Bundesverfassungsgericht:
Beschluss vom 16. Mai 2002
Aktenzeichen: 1 BvR 117/02

(BVerfG: Beschluss v. 16.05.2002, Az.: 1 BvR 117/02)

Tenor

Das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 13. Dezember 2001 - 6 U 99/98 - verletzt die Beschwerdeführerin zu 1) in ihrem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts wird aufgehoben und das Verfahren an das Hanseatische Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Die Freie und Hansestadt Hamburg hat der Beschwerdeführerin zu 1) die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfahren der Beschwerdeführerin zu 1) auf 30.000 € (in Worten: dreißigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob ein Inkassounternehmer berechtigt ist, seine Kunden darüber zu beraten, ob und nach welchen rechtlichen Gesichtspunkten und in welcher Höhe eine Forderung, die der Inkassounternehmer einziehen will, dem Kunden zusteht.

I.

1. Die Beschwerdeführerin zu 1) ist ein Inkassounternehmen, das die Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz (im Folgenden: RBerG) "zur außergerichtlichen Einziehung von Forderungen" besitzt, der Beschwerdeführer zu 2) ein Rechtsanwalt, der Geschäftsführer und Inkassobevollmächtigter dieses Unternehmens ist. Während des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens wurde über das Vermögen der Beschwerdeführerin zu 1) das Insolvenzverfahren eröffnet; der Insolvenzverwalter nahm das Verfassungsbeschwerde-Verfahren auf.

Mit ihrer Klage in dem Ausgangsverfahren machte die Beschwerdeführerin zu 1) aus abgetretenem Recht gegen eine Bank Ansprüche wegen behaupteter Nichtigkeit eines Darlehensvertrages geltend. Das Landgericht bejahte die Aktivlegitimation der Beschwerdeführerin, wies die Klage aber aus materiell-rechtlichen Gründen ab. Das Oberlandesgericht wies die Berufung der Beschwerdeführerin mit der Begründung zurück, dass die Beschwerdeführerin nicht Inhaberin des behaupteten Rechts sei. Sie habe vor Abschluss der Abtretungsvereinbarung die Rechtslage und die Werthaltigkeit der angeblichen Forderung mit der Zedentin erörtert und damit verbotene Rechtsberatung ausgeübt, die zur Nichtigkeit der Forderungsabtretung führe. Es sei dem Inhaber einer Inkassoerlaubnis untersagt, seine Kunden darüber zu beraten, ob und nach welchen rechtlichen Gesichtspunkten und in welcher Höhe ihnen überhaupt eine Forderung zustehe.

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer gegen die gerichtlichen Entscheidungen und rügen im Wesentlichen die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die Auslegung der Gerichte widerspreche dem Schutzzweck des Rechtsberatungsgesetzes, schütze die Schuldner vor Inanspruchnahme und verhindere, dass die Gläubiger mit Hilfe der Inkassounternehmer ihre Rechte geltend machen könnten. Jeder Forderungserwerb setze eine rechtliche Prüfung und damit auch ein Rechtsgespräch mit dem Vertragspartner voraus.

3. Zu der Verfassungsbeschwerde hat die Beklagte des Ausgangsverfahrens Stellung genommen. Sie hält die angegriffenen Entscheidungen für verfassungsrechtlich unbedenklich.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechten angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 BVerfGG sind gegeben. Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt die Beschwerdeführerin zu 1) in ihrer Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG). Insoweit wird auf die Ausführungen in dem Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Februar 2002 (1 BvR 423/99; 1 BvR 821/00; 1 BvR 1412/01, NJW 2002, S. 1190) verwiesen.

Soweit die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wird, wird von einer weiteren Begründung gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO.






BVerfG:
Beschluss v. 16.05.2002
Az: 1 BvR 117/02


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