Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 17. Dezember 2001
Aktenzeichen: AnwZ (B) 6/01

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des 2. Senats des Hessischen Anwaltsgerichtshofes vom 6. Dezember 2000 aufgehoben.

Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. November 1999 wird aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Zulassungsantrag des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 90.000 DM festgesetzt.

Gründe

I.

Der im Jahre 1937 geborene Antragsteller schloß 1959 das Studium der Rechtswissenschaft an der Universität in L. mit dem akademischen Grad eines Diplom-Juristen ab. Anschließend war er bis Januar 1990 hauptamtlich in der Abteilung IX der Bezirksverwaltung S. des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) tätig, seit dem 1. Januar 1965 als stellvertretender Abteilungsleiter. 1978 wurde ihm die Aufgabe eines persönlichen Referenten des Leiters der Bezirksverwaltung S. übertragen.

Von Februar bis August 1990 war der Antragsteller als Justitiar eines Gewerbebetriebes angestellt. In der Folgezeit bis 1998 hat er verschiedene Personen und Unternehmen in Rechtsangelegenheiten beraten.

Der Antragsteller hat am 1. Oktober 1996 beim Präsidenten des Thüringischen Oberlandesgerichts die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beantragt. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 16. April 1999 abgelehnt.

Am 23. April 1999 hat der Antragsteller die Zulassung als Rechtsanwalt beim Landgericht W. beantragt. Mit Bescheid vom 18. November 1999 hat die Antragsgegnerin den Zulassungsantrag mit gleicher Begründung wie das Thüringer Ministerium für Justiz und Europaangelegenheiten abgelehnt. Den dagegen gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen. Mit der sofortigen Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO) und hat auch in der Sache Erfolg.

1. Der beim Anwaltsgerichtshof eingereichte Antrag auf gerichtliche Entscheidung war zulässig, obwohl das Zulassungsgesuch des Antragstellers zuvor schon durch Bescheid des Thüringer Ministeriums für Justiz und Europaangelegenheiten bestandskräftig abgelehnt worden war.

Entscheidungen in Zulassungssachen nach der Bundesrechtsanwaltsordnung sind als echte Streitsachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit der materiellen Rechtskraft fähig. Ohne eine Änderung der Sachlage kann derselbe Gegenstand daher von den Beteiligten grundsätzlich nicht erneut dem Gericht unterbreitet werden (BGHZ 102, 252, 253 f). Die Landesjustizverwaltung ist jedoch befugt, einen durch unanfechtbaren Verwaltungsakt geregelten Einzelfall durch eine neue Sachentscheidung wiederum zu regeln, ein wiederholtes Begehren des Antragstellers also nochmals zu prüfen und sachlich zu bescheiden. Ein solcher Zweitbescheid eröffnet den Rechtsweg erneut (BGH, Beschl. v. 12. Dezember 1988 -AnwZ (B) 43/88; Odersky, Festschrift für Sendler S. 539, 544 ff). Für eine Entscheidung der Rechtsanwaltskammer in Zulassungssachen, die ihr infolge der in § 224a BRAO vorgesehenen Möglichkeit zur Erledigung in eigener Zuständigkeit übertragen worden sind, kann nichts anderes gelten. Da die Antragsgegnerin sich nicht auf die Bestandskraft der Vorentscheidung berufen, sondern das Begehren des Antragstellers daraufhin überprüft hat, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung als Rechtsanwalt erfüllt sind, hat sie eine Entscheidung in der Sache getroffen.

2. Das Zulassungsgesuch des Antragstellers kann nicht mit der Begründung abgewiesen werden, er habe die in § 4 Abs. 1 RAG normierten Voraussetzungen nicht erfüllt.

a) Nach Art. 21 Abs. 8 des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte vom 2. September 1994 (BGBl. I S. 2278) besitzen die Befähigung zur anwaltlichen Tätigkeit auch Personen, die spätestens innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes

(9. September 1994) die fachlichen Voraussetzungen für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 4 RAG erfüllen. Gemäß § 4 Abs. 1 RAG kann zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden, wer ein umfassendes juristisches Hochschulstudium in der DDR absolviert und mit dem akademischen Grad eines Diplom-Juristen abgeschlossen hat und auf mindestens zwei Jahre juristische Praxis in der Rechtspflege oder in einem rechtsberatenden Beruf verweisen kann.

Die Vorschrift des § 4 RAG modifiziert §§ 4 BRAO, 5 Abs. 1 DRiG in dem Sinne, daß die Diplomprüfung an die Stelle des ersten Staatsexamens tritt und außerdem in einer zweijährigen Tätigkeit in der Rechtspflege oder in einem rechtsberatenden Beruf die im Hochschulstudium gewonnenen theoretischen Kenntnisse so praktisch erfahren werden, daß der Diplom-Jurist einen Stand erreicht, der dem nach einem Vorbereitungsdienst abgelegten zweiten Staatsexamen angenähert ist (BGH, Beschl. v. 13. März 2000 -AnwZ (B) 26/99). Bei der Auslegung der Norm ist zu beachten, daß § 4 RAG den Juristen der früheren DDR nach Möglichkeit den Zugang zur Rechtsanwaltschaft eröffnen soll. Das verbietet ein enges Verständnis des Merkmals der rechtsberatenden beruflichen Tätigkeit. Diese kann deshalb auch in einem nichtanwaltlichen Beruf erbracht worden sein (BGH, Beschl. v. 14. März 1994 -AnwZ (B) 67/93, BRAK-Mitt. 1994, 105; v. 13. März 2000, aaO). Allerdings reicht eine bloße Verwaltungstätigkeit - sei es als Sachbearbeiter, Referent oder sonst im öffentlichen Dienst -nicht aus (vgl. BGH, Beschl. v. 26. Mai 1997 -AnwZ (B) 66/96, BRAK-Mitt. 1997, 198).

b) Ermittlungs- und Überprüfungstätigkeit für das MfS der ehemaligen DDR ist nicht als juristische Praxis in der Rechtspflege zu werten (BGH, Beschl. v. 13. März 2000, aaO). Soweit der Antragsteller operative Vorgänge auf ihre Tatbestandsmäßigkeit juristisch zu überprüfen hatte, bestand seine Aufgabe im wesentlichen darin, zur Vorbereitung von nach außen wirkendem Verwaltungshandeln dieses in rechtlicher Hinsicht zu kontrollieren. Eine solche Aufgabe erforderte zwar eine juristische Ausbildung, war aber in ihrem Kern darauf ausgerichtet, eine dem Leiter der Dienststelle obliegende Verwaltungsaufgabe vorzubereiten (vgl. BGH, Beschl. v. 13. März 2000, aaO).

c) Bei seiner Anhörung im Rahmen des beim Thüringer Ministerium für Justiz und Europaangelegenheiten geführten Zulassungsverfahrens hat sich der Antragsteller jedoch darauf berufen, über die geschilderte Tätigkeit hinaus in dienstlicher Funktion umfangreich rechtsberatend tätig gewesen zu sein (Beiakte I-1 zu 3176/E-RA -204/96, Bl. 135 ff). Die Behördenleitung der Bezirksverwaltung S. habe den ungefähr 1000 Mitarbeitern befohlen, sich mit ihren privaten Rechtsfragen an den Dienstherrn zu wenden, statt einen Rechtsanwalt zu konsultieren. Dieser Befehl habe deshalb bestanden, weil privatrechtliche Angelegenheiten häufig auch dienstliche Fragen berührt hätten, die nicht nach außen hätten bekannt werden sollen. Aus diesem Grunde seien Anwälte nur dann beauftragt worden, wenn in einer gerichtlichen Angelegenheit Anwaltszwang bestanden habe. Die erforderliche Beratungstätigkeit habe zunächst der Disziplinarbeauftragte erbracht. Da dieser jedoch kein Jurist gewesen sei und ihm häufig Fehler unterlaufen seien, habe der damalige Leiter der Bezirksverwaltung diese Aufgabe ab 1977/78 dem Antragsteller übertragen. Fortan habe er die Mitglieder der Behörde in allen privatrechtlichen Fragen beraten müssen, insbesondere in familien-, erb- und straßenverkehrsrechtlichen Fragen sowie in Vermögensangelegenheiten. Darüber hinaus sei es seine Aufgabe gewesen, die Fachabteilungen bei komplizierten juristischen Fragen -beispielsweise im Bau- und Staatshaftungsrecht -zu beraten. In diesen Fällen habe die jeweilige Fachabteilung einen Bericht verfaßt, der ihm vorgelegt worden und von ihm mit einer rechtlichen Würdigung und einem Entscheidungsvorschlag dem Leiter der Bezirksverwaltung vorgelegt worden sei. Die geschilderte Tätigkeit habe insgesamt mehr als die Hälfte seiner Arbeitszeit in Anspruch genommen. Ob die dienstliche Tätigkeit des Antragstellers, die darin bestand, Mitarbeiter der Behörde in privatrechtlichen Problemen zu beraten, die Anforderungen erfüllt, die bei der gemäß § 4 Abs. 1 RAG gebotenen vergleichenden Betrachtungsweise an das Merkmal einer zweijährigen juristischen Praxis in einem rechtsberatenden Beruf zu stellen sind, braucht der Senat indes nicht zu entscheiden.

d) Jedenfalls hat der Antragsteller den Nachweis geführt, in der Zeit vom 1. Februar 1991 bis zum 9. September 1996 juristische Aufgaben wahrgenommen zu haben, die in ihrer Gesamtheit einer zweijährigen Praxis in einem rechtsberatenden Beruf entsprechen.

Aus der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Bestätigung der Handelsbank vom 27. November 2001 geht hervor, daß der Antragsteller in dieser Einrichtung durchgehend vom 1. Februar 1991 bis zu dem hier maßgeblichen Stichtag beschäftigt war. Während dieser Zeit hat er durchschnittlich etwa 20 Stunden wöchentlich in den Bereichen Arbeitsrecht, Vertragsrecht und allgemeines Zivilrecht gearbeitet und in diesem Rahmen auch Mitarbeiter und Kunden der Bank sowie andere dort tätige Firmen beraten. Darüber hinaus war er für weitere -im angefochtenen Beschluß des Anwaltsgerichtshofs im einzelnen bezeichnete -Firmen und Rechtsanwälte rechtsberatend tätig. Mag dies auch überwiegend nur in geringem Umfang der Fall gewesen sein, so entsprach bereits die im Rahmen der Tätigkeit bei der Handelsbank erledigte Aufgabe in etwa dem Umfang einer Halbtagsbeschäftigung. Daher kann nicht zweifelhaft sein, daß sich der Antragsteller in dem gesetzlich vorgesehenen Zeitraum die geforderte juristische Praxis erworben hat.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 201 Abs. 2, 40 Abs. 4 BRAO i.V.m. § 13a Abs. 1 FGG. Es entspricht nicht der Billigkeit, eine Erstattung außergerichtlicher Kosten anzuordnen.

Hirsch Fischer Schlick Otten Salditt Schott Wosgien






BGH:
Beschluss v. 17.12.2001
Az: AnwZ (B) 6/01


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