Landesarbeitsgericht Niedersachsen:
Beschluss vom 1. Juli 2003
Aktenzeichen: 13 TaBV 6/03

(LAG Niedersachsen: Beschluss v. 01.07.2003, Az.: 13 TaBV 6/03)

Ein Anwalt, der im Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 BetrVG den Betriebsrat und das beteiligte Betriebsratsmitglied vertritt, verstößt nicht gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen.

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 21.11.2002, 5 BV 5/02, wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

1. Der Antragsteller ist Rechtsanwalt. Er begehrt vom Arbeitgeber Zahlung der Anwaltskosten für die Vertretung des Betriebsrates in einem Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 BetrVG. Der Antragsteller hatte in dem Beschlussverfahren auch das beteiligte Betriebsratsmitglied vertreten. Der. Arbeitgeber macht Nichtigkeit des Geschäftsbesorgungsvertrages geltend wegen Vertretung widerstreitender Interessen, §§ 134 BGB, 43 a Abs. 4 BRAO.

Der Arbeitgeber beantragte im November 1998 beim Betriebsrat Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitgliedes W.. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung. In dem über 3 Instanzen geführten Beschlussverfahren auf Ersetzung der Zustimmung (Arbeitsgericht Oldenburg, 1 BV 18/98; LAG Niedersachsen 12 TaBV 55/99; BAG 2 ABN 37/01) vertrat der Antragsteller sowohl den Betriebsrat als auch das beteiligte Betriebsratsmitglied. Das Arbeitsgericht verweigerte die Ersetzung der Zustimmung, durch Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 13.02.2001 wurde die Zustimmung ersetzt mit der Begründung, die außerordentliche Kündigung sei gerechtfertigt, weil das beteiligte Betriebsratsmitglied in einem Kündigungsschutzprozess zu Lasten des Arbeitgebers eine uneidliche Falschaussage gemacht habe. Die nachfolgende Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesarbeitsgericht durch Beschluss vom 06.12.2001 als unbegründet zurückgewiesen.

Der Arbeitgeber hat die Verfahrenskosten erster Instanz gezahlt, er verweigert Zahlung der Verfahrenskosten für die zweite und dritte Instanz.

Der Betriebsrat hat unter dem 01.08.2002 seinen Freistellungsanspruch an den Antragsteller abgetreten.

Der Antragsteller hat beantragt,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller

die entstandenen Kosten aus Anlass der Beschlussverfahren

2 ABN 37/01 beim Bundesarbeitsgericht Erfurt und 12 TaBV 55/99 beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen in Höhe von insgesamt 2.944,55 0 nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit (25.09.2002) zu erstatten.

Die Antragsgegnerin (Arbeitgeber) hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Sie hat geltend gemacht unter Berufung auf eine Entscheidung des LAG Köln, mit Vertretung von Betriebsrat und beteiligtem Betriebsratsmitglied habe der Antragsteller gegen das Verbot der Vertretung bei widerstreitenden Interessen (§ 43 a Abs. 4 BRAO) verstoßen. Der Geschäftsbesorgungsvertrag sei deshalb unwirksam und der Anspruch unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat eine Verpflichtung entsprechend dem Antrag ausgesprochen. Auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses wird Bezug genommen.

Mit Beschwerde macht der Arbeitgeber geltend, als Vertreter des beteiligten Betriebsratsmitgliedes habe ein Rechtsanwalt im Verfahren nach § 103 BetrVG allein dessen Individualinteressen zu beachten und auf betriebliche Belange keinerlei Rücksicht zu nehmen. Der vom Betriebsrat mandatierte Anwalt sei dagegen stets auch gehalten, betriebliche Belange mit zu berücksichtigen. Der potenzielle Interessenkonflikt sei damit offenkundig. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Beschwerdebegründung.

Die Antragsgegnerin (Arbeitgeber) beantragt:

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Oldenburg zum AZ: 5 BV 5/02 wird aufgehoben.

2. Der Antrag wird abgewiesen. Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt nach Maßgabe der Beschwerdeerwiderung den erstinstanzlichen Beschluss.

II.

Nach § 40 BetrVG hatte der Betriebsrat gegen den Arbeitgeber einen Anspruch auf Freistellung von den Anwaltskosten, die im Verfahren nach

§ 103 BetrVG entstanden sind. Dieser Anspruch ist durch Abtretung auf den Antragsteller übergegangen, der nunmehr Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung der Kosten verlangen kann.

Zwar hat das beteiligte Betriebsratsmitglied bei einem negativ verlaufenden Beschlussverfahren nach § 103 BetrVG die Kosten des von ihm beauftragten Anwalts selbst zu tragen. Nach § 6 BRAGO erhält der beauftragte Anwalt bei mehreren Auftraggebern die Gebühren aber nur einmal zuzüglich einer erhöhten Prozessgebühr. Aus § 6 Abs. 2 BRAGO folgt dann, dass jeder Auftraggeber die vollen Gebühren ohne Erhöhungsbetrag schuldet. Mehrere Auftraggeber sind damit Gesamtschuldner. Weil das beteiligte Betriebsratsmitglied bisher Anwaltskosten nicht gezahlt hat, haftet der in Anspruch genommene Arbeitgeber auf die volle Summe der insoweit korrekten Kostenrechnung.

Es bestand auch im konkreten Fall eine Kostentragungspflicht des Arbeitgebers. Nachdem der Betriebsrat erstinstanzlich im Verfahren nach § 103 BetrVG obsiegt hatte, durfte er die Fortsetzung des Verfahrens in der Beschwerdeinstanz für erforderlich halten. Auch die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den Betriebsrat konnte nicht als offensichtlich aussichtslos bewertet werden. Nähere Ausführungen dazu erübrigen sich, da auch der Arbeitgeber die Erforderlichkeit der Kosten nicht bestritten hat.

Der Geschäftsbesorgungsvertrag ist nicht nichtig nach § 134 BGB, eine Vertretung widerstreitender Interessen gemäß § 43 Abs. 4 BRAO liegt nicht vor.

Das LAG Köln (Beschluss vom 15.11.2000, 3 TaBV 55/00, LAGE § 40 BetrVG 1972 Nr. 66) hat bei Vertretung von Betriebsrat und beteiligtem Betriebsratsmitglied in einem Zustimmungsersetzungsverfahren widerstreitende Interessen und damit Nichtigkeit des Geschäftsbesorgungsvertrages angenommen. Es hat u.a. ausgeführt, Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte des Betriebsrates bestünden im Interesse der Arbeitnehmer des Betriebes. § 103 BetrVG solle Betriebsratsmitglieder vor willkürlichen außerordentlichen Kündigungen schützen und dadurch zugleich die Kontinuität der Arbeit des Betriebsrates wahren. Es gehe dabei um die Wahrung der Interessen der Arbeitnehmer des Betriebes. Im Gegensatz dazu solle die Beteiligung des zu kündigenden Betriebsratsmitgliedes dessen individualrechtlichen Kündigungsschutz gewährleisten. Dieser Schutz des zu kündigenden Betriebsratsmitgliedes sei aber nicht Aufgabe des Betriebsrates, der sich an der objektiven Interessenlage der Belegschaft zu orientieren habe und zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber verpflichtet sei. Daraus ergebe sich ein struktureller Widerstreit der Interessen, die der Betriebsrat einerseits und das betroffene Betriebsratsmitglied andererseits mit Beschlussverfahren nach § 103 BetrVG wahrnehmen würden.

Ein solcher Interessengegensatz wird vom Landesarbeitsgericht Hamm offenbar nicht gesehen. Das LAG hat im Beschluss vom 10.06.1998, 3 TaBV 15/98, angenommen, das zu kündigende Betriebsratsmitglied könne bei dem Beauftragungsbeschluss eines Rechtsanwalts für die Vertretung des Betriebsrates im Zustimmungsersetzungsverfahren mitbestimmen. Es sei nicht durch Selbstbetroffenheit ausgeschlossen.

Im Gegensatz zur Auffassung des LAG Köln liegt bei der vorliegenden Fallkonstellation kein Verstoß gegen das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen vor. Ob ein Interessengegensatz vorliegt, ist zu bewerten nach der Interessenlage, die sich durch den Auftrag der Parteien ergibt (Kleine-Cosack, BRAO, 2. Aufl., § 43 a RdNr. 29). Maßgebend sind damit nicht etwa die Motive des Betriebsrates, warum er die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung verweigert hat und ein Verfahren nach § 103 BetrVG führt. Entscheidend ist vielmehr, dass sowohl der Betriebsrat nach Zustimmungsverweigerung als auch das beteiligte Betriebsratsmitglied das nachfolgende Zustimmungsersetzungsverfahren mit der gleichen Zielrichtung führen, nämlich Abwehr des Kündigungsbegehrens des Arbeitgebers. Die Interessenlage ist gleichgerichtet, es gibt gerade keinen Interessengegensatz.

Ein Interessengegensatz lässt sich auch nicht aus der Aufgabenstellung des Betriebsrates und seiner Verpflichtung herleiten, die Interessen der Gesamtbelegschaft zu vertreten und vertrauensvoll mit dem Arbeitgeber zusammenzuarbeiten. Das Zustimmungserfordernis des § 103 BetrVG ist eingebunden in den besonderen Kündigungsschutz von betriebsverfassungsrechtlichen Funktionsträgern, insbesondere Betriebsratsmitgliedern. Neben dem Ausschluss der ordentlichen Kündigung nach § 15 KSchG dient § 103 BetrVG dem Ziel, das Betriebsratsmitglied vor unwirksamen außerordentlichen Kündigungen zu schützen. Dieser besondere Schutz dient der Unabhängigkeit der Amtsführung und damit der Funktionsfähigkeit des Betriebsrates. Gewährleistet ist damit aber auch ein individueller Kündigungsschutz des betroffenen Betriebsratsmitgliedes. Entsprechend hat der Betriebsrat, der über eine Zustimmung zur Kündigung nach § 103 BetrVG zu entscheiden hat, nicht etwa nach Billigkeitsgesichtspunkten zu urteilen oder nach Ermessen zu entscheiden. Der Betriebsrat hat zu prüfen, ob ausreichende Gründe für eine außerordentliche Kündigung vorliegen. Er hat damit zu prüfen, ob das betroffene Betriebsratsmitglied vor einer Kündigung geschützt werden muss oder ob, weil ausreichende Gründe vorliegen, dieser Schutz nicht eingreift und die Kündigung ausgesprochen werden darf. § 103 BetrVG dient damit zumindest auch dem Schutz des betroffenen Betriebsratsmitgliedes (KR, 6. Auflage, § 103 BetrVG RdNr. 7 und RdNr. 85).

Der Entscheidungsprozess des Betriebsrates stellt sich so dar, dass er über den Zustimmungsantrag des Arbeitgebers zur Kündigung zu befinden hat. Prüfungsmaßstab ist hier, ob die vorgetragenen Kündigungsgründe die Kündigung rechtfertigen. Wird diese Frage vom Betriebsrat bejaht und stimmt er zu, macht er die außerordentliche Kündigung möglich und stellt sich in einen Interessengegensatz zum betroffenen Betriebsratsmitglied. Verneint er ausreichende Kündigungsgründe und verweigert er die Zustimmung, übernimmt er den Schutz des betroffenen Betriebsratsmitgliedes und entscheidet sich auch für die Wahrnehmung der Interessen des betroffenen Betriebsratsmitgliedes. Der Betriebsrat wird dann im nachfolgenden Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 BetrVG Antragsgegner des Arbeitgebers, der gleichlautend mit der Interessenlage des beteiligten Betriebsratsmitgliedes die Berechtigung der Kündigung bestreitet. Die für die Bewertung der Interessenlage maßgebliche Entscheidung des Betriebsrates fällt damit vor Einleitung des Beschlussverfahrens nach § 103 BetrVG. Mit Ablehnung des Zustimmungsantrages zur Kündigung entscheidet der Betriebsrat, dass er auch die Interessen des betroffenen Betriebsratsmitgliedes wahrnehmen will und damit gerade nicht im Interessengegensatz zum betroffenen Betriebsratsmitglied handeln will. Der sodann im Beschlussverfahren beauftragte Anwalt erhält vom Betriebsrat und vom Betriebsratsmitglied das Mandat mit identischer Zielrichtung, nämlich mit Abwehr des Kündigungsbegehrens des Arbeitgebers. Ein Interessengegensatz kann damit nicht festgestellt werden.

Zu berücksichtigen ist weiter, dass bei außerordentlicher Kündigung von Betriebsratsmitgliedern die Kündigung fast ausschließlich mit Vertragspflichtverletzungen, also verhaltensbedingten Gründen begründet wird. Der Betriebsrat als Antragsgegner des Beschlussverfahrens nach § 103 BetrVG ist dann aber im Regelfall für einen sachgerechten Prozessvortrag auf Angaben des beteiligten Betriebsratsmitgliedes angewiesen. Der Prozessvortrag durch Betriebsrat und beteiligtes Betriebsratsmitglied ist deshalb auch bei Verfahren nach § 103 BetrVG im Regelfall identisch, selbst wenn sie von 2 Verfahrensbevollmächtigten vertreten werden.

Weil die Vertretung widerstreitender Interessen nicht vorliegt, ist der Geschäftsbesorgungsvertrag wirksam. Die Beschwerde des Arbeitgebers war zurückzuweisen.






LAG Niedersachsen:
Beschluss v. 01.07.2003
Az: 13 TaBV 6/03


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