Landgericht Köln:
Urteil vom 31. März 2011
Aktenzeichen: 88 O 49/10

(LG Köln: Urteil v. 31.03.2011, Az.: 88 O 49/10)

Tenor

I.

Die Beklagte wird verurteilt,

bei Vermeidung eines Zwangsgelds im Einzelfall bis zu 25.000,00 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, durch Zwangshaft, oder durch Zwangshaft, die Postident-Dienstleistungen Postident Basic und Postident Comfort gegenüber der Klägerin zu 1 und ihren Kunden auf der Basis des zwischen den Parteien am 04.07.2007 geschlossenen Rahmenvertrags mit der EKP-Nr. ...#/... „über die Erbringung des Postident-Services durch die Deutsche Post“ über den 31.12.2010 hinaus zu erbringen.

II.

Die Beklagte wird verurteilt,

bei Vermeidung eines Zwangsgelds im Einzelfall bis zu 25.000,00 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, durch Zwangshaft, oder durch Zwangshaft, die Postident-Dienstleistungen Postident Basic und Postident Comfort gegenüber der Klägerin zu 2 und ihren Kunden mit dem Inhalt des Rahmenvertrages zwischen der Klägerin zu 1 und der Beklagten vom 04.07.2007 mit der EKP-Nr. ...#/... „über die Erbringung des Postident-Services durch die Deutsche Post“ zu erbringen.

III.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

IV.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger jeweils zu 10 % und im Übrigen (80 %) die Beklagte.

Das Urteil ist zu Ziffer I und II jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000,00 € vorläufig vollstreckbar und wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Klägerinnen begehren von der Beklagten aus Kartellrecht die Erbringung von Postident-Dienstleistungen, und zwar insbesondere im Zusammenhang mit Identifizierungen bei Anmeldungen zu einem gesicherten E-Mail-Dienst, sog. De-Mail.

Die Klägerinnen sind Konzernunternehmen der J2 AG, einer Konkurrentin der Beklagten. Die Beklagte verfügt in Deutschland über 150.000 Mitarbeiter, davon 80.000 Zusteller.

Die Klägerin zu 1 ist ein Internet-Provider mit ca. 9,5 Millionen Kundenverträgen. Sie bietet grundsätzlich kostenpflichtig Online-Anwendungen Privatpersonen, Gewerbetreibenden und Freiberuflern an.

Die Klägerin zu 2 ist eine Tochtergesellschaft der Klägerin zu 1, die u.a. die grundsätzlich kostenlosen Dienste X und x.de betreibt.

Beide Klägerinnen streben nach eigenen Angaben die Aufnahme des De-Mail-Dienstes an. Sie geben an, ihnen lägen zwischenzeitlich über 750.000 Vorregistrierungen vor.

Der De-Mail-Dienst soll eine rechtssichere elektronische Kommunikation zwischen Absender und Empfänger ermöglichen. Zu diesem Zweck ist vorgesehen, dass sich Interessenten bei einem Provider registrieren lassen. Dann erfolgt die Kommunikation über den Provider, der seine Dienstleistung in Rechnung stellt.

Die nähere Ausgestaltung des De-Mail-Dienstes ist durch ein vom Bundestag am 24.02.2011 verkündetes Gesetz zur Regelung von De-Mail-Diensten und zur Änderung weiterer Vorschriften (De-Mail-Gesetz) erfolgt, das noch nicht verkündet ist. Danach ist im Rahmen der Registrierung von Interessenten eine Identifizierung erforderlich. Hierzu lautet die Regelung:

§ 3

Eröffnung eines De-Mail-Kontos

(1) Jeder kann bei einem akkreditierten Diensteanbieter einen Bereich in einem De-Mail-

Dienst beantragen, welcher nur ihm zugeordnet ist und nur von ihm genutzt werden kann

(De-Mail-Konto). Eine natürliche Person muss zum Zeitpunkt der Antragstellung mindestens

16 Jahre alt sein.

(2) Der akkreditierte Diensteanbieter hat die Identität des Antragstellers zuverlässig

festzustellen. Dazu erhebt er folgende Angaben:

1. bei einer natürlichen Person Name, Geburtsort, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit

und Anschrift;

2. bei einer juristischen Person oder Personengesellschaft oder öffentlichen Stelle Firma,

Name oder Bezeichnung, Rechtsform, Registernummer, soweit vorhanden, Anschrift

des Sitzes oder der Hauptniederlassung und Namen der Mitglieder des

Vertretungsorgans oder der gesetzlichen Vertreter; ist ein Mitglied des

Vertretungsorgans oder der gesetzliche Vertreter eine juristische Person, so wird deren

Firma, Name oder Bezeichnung, Rechtsform, Registernummer, soweit vorhanden, und

Anschrift des Sitzes oder der Hauptniederlassung erhoben.

(3) Zur Überprüfung der Identität des Antragstellers hat sich der akkreditierte

Diensteanbieter anhand der nachfolgenden Dokumente zu vergewissern, dass die nach

Absatz 2 Satz 2 erhobenen Angaben zutreffend sind:

1. bei natürlichen Personen anhand eines gültigen amtlichen Ausweises, der ein Lichtbild

des Inhabers enthält und mit dem die Pass- und Ausweispflicht im Inland erfüllt wird,

eines inländischen oder nach ausländerrechtlichen Bestimmungen anerkannten oder

zugelassenen Passes, Personalausweises oder Pass- oder Ausweisersatzes oder

anhand von Dokumenten mit gleichwertiger Sicherheit; die Überprüfung der Identität

kann auch anhand des elektronischen Identitätsnachweises nach § 18 des

Personalausweisgesetzes erfolgen.

2. bei juristischen Personen oder Personengesellschaften oder öffentlichen Stellen

anhand eines Auszugs aus dem Handels- oder Genossenschaftsregister oder einem

vergleichbaren amtlichen Register oder Verzeichnis, der Gründungsdokumente oder

gleichwertiger beweiskräftiger Dokumente oder durch Einsichtnahme in die Registeroder

Verzeichnisdaten.

Der akkreditierte Diensteanbieter kann von dem amtlichen Ausweis eine Kopie

erstellen. Er hat die Kopie unverzüglich nach Feststellung der für die Identität

erforderlichen Angaben des Teilnehmers zu vernichten.

Der akkreditierte Diensteanbieter darf dazu mit Einwilligung des Antragstellers

personenbezogene Daten verarbeiten oder nutzen, die er zu einem früheren Zeitpunkt

erhoben hat, sofern diese Daten die zuverlässige Identitätsfeststellung des Antragstellers

gewährleisten.

(4) Eine Nutzung der De-Mail-Dienste durch den Antragsteller ist erst möglich, nachdem

der akkreditierte Diensteanbieter das De-Mail-Konto des Antragstellers freigeschaltet hat.

Eine Freischaltung erfolgt, sobald

1. der akkreditierte Diensteanbieter den Antragsteller eindeutig identifiziert hat und die

Identitätsdaten des Antragstellers erfasst und erfolgreich überprüft wurden,

2. der akkreditierte Diensteanbieter dem Antragsteller seine Anmeldedaten auf

geeignetem Wege übermittelt hat und

3. der Antragsteller im Rahmen einer initialen Anmeldung nachgewiesen hat, dass er die

Anmeldedaten erfolgreich nutzen konnte.

(5) Dem akkreditierten Diensteanbieter obliegt als allgemeine Sorgfaltspflicht auch nach

der Eröffnung des De-Mail-Kontos eines Nutzers, dass die zu diesem Nutzer vorgehaltenen

Identitätsdaten mit den vorhandenen Informationen über den Nutzer übereinstimmen. Er hat

sicherzustellen, dass die jeweiligen Nachweise und Informationen in angemessenem

zeitlichem Abstand auf ihre Aktualität überprüft werden.

Für die Ausführung soll Grundlage die Technische Richtlinie 01201 des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (TR BSI) sein. Auf die Anlage B 31 wird verwiesen. Nach Inkrafttreten des Gesetzes beginnt der Akkreditierungsprozess möglicher De-Mail-Anbieter bei dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik.

Die Beklagte bietet als Dienstleistung den Postident-Service an, der - je nach konkreter Ausgestaltung - für eine Identifizierung von Interessenten geeignet ist. Die Leistung Postident-Basic bietet eine Identifikation des Benutzers durch Vorlage eines Personalausweises in einer Filiale der Beklagten und erfüllt die Vorgaben des Geldwäschegesetzes (GwG). Postident-Comfort bietet eine Identifikation durch einen Zusteller der Beklagten und genügt ebenfalls den Vorgaben des GwG. Postident-Special bietet eine Identifizierung durch den Zusteller, die aber nicht GwG-konform ist.

Die Beklagte bietet auch das Produkt E-Postbrief an, das nach einer gesetzlichen Regelung als De-Mail fortgeführt werden soll. Bei der Beklagten haben sich für den E-Postbrief ca. 1 Million Kunden registrieren lassen.

Zwischen der Klägerin zu 2 und der Beklagten bestehen keine vertraglichen Beziehungen.

Die Klägerin zu 1 schloss mit der Beklagten am 04.07.2007 einen Rahmenvertrag über die Erbringung des Postident-Services durch die Beklagte im Zusammenhang mit anderen Produkten der Klägerin zu 1. Es handelt sich um die Variante Postident-Special.

Die Beklagte kündigte diesen Vertrag mit Schreiben vom 27.09.2010 mit Wirkung zum 31.12.2010 und bot den Abschluss eines neuen Vertrages an mit folgendem Passus in § 1 Satz 2:

"Eine Leistungspflicht besteht aber nicht, wenn die Durchführung von Postident-Services im Zusammenhang mit Dienstleistungen steht, die die Vertragsparteien im Wettbewerb zueinander erbringen (z.B. Identifizierung zur Anmeldung zu einem sicheren E-Mail-Service wie DE-Mail".

Die Klägerin zu 1 wendet sich gegen die Kündigung, nahm aber den angebotenen Neuvertrag unter Aufrechterhaltung ihrer Rechtsauffassung an, um die Sicherstellung ihrer weiteren Dienstleistungen zu erreichen.

Eine geeignete Identifizierungsleistung wird neben der Beklagten und deren Tochter Z von der Fa. I AG (I) angeboten. Diese Firma verfügt über etwas mehr als 2.000 Mitarbeiter, davon ca. 1.700 Zusteller. Während die Beklagte 2009 4,1 Millionen Postident-Leistungen erbrachte, kam I auf 625.000 Identifizierungsleistungen.

Am 20.10.2010 fand zwischen einem Mitarbeiter der Klägerinnenin zu 2 und einem Mitarbeiter der Beklagten statt, über dessen Inhalt Streit besteht.

Die Klägerinnen halten die Beklagte für verpflichtet, die begehrte Postident-Dienstleistung für den Bereich des De-Mail-Dienstes zur Verfügung zu stellen, da diese Dienstleistung für die Einführung des De-Mail-Dienstes unerlässlich sei.

Die Klägerinnen berufen sich darauf, dass neben der Beklagten und deren Tochtergesellschaft Z nur ein weiterer Anbieter, I, eine geeignete Identifizierung am Markt anbieten. Diese sei in ihrer Existenz bedroht, weil deren Gesellschafterin die insolvente H GmbH sei. Auch biete I keine Identifizierung im Schalterdienst an. Bei dem Gespräch am 20.10.2010 sei von Klägerseite nicht geäußert worden, es gäbe weitere Anbieter, etwa die Volks- und Raiffeisenbanken sowie Einwohnermeldeämter. Entsprechend dem noch nicht verkündeten Gesetzesentwurf bedürfe es einer Identifizierung nach den Vorschriften des Geldwäschegesetzes. Dies sei insbesondere bei der von der Beklagten angebotenen Dienstleistung der Fall. Das Postidentverfahren sei in einer älteren Fassung der TR BSI auch ausdrücklich erwähnt. Das von der Beklagten angebotene Postident-Verfahren sei am Markt am weitesten verbreitet. Die Klägerinnen sind der Auffassung, die Beklagte nehme im Markt der standardisierten, bundesweiten, sicheren, persönlichen und nicht elektronischen Identifizierung eine Monopolstellung, jedenfalls eine marktbeherrschende Stellung in Deutschland von ca. 90 % Marktanteil ein. Im Rahmen der Marktabgrenzung könne nicht auch auf elektronische Authentifikationssysteme abgestellt werden. Es seien auch nur etablierte Identifizierungssysteme maßgeblich. Von der Beklagten genannte andere Anbieter seien bei der Beurteilung nicht zu berücksichtigen, wozu die Klägerinnen mit Schriftsatz vom 11.02.2011 näher ausführen. Insbesondere könne der Markt nicht auf jegliche Identifizierungsleistung bezogen werden. Es seien aber auch nicht alle Identifizierungen, die den Anforderungen des GwG genügen, zu berücksichtigen, da diese - etwa bei Banken - teilweise nur für interne Zwecke vorgenommen werden. Die Kündigung und das Verhalten der Beklagten verstoße ohne sachliche Rechtfertigung gegen kartellrechtliche - auch europäische (Art. 102 AEUV) - Vorschriften. Die Klägerinnen hätten vielmehr einen Anspruch auf ein diskriminierungsfreies Angebot eines Postident-Dienstes, auch in Form des Netzzugangs. Anderenfalls drohe ihre Verdrängung im Markt des De-Mail-Dienstes. Zudem kämen der Beklagten durch einen hierdurch erreichten Kundenzulauf weitere Netzwerkeffekte zugute, da das System der Beklagten mit zunehmender Kundenzahl attraktiver werde. Die Klausel in dem angebotenen Neuvertrag stelle eine unbillige Behinderung dar. Schließlich sei die Beklagte auch lauterkeitsrechtlich gemäß §§ 8, 3, 4 Nr. 10 UWG verpflichtet, ihre Behinderung einzustellen.

Das Klagebegehren sei nicht auf eine künftige Leistung gerichtet, sondern betreffe eine gegenwärtige Leistungsverweigerung der Beklagten. Die Klägerinnen seien unabhängig von dem Gesetz betreffend den De-Mail-Dienst entschlossen, einen sicheren E-Mail-Dienst umzusetzen. Zudem lägen die Voraussetzungen einer Klage auf künftige Leistung gemäß § 259 ZPO vor.

Nach "Präzisierung" stellen die Klägerinnen mit Schriftsatz vom 22.12.2010 und in der mündlichen Verhandlung vom 23.12.2010 die folgenden Anträge.

Die Klägerin zu 1 beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr nach § 888 ZPO zu gebieten, sämtliche Postident-Dienstleistungen, insbesondere die Leistungen Postident Basic und Postident Comfort, gegenüber der Klägerin zu 1 und ihren Kunden auf der Basis des zwischen den Parteien am 04.07.2007 geschlossenen Rahmenvertrags mit der EKP-Nr. ...#/... "über die Erbringung des Postident-Services durch die Deutsche Post" über den 31.12.2010 hinaus zu erbringen.

Die Klägerin zu 2 beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr nach § 888 ZPO zu gebieten, sämtliche Postident-Dienstleistungen, insbesondere die Leistungen Postident Basic und Postident Comfort, gegenüber der Klägerin zu 2 und ihren Kunden mit dem Inhalt des Rahmenvertrages zwischen der Klägerin zu 1 und der Beklagten vom 04.07.2007 mit der EKP-Nr. ...#/... "über die Erbringung des Postident-Services durch die Deutsche Post" zu erbringen.

Hilfsweise beantragt die Klägerin zu 1,

die Beklagte zu verurteilen, ihr nach § 888 ZPO zu gebieten, auf Nachfrage der Klägerin zu 1 dieser und deren Kunden gegenüber die Leistungen Postident Basic und Postident Comfort auf Basis des von der Beklagten mit Schreiben vom 27.09.2010 übermittelten Rahmenvertragsentwurfes zu erbringen mit der Maßgabe, dass die Beklagte auch dann eine Leistungspflicht trifft, wenn die Durchführung von Postident-Leistungen im Zusammenhang mit Dienstleistungen steht, die die Klägerin zu 1 im Wettbewerb mit der Beklagten erbringt, namentlich bei der Identifizierung zur Anmeldung zu einem sicheren E-Mail-Service, wie De-Mail.

Hilfsweise beantragt die Klägerin zu 2,

die Beklagte zu verurteilen, ihr nach § 888 ZPO zu gebieten, auf Nachfrage der Klägerin zu 2 dieser und deren Kunden gegenüber die Leistungen Postident Basic und Postident Comfort auf Basis des von der Beklagten mit Schreiben vom 27.09.2010 übermittelten Rahmenvertragsentwurfes zu erbringen mit der Maßgabe, dass die Beklagte auch dann eine Leistungspflicht trifft, wenn die Durchführung von Postident-Leistungen im Zusammenhang mit Dienstleistungen steht, die die Klägerin zu 2 im Wettbewerb mit der Beklagten erbringt, namentlich bei der Identifizierung zur Anmeldung zu einem sicheren E-Mail-Service, wie De-Mail.

Mit Schriftsatz vom 11.02.2011 - nach der mündlichen Verhandlung - beantragen die Klägerinnen äußerst hilfsweise,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, sämtliche Postident-Dienstleistungen, insbesondere die Postident Basic und Postident Comfort, gegenüber den Klägerinneninnen und deren Kunden auf Basis des von der Beklagten mit Schreiben vom 27.09.2010 übermittelten Rahmenvertragsentwurfes zu erbringen mit der Maßgabe, dass die Beklagte auch dann eine Leistungspflicht trifft, wenn die Durchführung von Postident-Leistungen im Zusammenhang mit Dienstleistungen steht, die die Klägerinnen im Wettbewerb mit der Beklagten erbringen, namentlich bei der Identifizierung zur Anmeldung zu einem sicheren E-Mail-Service, wie De-Mail.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, sie sei berechtigt, den Klägerinnen Postident-Dienstleistungen vorzuenthalten, wenn diese - wie bei De-Mail - mit ihr in Konkurrenz treten.

Die Klägerinnen würden den Markt zu eng fassen. Es sei vielmehr auf alle Identifizierungsleistungen abzustellen. Es müssten alle Dienstleister einbezogen werden, die in der Lage seien Identifizierungen durchzuführen oder dies schon praktizieren. Eine Beschränkung auf Postident-Leistungen gehe fehl und entspreche nicht der gesetzlichen Intention. In der neuesten Fassung der TR BSI werde auch nicht mehr ausdrücklich auf Postident-Leistungen abgestellt.

Die Beklagte sei keineswegs marktbeherrschend. Bei der Betrachtung des Marktvolumens seien Anbieter einzubeziehen, die Identifizierungsleistungen anbieten, etwa Mobilfunkanbieter im Zuge des Abschlusses von Neuverträgen.

Es gebe neben der Beklagten, Z und I noch weitere Anbieter. Es sei von den Klägerinnen nicht dargelegt, warum I nicht in der Lage sein soll, die bei den Klägerinnen anfallenden Identifizierungsleistungen zu erbringen. I biete ab 500.000 Identifizierungen jährlich immerhin individuelle Preise an. I sei keineswegs in seiner Existenz bedroht. Der Mitarbeiter der Klägerin zu 2 habe in dem Gespräch vom 20.10.2010 selbst auf weitere mögliche Anbieter von Identifizierungsleistungen hingewiesen, etwa auf Volks- und Raiffeisenbanken und Einwohnermeldeämter. Neben diesen sei auf den Paketdienstleister Hermes zu verweisen, der in angemessener Zeit einen Dienst anbieten könne. Ähnliches gelte für B, A, C, E und F. Ferner könne auf das Filialnetz der U AG - T-Punkte - hingewiesen werden, Banken und Sparkassen, Einzelhändler wie O, Lotto-Annahmestellen, Videotheken und Autovermietungen. Insbesondere B und A hätten erklärt, zur Identifizierung von ca. 500.000 möglichen Nutzern jährlich in der Lage zu sein. Den Klägerinnen sei auch zuzumuten, mehrere Identifizierungsdienstleister zu beauftragen. Ferner sei die Marktbetrachtung nicht auf etablierte Anbieter zu beschränken. Das Gegenteil folge nicht aus Ziffer 3.4.2 TR BSI.

Das Postidentverfahren sei für die Klägerinnen nicht unerlässlich, da diese über zumutbare Ausweichmöglichkeiten verfügen würden. Dies gelte insbesondere für die Inanspruchnahme eines Netzes (§ 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB), da die Klägerinnen das Filialnetz der Beklagten für ihre Dienstleistungen nicht zu nutzen beabsichtigen. Erst recht werde nicht sämtlicher Wettbewerb ausgeschaltet.

Zukünftig sei zu berücksichtigen, dass ein De-Mail-Anbieter auf eine vorangegangene Identifizierung durch einen anderen Anbieter mit Einverständnis des Nutzers zurückgreifen könne. Auch erlaube der neue Personalausweis eine Identifizierung über das Internet von zu Hause aus. Auch bestehe die Möglichkeit eines elektronischen Identifizierungsverfahrens.

Soweit sich die Anträge auf den gekündigten Vertrag beziehen, sei die dort vereinbarte Leistung Postident-Special für den angestrebten Zweck ungeeignet.

Die Klägerinnen hätten schon seit längerem mit Identifizierungen über I beginnen können und ihnen sei daher der Einwand verwehrt, diese Firma benötige zu lange für alle Interessenten der Klägerinnen. Die Klägerin zu 2 gehe von einem "operativen Start" des De-Mail-Dienstes erst im 3. Quartal 2011 aus. Das entspreche ihrer unternehmerischen Entscheidung.

Der ursprüngliche Klageantrag sei zu unbestimmt und angesichts der angesprochenen Interessentenzahl sei die Erfüllung der Beklagten unzumutbar. Zudem sei das De-Mail-Gesetz noch nicht wirksam. Die Klägerinnen könnten sich nicht auf ein abstraktes Leistungsbegehren berufen, wenn aktuell keine entsprechenden Leistungen abgerufen würden. Es bestehe keine Pflicht zur Förderung fremden Wettbewerbs bei zumutbaren Ausweichmöglichkeiten wie hier.

Auch könne von der Beklagten nicht die uneingeschränkte Bereitstellung von Dienstleistungen verlangt werden, die bezogen auf die Interessenten der Klägerinnen außer Verhältnis zu den bisher bezogenen Dienstleistungen stehe.

Eine unbillige Behinderung liege ebenso wenig vor wie eine Behinderung gemäß § 4 Nr. 10 UWG.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

I.

Die Klage ist zulässig.

1.

Durchgreifende Bedenken wegen einer Klage auf eine künftige Leistung bestehen nicht.

a)

Diese sind in dem Umfang bereits gegenstandslos, in dem sich die Klägerinnen auf eine bereits bestehende diskriminierende Behinderung berufen. In diesem Umfang wird nämlich ein gegenwärtiger Anspruch erhoben und keine künftige Leistung verlangt. Ob die Voraussetzungen für einen gegenwärtigen Anspruch der Klägerinnen begründet sind, ist dann keine Frage der Zulässigkeit, sondern des materiellen Rechts und damit der Begründetheit.

b)

Soweit sich die Klägerinnen für einen Anspruch auf Umstände berufen, die nach der mündlichen Verhandlung eingetreten sind, insbesondere Beendigung des Rahmenvertrages vom 04.07.2007 zum 31.12.2010 und Verabschiedung des De-Mail-Gesetzes, können sich wiederum Bedenken ergeben, dass hier für die Anspruchsbegründung auf erst künftige Ereignisse abgestellt wird. § 259 ZPO ermöglicht zwar die Klage auf künftige Leistung bei Besorgnis nicht rechtzeitiger Leistung. Dies setzt allerdings einen Anspruch voraus, der dem Grunde nach bereits entstanden ist, während erst ein künftig entstehender Anspruch keine Klage gemäß § 259 ZPO ermöglichen würde. Bezogen auf die Beendigung des Rahmenvertrages vom 04.07.2007 bieten sich keine entscheidenden Hindernisse für die Zulässigkeit. Das Klagebegehren in der "präzisierten" Form ist nämlich nicht mehr auf eine dem Rahmenvertrag innewohnende Leistungspflicht gerichtet. Die Klägerinnen begehren nämlich die Leistungen Postident Basic oder Comfort und gerade nicht die in dem Rahmenvertrag vereinbarte Leistung Postident Special, von der die Parteien übereinstimmend annehmen, dass sie den Anforderungen des De-Mail-Gesetzes und der TR BSI nicht konform ist. Der Rahmenvertrag vom 04.07.2007 betrifft nicht die begehrte Leistung und dient daher nur als äußerer Rahmen für die mit der Klage gewünschte Erweiterung des Leistungsspektrums, wozu noch bei Auslegung der Klageanträge auszuführen ist. Daher ist der Fortbestand des alten Rahmenvertrages bis zum 31.12.2010 nicht relevant.

Im Ergebnis steht der Klage auch nicht entgegen, dass das De-Mail-Gesetz noch nicht verkündet, im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht einmal verabschiedet war. Die Klägerinnen berufen sich darauf, in jedem Fall einen sicheren E-Mail-Dienst entsprechend der De-Mail einzurichten, und zwar unabhängig von dem De-Mail-Gesetz. Sie hätten schon entsprechende Geschäftsführungsbeschlüsse gefasst. Es kann nicht angenommen werden, die Klägerinnen würden diese unternehmerische Entscheidung nur vorschieben, um in den Genuss der begehrten Leistungen zu kommen. Diese Leistungen machen für die Klägerinnen nur dann Sinn, wenn sie selbst die entsprechende De-Mail-Leistung anbieten, sei es eigenständig oder im Rahmen des vor der Verkündung stehenden De-Mail-Gesetzes. Mit guten Gründen berufen sich die Klägerinnen auf die Notwendigkeit einer alsbaldigen Einführung des De-Mail-Dienstes unter Hinweis auf die Einführung des Produktes E-Postbrief der Beklagten. Die Beklagte hat das Produkt E-Postbrief in Vorgriff auf die Einführung des De-Mail-Dienstes am Markt eingeführt. Es ist daher plausibel, dass sich die Klägerinnen ebenfalls um eine alsbaldige Produkteinführung bemühen, und daher die beanspruchten Leistungen unabhängig von dem De-Mail-Gesetz ernsthaft begehren.

Gegen die Haltung der Klägerinnen spricht nicht, dass sie bislang mit den Identifizierungen nicht begonnen und auch den De-Mail-Dienst nicht eingeführt haben. Ausgehend von dem Standpunkt der Klägerinnen, ohne die Postident-Leistungen der Beklagten nicht erfolgversprechend einen De-Mail-Dienst aufbauen zu können, müssen sie sich nicht entgegen halten lassen, bislang von einer Einführung des De-Mail-Dienstes abgesehen zu haben. Zwar ist nicht zu verkennen, dass jedenfalls auch nach dem Vortrag der Klägerinnen mit den Identifizierungsleistungen über I hätte begonnen werden können. In Anbetracht der Anzahl der Vorregistrierungen hätte dies auf Grundlage des Vortrags der Klägerinnen aber bedeutet, den De-Mail-Dienst einzuführen, ohne in der Lage zu sein, zeitnah sämtliche Registrierungen durchzuführen, was aus unternehmerischer Sicht für die Klägerinnen im Hinblick auf unzufriedene Kunden nachteilig wäre.

Es ist festzuhalten, dass die Klägerinnen gegenwärtig bestehende Ansprüche geltend machen.

2.

Bedenken gegen die Bestimmtheit der Klageanträge bestehen nicht. Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, dass das Volumen der abzuwickelnden Postident-Leistungen für die Klägerinnen nicht feststeht. Nach dem letzten Sachstand bestehen immerhin 750.000 Vorregistrierungen. Es ist indes nicht ersichtlich, dass die Beklagte in einer Größenordnung in Anspruch genommen würde, die ihre Leistungsfähigkeit übersteigt. Unwidersprochen erbrachte die Beklagte 2009 4,1 Millionen Postident-Leistungen. Dass ihr die Abarbeitung der Identifizierungen für die Klägerinnen nicht möglich wäre, hat die Beklagte nicht behauptet, sie hat lediglich Zweifel geäußert, weil eine Inanspruchnahme keine Obergrenze vorsehe. Es ist indes davon auszugehen, dass die Dienstleistungen für die Klägerinnen nach Abarbeitung der Vorregistrierungen deutlich zurückgehen werden. Ernsthafte Kapazitätsprobleme sind daher nicht ersichtlich. Auch im Übrigen ist eine unverhältnismäßige Inanspruchnahme der Beklagten nicht zu besorgen, da sie für ihre Tätigkeit eine marktgerechte Vergütung erhält.

Eine bedenkliche Unbestimmtheit der Klageanträge folgt auch nicht daraus, dass diese keinen Vorbehalt für geänderte Marktverhältnisse beinhalten. Für diesen Fall ist die Beklagte auf die Erhebung einer Abänderungsklage gemäß § 323 ZPO zu verweisen, mit der die wesentliche Änderung derjenigen Verhältnisse, die für die Verurteilung maßgeblich waren, geltend gemacht werden kann.

II.

Die Klage ist im Umfang der Verurteilung begründet.

1.

Die Klageanträge bedürfen der Auslegung, soweit einerseits mit den Hauptanträgen auf den Rahmenvertrag vom 04.07.2007 abgestellt wird und zum anderen "insbesondere" die Erbringung der Dienstleistungen Postident-Basic und Postident-Comfort verlangt wird. Ungeachtet des rechtlichen Fortbestands dieses Vertrages bezieht er sich nämlich auf das Produkt Postident-Special, das nach übereinstimmender Auffassung der Parteien - auch unter Berücksichtigung von § 3 der Regelung des noch nicht verkündeten De-Mail-Gesetzes und der TR BSI - für eine hinreichend sichere Identifizierung ungeeignet ist.

Die Klägerinnen bringen mit ihrem Begehren indes zum Ausdruck, dass sie den Abschluss eines Rahmenvertrages für Postident-Basic und Postident-Comfort wünschen, so wie der konkret zwischen der Beklagten und der Klägerin zu 1 abgeschlossene Rahmenvertrag ausgestaltet ist. Soweit die Klägerin zu 1 in ihrem Antrag "auf der Basis des…Rahmenvertrags" formuliert und die Klägerin zu 2 "mit dem Inhalt des Rahmenvertrages…", scheint dies zwar dafür zu sprechen, dass die Klägerin zu 1 den Rahmenvertrag als gültig behandelt wissen will und auf die weiteren Produkte erstrecken möchte. Im Kern verlangen beide Klägerinnen aber die Erbringung der De-Mail-Dienstkonformen Postident-Leistungen auf einer vertraglichen Grundlage, die der des mit der Klägerin zu 1 geschlossenen Rahmenvertrags vom 04.07.2007 entspricht. Damit bringen die Klägerinnen zugleich zum Ausdruck, sich den vertraglichen Regelungen zu unterwerfen, wie die Beklagte sie üblicherweise verwendet. In Abgrenzung zu den Hilfsanträgen soll gerade die wettbewerbseinschränkende Klausel nicht zum Tragen kommen.

So verstanden verlangen die Klägerinnen nicht den Rahmenvertrag vom 04.07.2007 als solchen mit anderen Produkten fortzusetzen. Vielmehr verlangen sie die Erbringung der Postident-Leistungen Basic oder Comfort auf einer dem Rahmenvertrag entsprechenden vertraglichen Grundlage. Daher verfangen die Beanstandungen der Beklagten, die Klägerinnen könnten den für ein anderes Leistungsprodukt geltenden Rahmenvertrag nicht auf die Produkte Basic und Comfort ausweiten, nicht. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der Rahmenvertrag vom 04.07.2007 noch über den 31.12.2010 hinaus Bestand hat oder nicht.

2.

Art. 102 AEUV i.V.m. § 33 GWB rechtfertigen den ausgeurteilten Kontrahierungszwang.

a)

Dem steht zunächst nicht entgegen, dass die Klägerin zu 1 sich auf das neue Rahmenvertragsangebot eingelassen hat. Die Klägerin zu 1 hat zugleich deutlich gemacht, an ihrem Standpunkt, die Wettbewerbseinschränkung nicht als verbindlich hinzunehmen, gegenüber der Beklagten festzuhalten. Daher ist die Klägerin zu 1 nicht darauf zu verweisen, dass sie in Kenntnis der kartellrechtlichen Problematik freiwillig den geänderten Rahmenvertrag abgeschlossen hat. Ungeachtet dessen unterfällt die Wettbewerbseinschränkung dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung und damit der Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB.

b)

Die Anwendbarkeit von Art. 102 AEUV steht zwischen den Parteien nicht im Streit. Dem steht die Zwischenstaatlichkeitsklausel in Art. 102 Satz 1 AEUV nicht entgegen. Es wird nämlich davon ausgegangen (Leitlinien der Kommission), dass die Eignung zur Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten schon dann anzunehmen ist, wenn die Wettbewerbsbeschränkung überregionale Bedeutung hat. Dies ist bei der Inanspruchnahme bundesweiter Identifizierungsleistungen durch die Klägerinnen erfüllt. Dementsprechend ist die Wettbewerbsbeschränkung auch geeignet, den zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehr spürbar zu beeinträchtigen. Zwar bewegen sich die Parteien mit den in Rede stehenden Leistungen nur auf dem deutschen Markt. Falls aber ein Mitbewerber aus einem anderen EU-Staat Interesse an dem Aufbau eines De-Mail-Dienstes haben, wäre eine spürbare Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehrs unter Annahme der weiteren Voraussetzungen des Art. 102 AEUV ohne Zweifel gegeben.

c)

Die Beklagte nimmt im Bereich der für den De-Mail-Dienst konformen Identifizierungsleistungen eine marktbeherrschende Stellung ein.

aa)

Im Rahmen der Marktabgrenzung ist auf persönliche - nicht elektronische - Identifizierungen in einem bundesweiten standardisierten Verfahren abzustellen, die den Anforderungen des verabschiedeten De-Mail-Gesetzes genügen. Diese im Wesentlichen der Auffassung der Klägerinnen entsprechende Marktabgrenzung begründet sich aus folgenden Überlegungen.

Die räumliche Marktabgrenzung erfordert angesichts der von den Klägerinnen bundesweit angestrebten Dienstleistung auch eine entsprechende Befähigung der Marktteilnehmer, bundesweit tätig zu werden. Hierzu bedarf es aber keiner weiteren Ausführungen, da die unstreitigen Konkurrenten sämtliche bundesweit tätig sind, neben der Beklagten und ihrer Tochtergesellschaft Z nämlich noch I. Eine daneben existierende, funktionierende flächendeckende regionale Struktur von Identifizierungsdienstleistungen besteht nicht, auch nicht durch die von der Beklagten im Rahmen ihrer Marktbeobachtung bezeichneten Unternehmen.

In zeitlicher Hinsicht ist zur Marktabgrenzung zu bemerken, dass sich die Beklagte nicht auf Unternehmen berufen kann, die die angesprochene Identifizierungsdienstleistung derzeit nicht anbieten und lediglich erwägen, eine entsprechende Dienstleistung künftig anzubieten. Daher ist nur auf die Unternehmen abzustellen, die derzeit schon eine geeignete Identifizierungsdienstleistung anbieten. Das ist auch auf Grundlage des Beklagtenvortrages bei den von ihr bezeichneten weiteren Unternehmen bislang nicht gegeben.

Bei Beurteilung des sachlich relevanten Marktes ist - im Anschluss an die vorstehenden Ausführungen - auf zunächst die Anforderungen der Regelung des De-Mail-Gesetzes konforme Identifizierungen abzustellen. Zwar ist dies bezogen auf einen eigenständigen sicheren E-Maildienst, wie ihn die Klägerinnen ungeachtet des De-Mail-Gesetzes einzuführen beabsichtigen, nicht zwingend erforderlich. Angesichts der in Kürze zu erwartenden Verkündung des De-Mail-Gesetzes wäre es wirtschaftlich aber unvertretbar, geringere Anforderungen für eine Identifizierungsleistung zu fordern, als nach dem De-Mail-Gesetz gefordert ist. Dann müssten die Klägerinnen nämlich bei einer Anpassung ihrer Dienstleistung an das De-Mail-Gesetz die Identifizierungen wiederholen, was einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde.

Die von der Beklagten im Rahmen ihrer Marktbeobachtung angesprochenen weiteren Anbieter erfüllen - jedenfalls derzeit - auch nach dem Beklagtenvortrag nicht die geforderten Anforderungen für eine konforme Identifizierung. Überwiegend finden bei diesen Unternehmen Identifizierungen zu eigenen Zwecken statt, nicht aber als Fremddienstleistung. Soweit die Beklagte darauf hinweist, in einem Gespräch vom 20.10.2010 habe ein Mitarbeiter der Klägerin zu 2 auf andere Anbieter hingewiesen, ändert dies nichts daran, dass nach dem Sach- und Streitstand derzeit - noch - keine anderen Anbieter für die konforme Identifizierung zur Verfügung stehen.

Für die Marktabgrenzung ist auf die persönlichen Identifizierungen abzustellen. Dabei wird nicht verkannt, dass nach § 3 Abs. 3 De-Mail-Gesetz sowie Ziffer 3.4 der TR BSI auch andere Identifizierungsverfahren in Betracht zu ziehen sind, so etwa im Rahmen des Signaturgesetzes oder mittels des neuen Personalausweises. Den Klägerinnen ist aber in ihrer Beurteilung zu folgen, dass sich diese - elektronischen - Verfahren bislang am Markt nicht in einer relevanten Weise durchgesetzt haben. Für eine flächendeckende Einführung eines De-Mail-Dienstes bleiben die Klägerinnen daher auf persönliche Identifizierung, etwa am Schalter oder durch einen Zusteller, angewiesen.

Schließlich ist die Bereitstellung eines standardisierten Verfahrens erforderlich. Zum einen muss dieses Verfahren die Vorgaben des De-Mail-Gesetzes berücksichtigen. Zum anderen ist angesichts der 750.000 Vorregistrierungen unabdingbar, eine Standardisierung zu fordern, da anderenfalls bei den Klägerinnen ein erhöhter Kontrollaufwand anfallen würde.

bb)

Auf der Grundlage dieser Marktabgrenzung bleiben als aktuelle Mitbewerber die Beklagte, deren Tochter Z sowie die I. Die Beklagte nimmt eine marktbeherrschende Stellung in dem deutschen Markt ein. Es ist nicht anzunehmen, dass Z sich gegen die Interessenten der Beklagten stellt, daher ist der Beklagten bei der Beurteilung Z zuzurechnen.

Stellt man die vorgetragenen Zahlen für die Beklagte einerseits und I andererseits gegenüber, besteht an einer marktbeherrschenden Stellung der Beklagten in dem vorbezeichneten Markt kein ernsthafter Zweifel. In den für 2009 angegebenen Identifizierungszahlen von 4,1 Millionen für die Beklagte und 625.000 für I lässt sich ein Verhältnis von etwa 85 % Marktanteil der Beklagten ablesen, wobei noch unklar ist, ob sich dieser Anteil durch die Identifizierungsleistungen von Z noch erhöhen müsste. Auch das Verhältnis der Mitarbeiterzahlen als Potenzial für künftige Marktanteile spricht eindeutig für die Beklagte. Diese verfügt über 150.000 Mitarbeiter, davon 80.000 Zusteller, gegenüber 2.000 Mitarbeitern, davon 1.700 Zusteller, bei I. Selbst wenn I nach dem Vortrag der Beklagten sich ein höheres Volumen an Identifizierungsleistungen zutraut als sie 2009 erbracht hat, ändert dies an der marktbeherrschenden Stellung der Beklagten nichts. Dass sich die Marktbeherrschung nur auf einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union bezieht, ändert nichts daran, dass es sich um einen wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes handelt (Löwenheim/Meessen/Riesenkampff/Bergmann, Kartellrecht, Art. 82, Rdnr. 143 m.w.N.).

Die von der Beklagten angesprochenen Ausweichmöglichkeiten auf andere Unternehmen - ungeachtet deren Beachtlichkeit im Rahmen von Art. 102 AEUV - bestehen nicht, da - wie schon dargelegt - diese jedenfalls derzeit entsprechende Dienstleistungen nicht anbieten oder konkret demnächst anbieten. Auch I als einzige Ausweichmöglichkeit müssen sich die Klägerinnen nicht entgegen halten lassen. Zwar geht die Beklagte gegen den Vortrag der Klägerinnen davon aus, I sei in der Lage die Identifizierungsleistungen vollständig zu erbringen. In einem Verhältnis von nur zwei Unternehmen, von denen eines einen erheblichen Marktanteil besitzt, kann von einer beachtlichen Ausweichmöglichkeit nicht gesprochen werden.

d)

Ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung der Beklagten liegt darin, dass sie gegenüber den Klägerinnen die Verweigerung der Dienstleistungen mit ihren eigenen Wettbewerbschancen auf dem De-Mail-Markt begründet. Hier liegt ein Fall des Behinderungsmissbrauchs vor. Die Leistungseinschränkung auf dem Markt der Identifikationsleistungen wirkt sich damit auf den Wettbewerb der Parteien im Markt des De-Mail-Dienstes unmittelbar aus. Zwar wirkt sich die Behinderung wirtschaftlich nicht auf dem Markt der Identifizierungsleistungen aus, sondern auf dem Markt De-Mail-Dienste. Damit nimmt die Beklagte aber nachhaltigen Einfluss auf die Wettbewerbsaussichten der Klägerinnen im Bereich des Marktes De-Mail-Dienste.

e)

Für dieses missbräuchliche Verhalten der Beklagten findet sich keine sachliche Rechtfertigung. Die Beklagte nutzt vielmehr ihre Marktmacht aus, um sich auf einem anderen Markt einen Vorteil zu verschaffen. Demgegenüber spielt der von der Beklagten angesprochene Gesichtspunkt, sie sei nicht verpflichtet, Mitbewerber zu ihrem eigenen Schaden zu fördern keine entscheidende Rolle. Der Einsatz von Marktmacht, um sich einen Vorteil auf einem anderen Markt zu verschaffen, widerspricht dem Ziel eines freien Wettbewerbs. Dadurch kann Marktmacht vielmehr auf andere Märkte unter Ausschluss des Wettbewerbs übertragen werden.

f)

Folge des Verstoßes gegen Art. 102 AEUV ist zunächst die Nichtigkeit der entgegenstehenden wettbewerbsbeschränkenden Klausel in dem neuen Rahmenvertrag gemäß § 134 BGB. Damit kann die Beklagte die Vereinbarung dieser Klausel der Klägerin zu 1 nicht entgegenhalten.

Im Übrigen ist die Beklagte den Klägerinnen wegen der Verweigerung der Dienstleistungen und dem Verstoß gegen Art. 102 AEUV gemäß § 33 Abs. 3 GWB schadensersatzpflichtig. Die Klägerinnen als von der Maßnahme Betroffene sind für den Anspruch aktiv legitimiert.

Der Verstoß - Verweigerung der beanspruchten Identifizierungsleistungen - ist auch schuldhaft begangen, da diese bewusst mit dem Ziel ausgesprochen wurden, die Konkurrenzsituation im Bereich des De-Mail-Marktes zu beeinflussen. Dem entspricht jedenfalls die von der Beklagten aufgenommene wettbewerbsbeschränkende Klausel in dem neuen Rahmenvertrag. Folge ist ein Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 249 BGB im Wege der Naturalrestitution. Besteht wie hier der Schaden in der Weigerung einen bestimmten Vertrag abzuschließen, so ist der Schadensersatzanspruch im Wege eines Kontrahierungszwangs auf Abschluss eines solchen Vertrages gerichtet (Bechtold, GWB, § 33, Rdnr. 20 m.w.N.). Ob daneben auch ein Kontrahierungszwang aus einem Beseitigungsanspruch begründet ist, bedarf keiner Entscheidung.

Allerdings können die Klägerinnen eine Verurteilung aus Kartellrecht nur im Umfang der aus ihrer Sicht notwendigen Dienstleistungen erreichen. Dies betrifft nicht alle Postident-Dienste, sondern nur die De-Mail-Gesetzkonformen Dienste Postident Basic und Postident Comfort. Wegen des weitergehenden Antrags, der auch Postident Special umfasst, war die Klage abzuweisen. Hiervon ist die vertragliche Regelung zwischen der Klägerin zu 1 und der Beklagten betreffend die Dienstleistung Postident Special für andere Zwecke allerdings nicht berührt.

Dementsprechend war nach den Hauptanträgen gemäß der Antragsauslegung zu erkennen.

3.

Zugleich - nicht entscheidend - liegt in dem Verhalten der Beklagten ein Verstoß gegen § 19 Abs. 1, 4 Nr. 1 GWB in Form der nationalen Regelung des Behinderungsmissbrauchs.

Ob zugleich ein Ausbeutungsmissbrauch gemäß § 19 Abs. 1, 4 Nr. 2 GWB und ein Missbrauch durch Zugangsverweigerung gemäß § 19 Abs. 1, 4 Nr. 4 GWB vorliegt, kann dahin stehen. Gegen einen Ausbeutungsmissbrauch spricht, dass sich die Beklagte auf dem relevanten Markt vollständig weigert, Leistungen für die Klägerinnen zu erbringen. Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob es sich bei den Zustellern und Vertriebseinrichtungen um ein Netz handelt, zu dem die Beklagte den Zugang zu Unrecht verweigert.

Ebenso kann dahin stehen, ob ein Verstoß gegen § 20 Abs. 1 und 2 GWB in Form des Diskriminierungsverbots und des Verbots unbilliger Behinderungen vorliegt. Hierzu ist nicht ersichtlich, dass Mitbewerbern der Klägerinnen im De-Mail-Dienst die den Klägerinnen versagten Leistungen gewährt werden.

Letztlich kann dahin stehen, ob ein Anwendungsfall von §§ 8, 3, 4 Nr. 10 UWG vorliegt, wobei zweifelhaft ist, ob unter diesem Gesichtspunkt ein Kontrahierungszwang durchzusetzen wäre.

4.

Auf die Hilfsanträge kommt es bei dieser Sachlage nicht mehr an. Eine weitergehende Verurteilung betreffend sämtliche Postident-Dienstleistungen kann auch nach den Hilfsanträgen nicht erreicht werden.

5.

Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 92 Abs. 1, 709 ZPO.

Streitwert: 500.000,00 €






LG Köln:
Urteil v. 31.03.2011
Az: 88 O 49/10


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