Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 23. November 2010
Aktenzeichen: I-4 U 138/10

(OLG Hamm: Urteil v. 23.11.2010, Az.: I-4 U 138/10)

Tenor

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 10. Juni 2010 verkün-dete Urteil der II. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

A.

Die Parteien sind Wettbewerber im Bereich der Energieversorgung.

Am 26.02.2010 wurde der Zeuge u einem für die Antragsgegnerin tätigen Vermittler aufgesucht. Dieser unterzeichnete im Rahmen des Besuchs einen Antrag auf Stromlieferung durch die Antragsgegnerin. Er entschloss sich noch am gleichen Tag, den Antrag zu widerrufen, was er am nächsten Tag auch tat.

Am 04.03.2010 informierte der Zeuge u die Antragstellerin über den Besuch des Vermittlers und teilte dort der Mitarbeiterin X mit, dass der Vermittler behauptet habe, die Antragsgegnerin habe das Stromnetz der Antragstellerin übernommen.

Nach erfolgloser Abmahnung vom 05.03.2010 hat die Antragstellerin eine Beschlussverfügung vom 15.03.2010 erwirkt, mit der Antragsgegnerin unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt worden ist,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs im Zusammenhang mit dem Abschluss von Versorgungsaufträgen die Behauptung aufzustellen, dass die Antragsgegnerin das Stromversorgungsnetz der Antragstellerin übernommen hat.

Die Antragsgegnerin hat hiergegen Widerspruch eingelegt. Sie hat bestritten, dass der als Vermittler tätige Zeuge X2 die beanstandete Behauptung aufgestellt hat. Dieser habe den Zeugen u darüber unterrichtet, dass es sich bei den Parteien um unterschiedliche Energieversorger handele, die nichts miteinander zu tun hätten.

Nach Beweisaufnahme über den behaupteten Verstoß durch Vernehmung der Zeugen u und X2 hat das Landgericht die Beschlussverfügung durch das angegriffene Urteil bestätigt. Das Landgericht hat es als glaubhaft gemacht angesehen, dass ein Vertragsvermittler der Antragsgegnerin die streitgegenständliche Äußerung getätigt habe. Der Zeuge u habe insoweit glaubhaft bekundet, dass der Werber, der nicht der Zeuge X2 gewesen sei, von einer Übernahme des Stromnetzes der Antragstellerin gesprochen habe. Dieser Aussage stehe nicht die Aussage des Zeugen X3 entgegen. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Zeuge X2 tatsächlich überhaupt das Verkaufsgespräch mit dem Zeugen u geführt habe. Insoweit bestünden erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Aussage des Zeugen X2. Dieser habe zwar bestätigt und auch angegeben, den Zeugen u wiedererkannt zu haben. Als dem Zeugen X2 mitgeteilt worden sei, dass der Zeuge u energisch in Abrede gestellt habe, jemals mit ihm gesprochen zu haben, habe der Zeuge X2 ohne zu zögern seine Aussage in diesem Punkt wieder zurückgenommen und sich insoweit auf Erinnerungslücken berufen. Dessen Aussage sei nicht glaubwürdig. Wenn die handschriftlichen Eintragungen, wie vom Zeugen X2 bekundet, von diesem stammten, so besage dies nichts für den Zeitpunkt der Eintragungen und zwinge auch nicht zu der Annahme, dass diese während eines Vertragsgesprächs mit dem Zeugen u erfolgt seien. Es bestehe die Möglichkeit, dass die Eintragungen erst nachträglich gefertigt worden seien. Nach dem vom Zeugen u gewonnenen Eindruck sei ihm auch abzunehmen, dass er ein Verkaufsgespräch mit dem Zeugen X2 abgelehnt hätte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz und der der Begründung wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Die Antragsgegnerin wehrt sich hiergegen mit ihrer Berufung. Sie beanstandet die landgerichtliche Beweiswürdigung und meint, die Aussage des Zeugen u weise an verschiedenen Stellen Widersprüche und Lücken auf. Dieser habe nicht mehr gewusst, für welches Unternehmen der Werber aufgetreten sei und mit welchem Mitarbeiter er bei den Stadtwerken gesprochen habe, um über die angebliche Täuschung zu berichten. Auch zeitlich habe er das Gespräch nicht mehr richtig einordnen können. Die inhaltlichen Zusammenhänge blieben bei seiner Aussage im Dunkeln. Ebenso wenig plausibel sei die angebliche Motivation des Zeugen, den Vertrag zu widerrufen. Es sei ihm nämlich am 26.02.2010 noch nicht einmal in den Sinn gekommen, betrogen worden zu sein. Im Hinblick auf die Bekundungen des Zeugen X2 sei unberücksichtigt geblieben der vom Zeugen u unterzeichnete Stromlieferungsvertrag, auf dem sich die Eintragungen des Vermittlers und seine Unterschrift befänden. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Eintragungen erst nachträglich gefertigt worden seien. Die vom Landgericht geäußerten Zweifel, dass der Zeuge X2 das Gespräch geführt habe, lägen neben der Sache. Soweit der Zeuge X2 zunächst angegeben habe, sich an den Zeugen y erinnern, und auf Vorhalt des Gerichts und nach einer kurzen Überlegungspause bekundet habe, dass er sich nicht sicher sei, habe er seine Aussage keineswegs zurückgenommen, sondern dahin relativiert, dass er sich bei der Anzahl der geführten Kundengespräche nicht an jedes Gesicht erinnern könne. Schließlich habe das Landgericht auch die von dem Zeugen u gezeigten Ressentiments gegenüber dem Zeugen X2 nicht gewürdigt. Jedenfalls fehle es an einer wettbewerblichen Relevanz, weil der Umstand, dass ein Energieversorgungsunternehmen zugleich über ein eigenes Stromnetz verfüge, für den Verbraucher völlig irrelevant sei. Eine spürbare Beeinträchtigung der Verbraucherinteressen sei nicht anzunehmen. Es sei nicht erkennbar, welcher Vorteil für die Antragsgegnerin mit der Behauptung einer Übernahme des Stromnetzes einhergehen solle, zumal das Stromnetz der Antragstellerin überhaupt nicht von marktsignifikantem Wert sei.

Die Antragsgegnerin beantragt,

das landgerichtliche Urteil abzuändern, die einstweilige Verfügung vom 15.03.2010 aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Antragstellerin verteidigt das Urteil mit näheren Ausführungen. Sie meint, die Beweiswürdigung des Landgerichts sei nicht zu beanstanden. Die Aussage des Zeugen u erscheine detailliert und glaubwürdig. Insbesondere sei die konkrete Motivation des Zeugen für die Ausübung des Widerrufsrechts rechtlich unerheblich. Nachvollziehbar und glaubwürdig sei auch dessen Angabe, dass der Zeuge X2 nicht derjenige gewesen sei, mit dem er das Gespräch geführt habe. Es sei keineswegs unwahrscheinlich, dass der Eintrag eines Vermittlers nachträglich erfolgen könne. Auf jeden Fall lägen aufgrund des Aussageverhaltens des Zeugen X2 berechtigte Zweifel vor, die das Landgericht zu der Auffassung geführt hätten, dem Zeugen u mehr Glauben zu schenken als dem Zeugen X2. Entscheidend sei dabei die Tatsache, dass der Zeuge X2 zunächst uneingeschränkt bestätigt habe, der anwesende Zeuge u sei derjenige, bei dem er auch gewesen sei, und dies dann später dahingehend eingeschränkt habe, dass er sich doch nicht sicher sei. Es frage sich, warum der Zeuge X2 zunächst ohne Umschweife beteuert habe, den Zeugen y erkennen, später aber doch Zweifel an seiner Erinnerungsfähigkeit kundgetan habe. Möglicherweise habe sich der Zeuge, als er gemerkt habe, dass es für ihn eng werden könne, der Gefahr einer bewussten Falschaussage entziehen wollen. Letztlich trage auch die ehrliche und subjektive Aussage des Zeugen y dieser Beurteilung bei. Dieser habe überhaupt keine Veranlassung gehabt, so vehement zu bestreiten, dass der Zeuge X2 derjenige gewesen sei, von dem er das Vertragsangebot erhalten habe. Die Ausführungen der Antragsgegnerin hinsichtlich der angeblichen Irrelevanz der Irreführung lägen neben der Sache. Eine spürbare Beeinträchtigung liege vor. Allein aus der Äußerung, man habe das Stromnetz der Stadtwerke übernommen und könne nun Strom günstig anbieten, beeinflusse den Verbraucher bei seiner Entscheidungsfindung dahin, dass er diese Information zum Anlass nehme, einen neuen Versorgungsvertrag abzuschließen und sein bestehendes Vertragsverhältnis mit den Stadtwerken aufzugeben. Maßgeblich sei, dass der Verbraucher zu der Ansicht verleitet werde, es ändere sich etwas bei seinem ursprünglichen Versorger und er wechsle daher besser zu dem neuen Anbieter. Die Größe des Stromnetzes spiele dabei keine Rolle, sondern allein die irreführende Darstellung unwahrer Tatsachen.

Der Senat hat den gestellten Zeugen u uneidlich vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin sowie die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

B.

Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin ist unbegründet. Die Antragstellerin kann von ihr im Wege der einstweiligen Verfügung nach §§ 8 I, III Nr. 1; 3; 5 I, II Nr. 3 UWG die Unterlassung der Behauptung einer Übernahme des Stromversorgungsnetzes von der Antragstellerin verlangen.

Eine unlautere Irreführung ist zu bejahen. Auf etwaige weitere Verbotstatbestände, etwa § 6 UWG oder §§ 1004, 823 I, 824, 826 BGB, kommt es insoweit nicht mehr an.

I.

Die Antragstellerin ist als Stromlieferantin und damit als Mitbewerberin i.S.v. von § 8 III Nr. 1 UWG antragsbefugt. Die Antragsgegnerin bietet gleichfalls die Lieferung von elektrischer Energie an.

Die Antragsgegnerin ist als diejenige, die vom Zeugen u gemäß dem Stromantrag vom 26.02.2010 mit der Stromlieferung beauftragt worden ist, auch passivlegitimiert, unabhängig davon, dass die Bestätigung des Widerrufs vom 10.03.2010 durch die T GmbH erfolgt ist. Für das Verhalten ihres L GmbH müsste die Antragsgegnerin gemäß § 8 II UWG einstehen. Ihre Passivlegitimation wird mit der Berufung auch nicht mehr in Abrede gestellt.

II.

Der für den Erlass der einstweiligen Verfügung nötige Verfügungsgrund ist zu bejahen. Die Dringlichkeit wird nach § 12 II UWG vermutet. Eine Widerlegung ist insoweit nicht erfolgt. Insofern ist auch ein dringlichkeitsschädliches Verhalten der Antragstellerin durch eine etwaig verzögerte Rechtsverfolgung nicht festzustellen. Die vom Senat geforderte Monatsfrist ist insoweit eingehalten. Nachdem der geltend gemachte Verstoß der Antragstellerin am 04.03.2010 zur Kenntnis gebracht worden ist, hat diese nach der Abmahnung vom 05.03.2010 zeitnah unter dem 12.03.2010 den Verfügungsantrag bei Gericht eingereicht.

III.

Der Verfügungsanspruch folgt aus §§ 8 I, III Nr. 1; 3; 5 I, II Nr. 3 UWG.

1.

Die im Zusammenhang mit der Kundenwerbung aufgestellte unwahre Behauptung der Antragsgegnerin über ihre geschäftlichen Verhältnisses und vermeintlich des Eigentums am örtlichen Stromnetz stellt unzweifelhaft eine unlautere irreführende geschäftliche Handlung dar. Die Behauptung des Kundenwerbers, dass diese das Stromnetz der Antragstellerin übernommen habe, ist falsch, wobei - worauf es entscheidend freilich nicht mehr ankommt - auch der unrichtige Eindruck vermittelt wird, die Antragsgegnerin habe die Marktmacht, das Stromnetz von der Antragstellerin zu übernehmen. Eine solche kann nach Aktenlage jedenfalls nicht zugrunde gelegt werden. Eine solche Übernahme des Stromnetzes ist tatsächlich nicht erfolgt.

2.

Die streitgegenständliche Äußerung des Kundenwerbers gegenüber dem Zeugen u bei dem Vorfall vom 26.02.2010 ist durch die Einvernahme des Zeugen u vor dem Senat und beim Landgericht sowie in diesem Zusammenhang mit indiziell durch die eidesstattlichen Versicherung der Zeugin X vom 11.03.2010 glaubhaft gemacht.

Nach § 529 I ZPO hat das Berufungsgericht zwar grundsätzlich die vom Landgericht, festgestellten Tatsachen, insofern die falsche Erklärung durch den Werber, zugrunde zu legen. Da insoweit jedoch ein non liquet nahe liegen könnte und es ohne persönlichen Eindruck von den Zeugen überaus schwierig ist, deren Glaubwürdigkeit zu beurteilen, war es jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Vollständigkeit der bisherigen Tatsachenfeststellungen geboten, den gestellten Zeugen u erneut zu vernehmen. Dieser hat die Erklärung des Kundenwerbers dahin, dass die Antragsgegnerin das Stromnetz übernommen habe, wiederum glaubhaft bestätigt. Der Zeuge war glaubwürdig. Die Aussage des Zeugen X2, der nicht erneut gestellt worden ist, der jedoch vom Landgericht vernommen worden ist, vermag demgegenüber keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Ihr kann nicht gefolgt werden.

Der Zeuge u hat angegeben, dass der Kundenwerber ihm gesagt habe, die Firma habe das Stromnetz der Antragstellerin übernommen und deshalb könne man günstiger Strom anbieten. Er habe gedacht, er könne so Geld sparen, nämlich 2 Cent pro Kilowattstunde. Aus diesem Grund habe er auch den Antrag unterschrieben. Bereits am Abend habe er gedacht, dass dies eine Dummheit gewesen sei. Er habe Zweifel bekommen, ob es das wert sei, weil er bereits so lange bei der Stadt V gewesen sei. Am nächsten Tag habe er den Vertrag widerrufen. Ihm sei insofern auch von der Nachbarin gesagt worden, dass das nicht sein könne, weil die Stadtwerke das Netz nicht verkaufen würden. Diese Aussage des Zeugen war insgesamt in sich stimmig. Auch wirkte der Zeuge durchaus glaubwürdig, wenngleich er in seiner Person eher einfacher strukturiert war und gewisse Vorbehalte gegen den Zeugen X2 hatte, den er vom Landgericht kannte. Diese Vorbehalte konnte der Zeuge u freilich, gleich ob man sie gutheißen mag oder nicht, konkret auch schildern. Der Werber damals, so der Zeuge, habe eine ganz andere Aussprache gehabt, und sei ganz anders aufgetreten. Dieser sei salopp angezogen gewesen mit Anzug und Schlips. Es habe sich um einen jüngeren Mann gehandelt, der gepflegt gewesen sei, keinen Akzent gehabt habe und perfekt deutsch gesprochen habe. Den Zeugen X2, der es nicht gewesen sei, hätte er nie in seine Wohnung gelassen. Auch gibt es letztlich keinen nachvollziehbaren Grund, wieso der Zeuge u diese Geschichte schlicht erfunden haben sollte und dann den Stadtwerken in V hätte mitteilen sollen. So ist zudem durch die eidesstattliche Versicherung der Zeugin X vom 11.03.2010 glaubhaft gemacht, dass sie am 04.03.2010 vom Kunden u einen Telefonanruf erhalten habe, in dem er mitgeteilt habe, dass er am Freitag, den 26.02.2010, von einem Kundenwerber der Firma N angerufen worden sei. Im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Stromversorgungsauftrages habe der Kundenwerber diesem gegenüber gesagt, dass die N GmbH das Stromnetz der V GmbH übernommen habe.

Auch vor dem Landgericht hat der Zeuge u die Darstellung der Klägerin bestätigt. Er hat ebenso bekundet, der Werber, ein junger Mann, der nicht der von der Antragsgegnerin gestellte Zeuge X2 gewesen sei, habe erklärt, "die" hätten das Stromnetz von der Stadt V übernommen und mit ihm einen neuen Vertrag schließen wollen. Es sei von der Firma die Rede gewesen, die auf dem Brief gestanden habe, also nach den vorgelegten Unterlagen von der Antragsgegnerin. Der Mann, so der Zeuge an späterer Stelle, habe gesagt, dass das Stromnetz von den Stadtwerken übernommen worden sei. Er, u, habe dies so verstanden, dass die neue Firma jetzt das Stromnetz verwalte. Sonst hätte er als Kunde, der bei den Stadtwerken habe bleiben wollen, gar nicht unterschrieben. Noch am Abend habe er die Kündigung geschrieben.

Soweit im Hinblick auf das Datum dieses Gesprächs ein Widerspruch in der Aussage bestehen könnte, weil mitunter auch vom 04.04.2010, die Rede war, ist einerseits festzustellen, dass das Datum vom 26.02.2010 letztlich unstreitig ist und dass auch der Stromantrag dieses Datum trägt. Dabei ist es nach entsprechend längerer Zeit auch keineswegs ungewöhnlich, dass man sich, zumal der Zeuge bei seiner Vernehmung keine Unterlagen vorliegen hatte, an das genaue Datum nicht erinnern kann, sondern vielmehr primär den näheren Geschehensablauf in Erinnerung hat. Zudem war das "falsche" Datum offenbar vom Gericht etwas unpräzise wiedergegeben, wenn es im Verhandlungsprotokoll heißt, es sei an dem vom Gericht genannten Datum, dem 04.03.2010 gewesen. Hier ist ein maßgeblicher Widerspruch tatsächlich nicht vorhanden. Entsprechendes gilt für den Namen der beworbenen Gesellschaft, den selbst Eingeweihte kaum auseinander halten können, zumal auch ausweislich des Antrags eine N GmbH, eine F GmbH und eine T GmbH agieren und dem Laien gerade auch nicht bekannt ist, welche "Aufgabenteilung" hier besteht. Gewisse Bedenken mögen insofern noch bestanden haben, als jedenfalls unklar war, mit welcher Motivation der Zeuge u den Vertrag noch am gleichen Tag widerrufen wollte, wenn er doch erst am nächsten Tag explizit von der Unwahrheit der Angaben des Werbers Kenntnis erhalten hat. Der Zeuge hat freilich vor dem Senat glaubhaft bekundet, dass er selbst an diesem Abend schon entsprechende Zweifel bekommen habe und doch lieber bei den Stadtwerken habe bleiben wollen, wo er schon länger war.

Demgegenüber hat der Zeuge X2 vor dem Landgericht ausgesagt, die Eintragungen auf dem ihm vorgelegten Stromantrag stammten von ihm. Das sei seine Unterschrift. Er habe auch seinen Namen und seine Ordnungsnummer dort eingetragen. Er könne den Vorgang nicht aus konkreter Erinnerung heraus schildern, er könne aber schildern, wie er immer vorgegangen sei. Es werde gesagt, dass er von N komme. Er weise dabei darauf hin, dass N ein eigenständiges Unternehmen sei. Selbstverständlich würde den Kunden klar gemacht, dass das getrennt sei und N mit den Stadtwerken nichts zu tun habe. Er habe nicht gesagt, dass N das Stromnetz der Stadtwerke übernehme. Diese Darstellung des Zeugen X2 ist grundsätzlich ebenfalls in sich plausibel, zumal die Antragsunterlagen auch seine Unterschrift und seine Ordnungsnummer tragen. Dabei ist angesichts der Vielzahl der Kundenbesuche auch keineswegs ungewöhnlich, dass der konkrete Einzelfall nicht direkt in der Erinnerung bleibt und der Werber nur den üblichen Geschehensablauf schildert. Indes ist in der Tat überaus erstaunlich und widersprüchlich, dass der Zeuge X2 beim Landgericht gleichwohl erst einschränkungslos hat, der Kunde sei der bei Gericht anwesende Zeuge, den er nun wieder gesehen habe. Auf Vorhalt, dass der Zeuge u dies verneint hatte, ist der Zeuge X2 auf einmal völlig umgeschwenkt. Er müsse nunmehr sagen, dass er sich doch nicht an jedes Gesicht erinnern könne, weil er 100 bis 160 Kunden in einem Zeitraum von 1 Monat gehabt habe. Er könne deswegen nicht genau sagen, ob das der Mann gewesen sei, mit dem er gesprochen habe. Er wisse aber, dass er mit einem Herren u das Geschäft gemacht habe. Danach ist die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen X2 erheblich eingeschränkt und kann insoweit nicht mehr als maßgeblich zugrunde gelegt werden.

Auch war sich der Zeuge u sicher, dass X2 tatsächlich nicht der Mann war, mit er gesprochen hat. Der Erstere gab auch beim Landgericht an, "so jemanden Ungepflegten" hätte er gar nicht rein gelassen. Außerdem sei der Mann, mit dem er gesprochen habe, kein Ausländer gewesen. Er habe perfekt deutsch gesprochen. Der Zeuge u hatte so jedenfalls für eine andere Person konkrete Anhaltspunkte. Dabei ist sich der Senat darüber bewusst, dass im Unklaren bleibt, wann und wie die Unterlagen vom Zeugen X2 ausgefüllt oder vervollständigt worden sind, und dass es dafür, dass hier tatsächlich Manipulationen stattgefunden haben, ansonsten keine objektivierbaren Anhaltspunkte gibt.

In der Gesamtwürdigung und unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme ist die streitgegenständliche Äußerung des Werbers als glaubhaft gemacht anzusehen.

3.

Diese Irreführung ist auch relevant, weil das Interesse an einem Vertrag mit dem neuen Betreiber des Stromnetzes mit daraus resultierenden günstigeren Preisen sicherlich einen Vertragsabschluss fördert. Ein Bagatellverstoß ist nicht anzunehmen. Die Irreführung ist vielmehr geeignet, die Interessen der Verbraucher und der Mitbewerber spürbar zu beeinträchtigen. Unabhängig von internen betriebswirtschaftlichen Überlegungen der Parteien, den fraglichen Netznutzungsentgelten und der detaillierten Größe des Stromnetzes der Antragstellerin, die zumeist auch gar nicht bekannt sind, wird dem Verbraucher suggeriert, sein ursprünglicher Versorger, nämlich die Stadtwerke, verfügte nicht mehr über das maßgebliche Stromnetz, es sei insofern besser, zum neuen und aktuellen Anbieter zu wechseln. Auch wird bei einem solchen "Türöffner" gegebenenfalls hergebrachtes Vertrauen in den ursprünglichen Anbieter zur Förderung des neuen Geschäfts fruchtbar gemacht. Mit dieser Aussage wird auch eine besondere Größe und Leistungsfähigkeit vorgetäuscht, die so nicht besteht, weil eine Übernahme tatsächlich nicht stattgefunden hat. Keineswegs kann, wie die Antragsgegnerin meint, zugrunde gelegt werden, dass das Eigentum am eigenen Stromnetz für den Verbraucher völlig unwesentlich sei wie auch der Umstand, ob der Energieversorger ein eigenes Stromnetz unterhalte. Eine Interessenbeeinträchtigung liegt vor.

IV.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 I, 708 Nr. 10 ZPO.






OLG Hamm:
Urteil v. 23.11.2010
Az: I-4 U 138/10


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