Bundespatentgericht:
Beschluss vom 5. Dezember 2005
Aktenzeichen: 8 W (pat) 319/03

(BPatG: Beschluss v. 05.12.2005, Az.: 8 W (pat) 319/03)

Tenor

Es wird festgestellt, dass das Einspruchsverfahren nach Rücknahme des unzulässigen einzigen Einspruchs beendet ist.

Gründe

I Gegen die Erteilung des Patents 198 46 286, deren Veröffentlichung am 28. November 2002 erfolgte, ist am 27. Februar 2003 ein Einspruch erhoben worden.

Der Patentinhaber hat ua geltend gemacht, der Einspruch sei unzulässig, weil der Einsprechenden während des Laufs der Einspruchsfrist die Einspruchsberechtigung fehlte. Zum Zeitpunkt der Erhebung des Einspruchs habe zwischen dem Patentinhaber und der Einsprechenden eine Zusammenarbeitsvereinbarung bestanden, aus der sich eine in diesem Einspruchsverfahren zu berücksichtigende Nichtangriffspflicht wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben ergebe. Die Zusammenarbeitsvereinbarung vom 17. Januar 2001 sei von der Einsprechenden mit Schreiben vom 8. April 2003 und damit erst sechs Wochen nach der Erhebung des Einspruchs und des Ablaufs der Einspruchsfrist gekündigt worden.

Die Einsprechende hat sich in der Sache nicht geäußert und den Einspruch mit Schreiben vom 17. Oktober 2005 zurückgenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II Für die erstinstanzliche Entscheidung über einen Einspruch gemäß § 147 Abs 3 Satz 4 PatG ist nach einvernehmlicher Auffassung der technische Beschwerdesenat auch dann zuständig, wenn es sich um einen unzulässigen Einspruch handelt (vgl hierzu BPatG, Beschluss vom 2. Dezember 2004 - 10 W (pat) 29/02 mwN Mitt 2005, 302, 303). Allerdings ist im vorliegenden Verfahren nach der Rücknahme des Einspruchs kein Raum mehr für eine Entscheidung. Nach der Erklärung der Rücknahme des Einspruchs ist dieser nicht mehr existent und die einzige Einsprechende ist am Verfahren nicht mehr beteiligt.

Eine Fortsetzung des Einspruchsverfahrens von Amts wegen ohne die Einsprechende nach § 147 Abs 3 Satz 2 iVm § 61 Abs 1 Satz 2 PatG scheidet im vorliegenden Fall ebenfalls aus, weil das Verfahren nicht durch einen zulässigen Einspruch eingeleitet worden ist. Nach Auffassung des Senats ist das Vorbringen des Patentinhabers zuzulassen, dass die Einsprechende auf Grund der während des Laufs der Einspruchsfrist bestehenden Zusammenarbeitsvereinbarung nicht zur Erhebung des Einspruchs berechtigt war.

Die Berücksichtigung der Einrede der Nichtangriffsverpflichtung im Einspruchsverfahren ist strittig. Dafür haben sich ausgesprochen BPatGE 32, 54; 36, 177; Schulte Patentgesetz mit EPÜ, 7. Aufl, § 59 Rdn 5; Bartenbach/Volz GRUR 1987, 859, 862 und Vollrath Mitt 1982, 43, 46. Die Gegenmeinung, die einen generellen Ausschluss der Einrede im Einspruchsverfahren befürwortet, stützt sich auf die Rechtsnatur des Einspruchs als Popularrechtsbehelf, auf den Untersuchungsgrundsatz und auf die Harmonisierung des nationalen mit dem europäischen Patentrecht (vgl BPatG GRUR 2005, 182, 183 - 21 W (pat) 40/03 Feuerwehr-Tableau-Einheit; Busse 6. Aufl, § 59 Rdn 22; Koppe in Festschrift 25 Jahre Bundespatentgericht, 1986, S 244; Pitz Mitt 1994, 239, 241 f).

Der Senat ist der Auffassung, dass die Gründe für eine entsprechende Anwendung der hierzu im Nichtigkeitsverfahren entwickelten Grundsätze jedenfalls dann überwiegen, wenn über die Einrede im gerichtlichen Einspruchsverfahren vom Beschwerdesenat zu befinden ist. Jeder Rechtsbehelf steht unter dem Vorbehalt, dass er sich nicht als unzulässige Rechtsausübung erweist oder gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt. Die Rechtsbehelfe des Einspruchs wie der Nichtigkeitsklage richten sich gegen ein erteiltes Patent und in beiden Verfahren können die gleichen Gründe geltend gemacht werden. Die Nichtangriffsverpflichtung ist dabei nicht von Amts wegen, sondern nur auf Rüge zu überprüfen, wobei der Patentinhaber das Bestehen der Nichtangriffsabrede zu beweisen hat.

Wäre die Rechtsnatur des Einspruchs als Popularrechtsbehelf maßgeblich, so dürfte die Verpflichtung, das Schutzrecht nicht anzugreifen, auch im Nichtigkeitsverfahren vom Bundespatentgericht nicht berücksichtigt werden. Denn auch eine auf den Mangel der Patentfähigkeit gestützte Nichtigkeitsklage kann grundsätzlich von jedermann erhoben werden, ohne dass es des Nachweises eines berechtigten eigenen Interesses bedarf. Es ist aber unbestritten und entspricht ständiger Rechtsprechung, dass dem Nichtigkeitskläger, der zugleich auch die Interessen der Allgemeinheit wahrnehmen mag, gleichwohl Einwendungen aus den vertraglichen Beziehungen der Beteiligten und aus der Person des Klägers entgegen gehalten werden können. Zu diesen vom Gericht zu berücksichtigenden Umständen gehören sowohl ausdrückliche vertragliche Abreden des Nichtangriffs als auch solche Verpflichtungen, die sich aus dem Verbot einer unzulässigen Rechtsausübung oder als Verstoß gegen Treu und Glauben ergeben (vgl BGH GRUR 1971, 243, 244 - Gewindeschneidvorrichtungen).

Der Untersuchungsgrundsatz steht der Berücksichtigung der Einrede ebenfalls nicht entgegen. Im Einspruchsverfahren können die Beteiligten zwar weder über den Streitgegenstand noch über das Verfahren frei verfügen, so dass das Verfahren trotz Rücknahme des Einspruchs von Amts wegen ohne die Einsprechende fortgesetzt wird. Dies setzt aber einen zulässigen Einspruch voraus. Das im Untersuchungsgrundsatz gebündelte Interesse der Allgemeinheit an der Überprüfung, ob ein Patent zu Recht erteilt worden ist, kann sich nur entfalten, wenn ein Einspruch überhaupt erhoben ist und das Verfahren in zulässiger Weise durchgeführt werden kann. Ist der Einspruch aber, aus welchen Gründen auch immer (Fristversäumnis, Nichtangriffsverpflichtung, unzureichende Begründung, fehlende Partei- oder Prozessführungsbefugnis usw), unzulässig, so scheidet eine sachliche Prüfung des Patents und damit eine Berücksichtigung öffentlicher Interessen ohnehin aus.

Schließlich vermag bei der gerichtlichen Überprüfung des Patents auch das Harmonisierungsbestreben den Ausschluss der Einrede nicht zu begründen. Die Harmonisierung des nationalen mit dem europäischen Patentrecht beschränkt sich derzeit im wesentlichen auf die Voraussetzungen der Patenterteilung. Im Einspruchsverfahren decken sich die Verfahren schon nicht hinsichtlich der Einspruchsgründe. Das deutsche Einspruchsverfahren ist umfassender und lässt den Einspruchsgrund eines einzelnen Berechtigten zu, dem der wesentliche Inhalt des Patents widerrechtlich entnommen worden ist (§ 21 Abs 1 Nr 3 PatG). Ebenso wie dem Patent die Verletzung der Rechte des Berechtigten entgegen gehalten und der Einspruch insoweit nicht von jedermann erhoben werden kann, sind umgekehrt die relevanten Umstände auf Einrede zu berücksichtigen, die den Einsprechenden nachweislich verpflichten, das Patent nicht anzugreifen. Anders als das Europäische Patentamt, das sich wegen seiner beschränkten prozessualen Mittel nicht in der Lage sieht, über die Rechtswirksamkeit von Nichtangriffspflichten zu entscheiden, treffen diese Erwägungen auf die Beschwerdesenate des Bundespatentgerichts nicht zu.

Nach alledem ist die Einrede des Patentinhabers zuzulassen. Auf Grund der vom Patentinhaber eingereichten Unterlagen und seines unbestritten gebliebenen Vorbringens war die Einsprechende während des maßgeblichen Zeitraums des Laufs der Einspruchsfrist nicht berechtigt, Einspruch zu erheben, so dass der ansonsten form- und fristgerecht erhobene Einspruch als unzulässig anzusehen ist. Das Verfahren ist daher nicht fortzusetzen. Der Senat hält jedoch die Feststellung durch Ausspruch im Tenor aus Gründen der Klarheit für angezeigt, dass das Einspruchsverfahren nach Rücknahme des unzulässigen einzigen Einspruchs beendet ist (vgl auch BPatGE 46, 247 = BlfPMZ 03, 303 - gerichtliches Einspruchsverfahren II).

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