VGH Baden-Württemberg:
Beschluss vom 8. Februar 1993
Aktenzeichen: 1 S 2658/92

1. Das kommunale Vertretungsverbot (§ 17 Abs 3 GemO Bad-Württ (GemO BW)) steht mit höherrangigem Recht im Einklang (im Anschluß an BVerfG, Beschl v 7.10.1987, NJW 1988, 694f).

Gründe

Diese Entscheidung ergeht nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluß; der Senat hält die zulässige Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich (§ 130 a VwGO). Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Klage, mit der sich der Kläger gegen ein gegen ihn verhängtes kommunales Vertretungsverbots wendet, als unbegründet abgewiesen.

Nach § 17 Abs. 3 Satz 1 der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg i.d.F. vom 3. Oktober 1983 (GBl. S. 720) darf der ehrenamtlich tätige Bürger Ansprüche und Interessen eines anderen gegen die Gemeinde nicht geltend machen, soweit er nicht als gesetzlicher Vertreter handelt. Die gesetzlichen Voraussetzungen des kommunalen Vertretungsverbotes liegen hier - unstreitig - vor; denn der Kläger, der Gemeinderat der Beklagten ist, beabsichtigt in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt, seine Mandanten in einem ausländerrechtlichen Verfahren gegenüber der Beklagten, die untere Ausländerbehörde ist, zu vertreten.

Entgegen der Auffassung des Klägers steht das kommunale Vertretungsverbot im Einklang mit höherrangigem Recht. Dem Vertretungsverbot liegt der Gedanke zugrunde, die Gemeindeverwaltung von allen Einflüssen freizuhalten, die eine objektive, unparteiische und einwandfreie Führung der Gemeindegeschäfte gefährden könnten. Es soll verhindert werden, daß Gemeindeeinwohner die Funktion ehrenamtlich tätiger Bürger für ihre persönlichen Interessen ausnutzen und rechtsgeschäftlich bestellte Vertreter, die zugleich ehrenamtlich tätige Bürger sind, durch diese Doppelfunktion in einen Interessenwiderstreit geraten (BVerfG, Beschl. v. 18.7.1979, NJW 1980, 33; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.11.1987, abgedr. in: Seeger/Füsslein/Vogel, EKBW, GemO § 17 E 9). Weiterhin dient das Vertretungsverbot dem Vertrauen der Bürger auf Objektivität, Sachlichkeit und Lauterkeit der Verwaltung. Hierbei soll bereits dem "bösen Schein" entgegengetreten werden, daß gewählte und ehrenamtlich tätige Mandatsträger ihre politische Macht mit der privaten Berufsausübung verquicken und Ansprüche oder Interessen gegenüber der Gemeinde zu Lasten des Gemeinwohls vertreten könnten (vgl. Senatsurt., a.a.O.).

Einer solchen Auslegung des § 17 Abs. 3 GemO stehen kompetenzrechtliche Bedenken nicht entgegen. Die Länder haben das Recht, im Rahmen ihrer Gesetzeskompetenz für das Kommunalrecht Inkompatibilitätsvorschriften wie das kommunale Vertretungsverbot zu erlassen (BVerfG, a.a.O.); § 17 Abs. 3 GemO kollidiert entgegen der Auffassung des Klägers nicht mit § 3 Abs. 2 BRAO. Der Bund hat zwar in Ausübung seiner Kompetenz aus Art. 74 Nr. 1 GG das anwaltliche Berufsrecht durch die Bundesrechtsanwaltsordnung geregelt und in deren § 3 Abs. 2 ausdrücklich bestimmt, daß das Recht des Rechtsanwalts, in Rechtsangelegenheiten aller Art vor Gerichten, Schiedsgerichten oder Behörden aufzutreten, nur durch ein Bundesgesetz beschränkt werden kann. Diese Vorschrift bezieht sich aber auf das allgemeine Vertretungsrecht der Anwaltschaft insgesamt. Sie soll gewährleisten, daß die Vertretungsbefugnisse der Anwaltschaft nicht generell durch Landesgesetz eingeschränkt werden. Das allgemeine Vertretungsrecht der Anwaltschaft wird durch das den Pflichtkreis der Ratsmitglieder betreffende Vertretungsverbot nicht berührt. Denn hierbei geht es ausschließlich darum, daß einzelne Rechtsanwälte wegen ihrer Mitgliedschaft im Gemeinderat und aufgrund einer diesen besonderen Status betreffenden gesetzlichen Regelung - unbeschadet ihrer sonstigen allgemeinen Vertretungsbefugnis - lediglich von der Wahrnehmung ganz bestimmter Mandate ausgeschlossen sind. Im übrigen deutet auch § 47 Abs. 2 BRAO darauf hin, daß der Bundesgesetzgeber mit dem Erlaß der Bundesrechtsanwaltsordnung die überkommenen, besonderen öffentlichen Interessen entsprechenden landesrechtlichen Kollisionsregelungen nicht außer Kraft setzen und die zum traditionellen Gemeindeverfassungsrecht gehörenden Vertretungsverbote, die damals bereits vorhanden waren, durch die Vorschrift des § 3 Abs. 2 BRAO in ihrem Wirkungsbereich nicht einschränken wollte (BVerfG, a.a.O.).

Auch sonstige verfassungsrechtliche Bedenken stehen, wie das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach entschieden hat, dem kommunalen Vertretungsverbot nicht entgegen; insbesondere liegt eine Verletzung des Art. 12 GG nicht vor. Hierbei kann letztlich offen bleiben, ob durch die Regelung des § 17 Abs. 3 GemO überhaupt der Schutzbereich des Art. 12 GG berührt wird. Denn selbst wenn das Vertretungsverbot infolge einer objektiv deutlich erkennbaren berufsregelnden Tendenz als Berufsausübungsregelung anzusehen und deshalb an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen sein sollte, so wäre es jedenfalls durch hinreichende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt und auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar (BVerfG, Beschl. v. 7.10.1987, NJW 1988, 694/695; BVerwG, Beschl. v. 25.1.1988, DVBl. 1988, 791). Das kommunale Vertretungsverbot dient der Wahrung vernünftiger Belange des allgemeinen Wohls. Es will, wie oben dargelegt, sachfremde Einflüsse auf die Verwaltung fernhalten und das Vertrauen der Bürger zur Verwaltung erhalten. Zur Erreichung dieses Zweckes ist die gesetzliche Regelung geeignet und auch erforderlich (BVerfG, Beschl. v. 7.10.1987, a.a.O.). Die besonderen Einfluß- und Kenntnismöglichkeiten kommunaler Mandatsträger rechtfertigen es auch, daß der Gesetzgeber das Vertretungsverbot hier abstrakt und auch für Weisungsaufgaben der Gemeinde sowie für solche Aufgaben angeordnet hat, die der Stadt als unterer Landesbehörde zugewiesen sind. Denn auch hier besteht die typische Gefährdungslage, der das kommunale Vertretungsverbot begegnen will (BVerfG, Beschl. v. 7.10.1987, a.a.O., m.w.N.).

Der Grundrechtseingriff wäre auch im engeren Sinne verhältnismäßig. Daß an einer aktiven Mitwirkung interessierte Bürger persönliche Nachteile, die mit der Übernahme kommunaler Mandate und den hieraus erwachsenden besonderen Pflichten verbunden sind, in Kauf nehmen müssen, erscheint angesichts der das kommunale Vertretungsverbot rechtfertigenden Gründe als zumutbar (BVerfG, Beschl. v. 7.10.1987, a.a.O.).

Schließlich sind auch Art. 3 und 33 Abs. 2 GG nicht verletzt. Der Umstand, daß es für Landtagsabgeordnete ein entsprechendes Vertretungsverbot gegen das Land nicht gibt, stellt keinen Verstoß gegen Art. 3 GG dar. Im kommunalen Bereich sind die Interessenverflechtungen dichter und die Einflußmöglichkeiten von Mitgliedern der kommunalen Vertretungskörperschaften auf die Exekutive erfahrungsgemäß und typischerweise größer als in überörtlichen Bereichen. In der Rechtsprechung wird daher eine unterschiedliche Regelung hinsichtlich des Vertretungsverbots als sachlich gerechtfertigt angesehen (BVerwG, Beschl. v. 23.11.1983, NJW 1984, 377/378). Auch soweit der Kläger geltend macht, daß andere Berufsgruppen von dem kommunalen Vertretungsverbot nicht in gleicher Weise betroffen seien, ist ein Verstoß gegen Art. 3 GG nicht ersichtlich. Das kommunale Vertretungsverbot gilt unabhängig davon, welchen Beruf die Ratsmitglieder neben ihrem kommunalen Amt ausüben. Daß davon faktisch in erster Linie die Rechtsanwälte und die steuerberatenden Berufe betroffen sind, ist Folge ihrer mit rechtsgeschäftlichen Vertretungen verbundenen Berufsausübung, stellt jedoch keinen zielgerichteten gleichheitswidrigen Eingriff dar.

Auch das sich aus Art. 33 Abs. 2 GG ergebende passive Wahlrecht des Klägers ist nicht verletzt. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, daß angesichts der besonderen Verhältnisse im kommunalen Bereich der faktische Ausschluß von der Wählbarkeit zu einem kommunalen Ehrenamt - und a majore ad minus demzufolge auch deren faktische Erschwerung - als eine mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit vereinbare Folge anzuerkennen ist, wenn ansonsten der Gefahr von Interessenkollisionen nicht wirksam zu begegnen ist (BVerfG, Beschl. v. 7.10.1987, a.a.O., m.w.N.).






VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 08.02.1993
Az: 1 S 2658/92


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