Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 20. Juni 1997
Aktenzeichen: 9 S 1250/97

(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 20.06.1997, Az.: 9 S 1250/97)

1. Kann das unterhaltsberechtigte Kind den ihm zustehenden Prozeßkostenvorschuß vom barunterhaltspflichtigen Elternteil nicht erlangen, ist auch der betreuende Elternteil vorschußpflichtig, sofern er leistungsfähig ist (wie OLG Karlsruhe, Beschluß vom 31.10.1994, FamRZ 1996, 1100). Dies gilt auch gegenüber einem nichtehelichen Kind.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Beschlusses gemäß §§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist zulässig, insbesondere ist dem Darlegungsgebot des § 146 Abs. 5 S. 3 VwGO genügt. Er ist jedoch nicht begründet.

Ob ernstliche Zweifel an einem Beschluß eines Verwaltungsgerichts nach § 146 Abs. 4 VwGO bestehen, ist mittels einer Prognose über den mutmaßlichen Ausgang des aufgrund der begehrten Zulassung durchzuführenden Beschwerdeverfahrens zu beurteilen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 25.02.1997 - 4 S 496/97 und 5 S 352/97 -, vom 17.03.1997 - 14 S 594/97 - und vom 12.05.1997 - A 12 S 580/97). Ein solches Beschwerdeverfahren ginge mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der Klägerin aus. Zwar vermag die Begründung, mit der das Verwaltungsgericht seinen Beschluß versehen hat, nicht völlig zu überzeugen, jedoch hätte die Klägerin aus einem anderen Grund schwerlich einen Anspruch auf die begehrte Prozeßkostenhilfe.

Das Verwaltungsgericht hat seine Ablehnung darauf gestützt, daß die Klägerin trotz Aufforderung vom 17.03.1997 weder eine vollständige Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beider Elternteile eingereicht noch Nachweise zur Glaubhaftmachung vorgelegt habe. Da solche Unterlagen über die Mutter der Klägerin bei den Akten sind, kann sich diese Begründung nur auf ihren - nichtehelichen - Vater beziehen. Das Verwaltungsgericht geht unausgesprochen von der Überlegung aus, daß der Klägerin gegen ihren Vater ein unterhaltsrechtlicher Anspruch auf Gewährung eines Prozeßkostenvorschusses zur Führung des Verwaltungsrechtsstreits zusteht, der der staatlichen Prozeßkostenhilfe vorgeht. Dem ist zuzustimmen, denn in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist anerkannt, daß Verfahren wegen Sozialhilfe und wegen Jugendhilfe wichtige persönliche Angelegenheiten eines Kindes sind, die - wie Unterhalts- oder Rentenprozesse - einen Anspruch auf Prozeßkostenvorschuß auslösen (Senatsbeschluß vom 19.07.1996 - 9 S 1677/96 - m.w.N.). Dieser Anspruch ergibt sich aus § 1610 Abs. 2 BGB i.V.m. dem Rechtsgedanken des § 1360a Abs. 4 BGB; gemäß § 1615a BGB gilt § 1610 Abs. 2 BGB auch für die Unterhaltspflicht gegenüber nichtehelichen Kindern (herrschende Meinung, vgl. Kalthoener/Büttner, Prozeßkostenhilfe und Beratungshilfe, Rdnr. 349 m.w.N.; Göppinger in: Göppinger u.a., Unterhaltsrecht, 5. Auflage, Rdnr. 520). Ein bestehender Anspruch auf Prozeßkostenvorschuß schließt indessen die Hilfebedürftigkeit nach dem Prozeßkostenhilferecht nicht stets, sondern nur dann aus, wenn er alsbald durchsetzbar ist, weil bei zweifelhaften bzw. nicht realisierbaren Ansprüchen das Ziel der Prozeßkostenhilfe, einen gleichmäßigen Zugang Bemittelter und Unbemittelter zu den Gerichten zu schaffen (vgl. BVerfG, Beschluß vom 13.03.1990, DVBl. 1990, 926), nicht erreichbar wäre (Kalthoener/Büttner, a.a.O., Rdnr. 337 f m.w.N.). Um einen solchen unrealisierbaren Anspruch könnte es sich bei dem Recht der Klägerin auf Prozeßkostenvorschuß gegen ihren Vater handeln. Sie hat auf die Verfügung des Berichterstatters des Verwaltungsgerichts vom 17.03.1997 unter Vorlage einer Bescheinigung des Jugendamts der Beklagten, das als Amtspfleger ihre Unterhaltsansprüche gegen den Vater geltend macht (vgl. §§ 1706, 1709 BGB), glaubhaft gemacht (vgl. § 118 Abs. 2 S. 1 ZPO), daß von diesem über einen Betrag von monatlich 200,-- DM hinaus nichts zu erlangen sei. Bei einer solchen Sachlage wäre es fehlsam, von der Klägerin zu verlangen, daß sie zunächst vorhersehbar aussichtslose rechtliche, gegebenenfalls sogar gerichtliche Schritte zur Durchsetzung ihres Anspruchs auf Prozeßkostenvorschuß unternimmt, ehe sie Prozeßkostenhilfe verlangt. Nicht zu beanstanden wäre es hingegen, wenn sich das Verwaltungsgericht deshalb nicht mit dem Vortrag der Klägerin zufriedengegeben hätte, weil er die wirtschaftliche Lage des Vater aus der Zeit von Ende 1995/Anfang 1996 wiedergab; es hat die Ablehnung indessen nicht damit begründet, sondern mit Unvollständigkeit der Erklärungen und Nachweise.

Auch wenn die Situation des Vaters bis in die Gegenwart unverändert geblieben sein sollte, hätte dies jedoch nicht zur Folge, daß die Klägerin als im Sinne von § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO hilfebedürftig zu gelten hätte und die Bewilligung der beantragten Prozeßkostenhilfe daher nur noch von der Erfolgsaussicht ihrer Klage abhinge. Ehe staatliche Mittel zur Bestreitung der Kosten eines Prozesses gewährt werden, ist nämlich zunächst zu prüfen, ob bei Ausfall des Vaters nicht die Mutter der Klägerin die Verpflichtung zur Zahlung eines Prozeßkostenvorschusses trifft. Diese Frage ist zu bejahen in dem Sinne, daß gegenüber dem unterhaltsberechtigten Kind grundsätzlich nicht nur der barunterhaltspflichtige Elternteil, sondern, wenn von diesem ein Prozeßkostenvorschuß nicht zu erlangen ist, auch der betreuende Elternteil vorschußpflichtig ist. Zwar erfüllt der betreuende Elternteil seine Unterhaltspflicht in der Regel durch die Betreuung, d.h. die Pflege und Erziehung des Kindes (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB). Im vorliegenden Streitfall ist dies die Mutter. Jedoch trifft sie, ihre Leistungsfähigkeit vorausgesetzt, die Ersatzhaftung des § 1607 Abs. 1 BGB. Für die Entscheidung über die Prozeßkostenhilfe kommt es daher prinzipiell nicht darauf an, ob der barunterhaltspflichtige Elternteil, hier also der Vater, vorrangig vorschußpflichtig ist, wenn das Kind glaubhaft macht, daß ein Vorschuß von diesem nicht zu erlangen ist. Dieser bei ehelichen Kindern anzuwendende Grundsatz (so z.B. OLG Karlsruhe, Beschluß vom 31.10.1994, FamRZ 1996, 1100 m.w.N.) beansprucht angesichts von § 1615a BGB auch gegenüber nichtehelichen Kindern Geltung.

Die Mutter der Klägerin ist, ihren Angaben über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zufolge, zur Zahlung eines Prozeßkostenvorschusses auch in der Lage, zumal sie selbst bei einem entsprechenden Prozeß keinen Anspruch auf Prozeßkostenhilfe hätte. Gerichtskosten fallen in ihm nicht an, weil es sich um ein Verfahren nach § 188 S. 2 VwGO handelt, so daß nur die voraussichtlichen Rechtsanwaltskosten zu Buche schlagen. Hierfür ist von Kosten in Höhe von rd. 800,-- DM auszugehen. Der Gegenstandswert dürfte zwischen 4.000,-- DM und 5.000,-- DM liegen (bei einem Berechnungszeitraum von 44 Monaten und einem angefochtenen monatlichen Kostenbeitrag von 100,-- DM); bei je einer Gebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 und nach Nr. 2 BRAGO zuzüglich der Kostenpauschale nach § 26 BRAGO sowie der gesetzlichen Umsatzsteuer gemäß § 25 Abs. 2 BRAGO ergibt sich eine Summe von 782,-- DM. Einen Betrag in dieser Größenordnung kann die Mutter aufbringen. Sie hätte, müßte sie selbst den Prozeß führen, nach der Tabelle in § 115 Abs. 1 S. 4 ZPO auf die Prozeßkosten Raten in Höhe von DM 350,-- DM aufzubringen. Da die Prozeßkosten von rd. 800,-- DM vier Raten nicht übersteigen, hätte sie gemäß § 115 Abs. 3 ZPO keinen Anspruch auf Prozeßkostenhilfe. Die Mutter hat ein monatliches Nettogehalt von 2.548,-- DM angegeben, dem Kindergeld in Höhe von 200,-- DM hinzuzuzählen ist. Abzusetzen sind beruflich bedingte Fahrtkosten von 30,-- DM, ein Gewerkschaftsbeitrag von 36,-- DM, Miete zuzüglich Nebenkosten von 836,-- DM sowie ein Unterhaltsbedarf für sie selbst und für die Klägerin in Höhe von 649,-- DM bzw. 456,-- DM, wobei der letztere aufgrund der Unterhaltsleistung des Vaters um 200,-- DM zu kürzen ist (vgl. § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 ZPO sowie die Prozeßkostenhilfebekanntmachung des Bundesministers der Justiz vom 18.06.1996, BGBl. I S. 824) mit dem Ergebnis, daß ein einzusetzendes Monatseinkommen von 941,-- DM verbleibt. Nicht abzusetzen wären die Zins- und Tilgungsleistungen für die Eigentumswohnung, denn diese wird nicht von der Mutter selbst bewohnt; es ist nicht Aufgabe der staatlichen Prozeßkostenhilfe, zur Vermögensbildung beizutragen, wenn es sich nicht um ein nach § 115 Abs. 2 S. 2 ZPO i.V.m. § 88 Abs. 2 BSHG geschütztes, also u.a. selbstgenutztes Heim handelt. Vielmehr wäre der in der Eigentumswohnung verkörperte Vermögenswert gemäß § 115 Abs. 2 ZPO bei der Bewilligung vom Prozeßkostenhilfe seinerseits bedürftigkeitsmindernd zu berücksichtigen.

2. Unzulässig ist der Zulassungsantrag, soweit die Zulassungsgründe der besonderen rechtlichen Schwierigkeiten (§§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung (§§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) benannt werden. Der Senat vermag den Ausführungen in der Antragsbegründung nichts zu entnehmen, was sich diesen Zulassungsgründen zuordnen ließe. Insoweit ist folglich dem Darlegungsgebot nach § 146 Abs. 5 S. 3 VwGO nicht genügt.

3. Ohne Erfolg rügt die Klägerin auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Insoweit ist einschlägig der Zulassungsgrund nach §§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, wonach die Beschwerde zuzulassen ist, wenn ein der Beurteilung des Beschwerdegerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Geltend macht sie, das Verwaltungsgericht habe mit Verfügung des Berichterstatters vom 05.05.1997 erneut zur unverzüglichen Vorlage eines aktuellen Einkommensnachweises des Vaters aufgefordert, aber bereits am 09.05.1997, also zu einem Zeitpunkt, als die Verfügung noch gar nicht bei ihrem Prozeßbevollmächtigten habe eingegangen sein können, über die Prozeßkostenhilfe entschieden. Dieser Vortrag enthält die Darlegung, daß und worin die Klägerin das Vorliegen eines Verfahrensmangels erblickt. Das Darlegungsgebot nach § 146 Abs. 5 S. 3 VwGO erfüllt er aber nicht, weil er nicht auch Ausführungen dazu enthält, daß und inwiefern der angegriffene Beschluß auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruhen kann. Hierzu hätte um so mehr Anlaß bestanden, als der Beschluß nicht darauf gestützt ist, daß die Klägerin der Verfügung vom 05.05.1997 nicht nachgekommen sei, sondern darauf, daß trotz der Aufforderungen vom 17.03.1997 keine vollständige Erklärung eingereicht und keine Nachweise vorgelegt worden seien. In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, daß es bei dem im wesentlichen gleichlautenden Zulassungsgrund für die Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung bei der Beurteilung der möglichen Kausalität eines Verfahrensmangels allein auf den in den Entscheidungsgründen niedergelegten materiell-rechtlichen Standpunkt, d.h. die Rechtsauffassung des Gerichts, gegen dessen Urteil die Revision zugelassen werden soll, ankommt (Nachweise bei: Kopp, VwGO, 10. Auflage, § 132 Rdnr. 23); bei dem Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, ggf. i.V.m. § 146 Abs. 4 VwGO, dürfte nichts anderes gelten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar.






VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 20.06.1997
Az: 9 S 1250/97


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