Finanzgericht Hamburg:
Gerichtsbeschei vom 25. August 2016
Aktenzeichen: 5 K 53/15

(FG Hamburg: Gerichtsbeschei v. 25.08.2016, Az.: 5 K 53/15)

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Verfahren gegen geänderte Gewerbesteuermessbescheide 2003 und 2006 darüber, ob das Ende der Abwicklung der Klägerin im Jahr 2009 erfolgte und damit ein rückwirkendes Ereignis eingetreten ist, was sich auf den Beginn des Zinslaufs auswirkt.

Die Klägerin wurde im Jahr 1967 aufgelöst und nach Schluss der Abwicklung im Jahr 1970 im Handelsregister gelöscht. Für den Zeitraum 1967 bis 1970 wurde eine Abwicklungsbesteuerung nach Maßgabe des § 11 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) durchgeführt.

Seit 1990 machte die Klägerin vermögensrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit ihrem früheren Grund- und Betriebsvermögen in A gegen die Treuhandanstalt (später umbenannt in: Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, im Folgenden: BvS) geltend. Zu diesem Zweck wurde für die Klägerin erstmals am 28.02.1991 eine Abwicklerin gemäß § 273 Abs. 4 des Aktiengesetzes (AktG) bestellt. Im November 2005 wurde der Prozessbevollmächtigte der Klägerin als Nachtragsliquidator für die Klägerin gemäß § 273 Abs. 4 AktG bestellt.

Die Klägerin stellte Jahresabschlüsse (Bilanzen sowie Gewinn- und Verlustrechnungen - GuV -) für 1991 bis zum 30.09.2009 auf, wobei sie im Jahr 1997 erstmalig eine Auskehrung zur Befriedigung eines Teils ihrer Ansprüche von der BvS erhielt. Gemäß Schreiben des Beklagten vom 17.06.2015 waren nach Angaben der Klägerin bis zum 30.09.2009 bis auf Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis alle übrigen Abwicklungsmaßnahmen vollzogen. Auf die Jahresabschlüsse wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.

Der Beklagte erließ am 21.12.2001 einen Körperschaftsteuerbescheid, in dem er einen vom 28.02.1991 bis zum 31.12.1997 dauernden Besteuerungszeitraum erfasste und die Besteuerungsgrundlagen anhand der eingereichten Gewinnermittlungen schätzte. Des Weiteren erließ der Beklagte am selben Tag Gewerbesteuermessbescheide 1991 bis 1997.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte nur teilweise Erfolg. Nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) war auch für die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags derselbe Besteuerungszeitraum wie bei der Körperschaftsteuer mit dem gesamten Gewerbeertrag des Besteuerungszeitraums zugrunde zu legen, weshalb die Gewerbesteuermessbescheide 1991 bis 1996 aufgehoben wurden (FG Hamburg, Urteil vom 29.05.2006, 5 K 136/03, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2006, 1856).

Die gegen die Aufhebung der Gewerbesteuermessbescheide gerichtete Revision des Finanzamtes wurde mit Zustimmung der Klägerin zurückgenommen. Die Revision der Klägerin, die den Körperschaftsteuerbescheid betraf, wurde als unbegründet zurückgewiesen (Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 18.09.2007 I R 44/06, Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFHE - 219, 61, Bundessteuerblatt Teil II - BStBl II - 2008, 319).

Der Beklagte erließ unter Zugrundelegung der eingereichten Gewinnermittlungen der Klägerin unter anderem (u. a.) Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide für 1998 am 08.12.2005, für 1999 bis 2004 am 23.03.2006 und für 2005 bis 2007 am 28.05.2009, jeweils gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Die Klägerin legte hiergegen entsprechend am 14.12.2005, am 13.04.2006 sowie am 22.06.2009 Einsprüche ein.

Im Dezember 2009 reichte die Klägerin Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuererklärungen für den "Liquidationszeitraum 01.01.1991 bis 30.09.2009" ein. Den Erklärungen fügte sie eine Übersicht über die "Entwicklung der Jahresergebnisse sowie der einzelnen Bilanz- und GuV-Posten für den Zeitraum 1991 bis 30.09.2009" sowie eine Bilanz und GuV für 2008 bei, auf die wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird.

Am 21.05.2013 erließ der Beklagte für 2008 und 2009 u. a. Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide und - nach Verböserungshinweis - für 1998 bis 2007 nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Gewerbesteuermessbescheide sowie Gewerbesteuerbescheide und Bescheide über Zinsen zur Gewerbesteuer.

Für die Festsetzung der Gewerbesteuermessbeträge in den Gewerbesteuermessbescheiden 1998 bis 2009 ermittelte der Beklagte auf Grundlage eines Abwicklungszeitraumes 1991 bis 2009 einen einheitlichen Gewerbeertrag und verteilte diesen ratierlich auf die einzelnen Jahre (je 1/19). Der Beklagte vertrat dabei die Auffassung, dass im Jahr 2009 die Liquidation beendet worden sei. Dies sei als rückwirkendes Ereignis zu berücksichtigen. In den geänderten Gewerbesteuermessbescheiden für 1998 bis 2007 teilte der Beklagte demgemäß mit, dass für die Zinsberechnung nach § 233a AO der Zinslauf jeweils am 01.04.2011 beginne.

Für die Jahre 1998 bis 2002, 2004, 2005 und 2007 führten die geänderten Gewerbesteuermessbescheide zu Gewerbesteuernachzahlungen nebst Zinsen, wobei sich der jeweils am 01.04.2011 beginnende Zinslauf zugunsten der Klägerin zinsmindernd auswirkte.

Für die Jahre 2003 und 2006 führten die geänderten Gewerbesteuermessbescheide zu Gewerbesteuererstattungen. Für die Berechnung der Erstattungszinsen wirkte sich der jeweils (erst) am 01.04.2011 beginnende Zinslauf zu Lasten der Klägerin jedoch nachteilig aus.

Am 20.06.2013 legte die Klägerin Einsprüche gegen die Körperschaftsteuerbescheide 2008 und 2009 ein, über die - wie über die Einsprüche gegen die Körperschaftsteuerbescheide 1998 bis 2007 - noch nicht entschieden ist.

Ebenfalls am 20.06.2013 legte die Klägerin gegen die Gewerbesteuermessbescheide 2003 und 2006 "hinsichtlich der Feststellung eines rückwirkenden Ereignisses für Zwecke der Verzinsung nach § 233a AO, hilfsweise gegen die Festsetzung der Zinsen" Einspruch ein.

Die Einreichung der Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuererklärungen für den "Liquidationszeitraum 01.01.1991 bis 30.09.2009" legte der Beklagte als Antrag auf "Gesamtveranlagung" im Jahr 2009 für den gesamten Zeitraum 1991 bis 2009 unter Aufhebung der Zwischenveranlagungen aus. Der Beklagte lehnte den so verstandenen Antrag mit Bescheid vom 21.05.2013 ab. Hiergegen legte die Klägerin am 20.06.2013 Einspruch ein, über den noch nicht entschieden ist.

Die Klägerin nahm die Einsprüche gegen die Gewerbesteuermessbescheide 1998 bis 2002, 2004, 2005 und 2007 am 01.12.2014 zurück. Ihre Einsprüche gegen die Gewerbesteuermessbescheide 2003 und 2006 erhielt sie insoweit aufrecht, als ihrer Auffassung nach "die Zinsläufe unzutreffend berücksichtigt worden" seien.

Der Beklagte wies die Einsprüche gegen die Gewerbesteuermessbescheide 2003 und 2006 vom 21.05.2013 mit Einspruchsentscheidung vom 07.09.2015 zurück. Dabei blieb der Beklagte bei seiner Auffassung, dass die Liquidation der Klägerin steuerlich mit Ablauf des 30.09.2009 beendet sei, was ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO darstelle. Demgemäß beginne der Zinslauf am 01.04.2011.

Am 24.09.2015 hat die Klägerin hiergegen Klage erhoben.

Die Klägerin meint, der Zinslauf müsse am 01.04.2005 für 2003 bzw. am 01.04.2008 für 2006 beginnen. Es liege kein rückwirkendes Ereignis vor.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Liquidation sei nicht beendet. Sie, die Klägerin, habe lediglich für einen Teilzeitraum innerhalb der gesamten Liquidation, nämlich für den Zeitraum 01.01.1991 bis 30.09.2009, ihre steuerlichen Erklärungen abgegeben. Falls von einem fiktiven Ende der Liquidation für steuerliche Zwecke, hier zum 30.09.2009, ausgegangen werden sollte, stelle sich die Frage, wie die danach erzielten Gewinne oder Verluste zu besteuern seien.

Zudem könne unter einem rückwirkenden "Ereignis" nur ein einmaliger, punktueller Vorgang subsumiert werden. Dies sei bei dem Sachverhalt einer andauernden Liquidation wie im vorliegenden Verfahren nicht der Fall.

Des Weiteren sei auch kein Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO eingetreten. Allein die Erstellung der Gewinnermittlung für den Zeitraum 1991 bis zum 30.09.2009 könne nicht dazu führen, dass ein Ereignis eintrete. Vielmehr handele es sich bloß um die Bestimmung des Abwicklungsendvermögens im Sinne des § 11 Abs. 2 KStG. Eine Gewinnermittlung, der lediglich ein längerer Gewinnermittlungszeitraum zugrunde liege, könne wie sonst steuerrechtlich auch, nicht als ein eintretendes rückwirkendes Ereignis angesehen werden.

Schließlich liege auch deshalb kein rückwirkendes Ereignis vor, da letztendlich der am Ende des Liquidationszeitraumes erzielte Gewinn der Besteuerung unterliegen solle. Die Zwischenveranlagungen, die für Zeiträume vor dem Liquidationsende erfolgt seien, könnten sich durch eine "einheitliche" Veranlagung für den gesamten Liquidationszeitraum nach § 124 Abs. 2 AO "auf andere Weise erledigen", hätten aber mit einem rückwirkenden Ereignis nichts zu tun.

Die Klägerin beantragt,die Gewerbesteuermessbescheide 2003 und 2006, jeweils vom 21.05.2013, und die Einspruchsentscheidung vom 07.09.2015 in der Weise zu ändern, dass der Beginn des Zinslaufs auf den 01.04.2005 bzw. 01.04.2008 festgelegt wird.

Der Beklagte beantragt,die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, die Liquidation der Klägerin sei mit Ablauf des 30.09.2009 beendet. Es seien nur noch die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht geklärt, was jedoch einer Beendigung des Abwicklungszeitraumes nicht entgegenstehe.

Die Beendigung der Abwicklung sei nach Auffassung des Beklagten ein rückwirkendes Ereignis, da mit der steuerrechtlichen Beendigung der Abwicklung - anders als bei den vorherigen Feststellungen - erstmals ein einheitlicher Gewerbeertrag für den gesamten Abwicklungszeitraum habe ermittelt werden können.

...

Gründe

I. Das Gericht entscheidet gemäß 90a Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Gerichtsbescheid.

II. Die zulässige Klage ist unbegründet.

1. Die Klage richtet sich, wie in der Einspruchsentscheidung erwähnt, gegen die Gewerbesteuermessbescheide 2003 und 2006, jeweils vom 21.05.2013, und die Einspruchsentscheidung vom 07.05.2015, allerdings nur wegen der dort enthaltenen Feststellung, es liege ein rückwirkendes Ereignis im Jahr 2009 vor.

a) Über die Frage, ob die Änderung eines Bescheides auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und damit zugleich auch auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 233a Abs. 2a AO beruht, ist im Rahmen eines Verfahrens gegen den Gewerbesteuermessbescheid als Grundlagenbescheid für die Zinsfestsetzung zu entscheiden (Heuermann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: Juni 2015, § 233a AO Randziffer - Rz. - 38).

Gemäß § 239 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AO sind die Vorschriften über die Steuern auf Zinsen nicht unmittelbar, sondern lediglich entsprechend anzuwenden. Daraus ergibt sich im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Feststellung eine Bindungswirkung des Feststellungsbescheids für die Zinsfestsetzung (vergleiche - vgl. - BFH-Urteil vom 19.03.2009 IV R 20/08, BFHE 225, 292, BStBl II 2010, 528). Gleiches gilt für den Gewerbesteuermessbescheid, der entsprechend Grundlagenbescheid für die Zinsfestsetzung ist (§ 184 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AO, § 184 Abs. 1 Satz 4 AO in Verbindung mit § 182 Abs. 1 AO). Denn der Zweck des Verfahrens über den Grundlagenbescheid gebietet es, die Gleichmäßigkeit der Abgabenerhebung sicherzustellen und etwaige Streitfragen in nur einem Verwaltungs- bzw. Gerichtsverfahren zu bündeln (so BFH-Urteil vom 19.03.2009 IV R 20/08, BFHE 225, 292, BStBl II 2010, 528).

b) Über die Frage, ob ein rückwirkendes Ereignis vorliegt, ist auch dann in einem Verfahren gegen den Gewerbesteuermessbescheid als Grundlagenbescheid zu entscheiden, wenn für die Rechtmäßigkeit der Änderung nicht verfahrensrechtlich entscheidungserheblich ist, ob ein rückwirkendes Ereignis vorliegt.

Im Streitfall beruht eine Änderung der ursprünglichen Bescheide bereits auf § 164 Abs. 2 AO, der in seinem Anwendungsbereich die Regelung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO verdrängt. Denn § 175 Abs. 1 AO soll nur für eine ohne entsprechende Nebenbestimmung ergangene bestandskräftige Steuerfestsetzung gelten (vgl. Einleitung des § 172 Abs. 1 Satz 1 AO, BFH-Beschluss vom 04.11.1998 IV B 146/97, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 1999, 589).

Allerdings spricht der Sinn und Zweck eines Verfahrens gegen einen Grundlagenbescheid dafür, eine Entscheidung über das Vorliegen eines rückwirkenden Ereignisses auch in einem solchen Fall in dem Verfahren gegen den Grundlagenbescheid zu treffen. Anderenfalls besteht die Möglichkeit sich widersprechender Entscheidungen, die gerade durch die Bündelung der Entscheidung in einem Grundlagenbescheid vermieden wird (vgl. auch BFH-Urteile vom 19.08.2003 VIII R 67/02, BFHE 203, 309, BStBl II 2004, 107 und vom 28.10.2009 IX R 17/09, BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539 zum rein materiell-rechtlichen Verständnis des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO).

c) Im Übrigen hat der Beklagte mit seiner Einspruchsentscheidung vom 07.09.2015 ausdrücklich nur über die Einsprüche gegen die Gewerbesteuermessbescheide 2003 und 2006, jeweils vom 21.05.2013, und nicht über den ebenfalls gestellten Hilfsantrag gegen die Zinsfestsetzung entschieden.

d) Die Gewerbesteuermessbescheide 2003 und 2006 vom 21.05.2013 sind gemäß § 365 Abs. 3 Satz 1 AO zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens gegen die ursprünglichen Gewerbesteuermessbescheide 2003 vom 23.03.2006 bzw. 2006 vom 28.05.2009 geworden.

Dies gilt auch, soweit in den geänderten Bescheiden erstmalig der Beginn des Zinslaufes auf den 01.04.2011 festgestellt wurde, weil der Beklagte annahm, das Ende der Abwicklung sei im Jahr 2009 erfolgt und dieses sei ein rückwirkendes Ereignis.

Die Finanzbehörde ist in ihrem Prüfungsumfang nicht beschränkt, da sie im Einspruchsverfahren gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 AO die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen hat. Die erstmalige Feststellung des Beginns des Zinslaufes ist danach im Streitfall von diesem weiten Prüfungsumfang umfasst, zumal die Änderung im laufenden Einspruchsverfahren nach § 164 Abs. 2 AO erfolgte.

Dem steht nicht entgegen, dass in einem Klageverfahren zweifelhaft sein könnte, ob ein derart erst im Klageverfahren geänderter Bescheid nach § 68 FGO einen angefochtenen Bescheid ersetzt. In einem Klageverfahren erfordert § 68 FGO, der dem § 365 Abs. 3 AO grundsätzlich vergleichbar ist, einen (zumindest partiell) identischen Regelungsbereich (vgl. Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 11). Ein solcher liegt dann nicht vor, wenn ein teilbarer Bescheid nur teilweise angefochten und während des Klageverfahrens nur hinsichtlich des nicht angefochtenen Teils geändert wird, wie dies etwa bei einem Gewinnfeststellungsbescheid für die einzelnen prozessual selbständigen Besteuerungsgrundlagen der Fall sein kann (vgl. BFH-Beschluss vom 20.12.2013 X B 160/12, BFH/NV 2014, 558 mit weiteren Nachweisen - m. w. N. -). Richtet sich eine Klage beispielsweise gegen einen Gewinnfeststellungsbescheid, führt jedes nachträglich gestellte Rechtsschutzbegehren, das nicht die mit der Klage angegriffenen Feststellungen betrifft, zu einer Klageänderung (§ 67 FGO), die nur innerhalb der Klagefrist zulässig ist (BFH-Urteil vom 09.02.2011 IV R 15/08, BFHE 233, 290 BStBl II 2011, 764). Indes ist eine derartige Situation im Klageverfahren mit der des Einspruchsverfahrens nicht vergleichbar. Denn im Klageverfahren ist das Gericht in seinem Prüfungsumfang beschränkt (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO), die Finanzbehörde im Einspruchsverfahren hingegen nicht (§ 367 Abs. 2 Satz 1 AO).

2. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), da ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vorliegt.

Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).

Im Streitfall ist das Ende der Abwicklung als Ende des gewerbesteuerrechtlichen Gewinnermittlungszeitraums ein Ereignis (II.2.a), das am 30.09.2009 eingetreten ist (II.2.b). Unter Berücksichtigung der materiell-rechtlichen Wirkung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist das Ereignis nachträglich eingetreten (II.2.c). Dem Ende der Abwicklung kommt im Streitfall steuerliche Rückwirkung zu (II.2.d).

a) Das Ende der Abwicklung der Klägerin ist ein Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Der Zeitpunkt, zu dem die Abwicklung beendet ist, ist als Ereignis eine steuerrechtlich relevante Tatsache (II.2.a]aa] und II.2.a]bb]) und tritt zu dem Zeitpunkt ein, zu dem das zur Verteilung kommende Vermögen feststeht (II.2.a]cc]).

aa) Der Begriff "Ereignis" umfasst alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge. Dazu rechnen nicht nur solche mit ausschließlich rechtlichem Bezug, sondern auch tatsächliche Lebensvorgänge (BFH Großer Senat, Beschluss vom 19.07.1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897).

Unter "Ereignis" ist danach der steuerlich relevante Sachverhalt im weitesten Sinne zu verstehen. Der Sachverhalt setzt sich aus einer oder mehreren Tatsachen zusammen; Tatsachen wiederum sind Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Verhältnisse und Eigenschaften sowie auch für die jeweilige Steuerart präjudizielle Rechtsverhältnisse (so G. Frotscher, in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Stand: März 2015, § 175 AO Rz. 37).

Danach fällt alles unter den Begriff der Tatsache, was Merkmal oder Teilstück eines (steuer-)gesetzlichen Tatbestandes sein kann (von Groll, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: September 2014, § 175 AO Rz. 251 m. w. N.). Dabei kann auch eine zusammenfassende Betrachtungsweise dazu führen, dass das Ergebnis mehrerer Einzeltatsachen insgesamt als einheitliche Tatsache anzusehen ist (von Groll, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: September 2013, § 173 AO Rz. 70 m. w. N.).

bb) Der Zeitpunkt, zu dem die Abwicklung beendet ist, ist eine derartige steuerlich relevante Tatsache. Er ist ein Teil des steuerlichen Tatbestandes, da er im Fall der Abwicklung der Klägerin das Ende des (gewerbesteuerrechtlichen) Gewinnermittlungszeitraums bestimmt, der wiederum für die Ermittlung des Gewerbeertrags (§ 7 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes - GewStG -) maßgebend ist.

aaa) Der Zeitpunkt des Endes des Abwicklungszeitraumes ist eine Tatsache, auch wenn hierfür eine Wertung vorzunehmen ist und Tatsachen von Wertungen bzw. Vorgängen des Schlussfolgerns, Subsumierens und Beurteilens abzugrenzen sind (vgl. hierzu von Groll, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: September 2014, § 175 AO Rz. 252 m. w. N.).

Der vorgenannte Zeitpunkt ist als Zustand eine Haupttatsache des gesetzlichen Tatbestandes. Auf diese Haupttatsache kann indes nur im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller entscheidungserheblichen Hilfstatsachen geschlossen werden. Dies erfordert im Tatsächlichen zunächst eine Bestandsaufnahme der Hilfstatsachen und sodann eine rechtliche Würdigung, ob der genannte Zeitpunkt eingetreten ist (vgl. zum schrittweisen Vorgehen und zur Einordnung von Hilfstatsachen von Groll, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: September 2014, § 175 AO Rz. 287 ff.).

bbb) Gewerbesteuerrechtlich ist im Fall der Abwicklung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 KStG der im Zeitraum der Abwicklung erzielte Gewinn zu ermitteln, da dieser Gewinn der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Für diesen Zeitraum ist gewerbesteuerrechtlich gemäß § 7 Satz 1 GewStG der Gewerbeertrag zu ermitteln.

Der Abwicklungszeitraum als Gewinnermittlungszeitraum ist von dem (körperschaftsteuerrechtlichen) verfahrensrechtlichen Veranlagungszeitraum zu unterscheiden (vgl. auch Rengers, in: Blümich, Stand: Mai 2015, KStG, § 7 Rz. 18). Entsprechendes gilt für den Gewinnermittlungszeitraum bei der Gewerbesteuer (Hofmeister, in: Blümich, Stand: März 2014, GewStG, § 10 Rz. 6), der gleichfalls von dem Erhebungszeitraum und Bemessungszeitraum zu unterscheiden ist (Hofmeister, in: Blümich, Stand: März 2014, GewStG, § 10 Rz. 5).

Gewerbesteuerrechtlich gibt es in der Situation der Besteuerung eines Abwicklungsgewinns keine eigenständige Gewerbeertragsermittlung, sondern beruht diese nach § 7 Satz 1 GewStG auf § 11 Abs. 1 Satz 1 und Absätze 2 ff. KStG. Denn nach § 16 Abs. 1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV, zu den §§ 7, 8 und 9 GewStG) ist der Gewerbeertrag, der bei einem in der Abwicklung befindlichen Gewerbebetrieb im Sinne des § 2 Abs. 2 GewStG im Zeitraum der Abwicklung entstanden ist, auf die Jahre des Abwicklungszeitraums zu verteilen (siehe auch R 7.1 Abs. 8 der Gewerbesteuer-Richtlinien - GewStR -). Damit findet nur eine zeitanteilige Zuweisung des für den gesamten Abwicklungszeitraum ermittelten Gewerbeertrags auf die (einzelnen) Jahre des Abwicklungszeitraums statt (BFH-Urteil vom 23.01.2013 I R 35/12, BFHE 240, 140, BStBl II 2013, 508, juris, Rz. 17).

ccc) Der Begriff des Besteuerungszeitraums in § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG hat im Gewerbesteuerrecht keine Bedeutung.

Zwar wird in der Literatur vertreten, dass der Begriff des Besteuerungszeitraums in § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG den Gewinnermittlungszeitraum, den Bemessungszeitraum sowie den Veranlagungszeitraum für die Körperschaftsteuer umfasse (Stalbold, in: Gosch, KStG, 3. Auflage - Aufl. - 2015, § 11 Rz. 2, 48 ff.). Daraus folge, dass der Besteuerungszeitraum des § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG auch den Gewinnermittlungszeitraum bestimme, so dass der Gewinnermittlungszeitraum gegebenenfalls (ggf.) kürzer sein könne als der tatsächliche Abwicklungszeitraum. Der so ermittelte Gewerbeertrag soll sodann für die Gewerbesteuer nach Ablauf eines Besteuerungszeitraums gemäß § 16 Abs. 1 GewStDV auf ebendiese Jahre des Abwicklungszeitraumes zu verteilen sein; gleichwohl soll jedoch der Gewerbesteuermessbetrag für die einzelnen (jährlichen) Erhebungszeiträume festzusetzen sein (Stalbold, in: Gosch, KStG, 3. Aufl. 2015, § 11 Rz. 13).

Eine derartige Bedeutung misst der Senat dem Begriff des Besteuerungszeitraums für das Gewerbesteuerrecht allerdings nicht zu.

Historisch verwendete erstmals § 14 KStG 1934 (Reichsgesetzblatt - RGBl - 1934, 1031) als Vorgängervorschrift des § 11 KStG den Begriff des dreijährigen Besteuerungszeitraums (vgl. die Vorgängervorschriften § 17 KStG 1920 [RGBl 1920, 393], § 14 KStG 1922 [RGBl I 1922, 472] und § 18 KStG 1925 [RGBl I 1925, 208]; vgl. auch zur Rechtsentwicklung Stalbold, in: Gosch, KStG, 3. Aufl. 2015, § 11 Rz. 6; zur Einführung des Dreijahreszeitraumes: Hageböke, in: Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 2015, § 11 Rz. 87). Dies könnte nach Auffassung des Senates ggf. nur verfahrensrechtliche Bedeutung haben, da zuvor nach Auffassung des Reichsfinanzhofs - RFH - eine Steuererklärungspflicht im Liquidationszeitraum nicht bestand (Urteil vom 01.07.1922, I A 37/22, Sammlung der Entscheidungen und Gutachten des RFH - RFHE - 10, 23).

Das Gewerbesteuerrecht verwendet den Begriff des Besteuerungszeitraums nicht. Vielmehr bleibt es bei der Gewerbesteuer verfahrensrechtlich bei der jährlichen Festsetzung für den kalenderjährlichen Erhebungszeitraum, auch wenn der Zeitraum der Abwicklung über das Kalenderjahr hinausgeht (vgl. BFH-Urteil vom 23.01.2013 I R 35/12, BFHE 240, 140, BStBl II 2013, 508, juris, Rz. 17). Dabei ist nach Auffassung des Senates der Abwicklungszeitraum hier als gewerbesteuerrechtlicher Gewinnermittlungszeitraum zu verstehen (siehe II.2.a]bb]bbb]).

ddd) Im Streitfall kommt es danach nicht darauf an, was unter dem Begriff des "Besteuerungszeitraums" im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG zu verstehen ist und welche Folgerungen hieraus körperschaftsteuerrechtlich zu ziehen sind, d. h., ob körperschaftsteuerrechtlich deshalb endgültige oder nur vorläufige "Zwischenveranlagungen" für welchen (körperschaftsteuerrechtlichen) Gewinnermittlungszeitraum vorgenommen werden können (vgl. zum Streit z. B. Hageböke, in: Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 2015, § 11 Rz. 89 ff.; Stalbold, in: Gosch, KStG, 3. Aufl. 2015, § 11 Rz. 48 ff.).

Hier ist lediglich entscheidend, dass das Ende des Abwicklungszeitraumes als Ende des gewerbesteuerrechtlichen Gewinnermittlungszeitraumes eine steuerlich erhebliche Tatsache ist. Zwischen den Beteiligten ist im vorliegenden Verfahren im Übrigen nicht im Streit, in welcher Höhe der Gewerbeertrag der Gewerbebesteuerung zugrunde zu legen ist, da ausschließlich zu klären ist, ob ein rückwirkendes Ereignis vorliegt.

cc) Das Ende des Abwicklungszeitraums liegt zu dem Zeitpunkt vor, zu dem das zur Verteilung kommende Vermögen feststeht.

aaa) Das Ende des Abwicklungszeitraums im Sinne des Endes des gewerbesteuerrechtlichen Gewinnermittlungszeitraums im Fall der Abwicklung bestimmt sich nach den körperschaftsteuerrechtlichen Grundsätzen des § 11 KStG.

Danach ist das Ende des Abwicklungszeitraums zu dem Zeitpunkt anzunehmen, zu dem das zur Verteilung kommende Vermögen feststeht (§ 11 Abs. 3 KStG). Denn zur Ermittlung des Gewinns, der im Abwicklungszeitraum erzielt wurde, ist das Abwicklungs-Endvermögen dem Abwicklungs-Anfangsvermögen gegenüberzustellen (§ 11 Abs. 2 KStG). Dabei ist gemäß § 11 Abs. 3 KStG das Abwicklungs-Endvermögen das zur Verteilung kommende Vermögen, vermindert um die steuerfreien Vermögensmehrungen, die dem Steuerpflichtigen in dem Abwicklungszeitraum zugeflossen sind.

bbb) Sofern vertreten wird und auch die Klägerin meinen könnte, der Abwicklungszeitraum als steuerrechtlicher Gewinnermittlungszeitraum bestimme sich nach dem handelsrechtlichen Liquidationszeitraum, so dass dieser mit dem Tag beginne, an dem die Auflösung wirksam wird, und an dem Tag ende, an dem die Abwicklung rechtsgültig abgeschlossen werde (Hofmeister, in: Blümich, Stand: November 2014, KStG § 11 Rz. 36 m. w. N.), ist dem im Streitfall nicht zu folgen.

Es ist zu unterscheiden zwischen dem handelsrechtlichen Liquidationszeitraum und dem gewerbesteuerrechtlichen Abwicklungszeitraum als Gewinnermittlungszeitraum.

Schon handelsrechtlich ist zu unterscheiden zwischen der Rechnungslegung des Unternehmens und der Rechnungslegung des Abwicklers (K. Schmidt, in: AktG Großkommentar - Großkomm AktG -, Stand: 30.06.2012, § 270 Rz. 3 und 18), also auch zwischen der Schlussbilanz der Gesellschaft und der (internen) Schlussrechnung des Abwicklers. Dieses Verständnis trägt der Änderung des § 270 AktG durch das Bilanzrichtliniengesetz 1985 Rechnung. Danach sind die in § 270 Abs. 1 AktG vorgeschriebenen Liquidationsbilanzen grundsätzlich fortgeführte, wenn auch modifizierte, Erfolgsbilanzen und nicht mehr, wie nach früherem Verständnis, Vermögensbilanzen (vgl. zu § 71 GmbHG K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2015, § 71 GmbHG Rz. 4 f.). Die Liquidationsschlussbilanz der Gesellschaft ist die letzte dynamische Rechnungslegung vor der Verteilung des Reinvermögens. Noch nicht endgültig feststehende Verpflichtungen, wie z. B. Kosten für die Gesellschafterversammlung, Löschungskosten, Steuerschulden, Kosten des Liquidators, sind zu passivieren (vgl. zu § 71 GmbHG K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2015, § 71 GmbHG Rz. 6 m. w. N.). Die (interne) Schlussrechnung hingegen erfolgt erst, wenn die Abwicklung beendet ist. Dies ist der Fall, wenn u. a. die laufenden Geschäfte beendet und die verbliebenen Vermögensgegenstände verteilt sind bzw. simultan zur Verteilung bereitstehen (vgl. zu § 71 GmbHG K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2015, § 71 GmbHG Rz. 35 m. w. N.).

Steuerrechtlich ist zu beachten, dass für die Gewinnermittlung im Fall der Abwicklung die Sonderregelung des § 11 KStG gilt (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 27.03.2007 VIII R 25/05, BFHE 217, 467, BStBl II 2008, 298, auch wenn dort noch den Bilanzen nach § 71 GmbHG der Charakter von Vermögensermittlungsbilanzen zugeschrieben wird). Danach ist das Abwicklungs-Endvermögen im Sinne des § 11 Abs. 3 KStG bereits das Vermögen, das zur Verteilung kommt. Es ist nicht erforderlich, dass dieses Vermögen bereits verteilt worden ist.

Des Weiteren spricht gegen einen Gleichlauf des handelsrechtlichen und des steuerrechtlichen Abwicklungszeitraums, dass bei einem Gleichlauf steuerrechtlich kein Ende des Abwicklungszeitraums absehbar wäre. Handelsrechtlich wäre auf den Abschluss des steuerrechtlichen Verfahrens zu warten, wenn noch nicht alle Maßnahmen der Gesellschaft beendet sind (vgl. auch Oberlandesgericht - OLG - Hamm, Beschluss vom 01.07.2015, 27 W 71/15, juris).

b) Das Ende der (Nachtrags-)Abwicklung ist am 30.09.2009 eingetreten. Zu diesem Zeitpunkt stand das zur Verteilung kommende Vermögen im vorgenannten Sinne fest.

aa) Am 30.09.2009 lagen die Hilfstatsachen vor, die für die Haupttatsache "Ende des Abwicklungszeitraums" entscheidend sind. Dies sind die Tatsachen, die dazu führen, dass die steuerrechtliche Gewinnermittlung derart abgeschlossen ist, dass das zu verteilende Vermögen feststeht.

Es reicht für diesen Zeitpunkt aus, dass nach dem insoweit unstreitigen Vorbringen der Beteiligten am 30.09.2009 alle Abwicklungsmaßnahmen bis auf die noch streitigen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (nebst etwaiger damit im Zusammenhang stehender Beratungskosten) vollzogen waren.

Weitere Hilfstatsachen mussten nicht vorliegen. Die Klägerin hatte zu diesem Zeitpunkt ihre vermögensrechtlichen Ansprüche gegen die BvS endgültig in der Weise abgewickelt, dass keinerlei Forderungen diesbezüglich streitig waren bzw. Zahlungen noch ausstanden.

Soweit noch Ungewissheiten über die Höhe der Steueransprüche oder auch etwaiger anderer Kosten (z. B. für das Handelsregister) bestehen, ist dem dadurch zu begegnen, dass hierfür - wie in Jahresabschlüssen üblich und auch in der Liquidationsschlussbilanz der Gesellschaft möglich - Rückstellungen gebildet werden (im Ergebnis so auch FG Köln, Urteil vom 27.09.2012, 10 K 2838/11, EFG 2013, 78 unter Hinweis auf RFH-Urteil vom 05.03.1940, I 44/40, RFHE 48, 241 [244]).

Indes besteht im vorliegenden Verfahren kein Streit über die Höhe des Gewerbeertrags und damit über die Höhe des Gewinns, der im Zeitraum der Abwicklung, d. h. im Gewinnermittlungszeitraum, entstanden und der der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags zugrunde zu legen ist. Gegenstand des Klagebegehrens ist allein die Frage, ob ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung vorliegt, das mit Grundlagenwirkung für die Zinsfestsetzung festgestellt wird (siehe II.1).

bb) Aus den Urteilen des BFH vom 07.05.2014 (I R 81/12, BFH/NV 2014, 1593), vom 22.02.2006 (I R 67/05, BStBl II 2008, 312) und vom 16.09.2007 (I R 44/06, BStBl II 2008, 319) ergibt sich nichts anderes. Eine Aussage dazu, wann der gewerbesteuerrechtliche Abwicklungszeitraum endet, lässt sich den Urteilen nicht entnehmen.

In den genannten Urteilen war der körperschaftsteuerrechtliche Abwicklungszeitraum noch nicht beendet. So weist der BFH in seinem Urteil vom 07.05.2015 (I R 81/12) darauf hin, dass es "angesichts des Ende 2007 noch nicht abgeschlossenen Abwicklungsverfahrens" um sogenannte "Zwischenveranlagungen" (§ 11 Abs. 1 Satz 2 KStG) gehe (juris, Rz. 14). Auch in dem Urteil des BFH vom 22.02.2006 (I R 67/05) ging es um eine solche "Zwischenveranlagung" (juris, Rz. 9), wie auch in dem Revisionsverfahren der Klägerin gegen den Körperschaftsteuerbescheid "1997" (BFH-Urteil vom 16.09.2007 I R 44/06, BStBl II 2008, 319). Zudem musste der BFH keine Aussage dazu treffen, ob die Rechtslage bei der Gewerbesteuer der Rechtslage bei der Körperschaftsteuer folgt (im BFH-Urteil vom 23.01.2013 I R 35/12, BFHE 240, 140, BStBl II 2013, 508, juris, Rz. 17, z. B. ausdrücklich offen gelassen, ob nach einer körperschaftsteuerrechtlichen "Zwischenveranlagung" entsprechende Festsetzungen des Gewerbesteuermessbetrages zu erfolgen haben).

c) Soweit für § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO wegen des Charakters als Korrekturvorschrift gefordert wird, dass das Ereignis "nachträglich" eingetreten ist (vgl. z. B. von Groll, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: September 2014, § 175 AO Rz. 270 ff.), ist das Merkmal der "Nachträglichkeit" im Streitfall im Hinblick auf die materiell-rechtliche Wirkung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO einschränkend auszulegen.

aa) Aus dem Merkmal der "Nachträglichkeit" wird geschlossen, dass sich der Vorgang ereignet haben muss, nachdem der Steueranspruch entstanden ist (von Groll, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: September 2014, § 175 AO Rz. 271). Dies ist im Streitfall gegeben. Die Gewerbesteueransprüche 2003 und 2006 sind vor dem Ende des Abwicklungszeitraums im Jahr 2009 entstanden.

Die Gewerbesteueransprüche 2003 und 2006 entstanden auch im Fall der Abwicklung der Klägerin mit Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres.

aaa) Gemäß § 18 GewStG entsteht die Gewerbesteuer mit Ablauf des Erhebungszeitraums, für den die Festsetzung vorgenommen wird, soweit es sich nicht um Vorauszahlungen (§ 21 GewStG) handelt. Da Erhebungszeitraum stets das Kalenderjahr ist (§ 14 Satz 2 GewStG; BFH-Urteil vom 23.01.2013 I R 35/12, BFHE 240, 140, BStBl II 2013, 508, juris, Rz. 17), entsteht die Gewerbesteuer gleichfalls mit Ablauf des Kalenderjahres.

bbb) Die Situation der Abwicklung einer Kapitalgesellschaft ändert nichts an der jährlichen Entstehung der Gewerbesteuer.

Die Gewerbesteuer entsteht auch im Fall der Abwicklung mit Ablauf des Kalenderjahres, da für das Kalenderjahr als Erhebungszeitraum im Sinne des § 18 GewStG die Gewerbesteuer festgesetzt wird und der ggf. länger andauernde Abwicklungszeitraum die jährliche Festsetzung der Gewerbesteuer nicht verändert. Die (jeweilige) Gewerbesteuer bemisst sich wegen der zeitanteiligen Zuordnung des Gewerbeertrags des Abwicklungszeitraums nach dem im jeweiligen Kalenderjahr bezogenen Gewerbeertrag, d. h. dem Gewerbeertrag, der dem jeweiligen Kalenderjahr zugewiesen wurde. Auch wenn im Rahmen der Gewerbesteuer im Fall der Abwicklung der Gewinn für den gesamten Abwicklungszeitraum ermittelt wird und der Abwicklungszeitraum über das Kalenderjahr hinausgeht (Gewinnermittlungszeitraum, siehe II.2.a]bb]bbb]), wird dieser Gewinn zeitanteilig den einzelnen Jahren des Abwicklungszeitraums zugewiesen (BFH-Urteil vom 23.01.2013 I R 35/12, BFHE 240, 140, BStBl II 2013, 508, juris, Rz. 17). Der Bemessungszeitraum bzw. der Erhebungszeitraum der Gewerbesteuer (vgl. hierzu Hofmeister, in: Blümich, Stand: März 2014, GewStG § 10 Rz. 5) verändert sich dadurch nicht (Hageböke, in: Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 2015, § 11 Rz. 65; so auch Stalbold, in: Gosch, KStG, 3. Aufl. 2015, § 11 Rz. 12 f. für den gewerbesteuerrechtlichen Erhebungs- und Bemessungszeitraum, auch wenn Stalbold den Gewinnermittlungszeitraum mit dem Besteuerungszeitraum des § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG gleichsetzt).

Ob sich der Bemessungszeitraum der Körperschaftsteuer, der ggf. mit dem in § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG erwähnten Besteuerungszeitraum gleichgesetzt werden könnte, infolge der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG ("Soll-Besteuerungszeitraum" von drei Jahren) verändert, ist im Streitfall nicht zu entscheiden. Eine der Vorschrift des § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG entsprechende Regelung enthält das Gewerbesteuerrecht gerade nicht (Bundesministerium der Finanzen - BMF -, Schreiben vom 04.04.2008, IV B 7-S 2760/0, Bundessteuerblatt Teil I - BStBl I - 2008, 542, Nr. 2).

bb) Soweit im Hinblick auf das Merkmal der "Nachträglichkeit" das Ereignis eingetreten sein soll, nachdem der zu korrigierende Steuerbescheid ergangen ist (von Groll, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: September 2014, § 175 AO Rz. 272), ist diese Voraussetzung im Streitfall erfüllt. Das Ende des Abwicklungszeitraums trat am 30.09.2009 ein. Die ursprünglichen Gewerbesteuermessbescheide für 2003 und für 2006 wurden bereits zuvor am 23.03.2006 bzw. am 28.05.2009 erlassen.

cc) Soweit allerdings wegen des Merkmals der "Nachträglichkeit" gefordert wird, dass das Ereignis eingetreten sein soll, nachdem der zu korrigierende Bescheid bestandskräftig geworden ist (von Groll, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: September 2014, § 175 AO Rz. 273, 325), ist dem im vorliegenden Verfahren nicht zu folgen.

Auf die Bestandskraft kommt es im Streitfall für die Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht an. Hier geht es nicht um die Frage, ob die angefochtenen Bescheide nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu korrigieren sind, da die Korrektur der Bescheide bereits gemäß § 164 Abs. 2 AO erfolgte. Vielmehr geht es im Streitfall allein um die Frage, ob ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vorliegt. Dies hat in den angefochtenen Bescheiden aufgrund ihrer Grundlagenwirkung nur materiell-rechtliche Wirkung für die Zinsfestsetzung (vgl. auch BFH-Urteile vom 19.08.2003 VIII R 67/02, BFHE 203, 309, BStBl II 2004, 107 und vom 28.10.2009 IX R 17/09, BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539 zum materiell-rechtlichen Verständnis des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO).

d) Dem Eintritt des Ereignisses, dem Zeitpunkt des Endes der Nachtragsabwicklung am 30.09.2009, kommt steuerliche Rückwirkung zu.

Die Änderung des Sachverhalts muss sich - ungeachtet der zivilrechtlichen Wirkungen - steuerlich in die Vergangenheit auswirken, und zwar in der Weise, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, bestimmt sich nach dem einschlägigen materiellen Recht. Nach diesem ist zu beurteilen, ob zum einen eine Änderung des ursprünglich gegebenen Sachverhalts den Steuertatbestand überhaupt betrifft und ob darüber hinaus der bereits entstandene (vgl. § 38 AO) materielle Steueranspruch mit steuerlicher Rückwirkung noch geändert werden oder entfallen kann (ständige Rechtsprechung seit BFH-Beschluss vom 19.07.1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897).

aa) Der Eintritt des Endes des Abwicklungszeitraums ändert den ursprünglich der Besteuerung zugrunde gelegten Sachverhalt und betrifft auch den Steuertatbestand.

Der Beklagte hat der ursprünglichen Besteuerung einen nur teilweise verwirklichten Sachverhalt zugrunde gelegt. Den ursprünglichen Gewerbesteuermessbescheiden 2003 und 2006 liegt der Gewinn zugrunde, den die Klägerin seinerzeit für das jeweilige Kalenderjahr ermittelt hatte. Der Abwicklungszeitraum als gewerbesteuerrechtlicher Gewinnermittlungszeitraum war jedoch im Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide noch nicht beendet.

Dies ist indes der Rechtslage bei der Gewerbesteuer im Fall der Abwicklung geschuldet. Im Fall der Abwicklung besteht die gewerbesteuerrechtliche Besonderheit, dass die Gewerbesteuer bereits mit Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres entsteht (siehe II.2.c]aa]), obwohl ein Teil des steuerlichen Tatbestandes, nämlich das Ende des Abwicklungszeitraumes als gewerbesteuerrechtlicher Gewinnermittlungszeitraum, noch nicht verwirklicht sein kann.

Tritt nach Entstehung der Gewerbesteuer und nach Erlass des ursprünglichen Gewerbesteuermessbescheides tatsächlich das Ende der Abwicklung ein, so ändert dies den der ursprünglich der Besteuerung zugrunde gelegten Sachverhalt. Dann wird der vorher nur teilweise verwirklichte Sachverhalt vervollständigt.

Diese Änderung betrifft den materiell-rechtlichen Steuertatbestand, da das Ende des Gewinnermittlungszeitraums ein Teil des Steuertatbestandes ist (siehe II.2.a]bb]).

bb) Der bereits entstandene (vgl. § 38 AO) materielle Steueranspruch konnte mit steuerlicher Rückwirkung geändert werden.

Im Streitfall war die Gewerbesteuer bereits mit dem Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres entstanden (siehe II.2.c]aa]). Da der materielle Steueranspruch jedoch im vorliegenden Fall abhängig von dem gewerbesteuerrechtlichen Gewinnermittlungszeitraum ist, der erst mit dem Ende des Abwicklungszeitraums feststeht (siehe II.2.a]bb]), ist der bereits entstandene Steueranspruch mit Rückwirkung zu ändern. Denn erst mit dem Ende des Abwicklungszeitraums kann der für den jeweiligen Bemessungs- und Erhebungszeitraum maßgebende Gewerbeertrag zeitanteilig zugewiesen werden.

Ob ggf. eine Rückwirkung bei der Körperschaftsteuer besteht, braucht hier nicht entschieden zu werden.

Gleichfalls kann dahingestellt bleiben, ob die ursprünglichen Gewerbesteuermessbescheide (vorläufige oder endgültige) "Zwischenveranlagungen" sind, da im Streitfall allein materiell-rechtlich über die Frage eines rückwirkenden Ereignisses zu entscheiden ist. Im Streit steht nicht die verfahrensrechtliche Korrektur nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, da die Korrektur der Bescheide bereits auf § 164 Abs. 2 AO beruht.

e) Dem Vorbringen der Klägerin ist nach den vorstehenden Ausführungen nicht zu folgen.

Soweit die Klägerin meint, es müsse ein "punktuelles" Ereignis vorliegen, ist dies im Streitfall das tatsächliche Ende des gewerbesteuerrechtlichen Gewinnermittlungszeitraums als Ende des (Nachtrags-)Abwicklungszeitraums, der Merkmal des Steuertatbestandes ist. Dieser Zeitpunkt tritt ein, wenn das zu verteilende Vermögen feststeht und kann damit von dem Zeitpunkt des Endes der tatsächlichen (Nachtrags-)Abwicklung bzw. von dem Zeitpunkt, zu dem der Liquidator seine Schlussrechnung stellt, abweichen.

Danach kann sich der gewerbesteuerrechtliche Gewinnermittlungszeitraum im Fall der Abwicklung über mehrere Kalenderjahre erstrecken. Sofern das Finanzamt vor dem Ende dieses Gewinnermittlungszeitraums Gewerbesteuermessbescheide erlässt, beruhen diese auf einem nur teilweise verwirklichten Sachverhalt, der erst am Ende des gewerbesteuerrechtlichen Gewinnermittlungszeitraums durch den Eintritt seines Endes vervollständigt wird. Diesem Ende kommt unter den Umständen des Streitfalls materiell-rechtlich Rückwirkung zu.

Ob und auf welche Art und Weise sich die bisherigen Festsetzungen erledigen, war im Streitfall nicht zu entscheiden.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.






FG Hamburg:
Gerichtsbeschei v. 25.08.2016
Az: 5 K 53/15


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/1616b2f1a8a1/FG-Hamburg_Gerichtsbeschei_vom_25-August-2016_Az_5-K-53-15




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