gründe liegen nach Auffassung des Senates nicht vor. Insoweit wird Bezug genommen auf den Senatsbeschluss vom 27.08.2014 (Az.: 1 UF 205/14). Hier hat der Senat ausgeführt:

€Zwar hat das Jugendamt als Amtsvormund im hiesigen Verfahren mitgeteilt, dass bei ihm hinsichtlich der Vertretung des Jugendlichen in asyl- und ausländerrechtlicher Angelegenheiten keine Personen mit insoweit hinreichender Sachkunde vorhanden seien. Dies rechtfertigt jedoch die Bestellung eines Mitvormundes nicht. Der Senat teilt hierzu die vom 5. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main in mehreren Entscheidungen vertretene Auffassung (vgl. Beschlüsse vom 02.12.2013 - FamRZ 2014, 673 - und vom 17.06.2014 - 5 UF 112/14). Dass das Fehlen der juristischen Sachkunde des Amtsvormunds die Bestellung eines Mitvormunds für bestimmte Aufgaben nicht rechtfertigt, hat der 5. Familiensenat in seiner Entscheidung vom 17.06.2014 wie folgt begründet:

€Auch der Umstand, dass das Jugendamt der Auffassung ist, den Amtsvormündern fehle für bestimmte Aufgaben die (juristische) Sachkunde, ist nicht geeignet, die Bestellung mehrerer Vormünder zu rechtfertigen (Senat vom 02.12.2013 FamRZ 2014, 673). Bei der Vielfältigkeit der Aufgabenstellung im Bereich der Personen- und Vermögenssorge könnte ansonsten die Bestellung mehrerer Vormünder zum Regelfall werden. Schon aufgrund der gesetzlichen Konstruktion - das Jugendamt kann sich grundsätzlich gegen die Bestellung zum Vormund nicht wehren (vgl. Palandt § 1791b Rdnr. 1 BGB) - ist davon auszugehen, dass das Jugendamt zur Führung der Vormundschaft ggf. unter Einschaltung geeigneter Hilfspersonen geeignet ist. Im Übrigen gehört es zu den Pflichten der Jugendämter, ausreichend qualifizierte Mitarbeiter mit der Ausübung der Amtsvormundschaft zu betrauen bzw. den Mitarbeitern die notwendige Qualifikation für die Erfüllung der Aufgaben zu vermitteln. Die mit diesen Tätigkeiten betrauten Personen haben die Amtspflicht, sich die einschlägigen Kenntnisse durch die Wahrnehmung spezieller Fortbildungsveranstaltungen, wie sie beispielsweise durch das DIJuF für Jugendamtsmitarbeiter angeboten werden (vgl. €Das Jugendamt€, Heft 4, 2014, Klappentext, Rückseite), anzueignen.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin rechtfertigt auch die seit 01.01.2014 geltende europarechtliche Verordnungslage die Anordnung einer Mitvormundschaft nicht.

Zwar regelt die seit dem 01.01.2014 in Kraft getreten Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (sog. Dublin-III-VO) in Art. 6, dass von den Mitgliedstaaten dafür zu sorgen ist, dass ein unbegleiteter Minderjähriger in allen Verfahren, die in dieser Verordnung vorgesehen sind (d.h. in asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren), von einem Vertreter vertreten und/oder unterstützt wird. Der Vertreter hat danach über die entsprechenden Qualifikationen und Fachkenntnisse zu verfügen, um zu gewährleisten, dass dem Wohl des Minderjährigen während der nach dieser Verordnung durchgeführten Verfahren Rechnung getragen wird.

Auch die Richtlinien 2013/32/EU (Verfahrens-Richtlinie) und 2013/33/EU (Aufnahme-Richtlinie) des Europäischen Parlamentes und Rates, deren Umsetzungsfristen erst am 20.07.2015 ablaufen, sehen vor, dass Minderjährigen ein Vertreter zu bestellen ist, der seine Aufgaben im Interesse des Kindeswohles wahrnimmt, und bei der Anhörung im Rahmen des Asylverfahrens soll ein Vertreter und/oder ein Rechtsanwalt für den Minderjährigen anwesend sein. (Art. 23, 24, 25 Aufnahme-Richtlinie).

Aus dieser europarechtlichen Verordnungslage lässt sich jedoch nicht ersehen, dass dem unbegleiteten Minderjährigen durch die Gerichte ein rechtskundiger Vertreter/Rechtsanwalt zur Seite zu stellen ist. Zum einen gehen die Richtlinien ausdrücklich nicht davon aus, dass es sich bei dem Vertreter um einen Rechtsanwalt handeln muss. Es wäre insoweit ausreichend, wenn der Minderjährige einen Vertreter zur Seite gestellt bekommt, der entsprechend fachkundig und in der Lage ist, ihn zu unterstützen. Dies könnte - bei entsprechender Sachkunde - der Amtsvormund selbst, ein besonders geschulter Mitarbeiter des Jugendamtes oder eine sonstige Person sein, die von den zuständigen Behörden zu diesem Zweck geschult und zur Verfügung gestellt wird.

Zum anderen ist es nicht notwendig, dass die Familiengerichte eine qualifizierte Vertretung der Minderjährigen sicherstellen. Die EU-Richtlinien und Verordnungen legen diese Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland auf, die entsprechende Vorsorge zu tragen hat. In welcher Form dies konkret umgesetzt wird, ist nicht von den Gerichten, sondern durch den Gesetzgeber und nachfolgend die Exekutive zu bestimmen.

Nicht gefolgt werden kann der Meinung des 6. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt, der entgegen der vom Bundesgerichtshof im Anschluss an seine Entscheidung vom 29.05.2013 (FamRZ 2013, 1206) mit Blick auf die neuen europarechtlichen Bestimmungen geäußerten Auffassung (BGH FamRZ 2014, 472f; nochmals bestätigt FamRZ 2014, 640) in seinen Entscheidungen vom 28.01.2014 (JAmt 2014, 166 ff) und 19.02.2014 (FamRZ 2014, 182) die Meinung vertritt, Art. 6 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung könne mangels Sachkunde der Mitarbeiter des zuständigen Jugendamtes nur dadurch Rechnung getragen werden, dass den Minderjährigen von den Gerichten ein Vertreter bestellt wird, der dafür Sorge trägt, dass der unbegleitete Minderjährige in allen Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit eines Mitgliedstaates für die Durchführung eines Asylverfahrens von einem Vertreter vertreten und/oder unterstützt wird (in diesem Sinne auch Bienwald, FamRZ 2013, 1209). Dieser Vertreter müsse selbst über eine entsprechende Qualifikation und Fachkenntnisse verfügen, "um zu gewährleisten, dass dem Wohl des Minderjährigen während der nach dieser Verordnung durchgeführten Verfahren Rechnung getragen wird". Mit dieser insoweit über die UN-Charta hinausgehenden Regelung sei aus guten Gründen klargestellt, dass der Vertreter des Minderjährigen selbst über die erforderlichen Fachkenntnisse verfügen müsse und nicht mehr nur ein Vertreter ohne diese Kenntnisse bestellt werden dürfe, von dessen Entscheidung es dann für den Jugendlichen im jeweiligen Einzelfall erst abhängen würde, ob er einen geeigneten Vertreter für bestimmte Rechtshandlungen oder Verfahren in einer für ihn existentiell wichtigen Situation im fremden Land bestellt bekommt oder nicht. Nach dem Geist und der Intention der Dublin-III-Verordnung könne es aber gerade nicht von der Einschätzung eines nach eigenem Bekunden in ausländerrechtlichen Fragen nicht ausreichend fachkundigen Vormunds abhängen, ob er im Einzelfall eine rechtliche Beratung oder Vertretung seines Mündels überhaupt für erforderlich halte und gegebenenfalls mit einer - nach der bis zur Amtsübernahme sowieso schon eintretenden Verzögerung - noch weiter einhergehenden zeitlichen Verzögerung dafür sorge. Da die Amtsvormünder des betroffenen Jugendamtes nach eigenem Bekunden derzeit noch keine entsprechende fachliche Qualifikation aufwiesen, seien sie allein nicht als €geeignet€ zur Führung der Vormundschaft im Bereich der asyl- und ausländerrechtlichen Vertretung anzusehen, so dass insoweit ein Mitvormund mit entsprechendem Wirkungskreis zu bestellen sei (OLG Frankfurt 6. Senat f. Familiensachen aaO.).

Dem vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Entgegen der Auffassung des 6. Senats für Familiensachen ergibt sich weder aus dem Text noch dem Geist der €Dublin-III-Verordnung€, dass der vom Familiengericht bestellte Vertreter/Vormund unmittelbar selbst über die in Art. 6 geforderten Kenntnisse verfügen muss. Ziel der Verordnung ist, dem Minderjährigen eine sachkundige Unterstützung/Vertretung in seinen asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten zu sichern. Den Anforderungen der Dublin-III-Verordnung ist nach Auffassung des Senats dadurch Rechnung zu tragen, dass der (Amts-)Vormund - solange er selbst der Überzeugung ist, über keine ausreichende Fachkunde zu verfügen - verpflichtet ist, durch Beauftragung eines spezialisierten Rechtsanwaltes für eine entsprechende Vertretung Sorge zu tragen. Die niedrigen Vergütungssätze der Beratungshilfe können hierbei keinen Hinderungsgrund darstellen. § 49a BRAO sieht eine grundsätzliche berufsrechtliche Verpflichtung von Rechtsanwälten zur Leistung von Beratungshilfe vor (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2014, 673 f); der unentgeltliche Zugang der betroffenen Kinder zu einem Rechtsbeistand ist durch das geltende System der Verfahrenskosten- und Beratungshilfe gewährleistet (BGH FamRZ 2013, 1206). Es bestehen auch keine Zweifel daran, dass die Amtsvormünder ihrer insoweit bestehenden Verpflichtung nachkommen, denn es ist aus den hiesigen Verfahren ihr Bemühen um eine fachkundige Begleitung/Unterstützung der minderjährigen Flüchtlinge bekannt, die nach der geltenden europarechtlichen Verordnungslage nicht dann enden darf, wenn das Familiengericht die Anordnung einer Mitvormundschaft ablehnt.€

Dieser Begründung schließt sich der Senat an. Dass es der Einrichtung einer Mitvormundschaft nicht bedarf, entspricht auch der aktuellen Entwicklung der Literaturmeinung (vgl. Dürbeck, ZKJ 2014, 266).€

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 84, 81 FamFG.

IV.

Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst (vgl. Senatsbeschluss vom 28.08.2014, Az.: 1 UF 205/14). Zwar gibt es zu der hier maßgeblichen Rechtsfrage unterschiedliche Entscheidungen der Oberlandesgerichte. Der Bundesgerichtshof hat jedoch seine Haltung zu dieser Rechtsfrage bereits deutlich zum Ausdruck gebracht. Hiervon weicht der Senat mit dieser Entscheidung nicht ab, so dass eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht veranlasst ist (vgl. Senatsbeschluss, a.a.O.; sowie Dürbeck, ZKJ 2014, 266, 272).






OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 10.09.2014
Az: 1 UF 211/14


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