Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 24. Juli 2003
Aktenzeichen: L 5 B 22/03 KR

(LSG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 24.07.2003, Az.: L 5 B 22/03 KR)

Tenor

Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 28.04.2003 geändert. Der Gegenstandswert wird auf 61.355,03 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger hat von dem Beklagten im Ausgangsverfahren die teilweise Aufhebung eines zwischen dem VdAK und dem beklagten Verband abgeschlossenen Hilfsmittellieferungsvertrages verlangt. Nach Verweisung des zunächts vor den Zivilgerichten anhängig gemachten Verfahrens an die Sozialgerichtsbarkeit (Beschluss des BGH vom 05.06.1997 - I ZB 26/96) hat das Sozialgericht Köln auf Antrag der Beteiligten im Hinblick auf ein vom Kläger gegen den VdAK vor den Sozialgerichten angestrengtes Verfahren mit gleichem Klageziel das Ruhen des Verfahrens beschlossen. Nachdem die Klage gegen den VdAK letztinstanzlich durch Urteil des BSG vom 25.09.2002 (B 3 KR 3/01 R) abgewiesen worden war, hat die Klägerin in diesem Verfahren am 16.05.2002 die Klage zurückgenommen.

Mit Beschluss vom 28.04.2003 hat das Sozialgericht den Gegenstandswert auf 4.000,- Euro festgesetzt. Es hat gemeint, dieser Wert werde dem wirtschaftlichen Interesse des Klägers an der angestrebten Entscheidung ausreichend gerecht, weil das Verfahren nur "vorsorglich" durchgeführt worden sei und im Hinblick auf das vorrangige Verfahren gegen den VdAK geruht habe. Mit der fristgerecht eingelegten Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, erstrebt der Beklagte die Erhöhung des Gegenstandswertes auf 189.178,- Euro, wobei er sich auf den Beschluss des LG Frankfurt am Main vom 13.11.1995 bezieht.

II.

Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache teilweise Erfolg, denn der Gegenstandswert ist auf 61.355,03 Euro festzusetzen.

Im vorliegenden Fall ist nicht § 197 a SGG (in der Fassung des 6. Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 17.08.2002 (BGBl. I 2144)) anzuwenden, sondern noch das bis zum 01.01.2002 geltende Gebührenrecht (Artikel 17 Abs. 2 Satz 1 des 6. Gesetzes zu Änderung des Sozialgerichtsgesetzes). Da der Bevollmächtigte des Beklagten den Auftrag schon im Jahre 1998 erhalten hat, ist nach § 134 Abs. 1 BRAGO der Gebührenanspruch auch noch nach dem bisherigen Recht zu berechnen. Somit greift auch die Umstellung der DM-Beträge auf Euro durch das Gesetz zur Umstellung des Kostenrechts und der Steuerberatergebührenverordnung auf Euro vom 27.04.2001 (BGBl. I, 751) nicht ein; vielmehr sind die alten DM-Beträge in Euro umzurechnen und dann kaufmännisch zu runden (vgl. Heitland, NJW 2001, 2305, 2306).

Nach dem alten Gebührenrecht wurden Gerichtsgebühren nur als Pauschgebühren erhoben (§ 184 SGG a.F.), während in Verfahren nach § 51 Abs. 2 Satz 1 SGG a.F. die Gebühren der Anwälte nach dem Gegenstandswert berechnet wurden (§ 116 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BRAGO a.F.). Eine solche Streitigkeit hat hier vorgelegen. Für die Berechnung nach dem Gegenstandswert gelten außer den sinngemäß anwendbaren Vorschriften des 3. Abschnitts die allgemeinen Vorschriften des 1. Abschnitts der BRAGO und damit auch deren § 8 (BSG SozR 1930 § 8 Nr. 2; SozR 3-1930 § 8 Nr. 1).

Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO a.F., da nach dem alten Gebührenrecht für die Gerichtsgebühren keine Wertvorschriften vorgesehen waren und sich der Gegenstandswert auch nicht aus bestimmten sinngemäß anzuwendenden Vorschriften der Kostenordnung ergab. Soweit - wie im vorliegenden Fall - der Gegenstandswert auch sonst nicht feststeht, ist er nach billigem Ermessen zu bestimmen; in Ermangelung genügender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Schätzung und bei nichtvermögensrechtlichen Gegenständen ist der Gegenstandswert auf 8.000,- DM, nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht über 1 Mio. DM anzunehmen (§ 8 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz BRAGO a.F.). Um Abweichungen gegenüber vergleichbaren Verfahren der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu vermeiden, ist bei der Einschätzung des Gegenstandswertes ergänzend die Vorschrift des § 13 GKG a.F. heranzuziehen (BSG SozR 1930 § 8 Nrn. 2, 3, 5; BSG, Beschluss vom 03.03.1998 - 11 AR 107/96). Das bedeutet, dass grundsätzlich auch im sozialgerichtlichen Verfahren der Gegenstandswert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache zu bemessen ist. Die Bedeutung der Sache entspricht in der Regel seinem wirtschaftlichen Interesse an der angestrebten Entscheidung und ihren Auswirkungen (BSG SozR 3-1930 § 8 Nrn. 1, 3).

Gegenstand des Verfahrens war die (teilweise) Aufhebung eines zwischen dem VdAK und dem Beklagten geschlossenen Hilfsmittellieferungsvertrages, der die Voraussetzungen der Abgabe von Hilfsmitteln durch Apotheken regelte. Insoweit kann dahinstehen, ob ein vermögensrechtlicher Gegenstand im Streit war (zur Definition s. Hartmann, Kostengesetze, 31. Auflage, § 30 KostO Rdnr. 3; zur Abgrenzung zwischen vermögensrechtlichen und nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten s. auch LSG NRW E-LSG B-098), denn jedenfalls fehlen genügend Anhaltspunkte, um den Wert des klägerischen Interesses schätzen zu können. Es ist kaum quantifizierbar, in welchem Umfang aufgrund des umstrittenen Vertrages den betroffenen Orthopädietechnikern Umsatzeinbußen drohen, zumal der Vertrag offensichtlich langfristige Bedeutung hat. Somit ist der Gegenstandswert ausgehend vom "Auffangwert" nach § 8 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz BRAGO a.F. zu bestimmen, wobei von der sonstigen Bedeutung der Sache für den Kläger auszugehen ist.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts kommt eine Festsetzung auf den in der Vorschrift genannten Wert von 8.000,- DM nicht in Betracht. Es handelt sich dabei nicht um einen Regelwert, sondern lediglich um einen Hilfswert, der nur in den Fällen heranzuziehen ist, in denen keine weiteren Anhaltspunkte für eine Wertfestsetzung vorliegen und eine individuelle Bewertung deshalb nicht möglich ist (OLG Köln, Rechtspfleger 1994, 416, 417; LAG Hamburg NZA 1993, 42, 43; s. auch BSG SozR 3-1930 § 8 Nr. 3). Im vorliegenden Fall ist unter Berücksichtigung des ideellen und materiellen Interesses der Beteiligten an dem Verfahren eine Erhöhung des Ausgangswertes geboten. Der umstrittene Vertrag hat für den Kläger (bzw. die durch ihn repräsentierten Orthopädietechniker) eine ganz erhebliche Bedeutung. Der Kläger hat selbst in der Klageschrift darauf hingewiesen, es sei erstmals ein bundesweit geltender Hilfsmittellieferungsvertrag geschlossen worden, der mittel- und langfristig dazu führen solle, dass der Vertrieb von Hilfsmitteln zu wesentlichen Teilen von den Sanitätsfachgeschäften auf die Apotheken verlagert und dadurch ein ruinöser Wettbewerb eröffnet werde. Auch wenn der Beklagte dieser Einschätzung des Klägers entgegengetreten ist, zeigen doch diese Ausführungen des Klägers, dass er auch im Hinblick auf die langfristigen Auswirkungen des Vertrages dem Rechtsstreit große Bedeutung beigemessen hat. Sein Hinweis, das Verfahren habe im Hinblick auf das zugleich gegen den VdAK angestrengte Verfahren nur "vorsorglichen" Charakter gehabt, geht fehlt. Wenn tatsächlich vorrangig der vermeintliche Anspruch gegen den VdAK war, fragt sich, warum der Kläger gleichzeitig den Beklagten verklagt hat. Offensichtlich ist der Kläger gegen beide Vertragspartner deshalb vorgegangen, weil er sich von der Klage gegen den Beklagten die Zuständigkeit der Zivilgerichte erhofft hatte, da diese bekanntlich in der Vergangenheit in vergleichbaren Fallkonstellationen ihre Zuständigkeit bei "wettbewerbsrecht licher Einkleidung" des erhobenen Anspruchs bejaht haben. Wenn der Kläger insoweit "zweispurig" gegen den Vertrag vorgegangen ist, kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, das eine oder das andere Verfahren habe im Vordergrund gestanden - der Kläger wollte vielmehr auf dem einen oder anderen Weg die Aufhebung des Vertrages erreichen. Dass er nach Verweisung dieses Verfahrens an die Sozialgerichtsbarkeit im Hinblick auf das bereits anhängige (und weiter gediehene) Verfahren gegen den VdAK das Interesse an diesem Verfahren verloren und das Ruhen des Verfahrens beantragt hat, rechtfertigt nicht die Annahme, er habe dem Verfahren von vornherein nur untergeordnete Bedeutung beigemessen. Allerdings muss bei der Bestimmung des Gegenstandswertes das Ruhen des Verfahrens und der daraus resultierende geringe Arbeitsaufwand der Verfahrensbevollmächtigten berücksichtigt werden. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände hält der Senat es für angemessen, als Gegenstandswert das 15-fache des Ausgangswertes von 8.000,- DM, mithin 120.000,- DM (= 61.355,03 Euro) festzusetzen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).






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