Landgericht Kiel:
Beschluss vom 4. November 2009
Aktenzeichen: 14 O 97/98

(LG Kiel: Beschluss v. 04.11.2009, Az.: 14 O 97/98)

Tenor

Der im Beherrschungsvertrag vom 06.01.1998 zwischen der XXX und der XXX vorgesehene Ausgleich sowie die gesetzliche und die alternative Abfindung werden wie folgt neu festgesetzt:

(Ausgleich)

Für jedes volle Geschäftsjahr der XXX und für jede Aktie der XXX im Nennbetrag von DM 50,-- ein Gewinnanteil von 203 % des Betrages, der als Gewinnanteil (Dividende und etwaiger Bonus) auf eine Inhaber-Stammaktie der XXX im künftigen Nennbetrag von DM 5,-- in dem entsprechenden Geschäftsjahr - solange das Geschäftsjahr der XXX von dem Geschäftsjahr der XXX abweicht, in dem jeweils vor dem Ende des Geschäftsjahres der XXX endenden Geschäftsjahr der XXX - entfällt.

(gesetzliche Abfindung)

für jeweils sechs Aktien der XXX im Nennbetrag von je DM 50,-- sieben Inhaber-Stammaktien der XXX im Nennbetrag von je DM 5,-- mit voller Gewinnberechtigung für das Geschäftsjahr 1997/1998 sowie eine bare Zuzahlung von DM 24,97 (12,77 €) je sechs Aktien der XXX.

(alternative Abfindung)

a) für jeweils sechs Aktien der XXX im Nennbetrag von je DM 50,-- sieben Inhaber-Vorzugsaktien der XXX im Nennbetrag von je DM 5,-- sowie eine bare Zuzahlung von DM 124,89 (63,86 €) je sechs Aktien der XXX.

b) Aufkauf der Aktien der XXX gegen Barzahlung von DM 188,76 (96,51 €) je Aktie im Nennbetrag von DM 50,--.

Die Barabfindung und der Mehrbetrag, um den der festgesetzte Ausgleich über die im Vertrag zugesagten hinausgeht, ist ab dem 18.03.1998 mit jährlich 2 % über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank zu verzinsen.

Die Antragsgegnerinnen tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerinnen und des gemeinsamen Vertreters.

Gründe

I.

Die Antragstellerinnen sind Aktionäre der ehemaligen XXX, jetzt firmierend unter Versandhandelabwicklungsgesellschaft.

Im November 1997 erwarb die XXX ca. 85 % der Aktien der XXX, die sich bis dahin in den Händen zweier Großaktionäre befunden hatten. Anschließend erwarb sie im Rahmen eines freiwilligen Kaufangebots weitere XXX-Aktien aus Streubesitz und verfügte zuletzt über ca. 98,3 % des gesamten Grundkapitals von 40 Mio. DM. Am 06.01.1998 schloss die XXX mit der XXX einen Beherrschungsvertrag, mit dem sie die Leitung ihrer Gesellschaft der XXX unterstellte. Diesem Vertrag stimmte die Hauptversammlung der XXX am 23.02.1998 zu. Die Eintragung im Handelsregister erfolgte am 17.03.1998, die Veröffentlichung im Bundesanzeiger, in dem die Veröffentlichungen der XXX nach

§ 3 ihrer Satzung ausschließlich bekannt zu machen waren, am 16.04.1998.

Der Beherrschungsvertrag enthielt folgendes Angebot an die außenstehenden Aktionäre der XXX:

- Als Ausgleich für jedes volle Geschäftsjahr der XXX und für jede Aktie der XXX im Nennbetrag von DM 50,-- einen Gewinnanteil von 120 % des Betrages, der als Gewinnanteil (Dividende und etwaiger Bonus) auf eine Inhaber-Stammaktie der XXX im künftigen Nennbetrag von DM 5,-- in dem entsprechenden Geschäftsjahr - solange das Geschäftsjahr der XXX von dem Geschäftsjahr der XXX abweicht, in dem jeweils vor dem Ende des Geschäftsjahres der XXX endenden Geschäftsjahr der XXX - entfällt,

- als Abfindung für jeweils sechs Aktien der XXX im Nennbetrag von je DM 50,-- sieben Inhaber-Stammaktien der XXX im Nennbetrag von je DM 5,-- mit voller Gewinnberechtigung für das Geschäftsjahr 1997/1998 sowie eine bare Zuzahlung von DM 14,82 je sechs Aktien der XXX,

- als alternative Abfindung a) für jeweils sechs Aktien der XXX im Nennbetrag von je DM 50,-- sieben Inhaber-Vorzugsaktien der XXX im Nennbetrag von je DM 5,-- mit voller Gewinnberechtigung für das Geschäftsjahr 1997/1998 sowie eine bare Zuzahlung von DM 74,11 je sechs Aktien der XXX, b) Aufkauf der Aktien der XXX gegen Barzahlung von DM 112,-- je Aktie im Nennbetrag von DM 50,--.

Grundlage für die Bewertung waren von beiden Gesellschaften eingeholte Gutachten von Wirtschaftsprüfern, deren Ergebnis in einem gemeinsamen Bericht der Mitglieder der Vorstände wiedergegeben wurde. Die von der XXX bestellte Vertragsprüferin, die XXX in XXX, hatte die vorgeschlagene Ausgleichszahlung am 09.01.1998 für angemessen erklärt.

Gegen die angebotene Abfindung wendet sich die Antragstellerin zu 2.) mit einem am 06.05.1998, die Antragstellerin zu 1.) mit einem am 11.06.1998 beim LG Kiel eingegangenen Antrag auf Festsetzung eines angemessenen vertraglichen Ausgleichs sowie einer angemessenen Abfindung. Mit Verfügung vom 27.08.1998 hat das Gericht die beiden Verfahren verbunden.

Das Amtsgericht XXX eröffnete über das Vermögen der XXX mit Beschluss vom 01.12.2002 das Insolvenzverfahren und bestellte den Antragsgegner zu 2.) zum Insolvenzverwalter. Mit weiterem Beschluss des Amtsgerichts XXX vom 02.12.2002 wurde das Insolvenzverfahren auch über das Vermögen der XXX eröffnet und der Antragsgegner zu 1.) zum Insolvenzverwalter bestellt.

Die Antragstellerinnen tragen vor, angebotener Ausgleich und Abfindung beruhten auf einer unangemessen niedrigen Bewertung der XXX und einer zu hohen Bewertung der XXX. Die Antragstellerin zu 1.) führt insbesondere an, das Ertragspotential der XXX sei im Vergleich zur XXX grundlos zu niedrig bewertet worden, obwohl beide Unternehmen auf vergleichbaren Märkten tätig seien. Die Umsatzprognosen für die XXX seien wirklichkeitsfremd, dagegen sei die Ausgangslage für XXX zu schlecht dargestellt worden. Auch die Annahmen zum Kapitalisierungszinssatz seien falsch. Dass die XXX im Ergebnis zu niedrig bewertet worden sei, ergebe sich auch schon aus dem freiwilligen Kaufangebot der XXX in Höhe von 195 DM.

Die Antragstellerin zu 1.) beantragt,

für den zwischen den ursprünglichen Antragsgegnerinnen zu 1. und 2. abgeschlossenen Beherrschungsvertrag vom 06.01.1998, dem die Hauptversammlung der ursprünglichen Antragsgegnerin zu 1. am 23.02.1998 zugestimmt hat, den nach § 304 AktG geschuldeten vertraglichen Ausgleich sowie die nach § 305 AktG zu gewährende Abfindung gerichtlich zu bestimmen; auszusprechen, dass der Betrag der angemessenen Barabfindung sowie der Mehrbetrag, um den der angemessene Ausgleich über das im Vertrag Zugesagte hinausgeht, jeweils ab Fälligkeit mit 2 % über dem Diskontsatz der Deutschen Bundesbank zu verzinsen sind.

Die Antragstellerin zu 2.) beantragt

gerichtliche Bestimmung der angemessenen Abfindung (§ 305 Abs. 5 Satz 2 AktG) und der angemessenen jährlichen Ausgleichszahlung (§ 304 Abs. 3 Satz 3 AktG) für die außenstehenden Aktionäre der ehemaligen Antragsgegnerin zu 1.

Die ursprünglichen Antragsgegnerinnen sind den Anträgen unter Bezugnahme auf die vorliegende, von ihnen für zutreffend erachtete Unternehmensbewertung entgegengetreten und haben zudem die Ansicht vertreten, die freiwillig angebotenen Abfindungen könnten keiner gerichtlichen Überprüfung unterliegen. Der jetzige Antragsgegner zu 1.) vertritt die Ansicht, das Verfahren sei nach § 240 ZPO unterbrochen und könne sich jedenfalls nicht gegen ihn richten.

Das Gericht hat mit Beschluss vom 17.08.1999 die XXX mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zu den Fragen bestellt, ob die Ertragswertentwicklung und der Unternehmenswert der XXX im Beherrschungsvertrag als zu gering bewertet wurden. Das Gutachten ist nach der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der beiden ehemaligen Antragsgegnerinnen nicht mehr eingeholt worden.

II.

Die Anträge der Antragstellerinnen sind nach §§ 304 Abs. 3, Abs. 4, 305 Abs. 5 AktG zulässig. Sie wurden innerhalb der Frist des § 304 Abs. 4 AktG in der hier nach § 17 Abs. 2 SpruchG anwendbaren alten Fassung gestellt. Die Anträge richteten sich auch zu Recht gegen beide Antragsgegnerinnen. Denn vor Inkrafttreten des Spruchgesetzes war es geboten, den Antrag nach §§ 304, 305 AktG a. F. nicht nur gegen die beherrschende Gesellschaft, sondern, da vertraglich festgelegte Leistungen im Spiel sind, auch gegen die beherrschte Gesellschaft zu richten (vgl. die im Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 23.06.2008 hierzu zitierten Nachweise aus der Literatur).

Das Verfahren ist nicht nach § 240 ZPO unterbrochen, sondern richtet sich jetzt gegen die beiden Antragsgegner als Partei kraft Amtes. Auf die Gründe des Beschlusses des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 23.06.2008 wird insoweit Bezug genommen.

Entgegen der Ansicht der ehemaligen Antragsgegnerinnen sind sämtliche angebotenen Abfindungen auf ihre Angemessenheit zu überprüfen. Es trifft zwar zu, dass die angebotene Barabfindung nicht gesetzlich geschuldet war, die Antragsgegnerin zu 2.) vielmehr nach § 305 Abs. 2 Ziffer 1 AktG lediglich Abfindung mit ihren eigenen Aktien zuzüglich barem Spitzenausgleich schuldete. Wenn aber, wie hier geschehen, zusätzlich zu dem gesetzlichen ein freiwilliges Abfindungsangebot unterbreitet wird, so gebietet es schon das Prinzip der Gleichbehandlung aller außenstehenden Aktionäre, dass auch die angebotene freiwillige Abfindung auf ihre Angemessenheit zu überprüfen ist.

Gegen die dem Angebot zugrunde liegenden Bewertungen beider Gesellschaften haben die Antragstellerinnen beachtliche Einwendungen erhoben, denen grundsätzlich durch Einholung eines neuen oder ergänzenden Bewertungsgutachtens nachzugehen gewesen wäre. Die Einholung eines solchen Gutachtens erscheint aber nach dem jetzigen Sachstand nicht mehr erfolgsversprechend. Der bereits beauftragte Sachverständige, der den Gesamtumfang der möglichen Kosten schon in seinem Schreiben vom 18.11.1999 überschlägig auf 90.000 DM geschätzt hat, hat mit der eigentlichen Erstellung des Gutachtens noch nicht einmal beginnen, sondern nur eine erste Analyse des Sachverhalts anhand der ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen vornehmen können. Die von ihm für die Erstellung des Gutachtens benötigten Unterlagen, die er mit seinem Schreiben vom 22.11.2000 angefordert hat, wurden ihm bislang nicht zur Verfügung gestellt. Ob und in welchem Umfang sie noch vorhanden sind, ist nach den Angaben des Antragsgegners zu 1.) in seinem Schreiben vom 08.10.2009 unklar und müsste erst aufwändig recherchiert werden. Vertreter der beiden ehemaligen Antragsgegnerinnen, die Auskünfte und Erläuterungen erteilen könnten, stehen nicht mehr zur Verfügung. Schließlich hat der Sachverständige mit seinem Schreiben vom 06.01.2009 darauf hingewiesen, dass die zwischenzeitlich eingetretene Insolvenzen beider Unternehmen sowie der erhebliche Zeitablauf eine Bearbeitung zunehmend erschweren. Es ist daher nicht damit zu rechnen, dass er mit dem hier noch zur Verfügung stehenden Vorschuss von knapp 34.000 € zu einem verwertbaren Ergebnis gelangen könnte.

In einem derartigen Fall ist aber nicht etwa von einer Entscheidung über die angemessene Abfindung abzusehen (vgl. BayObLG NJW-RR 1999, 109). Bei Ausgleich und Abfindung von außenstehenden oder ausgeschiedenen Aktionären ist vielmehr vor allem zu beachten, dass in Anwendung von §§ 304, 305 AktG der volle Ausgleich für den von Minderheitsaktionären hinzunehmenden Verlust nicht verfehlt wird. Die von Art 14 Abs. 1 Grundgesetz geforderte volle Entschädigung darf jedenfalls nicht unter dem Verkehrswert liegen und kann bei börsenorientierten Unternehmen nicht ohne Rücksicht auf den Börsenkurs festgesetzt werden. Die Abfindung muss grundsätzlich so bemessen sein, dass die Minderheitsaktionäre jedenfalls nicht weniger erhalten, als sie bei einer freien Deinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt des Abschlusses des Unternehmensvertrages erhalten hätten. Der Vermögensverlust, den der Minderheitsaktionär durch den Unternehmensvertrag erleidet, stellt sich für ihn als Verlust des Verkehrswertes der Aktie dar, der mit dem Börsenkurs der Aktie regelmäßig identisch ist. Deswegen steht es mit Art 14 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht in Einklang, im aktienrechtlichen Spruchstellenverfahren eine Barabfindung festzusetzen, die niedriger ist als der Börsenkurs. Eine Ausnahme kommt nur dann in Betracht, wenn der Börsenkurs ausnahmsweise nicht den Verkehrswert der Aktie widerspiegelt, etwa, weil längere Zeit praktisch überhaupt kein Handel mit den Aktien der Gesellschaft stattgefunden hat (BVerfGE 100, 289-313). Diese Grundsätze gelten auch für die Bemessung des variablen Ausgleichs nach § 304 Abs. 2 Satz 2 AktG (BGHZ 147, 108). Abzustellen ist dabei auf den Referenzkurs, der sich aus dem Mittel der Börsenkurse der letzten drei Monate vor dem Stichtag ergibt (BGH aaO.).

Nach den nicht bestrittenen Angaben der Antragstellerin zu 1.) betrug der Börsenwert der Aktie der XXX im Zeitraum 24.11.1997 bis 22.02.1998 durchschnittlich 96,51 €. Ausgehend von diesem Wert waren hier das Umtauschverhältnis und die Barabfindung wie geschehen neu festzusetzen. Anhaltspunkte dafür, dass dieser durchschnittliche Kurs ausnahmsweise nicht den Verkehrswert der Aktie abbildete, sind nicht vorgetragen und auch für die Kammer nicht ersichtlich.

Die Verzinsungspflicht ergibt sich aus § 305 Abs. 3 AktG a. F..

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 306 Abs. 7 AktG a. F., 13a FGG. Es entspricht der Billigkeit, dass die Antragsgegner den Antragstellerinnen die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten haben.






LG Kiel:
Beschluss v. 04.11.2009
Az: 14 O 97/98


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