Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 28. September 1992
Aktenzeichen: 4 S 1126/92

(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 28.09.1992, Az.: 4 S 1126/92)

1. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle ist nicht befugt, einen auf Antrag des prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalts gegen den kostenpflichtigen Klagegegner erlassenen Kostenfestsetzungsbeschluß deshalb zu ändern, weil der - aus dem Beschluß nicht befriedigte - Rechtsanwalt nunmehr beantragt, die ihm als PKH-Anwalt aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung festzusetzen.

Tatbestand

Nach der Kostenentscheidung in dem vom Kläger erstrittenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.10.1989 -- 2 C 24.88 -- (BVerwGE 82, 364) tragen der Beklagte und der Beigeladene zu 1 die Kosten des Revisionsverfahrens. Unter dem 1.12.1989 und 8.3.1990 beantragte der frühere Prozeßbevollmächtigte des Klägers -- d.h. der Prozeßbevollmächtigte im Revisionsverfahren (einschließlich des Verfahrens über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision) -- diesbezüglich, die zu erstattenden Kosten festzusetzen. Mit Beschluß vom 2.4.1990 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts als vom Beklagten und vom Beigeladenen zu 1 an den Kläger zu erstattende Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich des Verfahrens wegen der Nichtzulassungsbeschwerde) einen Betrag von 3 513,17 DM nebst Zinsen fest, wobei nach der getroffenen Bestimmung 1 756,58 DM auf den Beklagten und 1 756,59 DM auf den Beigeladenen zu 1 entfallen.

Unter dem 8.5., 17.7. und 9.8.1990 beantragte der frühere Prozeßbevollmächtigte des Klägers, der dem Kläger im Weg der Prozeßkostenhilfe für das Revisionsverfahren beigeordnet worden war, die Festsetzung seiner "PKH-Gebühren" samt Auslagen. Auf den Kostenfestsetzungsbeschluß vom 2.4.1990 habe lediglich der Beigeladene zu 1 gezahlt. Der Beklagte -- vertreten durch das Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg -- lehne eine Zahlung ab. Der Beklagte berufe sich auf eine -- mit Schreiben vom 24.4.1990 gegenüber dem Kläger erklärte -- Aufrechnung mit einer Forderung gegen den Kläger in Höhe von 1 404,12 DM, ferner darauf, der Kläger habe ihm inzwischen das Mandat gekündigt, weshalb auch der Restbetrag nicht an ihn zu leisten sei.

Mit Beschluß vom 31.10.1990 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts "insoweit unter Abänderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 2.4.1990" als nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.10.1989 vom Beklagten an den Kläger zu erstattende Kosten einen Betrag von 279,92 DM nebst Zinsen fest. Der lautet Beschluß wie der Beschluß vom 2.4.1990 auf den Namen des Klägers. In dem Beschluß heißt es, die vom Beklagten erklärte Aufrechnung sei mangels gleichartiger Forderungen unbeachtlich. Die Berechnung des Betrags von 279,92 DM erfolgte in der Weise, daß von dem Erstattungsbetrag von 1 756,58 DM (Kostenfestsetzungsbeschluß v. 2.4.1990) ein Betrag von 1 476,66 DM, den der frühere Prozeßbevollmächtigte des Klägers als PKH-Anwalt aus der Staatskasse erhalte, abgezogen wurde.

Der Beklagte legte gegen diesen Beschluß -- unter dem 4.12.1990 -- rechtzeitig Erinnerung ein. Der Kostenerstattungsanspruch aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß vom 2.4.1990 sei von ihm erfüllt worden. Er habe nämlich dagegen mit einem Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Versorgungsbezüge wirksam aufgerechnet. Die Ungleichartigkeit des Schuldgrundes schließe die Aufrechnung nicht aus. Eine nachträgliche Änderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 2.4.1990 bzw. eine erneute Kostenfestsetzung sei somit nicht zulässig gewesen. Der angegriffene Kostenfestsetzungsbeschluß vom 31.10.1990 sei daher aufzuheben.

Mit Beschluß vom 6.4.1992 -- und zwar mit Entscheidung unter Ziffer 3 des Beschlusses -- hat das Verwaltungsgericht die Erinnerung als unzulässig zurückgewiesen. Bei dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluß vom 31.10.1990 handele es sich der Sache nach um einen Beschluß nach § 128 BRAGO, wonach die dem PKH-Anwalt aus der Bundes- oder Landeskasse zu gewährende Vergütung auf Antrag des Rechtsanwalts vom Urkundsbeamten festgesetzt werde. Gegen einen solchen Beschluß könne der beigeordnete Rechtsanwalt oder die Bundes- oder Landeskasse, nicht aber die Partei oder der kostenpflichtige Gegner Erinnerung einlegen.

Gegen die Entscheidung unter Ziffer 3 des Beschlusses vom 6.4.1992 hat der Beklagte am 5.5.1992 fristgerecht Beschwerde eingelegt. Der angegriffene Beschluß des Urkundsbeamten vom 31.10.1990 sei eindeutig ein Kostenfestsetzungsbeschluß, nicht ein Beschluß nach § 128 BRAGO. Im übrigen habe er inzwischen gemäß § 130 BRAGO verauslagte Rechtsanwaltskosten an die Gerichtskasse S bezahlt.

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig (§ 146 Abs. 1 VwGO). Die Beschwerdesumme von 200,-- DM (§ 146 Abs. 3 VwGO) ist überschritten. Denn der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts setzte mit dem streitbefangenen Beschluß vom 31.10.1990 vom Beklagten zu erstattende Kosten in Höhe von 279,92 DM nebst Zinsen fest. Eine Beschwer im Rechtssinn scheidet beim Beklagten nicht etwa deshalb aus, weil der Urkundsbeamte zugleich den Kostenfestsetzungsbeschluß vom 2.4.1990 änderte, mit dem er vom Beklagten zu erstattende Kosten in Höhe von 1 756,58 DM nebst Zinsen festgesetzt hatte. Schon der Erlaß eines Kostenfestsetzungsbeschlusses, mit dem ein Vollstreckungstitel geschaffen ist (vgl. hier § 168 Abs. 1 Nr. 4 VwGO), bedeutet für den als Kostenschuldner Herangezogenen eine Beschwer.

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte auf die Erinnerung des Beklagten den angegriffenen Beschluß des Urkundsbeamten vom 31.10.1990 aufheben müssen.

Die Erinnerung ist zulässig. Der angegriffene Beschluß des Urkundsbeamten vom 31.10.1990 stellt -- wie der Beschluß vom 2.4.1990 -- in Form und Inhalt einen Kostenfestsetzungsbeschluß nach § 164 VwGO (vgl. in Verb. mit § 173 VwGO auch § 104 ZPO) dar, mit dem ein prozessualer Kostenerstattungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten bestimmt wird und gegen den der Beklagte gemäß § 165 in Verb. mit § 151 VwGO Erinnerung (Antrag auf Entscheidung des Gerichts) einlegen kann. Daran ändert es nichts, daß -- wie noch auszuführen sein wird -- der frühere Prozeßbevollmächtigte des Klägers, der bereits den unter dem 2.4.1990 erlassenen Kostenfestsetzungsbeschluß erwirkt hatte, eine solche -- erneute -- Kostenfestsetzung gar nicht beantragt hatte. Der angegriffene Beschluß des Urkundsbeamten vom 31.10.1990 ist entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht der Sache nach ein Beschluß nach § 128 BRAGO.

Gemäß § 128 BRAGO wird die Vergütung, die dem im Weg der Prozeßkostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt nach §§ 121 ff. BRAGO aus der Bundes- oder Landeskasse zu gewähren ist, auf Antrag des Rechtsanwalts von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts festgesetzt. Eine Festsetzung nach § 128 BRAGO betrifft allein den Vergütungsanspruch des PKH-Anwalts gegen die Staatskasse, wobei in dem Festsetzungsverfahren der beigeordnete Rechtsanwalt und die Staatskasse sich als Beteiligte gegenüberstehen. Das Recht zur Einlegung einer Erinnerung gegen eine derartige Festsetzung haben nach § 128 Abs. 3 Satz 1 BRAGO der beigeordnete Rechtsanwalt und die Staatskasse, nicht auch die Partei oder der kostenpflichtige Gegner (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO, 11. Aufl. 1991, § 128 RdNr. 15).

Vorliegend traf der Urkundsbeamte jedoch nicht mit dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluß vom 31.10.1990, sondern daneben -- ebenfalls unter dem 31.10.1990 -- eine Festsetzung nach § 128 BRAGO (Zweitschrift bei den Akten des Verwaltungsgerichts). Diese -- nicht streitbefangene -- Festsetzung der dem früheren Prozeßbevollmächtigten des Klägers als PKH-Anwalt zustehenden Vergütung, die einen Betrag von 1 476,66 DM bestimmt, ist von dem angegriffenen Beschluß vom 31.10.1990 zu unterscheiden. Der Umstand, daß der Urkundsbeamte in dem angegriffenen Beschluß (Begründung) den Betrag von 1 476,66 DM -- ohne dabei dessen gesonderte Festsetzung nach § 128 BRAGO zu erwähnen -- als abzuziehenden Rechnungsposten einstellte, begründet nicht etwa die Annahme, der angegriffene Beschluß bedeute der Sache nach einen Beschluß im Sinn von § 128 BRAGO.

Die Erinnerung dringt auch sachlich durch. Für den Erlaß des angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 31.10.1990 war rechtlich kein Raum, weshalb der Beschluß auf den vom Beklagten eingelegten Rechtsbehelf hin aufzuheben ist.

Eine Kostenfestsetzung nach § 164 VwGO (§ 104 ZPO) geschieht nicht von Amts wegen, vielmehr setzt sie einen Antrag voraus. Daran fehlt es in bezug auf den streitbefangenen Kostenfestsetzungsbeschluß vom 31.10.1990. Der frühere Prozeßbevollmächtigte des Klägers hatte unter dem 8.5., 17.7. und 9.8.1990 ausschließlich die Festsetzung seiner "PKH-Gebühren" samt Auslagen beantragt, d.h. eine Festsetzung nach § 128 BRAGO (mit Schreiben vom 8.5.1990 unter Verwendung des entsprechenden Vordrucks). Mit Schreiben vom 9.8.1990 hatte er ausdrücklich betont, er habe als PKH-Anwalt einen "eigenen Anspruch gegen die Staatskasse" (bei dem die Aufrechnung des Beklagten gegen den Kostenerstattungsanspruch des Klägers keine Rolle spiele). Er hatte um dessen Festsetzung gebeten, weil eine Zahlung auf den Kostenfestsetzungsbeschluß vom 2.4.1990 vom Beklagten abgelehnt werde, er mithin aus diesem Beschluß keine Befriedigung durch den Beklagten erlange. Er hatte hingegen nicht nochmals eine -- erneute -- Kostenfestsetzung gegen den Beklagten nach § 164 VwGO beantragt. Dazu wäre für ihn insofern auch kein Anlaß vorhanden gewesen, als er bereits den Kostenfestsetzungsbeschluß vom 2.4.1990 erwirkt hatte. Zudem hatte er mit Schreiben vom 9.8.1990 mitgeteilt, der Kläger habe ihm inzwischen das Mandat gekündigt. Demnach wäre der frühere Prozeßbevollmächtigte des Klägers inzwischen auch gar nicht mehr bevollmächtigt gewesen, eine auf den Namen des Klägers lautende Festsetzung eines Kostenerstattungsanspruchs des Klägers gegen den Beklagten herbeizuführen.

Wie in Anbetracht des Vorgehens des früheren Prozeßbevollmächtigten des Klägers allgemein bemerkt sei, steht es einem PKH-Anwalt prinzipiell frei, ob er wegen der Gebühren und Auslagen zunächst die in die Kosten verurteilte und erstattungspflichtige Gegenpartei (insoweit Wahlanwaltsvergütung) oder die Staatskasse in Anspruch nehmen will oder beide zu einem Teil, wobei er nur insgesamt nicht mehr als die volle Wahlanwaltsvergütung erhalten darf (vgl. zu dem Nebeneinander der verschiedenen Ansprüche -- auch in bezug auf das von dem früheren Prozeßbevollmächtigten des Klägers ersichtlich nicht verfolgte Recht des PKH-Anwalts nach § 126 Abs. 1 ZPO, die Kostenerstattung gegen die Gegenpartei im eigenen Namen zu betreiben -- Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 49. Aufl. 1991, § 126 Anm. 8; Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO, 11. Aufl. 1991, § 121 RdNrn. 26 ff., § 130 RdNr. 3).

Der Urkundsbeamte war ferner auch deshalb nicht zum Erlaß des streitbefangenen Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 31.10.1990 befugt, weil er mit dem Beschluß vom 2.4.1990 vom Beklagten an den Kläger zu erstattende Kosten festgesetzt hatte. Denn die vorgenommene nachträgliche Änderung dieses -- wirksamen und unanfechtbar gewordenen -- Kostenfestsetzungsbeschlusses war nicht zulässig. Ein Kostenfestsetzungsbeschluß nach § 164 VwGO (§ 104 ZPO), der nach § 168 Abs. 1 Nr. 4 VwGO (§ 794 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) einen Vollstreckungstitel darstellt und der in innere und äußere Rechtskraft erwächst, darf vom Urkundsbeamten nicht ohne eine gesetzliche Grundlage aufgehoben oder geändert werden (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., § 104 Anm. 2 D). Eine solche Grundlage war hier nicht gegeben. Es bildete nicht etwa eine solche Grundlage, daß der frühere Prozeßbevollmächtigte des Klägers nach dem Ergehen des Beschlusses vom 2.4.1990 Antrag auf Festsetzung der ihm als PKH-Anwalt aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung gestellt hatte.

Im Hinblick auf das Vorbringen des Beklagten, er habe den in dem Beschluß vom 2.4.1990 festgesetzten Kostenerstattungsanspruch des Klägers durch Aufrechnung erfüllt, bemerkt der Senat zur Klarstellung allgemein, daß derartige materiell-rechtliche Einwendungen im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 164 VwGO (§ 104 ZPO) grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind. Eine nachträgliche Bezahlung der Schuld, insbesondere die Erfüllungswirkung einer Aufrechnung ist nach § 767 ZPO (Vollstreckungsabwehrklage) oder nach § 775 Nr. 4 oder 5 ZPO (Einstellung der Zwangsvollstreckung bei Vorlage bestimmter Urkunden über die Befriedigung des Gläubigers) geltend zu machen (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., § 104 Anm. 1 D).






VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 28.09.1992
Az: 4 S 1126/92


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