Bundespatentgericht:
Beschluss vom 12. April 2007
Aktenzeichen: 6 W (pat) 363/03

(BPatG: Beschluss v. 12.04.2007, Az.: 6 W (pat) 363/03)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Bundespatentgericht hat in seinem Beschluss vom 12. April 2007 (Aktenzeichen 6 W (pat) 363/03) das Patent 101 35 523 widerrufen.

Der Einspruch gegen das am 31. Juli 2003 veröffentlichte Patent wurde am 30. Oktober 2003 erhoben. Der Einsprechende behauptet, dass der erteilte Anspruch 1 unzulässig erweitert, nicht neu und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Als Beweis wird unter anderem auf eine Veröffentlichung von K. Hauswurz im Jahr 1999 verwiesen, in der eine ähnliche Presseneinrichtung beschrieben wird.

Die Patentinhaberin legt in der mündlichen Verhandlung neue Ansprüche und eine geänderte Beschreibung vor und beantragt, das Patent aufrechtzuerhalten. Ihrer Meinung nach erfüllt der Gegenstand des neuen Anspruchs 1 die Erfordernisse von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit.

Das Bundespatentgericht entscheidet, dass der Einspruch ausreichend substantiiert und zulässig ist. Es kann jedoch nicht der Anregung des Einsprechenden gefolgt werden, den neuen Hauptantrag als verspätetes Vorbringen zurückzuweisen. Dies ist aufgrund der geltenden Verfahrensregeln nicht möglich.

Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass der Gegenstand des bestrittenen Patents keine patentfähige Erfindung darstellt. Es wird festgestellt, dass die Presseneinrichtung nach dem geltenden Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Eine ähnliche Einrichtung ist bereits in einer Veröffentlichung beschrieben. Eine zusätzliche Maßnahme in Form von Stauchungsmesseinrichtungen kann keine erfinderische Tätigkeit begründen, da sie bereits ein bekanntes Mittel zur exakten Ermittlung der Pressparameter ist.

Aufgrund dieser Gründe wird das Patent widerrufen und zusammen mit dem Anspruch 1 werden auch die auf ihn rückbezogenen Unteransprüche für nicht gewährbar erklärt.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Beschluss v. 12.04.2007, Az: 6 W (pat) 363/03


Tenor

Das Patent 101 35 523 wird widerrufen.

Gründe

I.

Gegen das am 31. Juli 2003 veröffentlichte Patent 101 35 523 mit der Bezeichnung "Presseneinrichtung zum Herstellen maßhaltiger Presslinge aus pulverförmigem Material" ist am 30. Oktober 2003 Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sei unzulässig erweitert, er sei weiterhin nicht neu und beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

In der Einspruchsbegründung wird u. a. auf den Beitrag "Dorst Maschinen- und Anlagenbau GmbH & Co." von K. Hauswurz auf den Seiten 233 bis 235 in der Publikation "Pulvermetallurgische Formgebung im Wandel", Pulvermetallurgie in Wissenschaft und Praxis - Band 15, 1999, VDI-Gesellschaft Werkstofftechnik (Anlage E1) sowie eine vergrößerte Kopie der Abbildung auf Seite 233 dieses Beitrags (Anlage E2) verwiesen.

Die Einsprechende beantragt, das angegriffene Patent zu widerrufenund regt an, den neuen Hauptantrag der Patentinhaberin als verspätet zurückzuweisen.

Die Patentinhaberin legt in der mündlichen Verhandlung neue Ansprüche 1 bis 12 sowie eine geänderte Beschreibung vor und beantragt, das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrecht zu erhalten:

Patentansprüche 1 bis 12 Beschreibung, Sp. 1 und 2, jeweils eingereicht in der mündlichen Verhandlung, im Übrigen wie Patentschrift.

Sie ist der Auffassung, dass der Gegenstand des neuen Anspruchs 1 die Erfordernisse der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit erfüllt.

Der geltende Anspruch 1 lautet:

"Presseneinrichtung zum Herstellen maßhaltiger Presslinge aus im Wesentlichen pulverförmigem Material, insbesondere Eisenpulver oder Keramikpulver, mit - einem Rahmenwerk (70, 73), welches über eine untere Verbindungseinrichtung (71) mit einem Unterbären einer Presse und über eine obere Verbindungseinrichtung (72) mit einem Oberbären der Presse adaptermäßig verbindbar ist,

- einer Matrizenhalteplatte (5), die im Rahmenwerk (70, 73) angeordnet ist,

- wobei die Matrizenhalteplatte (5) relativ zu einem Grundkörper (0) verschiebbar in dem Rahmenwerk (70) angeordnet ist,

- einer Vielzahl von Stempelträgern (1 - 4), von denen zumindest ein Teil am Rahmenwerk (70) relativ zur Matrizenhalteplatte (5) und relativ zum Grundkörper (0) verschiebbar zwischen diesen gelagert ist, wobei die Stempelträger (1 - 4) mittels Kolben-/Zylinder-Antrieben relativ zum Grundkörper (0) in Füll- und Pressstellungen bewegbar sind, und - Abstützeinrichtungen (12, 22, 32, 42), welche die Stempelträger (1 - 4) in Pressendstellung relativ zum Grundkörper (0) abstützen,

- wobei die Abstützeinrichtungen (12, 22, 32, 42) zwischen dem Grundkörper (0) und den zugeordneten Stempelträgern (1 - 4) derart angeordnet sind, dass auf den Stempelträgern (1 - 4) sitzende Stempel in Pressendstellung über die Abstützeinrichtungen (12, 22,32, 42) in Kraftlinie zentral abgestützt sind, dadurch gekennzeichnet,

- dass Stauchungsmesseinrichtungen an den Abstützeinrichtungen (12, 22, 32, 42) und/oder Stempelträgern (1, 2, 3, 4) befestigt sind."

Wegen der auf den Anspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 12 sowie wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

1. Über den Einspruch ist gemäß § 147 Abs 3 Ziff. 1 PatG in der Fassung des Gesetzes zur Bereinigung von Kostenregelungen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums vom 13. Dezember 2001 (Art. 7) durch den Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.

2. Der frist- und formgerecht erhobene Einspruch ist ausreichend substantiiert und zulässig.

Dies ist von der Patentinhaberin auch nicht bestritten worden.

3. Der Senat konnte der Anregung der Einsprechenden nicht nachkommen, den in der mündlichen Verhandlung eingereichten neuen Hauptantrag als verspätetes, das Verfahren verzögerndes Vorbringen in Anwendung von § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. §§ 282 Abs. 1 und 2, 296 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Zum einen ermöglicht § 296 Abs. 2 ZPO lediglich die Zurückweisung von Angriffs- und Verteidigungsmitteln. Es ist in der Rechtsprechung aber anerkannt, dass unter Angriffs- und Verteidigungsmittel (definiert in § 146 ZPO) nicht verfahrensbestimmende Anträge wie Klageänderung oder Klageerweiterung sowie das darauf bezogene Vorbringen fallen, die ebenfalls den Streitgegenstand beeinflussen und eine erneute materiellrechtliche Beurteilung erfordern (vgl. Thomas-Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 146 Rn. 2). Auch in Berufungsverfahren in Nichtigkeitssachen, wo die Geltendmachung neuer Tatsachen und Beweismittel eingeschränkt ist (§ 117 ZPO), ist anerkannt, dass Anträge der Parteien im Termin grundsätzlich nicht verspätet sein können (vgl. Schulte, Patengesetz, 7. Aufl., § 117 Rn. 5 mit Fundstellen aus der Rspr.). Zum anderen gehen §§ 282 Abs. 1 und 2, 296 Abs. 2 ZPO vom Beibringungsgrundsatz aus, der im Gegensatz zu dem im patentamtlichen und patentgerichtlichen Verfahren herrschenden Amtsermittlungsgrundsatz steht. Nach herrschender Meinung wird darum eine entsprechende Anwendung dieser Regelungen im Einspruchsverfahren abgelehnt (vgl. Schulte, a. a. O., Einl. Rn. 172, 173; Busse, Patentgesetz, 6. Aufl. § 87 Rn. 8).

Im Übrigen ist es durch die Einreichung der neuen Anträge in der mündlichen Verhandlung auch nicht zu einer Verzögerung des Verfahrens gekommen, weil die Einsprechende genügend Zeit hatte, sich mit den neuen Patentansprüchen vertraut zu machen und zu diesen ausführlich und substantiiert in der mündlichen Verhandlung Stellung genommen hat.

4. Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt keine patentfähige Erfindung im Sinne der §§ 1 bis 5 PatG dar.

4.1. Es mag dahinstehen, ob die zweifelsfrei gewerblich anwendbare Presseneinrichtung nach dem geltenden Anspruch 1 neu ist oder nicht, da der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 nicht das Ergebnis einer erfinderischen Tätigkeit ist.

Wie übereinstimmend und auch zutreffend in der mündlichen Verhandlung von beiden Parteien ausgeführt worden ist, offenbart die Anlage E1/E2 eine Presseneinrichtung mit sämtlichen Merkmalen des Oberbegriffs des geltenden Anspruchs 1.

Von dieser Presseneinrichtung unterscheidet sich die Presseneinrichtung gemäß dem geltenden Anspruch 1 dadurch, dass Stauchungsmesseinrichtungen an den Abstützeinrichtungen (12, 22, 32, 42) und/oder Stempelträgern (1, 2, 3, 4) befestigt sind."

Eine solche Maßnahme vermag nach Auffassung des Senats jedoch keine erfinderische Tätigkeit zu begründen.

Wie seitens der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung zugestanden, sind bei der Presseneinrichtung nach der Anlage E1/E2 bereits Messeinrichtungen (schwarzweiß gefärbte vertikale Balken) an Abstützeinrichtungen 12 und/oder Stempelträgern (Platten 1, 2, 3, 4) befestigt.

Somit unterscheidet sich die Lehre des geltenden Anspruchs 1 dadurch vom Stand der Technik, dass die aus der E2 bekannten Messeinrichtungen als Stauchungsmesseinrichtungen ausgebildet werden.

Stauchungs- oder auch Dehnungsmesseinrichtungen (vgl. Sp. 8, Z. 32/33) sind dem hier einschlägigen Fachmann, einem Maschinenbauingenieur mit langjähriger Erfahrung im Pulverpressenbau, auch ohne gesonderten druckschriftlichen Nachweis aufgrund seines allgemeinen Fachwissens und insbesondere seiner speziellen, im Pressenbau erworbenen Kenntnisse hinlänglich bekannt. Denn Stauchungs- oder Dehnungsmesseinrichtungen stellen ein bei Presseneinrichtungen hinlänglich bekanntes und auch oft eingesetztes Mittel zur exakten Ermittlung der Pressparameter dar.

Wenn also der Fachmann vor der Aufgabe stand, bei insbesondere in Kraftlinie zentraler Abstützung eine konstante Qualität zu ermöglichen (vgl. Sp. 2, handschriftliche Einfügung der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Beschreibung), und er erkannt hat, dass die in der Anlage E1/E2 verwendeten Messeinrichtungen diese Aufgabe nicht zufriedenstellend bewältigen können, so wird er sich nach anderen, für seine Zwecke geeigneten Messeinrichtungen umsehen und dabei auch die ihm aus dem Pressenbau hinlänglich bekannten Stauchungs- bzw. Dehnungsmesseinrichtungen in Betracht ziehen. Wenn er nun solche bekannten Stauchungs- bzw. Dehnungsmesseinrichtungen bei einer Presseneinrichtung nach der Anlage E1/E2 einsetzt, führt dies auf direktem Weg zu einer Presseneinrichtung nach dem geltenden Anspruch 1.

Der Fachmann brauchte also lediglich aus den ihm bekannten Messeinrichtungen diejenige herauszusuchen, welche für seine Zwecke am besten geeignet ist. Eine solche Auswahl gehört jedoch zum täglichen Brot eines Ingenieurs und vermag somit eine erfinderische Tätigkeit nicht zu begründen.

Der geltende Anspruch 1 ist somit nicht gewährbar.

4.2. Zusammen mit dem Anspruch 1 fallen auch die auf ihn rückbezogenen Unteransprüche.






BPatG:
Beschluss v. 12.04.2007
Az: 6 W (pat) 363/03


Link zum Urteil:
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