Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 28. Januar 2011
Aktenzeichen: 6 U 180/10

(OLG Köln: Urteil v. 28.01.2011, Az.: 6 U 180/10)

Tenor

Die Berufung des Antragstellers gegen das am 23.09.2010 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landge-richts Köln - 81 O 80/10 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Der Antragsgegner warb im Frühjahr 2010 in seinem Verbandsmagazin und in Tageszeitungen mit zwei Anzeigen, deren Text wie folgt lautet:

Ein schuldenfreies Gesundheitssystem€ Haben wir.

Die gesetzlichen Krankenkassen belasten den Staatshaushalt allein in diesem Jahr mit über 15 Milliarden Euro. Ein großer Teil davon wird mit zusätzlichen Schulden finanziert. In der privaten Krankenversicherung dagegen steht jede Generation für ihre Gesundheitskosten selbst ein und sorgt für das Alter vor. Ohne die Allgemeinheit zu belasten. Ohne Schulden. Das ist solide Finanzierung. www.pkv.de

PKV - Die gesunde Versicherung.

Lieber versichert als verwaltet.

Viele Menschen wünschen sich für ihre Gesundheit mehr Leistung und weniger Bürokratie. In der privaten Krankenversicherung bestimmen die Kunden selbst über ihren Versicherungsschutz - und nicht die Politik. Ihr Vertrag sichert freie Arztwahl und einen unkündbaren Leistungskatalog - medizinischer Fortschritt inklusive. Kein Wunder, dass sich viel mehr Bürger privat versichern wollen, als der Gesetzgeber bisher zulässt. www.gesundeversicherung.de

PKV - Die gesunde Versicherung.

Der antragstellende Wettbewerbsverein, der in diesen Anzeigen einen herabsetzenden, nicht objektiven Eigenschaftsvergleich mit den gesetzlichen Krankenversicherungen sieht, begehrt Unterlassung der Anzeigenwerbung in ihrer konkreten Form. Mit dem angefochtenen Urteil hat die Kammer für Handelssachen die von der Zivilkammer im Beschlussweg erlassene einstweilige Verfügung nach Widerspruch des Antragsgegners aufgehoben und den Verfügungsantrag zurückgewiesen. Im Berufungsrechtszug erstrebt der Antragsteller unter Vertiefung und Ergänzung seines Vorbringens ihren erneuten Erlass. Der Antragsgegner verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht hat einen Unterlassungsanspruch des Antragstellers aus §§ 3, 8 Abs. 1 und 3 Nr. 2 UWG zu Recht verneint. Die im Rahmen einer Imagekampagne veröffentlichten Anzeigen sind im Ergebnis wegen ihres meinungsbildenden Gehalts nicht als unlauter anzusehen. Der angesprochene durchschnittlich informierte Zeitungsleser wird erkennen, dass die darin vorgenommene negative Bewertung des Systems der gesetzlichen Krankenkassen dem Antragsgegner als Interessenvertreter der privaten Krankenversicherungen dazu dient, in der öffentlichen Auseinandersetzung um die Zukunft des deutschen Gesundheitswesens den eigenen politischen Standpunkt zu verdeutlichen, weshalb die Kampagne im Licht der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK noch den Kriterien eines zulässigen Werbevergleichs standhält.

1. Wie das Landgericht richtig ausgeführt hat, handelt es sich bei der Anzeige "schuldenfreies Gesundheitssystem" allerdings um vergleichende Werbung, denn die im Text genannten gesetzlichen Krankenkassen werden gemäß § 6 Abs. 1 UWG als Konkurrenten der Mitglieder des Antragsgegners erkennbar gemacht. Ginge es in dem Vergleich nur darum, als Kunden der Mitglieder des Antragsgegners in Frage kommende (also nicht zu den Pflichtmitgliedern der gesetzlichen Krankenkassen gehörende) Verbraucher von den Vorteilen einer privaten Krankenversicherung zu überzeugen, bestünden Bedenken, ob die darin enthaltenen Aussagen den Anforderungen an eine objektive Bezugnahme auf wesentliche, relevante, nachprüfbare und typische Eigenschaften im Sinne von § 6 Abs. 2 Nr. 2 UWG genügen, was regelmäßig der Fall ist, wenn der angesprochene Verkehr aus der Angabe eine nützliche Information für seine Nachfrageentscheidung erhalten kann (BGH, GRUR 2007, 605 = WRP 2007, 772 [Rn. 30] - Umsatzzuwachs m.w.N.). Die Behauptung, dass die privaten Versicherungen solide und gemeinwohlverträglich finanziert seien, während die jährlichen Zuschüsse an die gesetzlichen Krankenkassen die Staatsverschuldung in die Höhe trieben, dürfte keine solche Information sein, denn wie sich die Entscheidung des Verbrauchers für die eine oder andere Form der Versicherung gegenwärtig und künftig auf deren Finanzierung, die Lage der Staatsfinanzen und die Höhe der eigenen Beitrags- oder Steuerlast auswirkt, bleibt offen. Auch eine die gesetzlichen Krankenkassen pauschal als unsolide finanzierte Schuldenmacher und Belastung für die Allgemeinheit herabsetzende Tendenz der Aussage ist nicht zu verkennen, die in anderem Zusammenhang bereits unter das Verbot des § 6 Abs. 2 Nr. 5 UWG fallen könnte.

Auch eine an sich gegen ein gesetzliches Werbeverbot verstoßende Werbung kann jedoch gerechtfertigt sein, wenn die wirksame Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung eine bestimmte Aussage oder Darstellungsweise erfordert (so für das Heilmittelwerberecht BGHZ 180, 355 = GRUR 2009, 984 = WRP 2009, 1240 [Rn. 19 ff.] - Sortis). So liegt es hier: In der im März 2010 mit Vorschlägen des zuständigen Bundesministers und der ersten Sitzung einer Regierungskommission neu belebten öffentlichen Diskussion um eine Gesundheitsreform stehen seit einiger Zeit das System der gesetzlichen und das der privaten Krankenversicherung als Ganzes zur Debatte. Die mit der Berufung vorgelegte Berichterstattung in "Wirtschaftswoche" und "Handelsblatt" (Anlagen 10 und 12) über strukturelle Probleme der privaten Krankenversicherungen belegt, dass sich diese zunehmend auch von liberaler Seite kritischen Anfragen ausgesetzt sehen. In dieser noch nicht als akute Existenzbedrohung, aber doch als erhebliche politische Gefährdung zu beschreibenden Lage seiner Mitglieder muss es dem Antragsgegner erlaubt sein, auch mit eher plakativen Äußerungen in den Meinungskampf einzugreifen. Die streitbefangene Anzeige kann und will ersichtlich nicht in erster Linie Verbraucher zu einer bestimmten Nachfrageentscheidung bewegen, sondern die öffentliche Debatte beeinflussen. Soweit den angeblichen Vorteilen der privaten Krankenversicherung für den Staatshaushalt und die Allgemeinheit angebliche Nachteile der gesetzlichen Krankenkassen gegenübergestellt werden, soll damit weniger ein wirtschaftlicher Konkurrent oder eine abgegrenzte Gruppe von Konkurrenten in ein schlechtes Licht gerückt und vom Markt verdrängt als vielmehr politisch argumentiert werden; den in diesem Sinne nicht unangemessen gezielt diffamierten, sondern letztlich reflexhaft als Repräsentanten eines alternativen Vorsorgesystems betroffenen gesetzlichen Krankenkassen bleibt es unbenommen, die Diskussion mit eigenen bildkräftigen Vergleichen fortzusetzen. Differenzierungsgrad oder inhaltliche Richtigkeit der beiderseitigen Argumente zu bewerten, kann in dieser Situation nicht Aufgabe der Wettbewerbsgerichte sein.

2. Für die Anzeige "Lieber versichert als verwaltet" gelten die vorstehenden Erwägungen entsprechend - in tatsächlicher Hinsicht sogar in noch stärkerem Maße. Die gesetzlichen Krankenkassen werden in dieser Anzeige nämlich nicht einmal ausdrücklich genannt, sondern nur mittelbar erkennbar gemacht, so dass der mit den Grundzügen des deutschen Gesundheitswesens vertraute aufmerksame Leser sie mit der im Anzeigentext (unter Zuhilfenahme des negativ besetzten Bürokratie-Begriffs) als leistungsfeindlich dargestellten Verwaltung in Verbindung bringen wird. Eine wettbewerbsrechtlich unlautere unangemessene Herabsetzung der Mitbewerbergruppe der gesetzlichen Krankenkassen ist damit jedoch nicht verbunden. Denn indem die Anzeige die als Vorzug der privaten Krankenversicherung betonte Vertragsfreiheit und Eigenverantwortung mit freier Arztwahl und unkündbaren Leistungskatalogen der Fremdbestimmung durch Politik und gesetzlichen Zwang gegenüberstellt, zielt sie ersichtlich auf eine stärker dem privaten System zuneigende öffentliche Meinung und Haltung des Gesetzgebers ab, was in dieser Form als Beitrag zur gesundheitspolitischen Auseinandersetzung vom Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt ist.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Das Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.






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