Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 23. Oktober 2007
Aktenzeichen: 4 U 99/07

(OLG Hamm: Urteil v. 23.10.2007, Az.: 4 U 99/07)

"Virtuelles Hausverbot" durch Sperrung einer IP-Nummer bei Testmaßnahme zur Überprüfung des beworbenen Internetangebots

Tenor

Die Berufung der Antragstellerin gegen das am 15.05.2007 verkündete Urteil der IV. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden der Antragstellerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

A.

Die Antragstellerin begehrt im einstweiligen Verfügungsverfahren, die Verhinderung des Zugriffs auf die Internetseiten der Antragsgegner mittels einer sog. IP-Sperrung zu verbieten.

Hinsichtlich des zugrunde liegenden Sachverhalts wird gemäß § 540 I ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen, wobei zu ergänzen ist, dass die Antragstellerin behauptet hat, dass eine gezielte Sperrung ihrer IP-Nummer erfolgt sei und dass die Sperrung keineswegs auf eine Überlastung des Systems zurückgehe. Die Beklagten haben demgegenüber eine automatische Sperrung durch ein Schutzsystem behauptet, um Zugriffe zu verhindern, die von Schwachstellenscannern und Spam-Systemen verwendet würden.

Das Landgericht hat die von ihm zunächst unter dem 23.04.2007 erlassene einstweilige Verfügung - insoweit wird auf den diesbezüglichen Beschluss Bl. 23 verwiesen - aufgehoben und den Antrag der Antragstellerin auf ihren Erlass zurückgewiesen, mit der Begründung, dass eine gezielte Behinderung durch die Antragsgegner im Sinne von § 4 Nr. 10 UWG nicht hinreichend glaubhaft gemacht sei, da maßgebendes Motiv für die Implantation des Schutzsystems nicht die gezielte Behinderung von Mitbewerbern sei, sondern der Versuch, Angriffe Dritter auf eigene Internetseiten abzuwehren.

Die Antragsstellerin greift das Urteil mit der von ihr eingelegten Berufung an. Sie macht geltend, dass es sich entgegen der Ansicht des Landgerichts bei der fraglichen Sperrung ihrer IP-Adresse um ein wettbewerbswidriges virtuelles Hausverbot handele. Die konkreten Umstände wiesen unmissverständlich auf eine manuelle Sperrung hin. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die gesperrte IP-Adresse bekannt gewesen sei und auch ihr, der Antragstellerin, habe zugeordnet werden können. Ihr sei hierdurch die Überprüfung, ob die Antragsgegner tatsächlich 5000 lieferbare Artikel vorhielten, wie dies beworben worden sei, unmöglich gemacht. Sie, die Antragstellerin, habe sich letztlich wie ein normaler Kunde verhalten, der einfach nur die Internetseite aufgerufen habe. Auch ohne eine entsprechende Kenntnis der Antragsgegner sei die Maßnahme bei objektiver Betrachtung unmittelbar auf die Beeinträchtigung ihrer wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten gerichtet gewesen. Einem Mitbewerber müsse in Bezug auf die Aussage "Über 5000 lieferbare Artikel im Angebot" die Möglichkeit gegeben werden, diese behauptete Zahl zu überprüfen. Ganz gleich sei dabei auch, ob die Sperrung automatisch oder manuell erfolgt sei.

Die Antragstellerin beantragt,

unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils es den Antragsgegnern bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall bis zu insgesamt 2 Jahren, zu verbieten, ihr den Zugriff auf die Internetseiten Antragsgegnerin zu 1), insbesondere der Seiten unter den Domains *internetadresse* und *internetadresse*2 mittels einer IP-Sperrung zu verhindern.

Die Antragsgegner beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das Urteil mit näheren Ausführungen und behaupten unter Berufung auf einen Servermitschnitt und einer eidesstattlichen Versicherung des Administrators X vom 25.09.2007, dass wegen der hohen Zugriffssequenzen wie bei jedem anderen Nutzer eine automatische Sperrung durch das Schutzsystem erfolgt sei und dass sich die Antragstellerin in diesem Zusammenhang keineswegs wie ein gewöhnlicher Nutzer verhalten habe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

B.

Die zulässige Berufung der Antragstellerin ist unbegründet.

Es besteht kein (Verfügungs-) Anspruch gegen die Antragsgegner aus §§ 8 I, 3, 4 Nr. 10 UWG oder aus anderen Gründen auf Aufhebung und Unterlassung der streitgegenständlichen Sperrung.

Ein Verstoß der Antragsgegner gegen § 4 Nr. 10 UWG, wie von der Antragstellerin geltend gemacht, ist nicht feststellbar. Nach dieser Regelung handelt im Sinne von § 3 UWG unlauter, wer Mitbewerber gezielt behindert. Behinderung ist dabei jede Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten, wenn der Zweck verfolgt wird, den Mitbewerber an seiner Entfaltung zu hindern und ihn dadurch zu verdrängen. Ist eine solche Zwecksetzung nicht festzustellen, muss die Behinderung jedenfalls derart sein, dass der beeinträchtigte Mitbewerber seine Leistung am Markt durch eigene Anstrengungen nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen kann, was aufgrund einer Gesamtwürdigung des Einzelfalles und einer umfassenden Interessenabwägung festzustellen ist (BGH GRUR 2001, 1061 - Mitwohnzentrale.de; GRUR 2004, 877 - Werbeblocker; Piper/Ohly, UWG, 4. Aufl. 2006, § 4 Rn. 10/8 f.). Ein absichtliches Handelns oder eine positive Kenntnis der Behinderung wird nicht vorausgesetzt. Erfasst werden vielmehr auch Maßnahmen, die bei objektiver Betrachtung unmittelbar auf die Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeit eines Mitbewerbers gerichtet ist ("objektive Finalität"; vgl. Köhler, in Hefermehl u.a., 25. Aufl. 2007, § 4 Rn. 10.10).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt eine entsprechende Behinderung durch die Antragsgegner nicht vor. Zum einen ist seitens der Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, dass hier wegen der ungewöhnlichen Abgriffssequenzen nicht nur eine automatische Sicherheitssperrung der IP-Nummer., sondern ein zielgerichtetes "virtuelles Hausverbot" erfolgt ist, wie dies - insofern entscheidend anders - im Fall des OLG Hamburg (Urt. v. 18.04.2007, Az. 5 U 190/06) der Fall war. Vielmehr ist insofern davon auszugehen, dass den Antragsgegnern, wie dies in ihrem Antwortschreiben vom 12.04.2007 zum Ausdruck gekommen ist, seinerzeit überhaupt nicht bekannt war, dass die Antragstellerin erfasst wurde, die am 19.03.2007 in kurzer Zeit eine erhebliche Anzahl von Internetseiten der Antragsgegner (nämlich 652 in der Zeit von 10.41 Uhr bis 12.40 Uhr) aufrief und so das automatische Schutzsystem aktivierte. Dies ist auch keineswegs unplausibel etwa unter dem Gesichtspunkt, dass die IP von Suchmaschinen etc. immer gleich ist, so dass diese rein zahlenmäßig ebenfalls durch ihre vermittelten Angaben gesperrt werden müssten. Denn es handelte sich hierbei nach dem nicht ausgeräumten Vortrag der Antragsgegner nicht um ein starres Schutzsystem, das nur ab einer bestimmten Zugriffszahl die Sperre auslöst. Vielmehr setzt diese, was jedenfalls nicht ausgeräumt ist, erst bei einem Aufeinandertreffen verschiedener Auffälligkeiten ein, so dass auch entsprechende Suchmaschinenrecherchen über einen längeren Zeitraum nicht "anschlagen" würden.

Vor allem und unabhängig davon hat sich die Antragsstellerin, was entscheidend ist, nicht wie ein normaler Kunde verhalten, sondern hat in rd. 2 Stunden rd. 650 Aufrufe getätigt und wollte darüber hinaus sogar insgesamt 5000 Aufrufe in entsprechend kurzer Zeit- und Taktfolge tätigen. Damit hat sie sich - worauf im Termin hingewiesen worden und was ausführlich erörtert worden ist - letztlich selbst wettbewerbswidrig nach § 4 Ziff. 10 UWG verhalten unter dem Gesichtspunkt einer Betriebsstörung. Diesem Angriff durften die Antragsgegner mit einem sog. virtuellen Hausverbot begegnen. Nur das Hausverbot gegenüber einem wettbewerbskonformen Tester stellt sich regelmäßig als eine verbotswidrige Behinderung dar (dazu BGH GRUR 1966, 564 - Hausverbot I; GRUR 1979, 859 - Hausverbot II; GRUR 1981, 827 - Vertragswidriger Testkauf). Testmaßnahmen dienen zwar grundsätzlich dem berechtigten Interesse des Unternehmers an der Verbesserung des eigenen Informationsstandes oder der eigenen Beweisposition und sind insofern nur bei Vorliegen besonderer Umstände unzulässig. Verhält sich die Testperson wie ein normaler Kunde, indem sie die fragliche Ware kauft oder angebotene Dienstleistung in Anspruch nimmt, so handelt sie nicht unlauter. Eine unlautere Behinderung durch sie liegt aber dann vor, wenn sich der Tester nicht mehr wie ein normaler Kunde verhält, sondern dabei den Betriebsablauf stört, indem er etwa durch sein Verhalten das Personal von seiner Beschäftigung abhält, andere Kunden abschreckt oder offenkundig Testfotos anfertigt, so dass das Personal entsprechend aufmerksam wird und sich andere Kunden über den Anlass hierfür Gedanken machen (BGH GRUR 1991, 843 - Testfotos I; WRP 1996, 1099 - Testfotos II; Piper/Ohly, a.a.O., § 4 Rn. 10/21; Köhler, a.a.O., § 4 Rn. 10.163). Entsprechend verhält es sich im Streitfall, da kein normaler Kunde, der sich gewöhnlich nur für bestimmte Artikel interessiert, das gesamte Sortiment des Anbieters beobachtet und überprüft.

Im Rahmen dieser Beurteilung findet im Sinne der Antragstellerin durchaus Berücksichtigung, dass sie grundsätzlich ein berechtigtes Interesse an der Überprüfung der Werbeaussage "Über 5000 lieferbare Artikel im Angebot" hat und durch ihre Testmaßnahme auch keine anderen Kunden beeinträchtigt werden. Indes besteht etwa in Fällen, in denen die Artikel in einem vom Geschäftslokal getrennten Lager bevorratet werden, ebenfalls kein unmittelbarer Zugang hierzu für den Kunden, um die Gesamtheit des angepriesenen Sortiments überprüfen zu können. Ein Zutrittsrecht zwecks Überprüfung ist dem Mitbewerber nicht eröffnet. In einem solchen Fall mag dem Anspruchsteller die sog. sekundäre Darlegungslast des Werbenden helfen, nämlich dann, wenn dem außerhalb des Geschehensablaufs stehenden Anspruchsteller eine genaue Kenntnis der rechtserheblichen Tatsachen fehlt, der Gegner dagegen die erforderliche Aufklärung leicht geben kann und ihm dies auch zumutbar ist (dazu Nachweise etwa bei Köhler, a.a.O., § 12 Rn. 2.92 f.). Zudem hat der Anbieter, hier die Antragsgegner, als Seitenanbieter grundsätzlich ein berechtigtes Interesse an dem Schutz seiner Internetpräsenz vor sicherheitsrelevanten Störungen und Angriffen. Ihm kann es keineswegs verwehrt werden, geeignete Sicherheitssoftware hiergegen zu installieren. Abgesehen davon ist zu konstatieren, dass die Antragstellerin bei "normalfrequentierter" Recherche, die auch ein normaler Kunde vornehmen würde, auch weiterhin Zugriff auf die fraglichen Seiten hätte.

Aus den dargestellten Gründen kommt auch eine Unlauterkeit nach der Generalklausel nach § 3 UWG oder aus sonstigen Rechtsgründen nicht in Betracht.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 I, 708 Nr. 10, 713 ZPO.






OLG Hamm:
Urteil v. 23.10.2007
Az: 4 U 99/07


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