Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 2. Februar 2012
Aktenzeichen: I-4 U 168/11

(OLG Hamm: Urteil v. 02.02.2012, Az.: I-4 U 168/11)

Tenor

Auf die Berufung des Antragstellers wird das am 26. August 2011 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer für Handelssachen des Landgerichts Essen abgeändert:

Der Antragsgegnerin wird unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt, im geschäftlichen Verkehr gegenüber dem Letztverbraucher zu werben, ohne die Anschrift des Unternehmers anzugeben, wenn dies geschieht wie in dem Prospekt „N“ (Anlage A1).

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

A.

Die Antragsgegnerin warb in dem im Juli 2011 im Verkehr befindlichen Werbeprospekt "N" für Kleidung und Wäsche mit herabgesetzten Preisen (Anlage A 1). Die Antragsgegnerin als solche gab dabei weder ihre Identität noch ihre Anschrift an. Hingewiesen wurde auf die Bezeichnung "Y" als Marke und Unternehmenskennzeichen und die Internetanschrift www.Y.de. Ferner wurden auf der letzten Seite des Prospektes die Namen der Städte angegeben, in denen die Warenangebote des Prospektes zu finden waren, teilweise mit weiteren örtlichen Hinweisen auf die Filialen. Bereits in Werbeprospekten von Mai und Dezember 2010, die dem Antragsteller vorlagen und die er wegen anderer Verstöße (Werbung mit Testergebnissen ohne hinreichenden Hinweis auf die Quelle) zum Gegenstand einer Abmahnung machte, wurde in vergleichbarer Weise verfahren, was die Identität und Anschrift der Antragsgegnerin anging.

Der Antragsteller sah in dieser Art von Werbung für konkrete Warenangebote ohne Angabe der exakten Identität und der Anschrift der Anbieterin einen Verstoß gegen § 5 a Abs. 3 Nr. 2 UWG und mahnte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 26.07.2011 erfolglos ab. Zur Dringlichkeit hat der Antragsteller vorgetragen, dass er von dem Werbeprospekt und dem Verstoß der Antragsgegnerin erst am 25.07.2011 Kenntnis erlangt habe. Trotz der Vorbefassung mit den früheren Prospekten habe er den hier in Rede stehenden Wettbewerbsverstoß und insbesondere die Bedeutung der Pflichten des § 5 a Abs. 3 Nr. 2 UWG 2008 im Rahmen einer solchen Art von Prospektwerbung erst nach einem Urteil des Oberlandesgerichts München vom 31.03.2011 kennengelernt, nachdem er von Rechtsanwalt X auf die Rechtsproblematik hingewiesen worden sei.

Die Antragsgegnerin hat sich gegen den Erlass der einstweiligen Verfügung verteidigt und gemeint, es fehle hier bereits an einem Verfügungsgrund. Dem Antragsteller sei es angesichts der Kenntnis von Prospekten mit vergleichbarem Inhalt bereits im Mai 2010 möglich und zumutbar gewesen, den jetzt beanstandeten Verstoß mit abzumahnen. Die Antragsgegnerin hat insoweit geltend gemacht, dass grundsätzlich schon die Kenntnis der relevanten Tatsachen ausreiche, die den Wettbewerbsverstoß begründeten, wobei die grob fahrlässige Unkenntnis der positiven Kenntnis gleichstehe. Die hier relevanten Tatsachen in Form der Art der Angabe von Identität und Anschrift seien dem Antragsteller im Juli 2011 durch die ihm vorliegenden Prospekte zwangsläufig bereits mehr als ein Jahr bekannt gewesen. Wenn dem Antragsteller allerdings als Wettbewerbsverein die seit 2008 geltende Vorschrift des § 5 a UWG tatsächlich bis März 2011 unbekannt geblieben wäre, wie er behaupte, sei ihm mangels geeigneter persönlicher und sachlicher Ausstattung schon die Antragsbefugnis abzusprechen. Jedenfalls hätte er grob fahrlässig gehandelt. Die Verfahrensweise, die erkennbaren Verstöße nach und nach isoliert abzumahnen, sei auch rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG. In jedem Fall fehle es auch an einem Verfügungsanspruch, weil mit der Verwendung der bekannten Marke und des Unternehmenskennzeichens "Y" schon ausreichende Hinweise auf die Identität der Antragsgegnerin vorlägen. Insoweit hat die Antragsgegnerin auf ein Arbeitspapier der EU-Kommission zur Auslegung der EU-Richtlinie verwiesen. Es komme hinzu, dass jedenfalls die über die Internetseite www.Y.de bereitstehenden Angaben zur Identität im Hinblick auf das für die Werbung verantwortliche Unternehmen ausgereicht hätten. Das folge aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 12.05.2011 (GRUR 2011, 726 ff).

Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es an einem Verfügungsgrund fehle. Der Antragsteller könne sich nicht auf die Dringlichkeitsvermutung berufen. Denn im Dezember 2010 habe eine Kenntnis bzw. wenigstens eine grob fahrlässige Unkenntnis des Antragstellers vorgelegen. Dem lasse sich nicht der Vortrag des Antragstellers entgegenhalten, er habe erst im Juli 2011 den gerügten Wettbewerbsverstoß zur Kenntnis genommen. Es sei zwischen den Parteien unstreitig, dass die Antragsgegnerin jedenfalls seit Dezember 2010 das hier beanstandete Firmenemblem benutze und den Verweis auf ihren Internet-Auftritt vorgenommen habe. Die Kenntnis von dem Wettbewerbsverstoß bereits Ende 2010 folge schon daraus, dass der Antragsteller den erwähnten Prospektinhalt ebenfalls in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht beanstandet habe. Auch wenn es keine Marktbeobachtungspflicht geben möge, folge daraus keine andere rechtliche Bewertung. Dabei dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger in seiner Eigenschaft als Verein zur Wahrung der Regeln des Wettbewerbs über ausreichende Kenntnisse verfügen sollte, um einen vermeintlichen Verstoß gegen § 5a Abs. 3 Nr. 2 UWG zu bemerken. Die widerlegte Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG sei auch nicht durch die Werbeaktion der Beklagten im Juli 2011 wieder aufgelebt. Die Dringlichkeitsvermutung lebe lediglich auf bzw. entstehe neu, wenn sich die Umstände wesentlich verändert hätten. So liege der Fall hier allerdings nicht. Dieser Einschätzung stehe auch nicht entgegen, dass es sich beim Antragsteller um einen Verband handele.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er seinen erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt.

Der Antragsteller ist der Ansicht, er könne sich weiter auf die Dringlichkeitsvermutung berufen. Er habe erstinstanzlich glaubhaft gemacht, zum Zeitpunkt der vorhergehenden Abmahnung im Dezember 2010 keine Kenntnis vom hier geltend gemachten Wettbewerbsverstoß gehabt zu haben. Zwar hätten ihm im Mai und Dezember 2010 die damals beanstandeten Werbeprospekte vorgelegen. Jedoch habe er damals jeweils nur aufgrund von Beschwerden Prüfungen unter dem Aspekt der Irreführung infolge der Testwerbung mit nur unzureichend lesbarer Fundstellenangabe durchgeführt. Dementsprechend sei er, der Antragsteller, nur diesem Aspekt nachgegangen und habe die Antragsgegnerin allein deswegen abgemahnt.

Auch der Annahme des Landgerichts, dass ihm zumindest grob fahrlässige Unkenntnis vom Wettbewerbsverstoß vorzuhalten sei, könne nicht gefolgt werden. Grobe Fahrlässigkeit setze in der Regel das Bewusstsein der Gefährlichkeit voraus. Eine solche Gefährlichkeit des Handelns der Antragsgegnerin trete hier nicht offen zu Tage. Nicht nur von der Antragsgegnerin, sondern von nahezu allen Wettbewerbern werde - teilweise sogar bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt - so geworben wie hier beanstandet. Der Verstoß der Antragsgegnerin gegen die vom Gesetzgeber als wesentlich erachtete Informationspflicht sei zwar keine Bagatelle, jedoch im Vergleich zu anderweitigen Verstößen, z.B. auf Irreführungsgesichtspunkten gestützten Verstößen, weniger gewichtig. Es könne auch nicht angenommen werden, dass einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt worden seien und das nicht beachtet worden sei, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.

Sollte das Landgericht die Auffassung vertreten, dass es in diesem Zusammenhang allein auf die Kenntnis der Tatsachen ankomme, nicht jedoch auf die Kenntnis eines hierdurch gegebenen Wettbewerbsverstoßes, sei auch dem nicht zu folgen. Der Verfügungsgrund werde gesetzlich vermutet und entfalle nur insoweit, als ihm ein zögerliches Verhalten bei der Verfolgung des Wettbewerbsverstoßes vorgeworfen werden könne. Dies setze naturgemäß die Kenntnis, zumindest jedoch ein bewusstes Verschließen vor dem Bestehen eines solchen voraus. Aber auch von einem bewussten Verschließen könne, bedingt durch das Fehlen der sich aufdrängenden bzw. mehr als naheliegenden Möglichkeit der rechtlichen Erkenntnis, vorliegend nicht ausgegangen werden. Erst die Entscheidung des Oberlandesgerichts München habe zu der Rechtserkenntnis geführt, dass Werbungen wie die streitgegenständliche der Bestimmung des § 5a Abs. 3 Ziffer 2 UWG unterfielen, weshalb dem Antragsteller auch insoweit kein Vorwurf gemacht werden könne.

Die Dringlichkeitsvermutung entfalle auch nicht mit der Argumentation, dass er, der Antragsteller, die rechtliche Bewertung der alten Werbung möglicherweise nur unvollständig vorgenommen habe. Ihm könne keine umfassende Rechtskenntnis abverlangt werden.

Letztlich könne auch das schlichte Übersehen eines Wettbewerbsverstoßes nicht als rechtsmissbräuchlich gewertet werden.

Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch erweise sich als begründet. Diesbezüglich verweist der Antragsteller auf entsprechende obergerichtliche Urteile sowie auch auf den Beschluss des Senats vom 13.10.2011, Az.: 4 W 84/11.

Der Antragsteller beantragt,

das Urteil des Landgerichts Essen vom 26.08.2011 abzuändern und der Antragsgegnerin unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr gegenüber dem Letztverbraucher zu werben, ohne die Anschrift des Unternehmers anzugeben, wenn dies geschieht wie in dem Prospekt "N" (Anlage A 1).

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt mit näheren Ausführungen das angefochtene Urteil.

Sie weist auf die Besonderheit hin, dass der Antragsteller als Wettbewerbsverband nach eigenen Angaben jahrelang eine der zentralen Vorschriften des UWG nicht zur Kenntnis genommen haben will. Danach könne es nicht mehr dringlich sein, gegen einen entsprechenden Verstoß vorzugehen.

B.

Die zulässige Berufung des Antragstellers ist begründet.

I.

Der Antrag genügt dem Bestimmtheitsgebot gemäß § 253 ZPO. Insbesondere wird der Werbeprospekt "N", der den konkret beanstandeten Wettbewerbsverstoß enthält, in Bezug genommen. Außerdem wird im Berufungsantrag noch der Zusatz "Anlage A 1" zur weiteren Verdeutlichung aufgenommen.

II.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist ein Verfügungsgrund gegeben.

Da der Antragsteller einen wettbewerbsrechtlichen Anspruch geltend macht, wird die Dringlichkeit nach § 12 Abs. 2 UWG vermutet. Diese Dringlichkeitsvermutung ist auch nicht widerlegt.

Die Vermutung der Dringlichkeit ist dann widerlegt, wenn der Antragsteller durch sein Verhalten selbst zu erkennen gegeben hat, dass es "ihm nicht eilig ist". Das ist der Fall, wenn der Antragsteller längere Zeit zugewartet hätte, obwohl er den Wettbewerbsverstoß und die Person des Verantwortlichen kennt oder grobfahrlässig nicht kennt. Hierfür genügt grundsätzlich die Kenntnis der Tatsachen, die den Wettbewerbsverstoß begründen; es sei denn, dass die Wettbewerbswidrigkeit erst auf Grund weiterer tatsächlicher Nachforschungen erkennbar ist (Köhler / Bornkamm, 29. Aufl., § 12 UWG, Rn 3.16 m.w.N.).

1.

Während des gesamten Rechtsstreits ist das genaue Datum des Erscheinens des angegriffenen Prospektes "N" nicht mitgeteilt worden. Allerdings hat der Kläger mit Schriftsatz vom 25.08.2011 unwidersprochen vorgetragen, dass er von dem hier maßgeblichen Prospekt erst am 25.07.2011 Kenntnis erlangt habe. Damit ist die sogenannte Monatsfrist angesichts des Eingangs der Antragsschrift bei Gericht am 09.08.2011 eingehalten. Jedenfalls kann ein Überschreiten der sogenannten Monatsfrist, für das die Antragsgegnerin die Glaubhaftmachungslast trägt, nicht festgestellt werden.

2.

Auch wenn die Antragsgegnerin bereits seit längerer Zeit so geworben hat, folgt daraus nicht, dass der Antragsteller schon früher Kenntnis von der Werbung erlangt haben muss. Die Unkenntnis ist ihm auch nicht als Pflichtverletzung vorzuwerfen, da ihm insoweit keine Marktbeobachtungspflicht oblag.

a.

Notwendig für ein Entfallen der Dringlichkeitsvermutung wäre, dass der Antragsteller konkret von dem jetzt monierten Wettbewerbsverstoß Kenntnis hatte oder insoweit eine grob fahrlässige Unkenntnis vorliegt. Diesbezüglich ist unstreitig, dass der Antragsteller die Antragsgegnerin u.a. bereits am 10.05.2010 (Anlage AG 4) und am 21.12.2010 (Anlage AG 2) hinsichtlich der damaligen Auflage des Prospektes "N" abmahnte. Damals hatte der Antragsteller eine Irreführung der Verbraucher allein unter dem Gesichtspunkt der Testwerbung mit nur unzureichend lesbarer Fundstellenangabe beanstandet. Somit kannte der Antragsteller natürlich diesen Werbeprospekt. Unstreitig waren auch in diesem Werbeprospekt schon nicht die in § 5a Abs. 3 Nr. 2 UWG genannten Angaben vorhanden, sondern es wurden - ebenso wie in dem hier in Rede stehenden Werbeprospekt - auf der letzten Seite lediglich einige Filialen von Y aufgeführt. Das bedeutet aber nicht, dass der Antragsteller auch die maßgebliche Stelle in dem Werbeprospekt, in dem die Filialen benannt werden, zielgerichtet in Augenschein genommen hat. Vielmehr ist auch denkbar, dass der Antragsteller bei Ansicht des Werbeprospekts andere Textpassagen in den Focus genommen hat. Darauf deutet schon hin, dass es in den früheren Abmahnvorgängen vornehmlich um den Wettbewerbsverstoß der Irreführung durch eine Testwerbung mit nur unzureichend lesbarer Fundstellenangabe ging. Unter diesem Gesichtspunkt war der Antragsteller auf eine Beschwerde hin mit den damaligen Prospekten aus dem Jahre 2010 befasst worden. Gegen eine positive Kenntnis des Antragstellers von dem hier monierten Verstoß spricht auch die eidesstattliche Versicherung der Geschäftsführerin des Antragsstellers, der Frau M, vom 22.08.2011. Eine positive Kenntnis des Antragstellers von dem Verstoß schon im Jahre 2010, also deutlich vor dem 09.08.2011, dem Datum der Anhängigkeit des vorliegenden Verfahrens, kann damit nicht festgestellt werden.

b.

Auch eine grob fahrlässige Unkenntnis ist nicht glaubhaft gemacht. Sie liegt vor, wenn sich der Antragsteller bewusst der Kenntnis verschließt oder ihm nach Lage der Dinge der Wettbewerbsverstoß nicht verborgen geblieben sein kann (Köhler/ Bornkamm, UWG 29. Aufl. § 12 Rn 3.15). Diese Voraussetzungen liegen deshalb nicht vor, weil es sich bei den Werbeprospekten aus dem Jahre 2010 jeweils um mehrseitige Prospekte handelte. Es ist nicht auszuschließen, dass der Antragsteller sich bei der Ansicht des Werbeprospektes auf die Prüfung der Darstellung der im Einzelnen angeboten Waren und die Erwähnung des Testes konzentriert hat und auf die letzte Seite des Prospektes schon nicht mehr geschaut hat. Er hatte keine Veranlassung, sich den gesamten Prospekt ganz genau und dabei insbesondere auch die Hinweise auf Identität und Anschrift anzusehen. Außerdem ist es sehr fraglich, ob allein die Kenntnis der genauen Kennzeichnung des Anbieters in Bezug auf Identität und Anschrift genügt hätte. Um dem Antragsteller ein bewusstes Sich-Verschließen vorhalten zu können, müsste hinreichend wahrscheinlich sein, dass dem Antragsteller damals eine solche Art von Wettbewerbsverstoß ein Begriff war. Das stellt er unwiderlegt in Abrede.

Dies alles kann - wenn überhaupt - allenfalls eine fahrlässige Unkenntnis darstellen. Eine bloß fahrlässige Unkenntnis von dem Wettbewerbsverstoß reicht aber nicht aus, um die Vermutung des Verfügungsgrundes zu widerlegen, weil es keine allgemeine Marktbeobachtungspflicht gibt (Köhler/Bornkamm a.a.O.).

c.

Eine Zurechnung einer etwaigen Kenntnis des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers kommt nicht in Betracht. Dann müsste feststehen, dass der Prozessbevollmächtigte überhaupt Kenntnis von der entscheidenden Stelle in dem Werbeprospekt vom Dezember 2010 hatte. Dies ist aber gerade nicht der Fall.

III.

Das Abmahnverhalten des Antragstellers ist nicht als rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG anzusehen. Insbesondere kann dem Antragsteller hier nicht der Vorwurf gemacht werden, im Wege der "Salami-Taktik" vorgegangen zu sein. Zwar gibt es an sich keinen sachlich gerechtfertigten Grund für eine Aufspaltung der beiden verschiedenen Wettbewerbsverstöße - einerseits Irreführung durch Testwerbung mit unleserlichen Fundstellen, andererseits fehlende Angabe der Anschrift und fehlende Identitätsangabe - durch die Geltendmachung in zwei Abmahnvorgängen bzw. Abmahnverfahren. Jedoch fehlt es hier vollkommen an der subjektiven Komponente. Der Antragsteller müsste bereits bei der früheren Abmahnung Kenntnis von dem weiteren Verstoß gehabt haben. Dafür sind aber schon angesichts der offensichtlich im Dezember 2010 noch nicht vorhandenen nötigen Rechtskenntnisse bei dem Antragsteller hinsichtlich der Vorschrift des § 5a Abs.2, 3 Nr. 2 UWG keine Gesichtspunkte ersichtlich.

IV.

Dem Antragsteller steht auch ein Verfügungsanspruch zu.

1.

Der Antragsteller ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats und des Bundesgerichtshofs aktivlegitimiert gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG.

Es sind keine Umstände ersichtlich, die es rechtfertigen würden, dem Antragsteller mangels geeigneter persönlicher und sachlicher Ausstattung die Antragsbefugnis abzusprechen

2.

Die Antragsgegnerin hat mit der beanstandeten Prospektwerbung eine unlautere irreführende Werbung im Sinne der §§ 5a Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2 UWG vorgenommen. Sie hat besondere Informationspflichten verletzt, die ihr nach diesen Vorschriften oblagen. Diese Pflichten gelten für konkrete Warenangebote, die den Verbraucher in die Lage versetzen, einen Kauf zu tätigen. Diese Angebote müssen die essentialia negotii wie Merkmale der Ware und deren Preis bekannt machen. Der Schutzbereich dieser Vorschrift ist in Ansehung ihres Schutzzwecks auch nach der europarechtlichen Vorgabe der "Aufforderung zum Kauf" weit zu fassen. Es ist kein bindendes Angebot erforderlich, jedenfalls genügt eine invitatio ad offerendum (vgl. Köhler/ Bornkamm, a.a.O. § 5a Anm. 30). Bei Warenprospekten geht es dann um Angebote, die die Informationspflicht auslösen, wenn diese die Abgabe eines Angebots ermöglichen (Fezer/Peifer, UWG, 2. Auflage, § 5a Rdn.37). Unter diesen Voraussetzungen ist hier von solchen Angeboten auszugehen. Die Waren werden so deutlich vorgestellt, dass sich der Verbraucher jedenfalls ganz in der Regel von ihren Merkmalen eine klare Vorstellung machen kann und dann auch ihre (ermäßigten) Preise kennt. Er kann sich zum Kauf der konkreten Waren entschließen und sich darum bemühen, auch wenn er dazu erst ein Geschäftslokal aufsuchen muss. Eine unmittelbare Bestellmöglichkeit ist insoweit nicht erforderlich.

Bei solchen Angeboten muss nach § 5a Abs. 3 Nr. 2 UWG die Identität und Anschrift des Unternehmers angegeben werden. Anbietendes Unternehmen ist hier die Antragsgegnerin. Diese hat weder ihre Identität noch ihre Anschrift angegeben. Selbst wenn man die geschäftliche Kennzeichnung "Y" für die Ersichtlichkeit der Identität ausreichen lassen wollte, fehlt es an der Anschrift sowohl der werbenden Mutter also auch der nur dem Orte nach benannten Filialen.

Es reicht insoweit auch nicht aus, dass der Verbraucher sich die Informationen über eine Internetseite der Antragsgegnerin beschaffen könnte. Die Informationen sollen es dem Verbraucher ermöglichen, ohne Schwierigkeiten Kontakt mit dem anbietenden Unternehmen aufzunehmen (Köhler/Bornkamm, a.a.O. Rdn. 33). Wenn der Verbraucher erst Internetseiten aufrufen oder sich zum Geschäftslokal begeben muss, um die für erforderlich gehaltenen Informationen zu erhalten, wird dem gewünschten Verbraucherschutz nicht hinreichend Genüge getan.

3.

Der festgestellte Verstoß gegen die bestehenden Informationspflichten ist auch relevant im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG. Diese Relevanz, nämlich die Tatsache, dass der Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst werden kann, die er sonst nicht getroffen hätte, folgt bereits aus der Tatsache, dass es sich um die Verletzung der besonderen auch europarechtlichen Informationspflicht im Sinne des § 5a Abs. 3 UWG und des § 7 Abs. 4 der UGP-Richtlinie handelt. Aus dem Zusammenspiel des § 5a Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 4 UWG ergibt sich klar, dass dem Verbraucher dann zwangsläufig wesentliche Informationen vorenthalten worden sind und sich daraus per se eine relevante Fehlvorstellung herleiten ließ (Köhler / Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 5a Rn. 57; Senat Beschl. v. 11.08.2011, Az.: 4 W 66/11, MD 2011, 809; Senat Beschl. v. 13.10.2011, Az.: 4 W 84/11; OLG München WRP 2011, 1213; OLG München WRP 2012, 230 - Identität).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Antragsgegnerin vorgelegten Entscheidung des EuGH vom 12.05.2011 (Az.: C-122/10, GRUR 2011, 930). Dort heißt es in Nr. 4 der Leitsätze:

Art. 7 Abs. 4 Buchst. a) der Richtlinie 2005/29 (deren Wortlaut in § 5a Abs. 3 UWG übernommen worden ist) ist dahin auszulegen, dass es genügen kann, nur bestimmte der ein Produkt kennzeichnenden Merkmale anzugeben, wenn der Gewerbetreibende im Übrigen auf seine Webseite verweist, sofern sich dort wesentliche Informationen über die maßgeblichen Merkmale des Produkts, dessen Preis und der übrigen Erfordernisse gemäß Art. 7 der Richtlinie finden.

Art 7 Abs. 4 Buchst. c) der Richtlinie 2005/29 ist dahin auszulegen, dass es nicht per se als irreführende Unterlassung angesehen werden kann, wenn in einer Aufforderung zum Kauf nur ein "ab"-Preis angegeben wird.

Diese Auslegungsgrundsätze haben nicht die Auswirkung, dass auch bei Art. 7 Abs. 4 Buchst. b) der Richtlinie die Verletzung der Informationspflicht über Anschrift und Identität des Gewerbetreibenden nicht in jedem Fall als per se irreführende Unterlassung anzusehen ist oder dass auch insoweit die Verweisung auf eine Webseite mit den entsprechenden Informationen ausreichen kann. Die genannten Auslegungsgrundsätze sind nicht so zu verstehen, dass sie entgegen dem klaren Wortlaut und dem Sinn der entsprechenden Regelung der Richtlinie 2005/29 auch für die Informationen nach lit. b) doch wieder eine Relevanzprüfung eröffnen. Dazu sagt die EuGH-Entscheidung selbst in Ziffer 63, dass die Preisinformationen grundsätzlich als wesentlich angesehen werden. Bei der Information über einen ab-Preis kann es je nach den Einzelfallumständen einmal anders sein. In Ziffer 52 heißt es, dass wesentliche Merkmale des Produkts angesprochen werden, ohne diesen Begriff zu definieren oder die betreffenden Merkmale erschöpfend aufzulisten. Es war auch bislang klar, dass es sich nicht in Bezug auf alle Merkmale der Ware um wesentliche Informationen für die Kaufentscheidung des Verbrauchers handeln könnte. Dafür ist der Begriff zu weit. In Ziffer 57 wird darauf verwiesen, dass nach Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie im Unionsrecht festgelegte Informationsanforderungen in Bezug auf kommerzielle Kommunikation, auf die in der nicht erschöpfenden Liste des Anhangs II der Richtlinie verwiesen wird, als wesentlich gelten. Insoweit bleibt es dabei, dass eine Verletzung dieser Informationspflichten immer eine relevante Irreführung durch Unterlassen darstellt. Für die besonderen Informationen über Identität und Anschrift des Unternehmers kann dann nichts anderes gelten, weil es sich auch insoweit um im Unionsrecht eindeutig festgelegte besondere Informationsanforderungen handelt. Im Hinblick auf die Eindeutigkeit unterscheidet sich diese Regelung von den anderen Regelungen, die Gegenstand der EuGH-Entscheidung waren. Sinn und Zweck der Informationspflichten nach § 5 a Abs. 3 Nr. 2 UWG ist es, dem Verbraucher klare und unmissverständliche Angaben darüber zu verschaffen, mit wem er in geschäftlichen Kontakt tritt. Es ist nicht ersichtlich, warum im Rahmen der geschäftsanbahnenden Prospektwerbung andere und mildere Grundsätze gelten sollten als beim Fernabsatz. Der Verbraucher soll vielmehr bereits im Rahmen der Aufforderung zum Kauf auf einfache Weise Informationen über das anbietende Unternehmen erhalten.

Im Hinblick auf die Verletzung von Informationspflichten gelten mithin nach wie vor die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof aufgestellt hat (BGH GRUR 2010, 852 - Gallardo Spider). Außerdem ist auch die Identität des hier Textilien anbietenden Unternehmens in Form der genauen Angabe der Rechtsform und Anschrift für den Durchschnittsverbraucher zum Zwecke der vorherigen Kontaktaufnahme in der heutigen Zeit von erheblicher Bedeutung (vgl. OLG München WRP 2011, 1213).

4.

Die Wiederholungsgefahr wird durch den Wettbewerbsverstoß indiziert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.






OLG Hamm:
Urteil v. 02.02.2012
Az: I-4 U 168/11


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/19bd2703e74c/OLG-Hamm_Urteil_vom_2-Februar-2012_Az_I-4-U-168-11




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