Bayerisches Landessozialgericht:
Beschluss vom 21. Juni 2010
Aktenzeichen: L 2 U 428/09 B PKH

(Bayerisches LSG: Beschluss v. 21.06.2010, Az.: L 2 U 428/09 B PKH)

Tenor

I. Der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 14. September2009 wird aufgehoben.

II. Der Beschwerdeführerin wird für das Verfahren vor demSozialgericht Augsburg Prozesskostenhilfe bewilligt und die Dr. S.Rechtsanwalts GmbH, B-Straße, B-Stadt, beigeordnet.

Gründe

I.

Streitig ist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das beim Sozialgericht Augsburg anhängige Klageverfahren, in dem die Klägerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Bf.) eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H. anstatt der bewilligten 20 v.H., hilfsweise um mehr als 20 v.H. begehrt.

Die 1967 geborene Bf. war am 6. März 2004 auf dem Weg von der Toilette zu ihrem Arbeitsplatz gestürzt. Sie zog sich eine traumatische Syndesmosenruptur und Distorsion des rechten Sprunggelenks zu. Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Bg.) holte u.a. ein unfallchirurgisches Rentengutachten der Prof. Dr. M./Dr. H. (Klinikum A.) vom 22. Juni 2007 ein. Die Sachverständigen sind unter Einbezug eines radiologischen Zusatzgutachtens zu dem Ergebnis gelangt, dass als Unfallfolgen noch ein Zustand nach Distorsion des rechten Sprunggelenks mit Syndesmosenruptur nach operativer Versorgung, eine osteochondrale Läsion der medialen Talusschulter mit Zustand nach arthroskopischer Narbendebridement und Debridement Knorpelläsion, eine rezividierende Schwellneigung des rechten Unterschenkels und der Sprunggelenksregion, Schmerzen des rechten Sprunggelenks sowie teilweise belastungsabhängig eine Bewegungseinschränkung des rechten oberen und unteren Sprunggelenks bestünden. Die MdE werde auf 20 v.H. geschätzt. Der Medizinische Service der Bg. schloss sich am 26. September 2007 dieser Einschätzung weitgehend an.

Mit Bescheid vom 16. Oktober 2007 gewährte die Bg. bis auf Weiteres eine Rente in Höhe von 20 v.H. ab 21. Juni 2007.

Zur Begründung des Widerspruchs brachte die Bf. vor, dass die wesentlichen gesundheitlichen Einschränkungen einen höheren "Grad der Behinderung" als den festgesetzten, nämlich mindestens 50 v.H. rechtfertigten. Die Bg. holte ein weiteres Gutachten der Prof. Dr. M./Dr. H. vom 8. September 2008 ein, die die MdE erneut auf 20 v.H. einschätzten. Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2009 wies die Bg. daraufhin den Widerspruch zurück.

Mit der Klage zum Sozialgericht Augsburg hat die Bf. einen Anspruch auf eine Rente nach einer MdE in Höhe von 50 v.H. weiter verfolgt. Zum einen weise das Gutachten der Prof. Dr. M./Dr. H. erhebliche Mängel auf, zum anderen komme es wegen einer fehlenden Überdeckung der Einzelschäden zu einer Kumulierung der Unfallfolgen mit einer weiter eingeschränkten MdE, die mit insgesamt 50 angesetzt werden müsse. Zwar liege keine Versteifung des Sprunggelenks vor. Hinsichtlich der Bewegungseinschränkungen im oberen Sprunggelenk hat die Bf. aber mit den Gutachtensleitlinien argumentiert. Hinzu kämen die Belastungsbeschwerden und die Schwellneigung. Hilfsweise betrage die MdE jedenfalls 40 v.H.

Mit Beschluss vom 14. September 2009 hat das Sozialgericht einen Antrag der Bf. vom 15. Juni 2009 auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung abgelehnt. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Ein für die Bf. günstiges Beweisergebnis sei unwahrscheinlich. Aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen stehe ihr eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer höheren MdE als 20 v.H. nicht zu. Insoweit bedürfe es keiner weiteren Ermittlungen von Amts wegen, insbesondere durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, mehr. Lediglich aufgrund der belastungsabhängigen, subjektiven Beschwerden und insbesondere der Schwellneigung halte es das Gericht bei wohlwollender Betrachtung für gerechtfertigt, die MdE mit 20 v.H. zu bemessen.

Zur Begründung der hiergegen eingelegten Beschwerde hat die Bf. die Ansicht vertreten, dass zumindest eine Erhöhung der MdE von 20 auf 30 v.H. zu gewähren sei. Eine erneute Begutachtung sei geboten. Die Erfolgsaussichten könnten nicht vor einer durch einen Mediziner als Sachverständigen zu erholenden Beweiswürdigung ausgeschlossen werden.

Die Bg. hat sich hierzu nicht geäußert.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des behandelnden Chirurgen Dr. S. vom 25. Juni 2009 eingeholt.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Nach § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit den §§ 114 f Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe. Voraussetzungen sind dabei neben einem Antrag, der Glaubhaftmachung der Bedürftigkeit und dem Ausschluss der Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung, § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Ist, wie im sozialgerichtlichen Verfahren, eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist, § 121 Abs. 2 ZPO.

12Das Sozialgericht lehnte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab, da keine hinreichende Erfolgsaussicht für die Klage gegeben sei. Zur Beurteilung der Erfolgsaussicht darf und muss sich das Gericht mit einer vorläufigen Prüfung der Erfolgsaussicht begnügen. Der Erfolg braucht zwar nicht gewiss zu sein, muss aber nach den bisherigen Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben. Ist der geltend gemachte Anspruch noch ungewiss und bedarf er einer weiteren Sachverhaltsaufklärung, ist dies ausreichend, um eine gewisse Erfolgsaussicht wahrscheinlich erscheinen zu lassen.

Vorliegend ist durchaus fraglich, ob die Klage eine Aussicht auf Erfolg hat. Dabei ist das Klageziel nicht mehr, wie zunächst beantragt, im Rahmen des Anspruchs auf eine Rente nach § 56 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch auf eine MdE um 50 v.H. gerichtet, sondern - zumindest im Hilfsantrag - auf über 20 v.H. Dies ergibt sich zuletzt aus der Beschwerdebegründung, die auf eine MdE um mindestens 30 v.H. gerichtet ist. Der Senat teilt die Begründung des Sozialgerichts, dass die Erfolgsaussicht einer Klage auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 50 v.H. oder 40 v.H. nicht wahrscheinlich ist. Insoweit wird auf die zutreffende Begründung des Sozialgerichts verwiesen. Dabei ist besonders hinzuweisen, dass sich die Grundsätze für das Entschädigungsrecht, auf die die Bf. mehrfach Bezug nimmt, von denen für das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung erheblich unterscheiden.

Soweit das Klageziel auf die Festsetzung einer MdE um 30 v.H. gerichtet ist, ist eine ausreichende Erfolgsaussicht zu bejahen. Zwar sprechen die beiden Gutachten der Prof. Dr. M./Dr. H. dafür, dass die MdE mit 20 v.H., auch im Hinblick auf die Fachliteratur, zutreffend bewertet ist. Es wird aber noch zu klären sein, ob die bestehenden und von der Bg. anerkannten Schmerzen und die Schwellneigung über das übliche Maß bei einer vergleichbaren gesundheitlichen Beeinträchtigung hinausgehen und somit zu einer Erhöhung der MdE führen. Darüber hinaus datieren die vorliegenden Gutachten zuletzt vom September 2008, so dass sich auch insoweit neue, entscheidungsrelevante Tatsachen ergeben können. Das Sozialgericht sah sich bereits veranlasst, von Amts wegen Ermittlungen - hier durch Einholung eines aktuellen Befundberichts des behandelnden Chirurgen - einzuholen. Da der Erfolg der Klage insoweit noch als ungewiss anzusehen ist und weitere Ermittlungen zum medizinischen Sachverhalt vorgenommen wurden, ist von einer gewissen Erfolgsaussicht der Klage auszugehen.

Auch die weiteren Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, insbesondere die Bedürftigkeit der Bf., sind erfüllt. Prozesskostenhilfe ist deshalb zu bewilligen, unter Berücksichtigung der angegebenen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ohne Ratenzahlung.

16Die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erscheint erforderlich, so dass dieser beizuordnen ist (§ 73 a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO). Dabei ist entgegen dem Wortlaut des § 73 a Abs. 1 S. 2 SGG bzw. § 121 Abs. 1 ZPO auch die Beiordnung einer Anwalts-GmbH im Sinne der § 59 c ff der Bundesrechtsanwaltsordnung zulässig (so auch z.B. BGH NJW 2009, 440; OLG Nürnberg, NJW 2002, 3715; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 68. Aufl. 2010, § 121 Rdnr. 7; a.A. z.B. LSG Baden-Württemberg, Breith. 2010, 91 f; Bayer. LSG, Beschluss v. 4. Juli 2006, Az.: L 15 B 44/03 R KO), so dass, wie beantragt, die Dr. S. Rechtsanwalts GmbH als eigenständige juristische Person (vgl. auch § 59 c Abs. 1 BRAO) beizuordnen ist. Der Senat hat keine Bedenken, die für den Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit aufgrund der Rechtsentwicklung als gefestigt anzusehende Rechtsansicht auch auf das sozialgerichtliche Verfahren zu übertragen und die Regelungen der §§ 73 a Abs. 1 S. 1 SGG, 121 ZPO verfassungskonform erweiternd auszulegen.

Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet; dies ergibt sich aus § 73 a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.






Bayerisches LSG:
Beschluss v. 21.06.2010
Az: L 2 U 428/09 B PKH


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