Bundespatentgericht:
Beschluss vom 20. Oktober 2004
Aktenzeichen: 28 W (pat) 315/03

(BPatG: Beschluss v. 20.10.2004, Az.: 28 W (pat) 315/03)

Tenor

Auf die Beschwerde der Widersprechenden werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 12 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 10. Februar 2003 und 8. Juli 2003 aufgehoben, soweit der Widerspruch zurückgewiesen worden ist.

Wegen des Widerspruchs aus der Marke 1085979 wird die Löschung der angegriffenen Marke 301 33 987 angeordnet.

Gründe

I.

Gegen die für die Waren "Fahrräder und deren Teile" eingetragene Wortmarke Alpinaist aus der für die Waren

"Optische Brillen, einschließlich Rahmen und Gläser; Taucherbrillen, Sonnenbrillen, Arbeitsschutzbrillen"

eingetragenen prioritätsälteren Marke 1085979 ALPINA Widerspruch erhoben worden.

Die Markenstelle für Klasse 12 des Deutschen Patent- und Markenamts hat den Widerspruch mangels Warenähnlichkeit zurückgewiesen, da es zwischen Fahrrädern und Brillen keinerlei markenrechtlich relevanten funktionalen Zusammenhang gebe und es auch sonst an regelmäßigen Berührungspunkten fehle.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden, die darauf verweist, dass im Fahrradhandel in einem Paket mit dem Rad und Ausrüstungs- und Zubehörteilen auch fahrradspezifische Brillen - u.a. von der Widersprechenden selbst - angeboten würden, die der Verkehr automatisch der Produktverantwortung des Fahrradherstellers zuordne, wenn die Waren wie vorliegend unter identischen Marken angeboten würden.

Die Markeninhaberin geht mit der Markenstelle von fehlender Warenähnlichkeit aus; bei den angeblichen Fahrradbrillen handele es sich lediglich um Sportbrillen, die nicht nur beim Fahrradfahren getragen werden könnten und vom Verkehr eindeutig dem Optiksektor zugeordnet würden, selbst wenn sie im Einzelfall in größeren Fahrradgeschäften verkauft oder in Fahrrad-Zubehörkatalogen angeboten würden, wobei diese Brillen durchgängig von Unternehmen hergestellt würden, die keine Fahrräder produzieren.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die angefochtenen Beschlüsse sowie auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg, denn zwischen den Marken besteht Verwechslungsgefahr im Sinne des § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG.

Die Rechtsfrage, ob Verwechslungsgefahr vorliegt, erfordert - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine Gewichtung der Faktoren Waren/Dienstleistungsidentität oder -ähnlichkeit, Markenidentität oder -ähnlichkeit und Kennzeichnungskraft der älteren Marke in dem Sinn, dass der höhere Grad einer der Faktoren durch den niederen Grad eines anderen Faktors ausgeglichen werden kann (st. Rspr zB BGH MarkenR 2004, 253 - dcfix/CD-FIX). Stehen sich wie hier identische Markenwörter gegenüber, kann die Verwechslungsgefahr nur dann verneint werden, wenn die Waren nicht mehr ähnlich im Rechtssinne sind. Das ist vorliegend entgegen der Auffassung der Markenstelle und der Markeninhaberin nicht der Fall.

Eine Ähnlichkeit der Waren ist zu bejahen, wenn diese unter Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen -insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte und Leistungen oder anderer für die Frage der Verwechslungsgefahr wesentlicher Gründe - so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein können, sie stammten aus demselben oder gegebenenfalls wirtschaftlich verbundenen Unternehmen, sofern sie mit identischen Marken gekennzeichnet sind, wobei vom größten Schutzumfang der älteren Marke auszugehen ist (BGH GRUR 2002, 545 Bank 24; 2004, 241 GeDIOS; Ströbele/Hacker, Markengesetz, 7. Aufl, § 9 Rdn 57). Für die Annahme dieser Ursprungsidentität kommt es dabei weniger auf die Feststellung örtlich identischer Herkunftsstätten an; entscheidend ist vielmehr, ob der Verkehr erwarten kann, dass die beiderseitigen Waren/Dienstleistungen unter der Kontrolle desselben Unternehmens hergestellt oder vertrieben bzw erbracht werden, welches für ihre Qualität verantwortlich ist (Ströbele/Hacker, Markengesetz, 7. Aufl, § 9 Rdn 58). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze muß vorliegend von Warenähnlichkeit ausgegangen werden.

Zwar ist richtig, daß es sich bei Fahrrädern und Brillen von der Grundstruktur her um völlig unterschiedliche Warengebiete handelt, die sowohl von der Materialbeschaffenheit wie von den üblichen Herstellungsstätten her keine Gemeinsamkeiten aufweisen. Eine solche Feststellung wird aber weder den tatsächlichen Marktgepflogenheiten und Marktauftritten beider Warengruppen noch dem Verständnis der Warenähnlichkeit im Rechtssinne gerecht. Genauso wenig wie Brillen in heutiger Zeit nicht mehr ausschließlich als Sehhilfe verstanden werden, sondern Teil der Freizeit- und Modekultur sind, kann das Fahrrad nur noch als reines Transportmittel angesehen werden, sondern ist ebenfalls Teil der Freizeitgesellschaft mit all ihren modischen und trendigen Begleiterscheinungen. Dementsprechend haben sich bei beiden Warengruppen auch die Vertriebsmethoden und Verbrauchergepflogenheiten verändert, und zwar in einer Weise, dass sich Fahrräder und Brillen als Sport- und Modeartikel immer näher gekommen sind und nunmehr markenrechtlich relevante Schnittmengen bilden (wie zB auch im Bereich von Fahrrädern und Sportbekleidung, vgl. BPatG E 38, 1 ff Banesto). In der mündlichen Verhandlung hat der Senat den Beteiligten umfangreiches Material in Form von Werbe- und Verkaufsprospekten vorgelegt, denen zu entnehmen ist, dass im unmittelbaren engen Zusammenhang mit Fahrrädern ein fast unüberschaubares Sortiment von Zubehör- und Ausstattungsgegenständen angeboten wird, das von technischen Artikeln wie Sättel, Pumpen, Schlössern, Helmen, Tachometer usw. über diverse Fahrradbekleidungstücke und Fahrradschuhe bis eben hin zu speziellen Fahrrad- (oder Bike-) Brillen reicht und in dieser Form sogar inzwischen Eingang in die Non-Food-Warenpalette von Lebensmittel-Discountern gefunden hat (zB Aktionstag bei Aldi am 19. 4. 2004, vgl. Verkaufsprospekt). Was die Brillen betrifft, handelt es sich dabei entgegen dem Vorbringen der Markeninhaberin nicht um bloße Sportbrillen, sondern um Produkte, die fahrradspezifische Eigenschaften (wie Windschlüpfigkeit, Schutz vor Fremdkörpern und Zugluft, fester Sitz usw.) aufweisen und in diesem Sinne in Freizeit-Zeitschriften, die sich ausschließlich mit Fahrrädern und deren Verwendung beschäftigen getestet und beschrieben worden sind (zB Mountain-Bike Magazin, Bike sport, Tour u.a., vgl. auch Bericht in der Süddt. Ztg. v. 18. 5. 2004 Outdoor-Beilage S. V2/14 "Entscheidungshilfen beim Kauf von Sportbrillen"). Unzutreffend ist auch die Behauptung der Markeninhaberin, Fahrräder und Brillen kämen niemals aus einer Hand, sondern würden sich dem Verkehr stets als getrennte Waren ohne funktionalen Zusammenhang präsentieren. Bereits in der mündlichen Verhandlung hat der Senat als Gegenbeispiel auf einen Verkaufsprospekt verwiesen, in dem unter der Marke "Fever" ein Fahrrad mit Helm und Brille im Paket zum Kopplungspreis angeboten wird, die sämtlich mit dieser Marke gekennzeichnet sind. Auch die Widersprechende hat nunmehr Material vorgelegt, wonach etwa die Firma Scott unter ihrem als Marke 1187990 geschützten Namen nicht nur Fahrräder und Fahrradbrillen im Warenverzeichnis aufführt, sondern mit diesen Produkte auch miteinander im Markt vertreten ist.

Da wie ausgeführt der Marktauftritt der Waren bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise bei der Beurteilung der Warenähnlichkeit im Rechtssinne nicht unberücksichtigt bleiben kann, liegt es für den hier einschlägigen Verkehr, zu dem auch Mitglieder des Senats zählen, daher nahe, von den mit identischen Marken gekennzeichneten Fahrradbrillen auf eine Herkunft aus dem Firmenzusammenhang eines mit derselben oder einer verwechselbar ähnlichen Marke vertriebenen Fahrrades zu schließen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Verkehr ggfls. Überlegungen anstellt, ob der Brillen- bzw. Fahrradhersteller die jeweils andere Ware möglicherweise nur zugekauft hat, wie das heute in vielen Warengebieten der Fall ist, sondern entscheidend ist allein, ob bei Kennzeichnung dieser Artikel mit identischen Marken Rückschlüsse auf wirtschaftliche Zusammenhänge im Sinne einer gemeinsamen Produktverantwortung gezogen werden können, was zumindest nicht völlig ausgeschlossen werden kann. Ob und in welchem Maße sich die gegenüberstehenden Waren ggfls. fern stehen oder einen gruppenmäßigen Abstand zueinander aufweisen, war vorliegend nicht mehr zu entscheiden, da bei Bejahung der Warenähnlichkeit die Gefahr von Verwechslungen angesichts identischer Markenwörter auf der Hand liegt.

Die Beschwerde hatte damit Erfolg. Für eine Auferlegung von Kosten unter Billigkeitsgesichtspunkten nach § 71 Abs 1 MarkenG bestand keine Veranlassung.

Stoppel Paetzold Schwarz-Angele Wf






BPatG:
Beschluss v. 20.10.2004
Az: 28 W (pat) 315/03


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